Nicolaus Sombart

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Nicolaus Sombart (* 10. Mai 1923 in Berlin-Grunewald; † 4. Juli 2008 bei Schiltigheim) war ein deutscher Kultursoziologe und Schriftsteller.

Leben

Nicolaus Sombart war der Sohn des Soziologen und Volkswirts Werner Sombart und dessen rumänischer Frau Corina, geb. Leon (9. September 1892 – 19. Februar 1970). Sein Vater war Sohn eines Industriellen und nationalliberalen Politikers und gehörte zu den bedeutendsten Wissenschaftlern seines Faches. Seine Mutter war die Tochter eines Professors aus einer gräflichen Familie[1] und dreißig Jahre jünger als ihr Ehemann. Sie betrieb einen literarischen Salon, in dem sich sonntagnachmittags Künstler, Wissenschaftler und Diplomaten der Weimarer Republik zum Gedankenaustausch trafen. Später resümierte Sombart: „Was ich bin und weiß, verdanke ich der Bibliothek meines Vaters und dem Salon meiner Mutter.“[1] Während seiner Schulzeit in den 1930er Jahren war Carl Schmitt, der gesellschaftlich im Elternhaus verkehrte, sein Mentor. Zu den Freunden des Hauses Sombart zählte auch der junge Dirigent Sergiu Celibidache. In seinen Memoiren Jugend in Berlin, 1933–1943 beschreibt Sombart sein Heranwachsen in einem prominenten bildungsbürgerlichen Elternhaus in der Zeit des Nationalsozialismus.

Im Zweiten Weltkrieg war Nicolaus Sombart von 1942 bis 1945 Soldat der Wehrmacht. Er gehörte zum Wachdienst des Notflugplatzes von Vitry-en-Artois und war später bei einer Einheit der Eisenbahnflak in der Sowjetunion stationiert. Bei Kriegsende kam er in britische Kriegsgefangenschaft. Nach 1945 studierte er Philosophie, Staatswissenschaften und Kultursoziologie in Heidelberg, Neapel und Paris. 1950 schloss er das Studium ab und wurde bei Alfred Weber mit einer Dissertation über Die geistesgeschichtliche Bedeutung des Grafen Henri de Saint-Simon promoviert.

1947 veröffentlichte Sombart gemeinsam mit Alfred Andersch und Hans Werner Richter die Zeitschrift Der Ruf und war einer der Mitbegründer der Gruppe 47. Aus demselben Jahr datiert die surreal-phantastische Kriegserzählung Capriccio Nr. 1, die von eigenen subjektiven Wahrnehmungen und Gedankengängen der Dienstzeit am öden Notflughafen von Vitry-en-Artois inspiriert war und nur in der amerikanischen Besatzungszone veröffentlicht werden konnte. Von 1952 bis 1954 lebte er in Paris, wo er an seiner später nicht abgeschlossenen Habilitation arbeitete. 1954 wurde er Beamter beim Europarat in Straßburg. Er nahm Lehraufträge an den Universitäten Ulm, Freiburg/Br. und Wuppertal wahr und veröffentlichte Artikel, Reisebücher und Gedichte. 1977 wurde er Mitglied des PEN-Clubs. 1984 ging er nach dreißig Jahren als Leiter der Kulturabteilung des Europarats in Pension. Er sah diese Tätigkeit nur als einen notwendigen Brotberuf an, da seine Familie „völlig verarmt“ war.[1]

1982 war Sombart Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin. Diesem Aufenthalt verdankt sich sein Journal intime 1982/83, eine „aberwitzige, sexuell-intellektuelle Burleske und zugleich ein Sittengemälde des alten West-Berlins“.[2] Von 1983 bis 1987 war er Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin, wo er über die Geschichte des wilhelminischen Deutschlands und die damalige Gesellschaft vortrug.

Seither lebte er als freier Schriftsteller mit dandyhaftem Lebensstil in Berlin-Wilmersdorf, wo er von Anfang 1985 bis Mitte 2007 jeden Sonntagnachmittag einen jour fixe veranstaltete; zum harten Kern der Habitués gehörten Claudia Schmölders, Peggy Cosmann, Johannes Rüber, Marie-Luise Schwarz-Schilling, Erika von Hornstein, Heinrich Graf von Einsiedel, Lord Weidenfeld, Stephan Reimertz, Heinz Berggruen, Otto Reitsperger, Eike Gebhard, Hans-Peter Krüger, Marie-Louise von Plessen, Carmen-Francesca Banciu, Mathias Nolte, Günter Faltin, Cornelia Koppetsch und andere.[3]

In seinen teils autobiografisch gefassten Werken beschreibt Sombart Personen, die Einfluss auf sein Leben hatten, so unter anderen Carl Schmitt, Alfred Weber und Karl Jaspers. Zu seinem Freundeskreis gehörten unter anderem der Germanist Peter Wapnewski, der Verleger Hubert Burda und in kollegialer Hinsicht der Historiker John C. G. Röhl.[4] 1995 kam es zur Wiederveröffentlichung einer überarbeiteten Fassung von Capriccio Nr. 1. Diese vom allgemeinen Trend der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur abweichende Schilderung innerer Realitäten, philosophischer Gedanken und Wahngebilde eines deutschen Wachsoldaten war jahrzehntelang nur als antiquarisches Sammlerstück erhältlich.

2003 wurde Sombart zum Commandeur de la Légion d’honneur (C. LH) ernannt.

Werke

  • Capriccio Nr. 1. Des Wachsoldaten Irrungen und Untergang. Siegel-Verlag, Frankfurt 1947; Elster-Verlag, Baden-Baden/Zürich 1995, ISBN 3-89151-221-X.
  • Die geistesgeschichtliche Bedeutung des Grafen Henri de Saint-Simon. Ein Beitrag zu einer Monographie des Krisenbegriffs. Dissertation an der Universität Heidelberg, 1950.
  • Krise und Planung. Studien zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen Selbstverständnisses in der globalen Ära. Europa Verlag, Wien/Frankfurt/Zürich 1965.
  • Jugend in Berlin. 1933–1943. Ein Bericht. Hanser, München/Wien 1984, ISBN 3-446-13990-7.
  • Nachdenken über Deutschland. Vom Historismus zur Psychoanalyse. Piper, München/Zürich 1987, ISBN 3-492-10596-3.
  • Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt, ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos. Hanser, München 1991, ISBN 3-446-15881-2 Fischer TB, Frankfurt a. M. 1997 ISBN 3-596-11341-5; frz. Fassung: Les mâles vertus des Allemands. Autour du syndrome de C. S. Übers. Jean-Luc Evard. Cerf, Paris 1999, ISBN 2204059633.
  • Pariser Lehrjahre. 1951–1954, leçons de sociologie. Hoffmann & Campe, Hamburg 1994, ISBN 3-455-08539-3.
  • Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte. Volk und Welt, Berlin 1996, ISBN 3-353-01066-1.
  • Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen. 1945–1951. S. Fischer, Frankfurt 2000, ISBN 3-10-074422-5.
  • Journal intime 1982/83. Rückkehr nach Berlin. Elfenbein, Berlin 2003, ISBN 3-932245-60-1.
  • Rumänische Reise. Ins Land meiner Mutter. Transit, Berlin 2006, ISBN 978-3-88747-209-2.

Literatur

  • Saverio Campanini: Carteggio d'autunno tedesco. Uno scambio di lettere tra Gershom Scholem e Nicolaus Sombart a proposito di Carl Schmitt e d'altro, in: Schifanoia 52–53 (2017), ISSN 0394-5421, S. 41–62.
  • Marvin Chlada: Utopie als Topos der Immanenz. Begriff und Funktion des Utopischen in der Kultursoziologie Nicolaus Sombarts. In: ders.: Der Poet als Lumpensammler. Reportagen und Interviews, Verlag Dialog-Edition, Duisburg 2016, S. 58–76, ISBN 978-3-945634-05-9
  • Philipp Gürtler: Ein Lebenslauf: Über Nicolaus Sombart. In: Documents. Revue des Questions Allemandes. 1998, Nr. 4, ISSN 0151-0827, S. 122–125.
  • Cornelia Saxe: Die Teegesellschaft von Nicolaus Sombart in Berlin-Charlottenburg. In: Cornelia Saxe: Das gesellige Canapé – Die Renaissance der Berliner Salons, Ullstein Verlag, Berlin 1999, S. 225–235.

Weblinks

Nachrufe

Fußnoten

  1. a b c Dirk Krampitz: Ein Friseur als Teil der Gesellschaft – irgendwie komisch. In: Die Welt, 9. Januar 2005.
  2. Alexander Cammann: Der horizontale Dichter. In: Der Tagesspiegel, 6. Juli 2008.
  3. Vgl. das Kapitel „Tee im Harem des Archimedes“ über Sombart und seinen Berliner Kreis in Stephan Reimertz’ Buch Vom Genuß des Tees, Leipzig 1998, ISBN 978-3-378-01023-9.
  4. Vgl. Wilhelm II., S. 7, Zitat.