Naturhistorisches Museum der Universität Göttingen

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Gebäudefassade nach Osten zur Berliner Straße (2011)
Eingangsfassade des Museums Forum Wissen (2022)

Das Naturhistorische Museum Göttingen war ein Universitätsmuseum in Göttingen in Niedersachsen. Es ist eine Nachfolgeinstitution des Königlich Academischen Museums der Universität Göttingen und ein Vorgänger des Zoologischen Museums Göttingen. Der 1873–1879[1] in der Nähe von Wallanlagen und dem Bahnhof Göttingen errichtete Museumsbau an der Berliner Straße 28 ist seit Juni 2022 Sitz des Universitätsmuseums Forum Wissen.

Historische Nutzung des Gebäudes

Das 1873–1879 nach Entwürfen der Berliner Architekten Alfred Lipschitz und Albert Kortüm erbaute Naturhistorische Museum markierte den Beginn des preußischen Hochschulbaus in Göttingen und stand „als Gemeinschaftsbau für verschiedene deskriptive Naturwissenschaften noch ganz in der Tradition der naturhistorischen Sammlungen“.[2] Trotz der Bezeichnung als Museum sollten auch alle Funktionen von auf Forschung und Lehre ausgerichteten Instituten aufgenommen werden.[2] In dem breitgelagerten, dreigeschossigen Bau mit einer mittenbetonten Natursteinfassade in einem „renaissancehaften Rundbogenstil“[3] waren drei Institute strikt getrennt: Im Erdgeschoss links die Mineralogie und rechts die Paläontologie mit einer angegliederten Provinzialsammlung, die in einem heute nicht erhaltenen, rückwärtigen Rundanbau untergebracht war. Im ersten Obergeschoss lag die Zoologie, darüber waren zoologische Sammlungen. Das Sockelgeschoss diente mit chemischem Labors und Dienerwohnungen für alle drei Institute.[4] Im symmetrisch gegliederten Außenbau ist die ursprüngliche Funktionsdreiteilung nicht erkennbar, sondern wird in bauzeitlichen Inschriftentafeln auf Geologie und Zoologie verkürzt.

Die Raumdispositionen des Naturhistorischen Museums und die eigens entwickelten Sammlungsschränke sind kurz nach der Fertigstellung musterhaft in der Architekten-Fachliteratur veröffentlicht worden.[1][5]

1902[6] wurde der Bau rückseitig um weitere Flügel ergänzt, die u. a. einen Hörsaal, Lehr- und Studienräume sowie Labore und Büros enthielten. Das Museum gliederte sich nun in die vier Abteilungen Mineralogie/Geologie, Zoologie, Anthropologie und Ethnographie.

Bis Ende der 1930er Jahre waren die anthropologischen, ethnologischen und geowissenschaftlichen Sammlungen aus dem Museum ausgezogen. Seitdem befand sich (bis zum Umbau 2017) weiterhin das Zoologische Museum der Universität mit seinen umfangreichen Sammlungen im Gebäude, was im Inneren eine starke architektonische Überformung durch Einbauten mit sich brachte.[7]

Aktuelle Nutzung als Forum Wissen

Das Forum Wissen ist ein interdisziplinäres Universitätsmuseum, das im Juni 2022 eröffnet wurde. Das Museum verfügt in zwölf Räumen auf zwei Etagen über eine Basisausstellungsfläche von 1400 Quadratmetern. Dazu kommen Räumlichkeiten für Sonderausstellungen.

Alle Gebäudeteile des Forum Wissen sind barrierefrei und über Fahrstühle zugänglich. Im Erdgeschoss des Neubaus gibt es einen kleinen Museumsshop und ein Café mit Aussenterrasse zur Grünanlage des Innenhofs.

Der Eintritt ins Forum Wissen sowie der Besuch von Sonderausstellungen, Führungen und Rundgängen ist kostenfrei.

Umbauarbeiten

Nach ersten Ideen ab 2011 wurde das Gebäude ab 2017 umgebaut.[8] Bereits zur Eröffnung erhielt das Museum das Museumsgütesiegel des Museumsverbands Niedersachsen und Bremen e.V..[9][10]

Den durchgreifenden Umbau des Museumgebäudes plante unter Leitung des Universitätsbaumanagements eine Arbeitsgemeinschaft (Arge Forum Wissen) aus den Architekturbüros Dr. Krause + Pfohl und gildehaus.partner, beide aus Weimar.[11][12] Nach außen drückte sich die Umnutzung vor allem durch einen voluminöse Dachaufbau mit Metallverkleidung[13] und gestalterisch kontrastierende Anbauten auf der Rückseite aus. Der Umbau des Haupteingangs zum Museumsgebäude wurde wegen des gravierenden Substanzeingriffs in die repräsentative Freitreppe kritisiert.[14]

Ausstellungskonzepte

Als Wissenschafts-Museum dient das Forum Wissen als „sichtbarer Knotenpunkt für die dezentralen Sammlungen der Universität.“[15][16][17] Vergleichbar dem Museum der städtischen Sammlungen im Zeughaus in Wittenberg gehört das Museum international zu den wenigen mittelgroßen Museen überregionaler Bedeutung, die Fragestellungen der Geistes- und Lebenswissenschaften gemeinsam und in ihrem Wechselspiel beleuchten. Mit dem Chau Chak Wing Museum in Sydney hat es neben der gemeinsamen Präsentation unterschiedlicher Sammlungsbereiche die universitäre Verankerung und den Charakter als Schaufenster universitären Sammelns gemeinsam.

Gezeigt werden in der Dauerausstellung sowohl naturwissenschaftliche Präparate und Apparaturen wie Kunstwerke und sonstige Erzeugnisse menschlicher Kultur. Neben dem Ziel, den vielfältigen Sammlungen der Universität einen zentralen und zeitgemäßen Repräsentationsraum zu geben, fußt das Konzept des Hauses insbesondere darauf, den Prozess des Wissenserwerbs durch Forschungen museal darzustellen. Neben der Vorstellung  besonders bedeutender wissenschaftlicher Entdeckungen werden in diesem Zusammenhang jedoch auch Abwege und Irrtümer der Wissenschaft beleuchtet.

Drei sogenannte „Prologräume“ im Erdgeschoss bereiten auf die Kernthemen des Museums vor: Im Prozess des Wissen-Schaffens spielen Perspektiven, Praktiken und Verknüpfungen eine wesentliche Rolle.

Im ersten Bereich mit dem Titel „Perspektiven“ stehen die Persönlichkeiten von Wissenschafenden im Zentrum. Dieser Bereich sensibilisiert für die Bedeutung von Blickwinkeln, Standpunkten und Sichtweisen, von denen, so die Botschaft, jede Erkenntnis abhängt.

Der zweite Bereich führt in das Prinzip der wissenschaftlichen Praktiken ein.

Der dritte Bereich mit dem Titel „Verknüpfungen“ behandelt die geopolitische Zusammenhänge des Wissen-Schaffens und lokalisiert Göttingen im Sinne eines "localizing science" im weltweiten Kontext.

Im ersten Obergeschoss befindet sich der zentrale Teil der Ausstellung mit dem Titel „Räume des Wissens“. In jedem der Räume werden spezifische Fragen, Themenstellungen und Wissenspraktiken behandelt.

Rückseite des ehemaligen Naturhistorischen Museums nach den Um- und Anbauten zum Forum Wissen (2022)

Durch weitere Ausbauten sollen in dem Gebäude zukünftig im zweiten Obergeschoss und in den rückwärtigen Bereichen noch das Biodiversitätsmuseum Göttingen[18] sowie das Thomas-Oppermann-Kulturforum[19] hinzukommen. Dadurch würden weitere 2500 Quadratmeter Nutzfläche in das Konzept des Hauses mit einbezogen.

Im Nordflügel wird das Kulturforum eine Bühne für den Austausch zwischen Wissenschaft, Kultur und Öffentlichkeit sowie für Konzerte und Lesungen bieten.[20]

Literatur

  • Kortüm: Sammlungsschränke des naturhistorischen Museums in Göttingen. In: Zeitschrift für Bauwesen, Jg. 36, 1886, Sp. 481–488 (Digitalisat auf digital.zlb.de, abgerufen am 7. Juni 2022).
  • Eduard Schmitt: Mineralogische und geologische Institute. In: Handbuch der Architektur, Bd. IV, 6, 2b, zweite Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1905, S. 393 (Fig. 327, 328), 394, 444.
  • Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, ISBN 978-3-933598-09-7, S. 330–332.
  • Rainer Willmann: Das Zoologische Museum der Universität Göttingen. In: „Ganz für das Studium angelegt.“ Die Museen, Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen. Hrsg. Dietrich Hoffmann, Kathrin Maack-Rheinländer, Wallstein Verlag, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-452-8, S. 249–259.
  • Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. Verlag Göttinger Tageblatt, 2. Auflage Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X (Digitalisat auf gt-extra.de, abgerufen am 7. Juni 2022), S. 64–65.
  • Christine Nawa: Sammeln für die Wissenschaft? Das Academische Museum Göttingen (1773-1840). 2010 überarbeitete Fassung der Magisterarbeit an der Universität Göttingen von 2005. (PDF/Digitalisat, 1,85 MB, auf ediss.uni-goettingen.de, abgerufen am 6. Juni 2022.)
  • Christine Nawa: Zum „öffentlichen Gebrauche bestimmt“: Das Academische Museum Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch, Bd. 58, 2010, S. 23–62.
  • Gert Tröster: Zoologisches Museum. In: Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2018, ISBN 978-3-86395-338-6 (Digitalisat auf univerlag.uni-goettingen.de, abgerufen am 6. Juni 2022), S. 102–103:
  • Robert Förster: Sanierung und Umnutzung von Gebäuden unter Denkmalschutz. In: Räume des Wissens. Die Basisausstellung im Forum Wissen. Hrsg. Marie Luisa Allmeyer, Joachim Baur, Michael Fürst, Karsten Heck, Christine Nawa, Christian Vogel. Wallstein Verlag, Göttingen 2022, ISBN 978-3-8353-5189-9, S. 358–359.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Kortüm: Sammlungsschränke des naturhistorischen Museums in Göttingen. In: Zeitschrift für Bauwesen, Jg. 36, 1886, Sp. 481–488, hier Sp. 481.
  2. a b Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 330.
  3. Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 331. Nägelke zitiert hier Helmut Börsch-Supan.
  4. Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 331.
  5. Eduard Schmitt: Mineralogische und geologische Institute. In: Handbuch der Architektur, Bd. IV, 6, 2b, zweite Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1905, S. 393 (Fig. 327, 328), 394, 444.
  6. Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 332.
  7. Rainer Willmann: Das Zoologische Museum der Universität Göttingen. In: „Ganz für das Studium angelegt.“ Die Museen, Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen. Wallstein Verlag, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-452-8, S. 249–259.
  8. Regina Lange: Feierliche Einweihung FORUM WISSEN. In: campuspost.goettingen-campus.de. Georg-August-Universität Göttingen, 2. Juni 2022, abgerufen am 6. Juni 2022.
  9. Fünfzehn Museen mit dem Museumsgütesiegel 2022 - 2028 ausgezeichnet bei Museumsverband für Niedersachsen und Bremen vom 21. April 2022
  10. Das erste Gütesiegel für das Forum Wissen gibt es schon vor der Eröffnung. In: goettinger-tageblatt.de. 31. Mai 2022, abgerufen am 6. Juni 2022.
  11. Forum Wissen, Göttingen. Architekturbüro Alexander Pfohl, Weimar, abgerufen am 6. Juni 2022.
  12. Das Forum Wissen und seine Architekten. In: blog.forum-wissen.de. Georg-August-Universität Göttingen, 14. März 2018, abgerufen am 6. Juni 2022.
  13. Lea Lang: Forum Wissen jetzt von Weitem gut erkennbar. In: goettinger-tageblatt.de. 7. Mai 2022, abgerufen am 6. Juni 2022.
  14. Göttinger Forum Wissen: Kritik am geplanten Umbau des Portikus. In: goettinger-tageblatt.de. 12. April 2019, abgerufen am 6. Juni 2022.
  15. Forum Wissen: Meilenstein für letzte Etappe. In: goettinger-tageblatt.de. 23. September 2018, abgerufen am 6. Juni 2022.
  16. Forum Wissen: das zukünftige Wissensmuseum Göttingen. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 4. September 2017.
  17. Museum für die Wissenschaft entsteht in Göttingen am 23. September 2018 auf ndr.de
  18. a b Museum. In: biodivmuseum.de. Biodiversitätsmuseum Göttingen, abgerufen am 6. Juni 2022.
  19. a b Willkommen zum Thomas-Oppermann-Kulturforum. In: uni-goettingen.de. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 6. Juni 2022.
  20. Forum Wissen – Über uns. In: forum-wissen.de. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 15. Juni 2022.
  21. Forum Wissen. In: forum-wissen.de. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 6. Juni 2022.

Koordinaten: 51° 32′ 3″ N, 9° 55′ 35″ O