Ngũgĩ wa Thiong’o

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Ngũgĩ wa Thiong’o (2012)

Ngũgĩ wa Thiong’o (Aussprache auf Kikuyu: ᵑɡoɣe wá ðiɔŋɔ, * 5. Januar 1938 in Kamiriithu, Limuru, Kenia) ist ein kenianischer Schriftsteller und Kulturwissenschaftler. Er schrieb zunächst in Englisch und schreibt seit 1977 in seiner Erstsprache Kikuyu, die von dem gleichnamigen Volk gesprochen wird. Ngũgĩ gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Ostafrikas.[1] Ngũgĩ lehrte Vergleichende Literaturwissenschaft unter anderem an der Yale University, New York University und an der University of California, Irvine.

Leben

Jugend und Studium

Ngũgĩs Familie wurde wegen des Mau-Mau-Aufstands gefangen genommen, sein Stiefbruder starb und seine Mutter wurde gefoltert. Als er die englischsprachige Missionsschule Alliance High School im Ort Kikuyu besuchte, wurde er ein gläubiger Christ. Danach studierte er an der Makerere-Universität in Uganda und an der University of Leeds in Großbritannien. Dort veröffentlichte er 1964 seinen ersten Roman Weep Not, Child, der von einem Jungen vor dem Hintergrund des Mau-Mau-Aufstands handelt.

Lehrtätigkeiten

Ngũgĩ unterrichtete an der Universität Nairobi am Fachbereich für Englisch, an der Yale University, an der Hochschule Amherst, an der New York University und ist darüber hinaus Professor der vergleichenden Literaturwissenschaft an der University of California, Irvine.

Standpunkte und politische Verfolgung

Der Autor versteht sich als antikolonialer Schriftsteller. Vor diesem Hintergrund publiziert er seit 1978 in seiner Muttersprache, dem Kikuyu (auch Gikuyu genannt). Alle Werke wurden ins Englische und in zahlreiche andere Sprachen übersetzt. Populär machten ihn nicht nur die aufklärerischen Themen, sondern auch sein Widerstand gegen die britische Kolonialpolitik und die spätere postkoloniale Herrschaft der Regierung von Daniel arap Moi sowie sein Bezug auf traditionelle afrikanische Theater- und Erzählkunst. Ngũgĩ versteht Englisch als Mittel und Ausdruck eines anhaltenden politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und linguistischen Kolonialismus und Imperialismus.[2] In seinen kulturkritischen Essay-Sammelbänden Decolonising the Mind und Moving the Centre findet sich eine Auswahl von Vorträgen und Artikeln, die grundlegend seine postkoloniale Kritik und seine kulturwissenschaftlichen Thesen verdeutlichen:

„I believe that my writing in Gikuyu language, a Kenyan language, an African language, is part and parcel of the anti-imperialist struggles of Kenyan and African peoples. In schools and universities our Kenyan languages – that is the languages of the many nationalities which make up Kenya – were associated with negative qualities of backwardness, underdevelopment, humiliation and punishment. We who went through that school system were meant to graduate with a hatred of the people and the culture and the values of the language of our daily humilation and punishment. I do not want to see Kenyan children growing up in that imperialist-imposed tradition of contempt for the tools of communication developed by their communities and their history. I want them to transcend colonial alienation.“

Ngũgĩ wa Thiong’o: Decolonising the Mind. The Politics of Language in African Literature. London 1986, S. 32.

(deutsch)

„Ich glaube, dass mein Schreiben in der Kikuyu-Sprache, einer kenyanischen Sprache, einer afrikanischen Sprache, fester Bestandteil des antiimperialistischen Kampfes der Völker Kenyas und Afrikas ist. In Schulen und Universitäten wurden unsere Sprachen – die vielen Sprachen, die das Wesen Kenyas ausmachen – mit negativen Eigenschaften von Rückständigkeit, Unterentwicklung, Demütigung und Bestrafung besetzt. Von uns, die wir dieses Schulsystem durchlaufen haben, wurde erwartet, dass wir bei unserem Studienabschluss mit Hass auf diese Menschen und ihre Kultur blicken, dass wir die Kultur und die Werte unserer täglichen Erniedrigung und Züchtigung verinnerlicht haben würden. Ich will nicht zusehen müssen, wie kenyanische Kinder mit dieser vom Imperialismus aufgezwungenen Tradition der Verachtung der Kommunikationswerkzeuge aufwachsen, die ihre Gemeinschaft und ihre Geschichte entwickelt hat. Ich will, dass sie die koloniale Entfremdung überwinden.“

Das Theaterstück Ich heirate dich, wann ich will (Ngaahika Ndeenda) war Anlass für das Regime unter Präsident Jomo Kenyatta, ihn 1977 zu foltern und ihn im Kamithi-Hochsicherheitsgefängnis in Nairobi ohne Prozess zu inhaftieren. Seine Bücher und Theaterstücke wurden von der Moi-Regierung verboten. Nur mit Schwierigkeiten fand er Anfang der 80er Jahre in England politisches Asyl. 2004 besuchte er nach dem Regierungswechsel zur „Regenbogenkoalition“ unter Präsident Mwai Kibaki erstmals wieder Kenia, reiste aber nach einem Überfall mit unbekannter Täterschaft in seinem Apartment auf sich und seine Frau, die vergewaltigt wurde, wieder zurück in die USA.

Werk

Romane

Sein Roman Weep Not, Child wurde 1964 publiziert und machte ihn weltweit bekannt. Es folgten The River Between (1965), A Grain of Wheat (1967) und Petals of Blood (1977). Devil on the Cross (1980) schrieb er während seiner Gefangenschaft auf Toilettenpapier. Es wurde sein erster Roman auf Kikuyu. Die folgenden zwei Romane, Matigari (1986) und Wizard of the Crow (2006), wurden ebenfalls zuerst auf Kikuyu geschrieben.

Werke in Übersetzung

  • Weep Not, Child, (Roman) 1964.
    • Übersetzung: Abschied von der Nacht. Aus dem Englischen von Klaus Schultz. Verlag Volk und Welt, Berlin 1969.
  • The River Between, (Roman) 1965.
    • Übersetzung: Der Fluß dazwischen. Aus dem Englischen von Karl Heinrich. Verlag Neues Leben, Berlin 1970.
    • Übersetzung: Der Fluß dazwischen. Aus dem Englischen von Anita Jörges. Weismann Verlag, München 1984.
  • A Grain of Wheat, (Roman) 1967
    • Übersetzung: Preis der Wahrheit. Roman. Aus dem Englischen von Klaus Schultz. Verlag Volk und Welt, Berlin 1971.
    • Übersetzung: Freiheit mit gesenktem Kopf. Roman. Aus dem Englischen von Klaus Schultz. Walter Verlag, Olten, Freiburg im Breisgau 1979.
  • Secret Lives, and Other Stories, (Erzählungen) 1975.
    • Übersetzung: Verborgene Schicksale. Kurzgeschichten. Aus dem Englischen von Ruth Krenn. Verlag Volk und Welt, Berlin 1977.
    • Übersetzung: Verborgene Schicksale. Erzählungen. Aus dem Englischen von Dagmar Heusler und Ruth Krenn. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1982.
  • Petals of blood, (Roman) 1977.
    • Übersetzung: Land der flammenden Blüten. Roman. Aus dem Englischen von Josef Zimmering. Verlag Volk und Welt, Berlin 1980.
    • Übersetzung: Verbrannte Blüten. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Koehler. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1982.
    • Neuauflage: Verbrannte Blüten. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2011, ISBN 978-3-7795-0349-1.[1]
  • Devil on the cross, (Kikuyu: Caitaani mũtharaba-inĩ,[2] Roman) 1980.
    • Übersetzung: Der gekreuzigte Teufel. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Koehler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1988.
  • Detained. A Writer’s Prison Diary, 1981.
    • Übersetzung: Kaltgestellt. Gefängnistagebuch. Aus dem Englischen von Susanne Koehler. Trickster Verlag, München 1991.
  • Decolonising the Mind: The Politics of Language in African Literature, 1986.
    • Übersetzung: Dekolonisierung des Denkens – Essays über afrikanische Sprachen in der Literatur. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Unrast Verlag, Münster 2017, ISBN 978-3-89771-235-5.
  • Matigari, (Roman) 1989.
    • Übersetzung: Matigari. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Koehler. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1991.
  • Moving the Centre: The Struggle for Cultural Freedom, 1993.
    • Übersetzung: Moving the centre: Essays über die Befreiung afrikanischer Kulturen. Aus dem Englischen von Jörg Rademacher. Unrast Verlag, Münster 1995.
  • Wizard of the Crow, (Roman) 2006.
    • Übersetzung: Herr der Krähen. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. A1 Verlag, München 2011, ISBN 978-3-940666-17-8.
  • Dreams in a Time of War. A Childhood Memoir, 2010.
    • Übersetzung: Träume in Zeiten des Krieges. Eine Kindheit. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. A1 Verlag, München 2010, ISBN 978-3-940666-15-4.
  • In the House of the Interpreter. A Memoir, 2012.
    • Übersetzung: Im Haus des Hüters. Jugendjahre. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. A1 Verlag, München 2013, ISBN 978-3-940666-35-2.
  • Birth of a Dream Weaver: A Memoir of a Writer’s Awakening. New Press, 2016, ISBN 978-1-62097-240-3
    • Geburt eines Traumwebers. Übersetzung Thomas Brückner. München : A1 Verlag, 2016, ISBN 978-3-940666-75-8.

Auszeichnungen

Literatur

  • Ngugi wa Thiong’o, in: Holger Ehling, Peter Ripken (Hrsg.): Die Literatur Schwarzafrikas. München: Beck, 1997 ISBN 3-406-42033-8, S. 79f.
  • Manfred Loimeier: Ngũgĩ wa Thiong’o. edition text+kritik, München 2018, ISBN 978-3-86916-742-8.

Weblinks

Commons: Ngũgĩ wa Thiong’o – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Rezension von Birgit Koß im Deutschlandradio Kultur vom 1. März 2012: Unverbrüchlicher Glaube an die Kraft der Menschen
  2. a b Christian Mair: English Linguistics – An Introduction. 3. Auflage. Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2015, ISBN 978-3-8233-6956-1, S. 233 f.
  3. Honorary Members: Ngũgĩ wa Thiong’o. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 26. März 2019.
  4. Ehrendoktorwürde der Universität Bayreuth für Professor Ngũgĩ wa Thiong’o. Pressemeldung vom 23. April 2014 beim Informationsdienst Wissenschaft (idw-online.de)
  5. Yale awards honorary degrees to eight individuals for their achievements. Mai 2017, abgerufen am 22. Mai 2017.
  6. Stadt Osnabrück Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis Aktuelles vom 22. Mai 2019: Ngũgĩ wa Thiong’o erhält den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis 2019, abgerufen am 22. Mai 2019
  7. Ngũgĩ wa Thiong’o erhält den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis 2019 – Verleihung findet trotz Abwesenheit des erkrankten Schriftstellers statt. Abgerufen am 4. Dezember 2019 (deutsch).