Morgellons

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Klassifikation nach ICD-10
F22.0 Wahnhafte Störung
F22.8 Sonstige anhaltende wahnhafte Störungen
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Morgellons (auch Morgellons-Krankheit) ist die informelle Bezeichnung einer selbst diagnostizierten, wissenschaftlich nicht anerkannten Hauterkrankung, für die Personen faserartiges Material auf oder unter der Haut als Ursache annehmen. In der Medizin wird dies mehrheitlich auf eine psychiatrische Störung als Variante des Dermatozoenwahns zurückgeführt.[1][2][3]

Symptome

Betroffene berichten, dass bunte Fasern oder Hyphen (also Pilzstränge) in der Haut oder dem Unterhautgewebe gebildet würden; weitere Symptome sind Hautläsionen, Bewegungsphänomene in der Haut, Beschwerden des Bewegungsapparates und des Magen-Darm-Trakts, Leistungseinschränkungen sowie kognitive und emotionale Störungen. In den USA (Kalifornien) wurde eine Prävalenz von 3,65 Fällen auf 100.000 Einwohner ermittelt, Frauen sind dabei wesentlich häufiger betroffen als Männer.[4]

Begriffsbildung

Der Begriff Morgellons wurde erstmals im 17. Jahrhundert in einem Werk des englischen Arztes Sir Thomas Browne erwähnt. Ähnliche Krankheitsbilder werden in der medizinhistorischen Literatur vielfach beschrieben.[5] Der Begriff fand aber erst seit 2002 vor allem im englischen Sprachraum weite Verbreitung, nachdem die Mutter eines angeblich betroffenen Kindes den Begriff wiederentdeckt und mit der Gründung der Morgellons Research Foundation propagiert hatte. Die rasante Verbreitung des Begriffes wird auf ein Internet- und Medien-Phänomen („Internet-Meme“) zurückgeführt.[6]

Hypothesen zur Entstehung

Die Ätiopathogenese der Krankheit ist unklar. Die Verfechter eines eigenständigen Krankheitsbildes bezeichnen die Pathophysiologie oft als „unspezifisch“, zuweilen werden als Ursachen auch infektiöse Erreger wie die Bakterien Agrobacterium tumefaciens und Stenotrophomonas maltophilia, der Pilz Cryptococcus neoformans oder der Parasit Strongyloides stercoralis vermutet.[7] Bei Untersuchungen von Hautproben von Betroffenen ließen sich jedoch keine dieser Erreger feststellen.[8] Eine Studie des Centers for Disease Control and Prevention mit 115 untersuchten Fällen der Erkrankung konnte keinerlei Parasiten oder Mycobakterien nachweisen.[4]

Im Rahmen dieser Studie des CDC wurden alle Fasern, die bei Teilnehmern der Studie gefunden wurden, untersucht. Nur bei etwa 10 % der Teilnehmer wurden Fasern gefunden. Diese befanden sich entweder auf der Haut oder in Schorf oder Krusten der durch Kratzen verletzten Haut, nicht jedoch in bzw. unter der Haut. Es handelte sich bei den Fasern meist um Cellulose, wie sie für Baumwolle typisch ist, auch Polyamid – Nylon – wurde gefunden, ebenso eine Verbindung, die wahrscheinlich von Nagellack stammt. Die Forscher kommen zum Schluss, dass diese Fasern wahrscheinlich von Kleidung stammen, zumal auch Farbstoffe in manchen Fasern gefunden wurden, mit denen Kleidung gefärbt wird. In durch Biopsie gewonnenen Gewebeproben von unverletzter Haut wurden keine Fasern gefunden.[9]

Eine Studie aus dem Jahr 2016 weist auf Möglichkeiten einer Infektion mit Borrelia burgdorferi, also einer Borreliose hin.[10][11]

Behandlung

Behandlungserfolge wurden unter anderem durch Medikation mit Antipsychotika wie Pimozid, Risperidon oder Aripiprazol erzielt.[12]

Kulturelle Referenzen

Der Journalist und Autor Jan Wehn thematisierte das Krankheitsbild in seiner 2017 veröffentlichten Novelle Morgellon. Der fiktive medikamentenabhängige Protagonist glaubt an diverse Verschwörungstheorien und denkt in seinem Wahn auch, von Morgellons befallen zu sein.[13]

Andrew Lustig vom Center for Addiction and Mental Health in Toronto schrieb im Fachjournal Psychosomatics, Morgellons seien ein „Internet-Phänomen“. „Durch die vielen öffentlich gemachten Schilderungen von Patienten in den vergangenen paar Jahren sehen wir einen explosiven Anstieg derer, die sich ebenfalls betroffen fühlen – dabei ist der Dermatozoenwahn seit über 300 Jahren bekannt.“[14]

Netzphänomen während der COVID-19-Pandemie

Während der Covid-19-Pandemie kamen Verschwörungstheorien auf, nach denen in Schutzmasken oder auf den Abstrich-Stäbchen von Corona-Testkits unter der Lupe oder dem Mikroskop Morgellons als sich aus eigener Kraft bewegende Fasern zu erkennen seien, die von dort aus Menschen befallen sollen. Hierzu wurden auf einschlägigen Instant-Messaging-Kanälen auch Videos verbreitet, die in Vergrößerung Fasern in Bewegung zeigen. Tatsächlich sind Fasern verschiedener Größe und Zusammensetzung Bestandteile der jeweiligen Gegenstände oder lagern sich als Hausstaub darauf ab. Durch kleinste Luftströmungen oder elektrostatische Kräfte können sie zufällig, aber auch mit Absicht in Bewegung geraten, was den Eindruck erwecken kann, es handle sich dabei um lebende Subjekte.[15][16][17] Ein wissenschaftlicher Nachweis für ungewöhnliche Fasern auf oder in Abstrichprodukten und Schutzmasken ist nicht bekannt.[15][18]

Literatur

Weblinks

Commons: Morgellons – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Robert E. Accordino, et al.: Morgellons disease? In: Dermatologic Therapy. Band 21, Nr. 1, 2008, ISSN 1529-8019, S. 8–12, doi:10.1111/j.1529-8019.2008.00164.x, PMID 18318880 (englisch).
  2. Wolfgang Harth, Barbara Hermes, Roland W. Freudenmann: Morgellons in dermatology. In: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft = Journal of the German Society of Dermatology: JDDG. Band 8, Nr. 4, April 2010, ISSN 1610-0387, S. 234–242, doi:10.1111/j.1610-0387.2009.07219.x, PMID 19878403 (englisch).
  3. Mark Benecke: Das geht unter die Haut: Der Insektenwahn hat manchmal eine ganz natürliche Erklärung – Springschwänze. In: Die Zeit. Nr. 40, 23. September 2004 (zeit.de [abgerufen am 25. März 2021]).
  4. a b Michele L. Pearson, et al.: Clinical, epidemiologic, histopathologic and molecular features of an unexplained dermopathy. In: PloS One. Band 7, Nr. 1, 2012, ISSN 1932-6203, S. e29908, doi:10.1371/journal.pone.0029908, PMID 22295070 (englisch).
  5. C.E. Kellett: Sir Thomas Browne and the Disease called The Morgellons. In: Annals of Medical History. Nr. 7. Newcastle-on-Tyne 1935, S. 467–479 (englisch, uchicago.edu [abgerufen am 26. März 2021]).
  6. Andrew Lustig, Sherri Mackay, John Strauss: Morgellons disease as internet meme. In: Psychosomatics. Band 50, Nr. 1, Januar 2009, ISSN 1545-7206, S. 90, doi:10.1176/appi.psy.50.1.90, PMID 19213978 (englisch).
  7. Virginia R. Savely, Mary M. Leitao, Raphael B. Stricker: The mystery of Morgellons disease: infection or delusion? In: American Journal of Clinical Dermatology. Band 7, Nr. 1, 2006, ISSN 1175-0561, S. 1–5, doi:10.2165/00128071-200607010-00001, PMID 16489838 (englisch).
  8. Sara A. Hylwa, et al.: Delusional infestation, including delusions of parasitosis: results of histologic examination of skin biopsy and patient-provided skin specimens. In: Archives of Dermatology. Band 147, Nr. 9, September 2011, ISSN 1538-3652, S. 1041–1045, doi:10.1001/archdermatol.2011.114, PMID 21576554 (englisch).
  9. Michele L. Pearson, et al.: Clinical, Epidemiologic, Histopathologic and Molecular Features of an Unexplained Dermopathy. In: PLOS ONE. Band 7, Nr. 1, 2012, ISSN 1932-6203, S. e29908, doi:10.1371/journal.pone.0029908, PMID 22295070, PMC 3266263 (freier Volltext) – (englisch).
  10. Marianne J. Middelveen, Raphael B. Stricker: Morgellons disease: a filamentous borrelial dermatitis. In: International Journal of General Medicine. Nr. 9, 14. Oktober 2016, S. 349–354, doi:10.2147/IJGM.S116608, PMID 27789971, PMC 5072536 (freier Volltext) – (englisch).
  11. Morgellons disease: Managing an unexplained skin condition. In: Mayo Clinic. 2. April 2020, abgerufen am 7. Dezember 2021 (englisch).
  12. Caroline S. Koblenzer: The challenge of Morgellons disease. In: Journal of the American Academy of Dermatology. Band 55, Nr. 5, 2006, ISSN 0190-9622, S. 920–922, doi:10.1016/j.jaad.2006.04.043 (englisch, smu.edu [PDF; 75 kB; abgerufen am 3. April 2022]).
  13. Nora Voit: Nur ein paar Klicks entfernt. In: Die Tageszeitung. 5. Juli 2017, S. 28 (taz.de [abgerufen am 26. März 2021]).
  14. Fanny Jiménez: Würmer sind nicht unter der Haut – sondern im Kopf. In: Die Welt. 2. September 2011, abgerufen am 26. März 2021.
  15. a b Ralf Nowotny: Die Fussel und Fädchen auf den Wattestäbchen. In: Mimikama. 27. März 2021, abgerufen am 28. März 2021.
  16. „Morgellons“: Das hat es mit den angeblichen Parasiten auf Masken und Tests auf sich. In: Kölner Stadt-Anzeiger. 28. März 2021, abgerufen am 28. März 2021.
  17. Pippa Allen-Kinross: Video falsely claims PCR tests insert ‘nanoparticles’ into brain. Full Fact, 21. Januar 2021, abgerufen am 28. März 2021 (englisch).
  18. Sarah Thust, Uschi Jonas: Schwarze Fäden an Abstrichstäbchen für Corona-Tests sind Stofffasern – keine „Parasiten“. Correctiv, 29. März 2021, abgerufen am 30. März 2021.