Mittelalemannisch

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Mittelalemannisch ist ein sprachwissenschaftlicher Fachausdruck, der gewöhnlich eine bestimmte Gruppe alemannischer Dialekte bezeichnet, selten aber auch für eine zeitliche Eingrenzung im Rahmen der Entwicklung der alemannischen Dialekte in ihrer Gesamtheit steht.

Mittelalemannisch im sprachgeographischen Sinn

Im sprachgeographischen (areallinguistischen) Sinne wird der Begriff mittelalemannisch für diejenigen alemannischen Dialekte verwendet, die zwischen dem hochalemannischen Dialektraum (insbesondere Schweizer Mittelland) und dem schwäbischen Dialektraum stehen. Es handelt sich dabei um ein Dialektkontinuum, das nicht immer eindeutig dem Süd- oder dem Nordalemannischen zugeordnet werden kann. Unter Einschluss der Interferenzräume umfasst es nach Peter Wiesinger die Nordostschweiz, das Churer Rheintal, Liechtenstein, Vorarlberg, den südbadischen Hegau, das oberste Donau- und südöstliche Schwarzwaldgebiet, den nördlichen Bodenseeraum und das obere Allgäu. Dabei stellen sich Nordostschweiz, südlicher Hegau, Südliechtenstein und Südvorarlberg stärker zum Süd- bzw. Hochalemannischen, die übrigen Gebiete stärker zum Nordalemannischen bzw. Schwäbischen.[1]

Der Kern des Mittelalemannischen, das heißt das außerhalb des hochalemannisch-mittelalemannischen Interferenzgebiets gelegene Sprachgebiet nördlich und (süd)östlich des Bodensees, wird auch Bodenseealemannisch genannt.[2]

Mittelalemannisch im chronologischen Sinn

Im chronologischen (zeitlichen) Sinne werden nach einem Vorschlag von Stefan Sonderegger die ungefähr im 11. bis 14. Jahrhundert gesprochenen alemannischen Dialekte mit mittelalemannisch bezeichnet.[3] In dieser Bedeutung ist der Ausdruck dem Begriff mittelhochdeutsch nachgebildet und bezieht sich auf die damals im alemannischen Raum herrschende Volkssprache.

Die Parallelisierung zur gesamtdeutschen Verwendung „Mittelhochdeutsch“ krankt allerdings daran, dass diese sich primär an der kanzleisprachlichen Realisierung orientiert, wogegen die damaligen Dialekte der gesprochenen Sprache, die von einem Terminus „Mittelalemannisch“ umschrieben werden müssten, schon damals areallinguistisch deutlich differenziert waren. So zeigen die in Graubünden und Vorarlberg gesprochenen Walser­dialekte zahlreiche Übereinstimmungen mit dem Walliserdeutschen, was darauf hindeutet, dass letztere den in vielem noch im 20. Jahrhundert fassbaren Sprachstand schon im 13. Jahrhundert, das heißt zur Zeit, als die Walser das Wallis verließen, ausgebildet hatten.[4] Ähnliche Feststellungen lassen sich aus sprechsprachnahen Quellen der anderen alemannischen Dialekträume feststellen, wobei die Forschungslage mit Ausnahme von Basel (unter anderem dank den Untersuchungen von Ernst Erhard Müller) derzeit freilich noch ganz ungenügend ist.

Anmerkungen

  1. Peter Wiesinger: Die Einteilung der deutschen Dialekte. In: Werner Besch u. a.: Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektogie. Berlin / New York 1983 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 1), S. 807–900, besonders S. 836 sowie Karten 47.4 und 47.5.
  2. Vgl. hierzu Hugo Steger, Karlheinz Jakob: Raumgliederung der Mundarten. Vorstudien zur Sprachkontinuität im deutschen Sprachraum im deutschen Südwesten. Stuttgart 1983 (Arbeiten zum Historischen Atlas von Südwestdeutschland 7).
  3. Stefan Sonderegger: Frühneuhochdeutsch in der Schweiz. Versuch einer Standortbestimmung. In: Mattheier, K. J. (Hrsg.): Vielfalt des Deutschen. Festschrift für Werner Besch. Frankfurt a. M. 1993, S. 11–58.
  4. Vgl. die Sprachkarten des Sprachatlasses der deutschen Schweiz.