Nirim

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Nirim
Nirim
Basisdaten
hebräisch:
בְּאֵר אוֹרָה
Staat: IsraelIsrael Israel
Bezirk: Süd
Gegründet: 1946
Koordinaten: 31° 20′ N, 34° 24′ OKoordinaten: 31° 20′ 6″ N, 34° 23′ 45″ O
Höhe: 109 m
Fläche: 22,00 km²
 
Einwohner: 363 (Stand: 2018)[1]
Bevölkerungsdichte: 17 Einwohner je km²
 
Gemeindecode: 0602
Zeitzone: UTC+2
 
Website:

Nirim (hebräisch נִירִים, „Neue Weideländer“) ist ein Kibbuz im nordwestlichen Negev in Israel. Er liegt nahe der Grenze zum Gazastreifen, etwa sieben Kilometer östlich von Chan Yunis, und fällt unter die Verwaltung der Regionalverwaltung Eschkol.[2] Der Kibbuz hat eine Fläche von 22 km² und hatte 2018 eine Bevölkerung von 363 Menschen.[3]

Geschichte

Der Kibbuz wurde im Juni 1946 im Rahmen des Elf-Punkte-Plans zur Erschaffung einer jüdischen Präsenz im Negev gebildet mit dem Ziel, ihn später als Teil eines zukünftigen Staates Israel zu beanspruchen.[4] Der Name stammt von der Nir Brigade der Jugendbewegung Hashomer Hatzair. Einige Mitglieder dieser Brigade halfen bei der Entstehung des Kibbuz, der anfangs auf einem Gebiet mit dem Namen „Dangour“ oder „Alt-Nirim“ gegründet wurde.[2] Im Zuge des Ausbruchs des Palästinakrieges am 15. Mai 1948 war der Kibbuz die erste jüdische Siedlung, die von den ägyptischen Streitkräften, in der Schlacht von Nirim, angegriffen wurde.[4] Im Laufe der Schlacht näherten sich die ägyptischen Streitkräfte Nirim bis auf 25 Meter, bevor sie von der Verteidigung des Kibbuz, welche aus nur 39 Kämpfern bestand, zurückgeschlagen wurde. Acht der 39 Kämpfer wurden während der Schlacht getötet und alle Häuser Nirims zerstört.[4]

Nirim wurde für den Rest des Krieges von der israelischen Armee als Außenposten gegen die ägyptischen Streitkräfte verwendet. Nach dem Krieg beanspruchten die Israelische Verteidigungsstreitkräfte (IDF) das Gebiet aufgrund seines strategischen Wertes. Da die Kibbuzniks Richtung Norden, hinter die Niederschlagslinie von 200 Millimetern pro Jahr, ziehen wollten, wurde der Kibbuz 15 Kilometer nach Nordosten, zu seiner jetzigen Lage nahe der historischen Synagoge bei Horvot Maon verschoben. Nach der Spaltung der Arbeiterpartei Mapam im Jahr 1952 wurden alle Anhänger Mosche Snehs des Kibbuz verwiesen. Bis 1956 war Nirim ständiges Ziel von Angriffen der Fedajin-Kämpfer aus dem Gazastreifen.[2]

Seit 2000 wurde Nirim erneut Ziel von Kassam-Raketen aus dem Gazastreifen. Mit Beginn der Operation Gegossenes Blei im Januar 2009 wurden die meisten Bewohner Nirims, gemeinsam mit denen anderer Dörfer nahe dem Gazastreifen, evakuiert. Viele der evakuierten Familien wurden bis zum Ende der Kampfhandlungen im Kibbuz Mischmar haEmek in der Jesreelebene untergebracht.[4]

Kurz vor Beginn des endgültigen Waffenstillstands in der Operation Protective Edge wurden am 26. August 2014 um 18:00 Uhr Ortszeit Zeev Etzion, 55 Jahre und Schachar Melamed, 43 Jahre im Kibbuz bei einem Angriff mit Mörsergranaten aus dem Gazastreifen getötet. Vier weitere Menschen wurden dabei verletzt.[5]

Eine Nebensache

2022 erschien auf deutsch Adania Shiblis bereits 2017 veröffentlichter Roman Eine Nebensache.[6] Der erste Teil dieses nur 117 Seiten starken Buches ist die literarische Rekonstruktion der Vergewaltigung und Ermordung eines Beduinenmädchens durch israelische Soldaten im August 1949. Shiblis von der Kritik[7] hoch gelobter Roman greift ein Verbrechen auf, das in Israel 54 Jahre lang in den Archiven der israelischen Armee verborgen blieb und erst durch eine Veröffentlichung in der Zeitung Haaretz ins Licht der Öffentlichkeit rückte.[8]

Das Verbrechen wurde im alten Nirim begangen, dem von den IDF beanspruchten und deshalb von den Kibbuzniks aufgegebenen Gründungsort des Kibbuz, der auch unter dem Namen Dangor bekannt war. Das Mädchen war am 12. August 1949 von hier stationierten Soldaten in der Nähe ihres Außenpostens aufgegriffen und mit ins Lager gebracht worden. Dort wurden ihr die Kleider ausgezogen, sie musste sich in aller Öffentlichkeit nackt duschen und schließlich wurden ihr noch die Haare abgeschnitten.

Am Abend feierten die Soldaten. Ihr Kommandant hielt eine Rede über den Zionismus und die Bedeutung des Beitrags der Truppen zum neu gegründeten Staat und las Auszüge aus der Bibel. Wenig später ergriff er noch einmal das Wort, erinnerte an das Beduinenmädchen und stellte zwei Optionen über deren weiteres Schicksal zur Abstimmung: Das Mädchen könne als Küchenarbeiterin eingesetzt werden oder die Soldaten könnten sich an ihr vergehen. Die Soldaten votierten für die zweite Option, und anschließend wurde festgelegt, welche Gruppe von Soldaten sich zuerst über das Mädchen hermachen dürfe. Der Kommandant erstellte einen dreitägigen Plan für die Gruppenvergewaltigungen, bei denen sich die drei Trupps abwechseln sollten. Der Gruppe, zu der der Kommandant gehörte, wurde zuerst der Zugriff auf das Mädchen erlaubt. „So begann eine der hässlichsten und schrecklichsten Episoden in der Geschichte der israelischen Streitkräfte, eine Episode, die selbst aus einer Entfernung von 54 Jahren nur schwer zu verstehen ist.“[9]

Am nächsten Morgen, es war der 13. August 1949, wurde das Mädchen erschossen und sein Leichnam in der Wüste vergraben.

Mit der Ermordung des Beduinenmädchens endet der erste Teil von Shiblis Buch. Im zweiten Teil erfährt etwa fünfzig Jahre später eine in den von Israel besetzten Gebieten lebende namenlose Palästinenserin aus der Zeitung von der Vergewaltigung und dem Mord.[10] Sie fesselt, dass beides sich auf den Tag genau 25 Jahre vor ihrer Geburt ereignet hatte, weshalb sie beschloss, der Geschichte nachzugehen – nach Dokumenten darüber zu suchen und die Orte des Geschehens aufzusuchen. Dies ist der fiktionale Teil in Shiblis Buch, in dem neben den historisch verbürgten Ereignissen aus dem ersten Teil der Alltag unter israelischer Besatzung in den Fokus der Erzählung rückt.

Der reale Fortgang der Geschichte wurde dagegen in dem Haaretz-Artikel von 2005 ausführlich beschrieben. In ihm wurden die Ereignisse nach der Ermordung des Mädchens dokumentiert und deutlich gemacht, dass das Verbrechen damals nicht unbemerkt geblieben und auch Ben-Gurion zur Kenntnis gebracht worden war. Am 15. August 1949 erstattete der Kommandant des Außenpostens seinen Vorgesetzten einen schriftlichen Bericht, in dem es hieß: „Bei meiner Patrouille am 12. August 1949 begegnete ich in dem unter meinem Kommando stehenden Gebiet Arabern, von denen einer bewaffnet war. Ich tötete den bewaffneten Araber auf der Stelle und nahm seine Waffe. Ich habe die arabische Frau gefangen genommen. In der ersten Nacht misshandelten die Soldaten sie und am nächsten Tag hielt ich es für angebracht, sie aus der Welt zu entfernen.“[11]

Am 25. August wurde der Leichnam des Mädchens noch einmal ausgegraben. Der Verwesungszustand war jedoch schon so weit fortgeschritten, dass weder die Todesursache festgestellt werden konnte, noch ob das Mädchen vergewaltigt worden war.[9] Es kam schließlich zu einem mehrere Monate dauernden Militärgerichtsprozess an dessen Ende der Kommandeur der Gruppe zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Die anderen 19 Soldaten erhielten Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren. „Den meisten von ihnen wurde ‚Fahrlässigkeit bei der Verhinderung eines Verbrechens‘ oder ‚Mittäterschaft bei der Begehung eines Verbrechens‘ vorgeworfen. [..] Nur ein Soldat wurde wegen Vergewaltigung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.“[9]

Die Identität des ermordeten Beduinenmädchens wurde nie geklärt und ihr Körper blieb vermutlich im Sand des westlichen Negev begraben.[9] Ihre Tragödie blieb 54 Jahre lang in den Archiven der israelischen Armee verborgen, bevor sie von der Haaretz ans Licht gebracht wurde. Dazu gab es eine Vorgeschichte:

„Was in Nirim geschah, wäre im Mülleimer der Geschichte begraben worden, wenn es nicht den Prozess gegen die Verantwortlichen für das Massaker von Kfar Kassem während des Krieges von 1956 gegen 50 palästinensische Dorfbewohner gegeben hätte, die von der Arbeit zurückkehrten, die nichts über eine Ausgangssperre wussten. Die Grenzpolizei tötete Dutzende dieser unschuldigen Palästinenser. Die Verteidiger in diesem Fall führten den Nirim-Vorfall als Beispiel für frühere IDF-Morde an Zivilisten an, um ein Muster eines solchen Verhaltens aufzuzeigen. Einer der Anwälte brachte die Fallakten in die Archive der juristischen Fakultät der Universität Tel Aviv, wo sie aufbewahrt wurden, bis zwei Haaretz-Reporter 2003 über diese Tragödie berichteten.[12]

Richard Silverstein: Israel’s Historic Disregard for Lives and Rights of Negev Bedouin[13]

Auf der offiziellen Webseite des Kibbuz, im Abschnitt zu seiner Geschichte, finden diese Vorkommnisse bis heute keine Erwähnung.[14]

Landwirtschaft

Nirim produziert ökologische Erdnüsse, Süßkartoffeln, Weißrüben, Karotten und anderes Gemüse und exportiert dieses nach Europa. Das von den Farmern bestellte Land reicht bis zur Sperranlage um den Gazastreifen.[4] Nach dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 entschied das israelische Verteidigungsministerium, einen Sicherheitsstreifen um die Sperranlagen zu bauen, der durch von Nirim landwirtschaftlich genutztes Gebiet verlief. Nirim musste dafür eine Million NIS aus seinem Entschädigungsfonds beisteuern.[15]

Literatur

  • Adania Shibli: Eine Nebensache, Berenberg Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-949203-21-3.

Weblinks

Commons: Nirim – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. אוכלוסייה ביישובים 2018 (Bevölkerung der Siedlungen 2018). (XLSX; 0,13 MB) Israel Central Bureau of Statistics, 25. August 2019, abgerufen am 11. Mai 2020.
  2. a b c Mapa’s concise gazetteer of Israel, Yuval El’azari (ed.), Mapa Publishing, Tel-Aviv 2005, ISBN 965-7184-34-7, S. 372.
  3. אוכלוסייה ביישובים 2018 (Bevölkerung der Siedlungen 2018). (XLSX; 0,13 MB) Israel Central Bureau of Statistics, 25. August 2019, abgerufen am 11. Mai 2020.
  4. a b c d e Lydia Aisenberg: Feeling Gaza. In: The Jerusalem Post, 16. April 2009. Archiviert vom Original am 24. Januar 2011  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/fr.jpost.com. Abgerufen am 1. September 2010. 
  5. Newsletter der Botschaft des Staates Israel vom 28. August 2014
  6. Adania Shibli: Eine Nebensache
  7. Perlentaucher: Rezensionen zu Eine Nebensache
  8. Die nachfolgende Schilderung der Vorgänge findet sich nahezu deckungsgleich in dem Haaretz- und Al Arabiya-Artikel sowie in Shiblis Roman, weshalb auf Einzelnachweise verzichtet wird. Der Al Arabiya-Artikel bezog sich weitgehend auf den älteren Haaretzt-Artikel.
  9. a b c d Haaretz-Artikel vom 28. Oktober 2005
  10. Haaretz hatte erstmals 2003 über den Vorfall berichtet.
  11. Der Text ist in den beiden Zeitungsartikeln nahezu gleich, insbesondere auch der letzte Halbsatz.
  12. „What happened at Nirim would’ve been buried in the dustbin of history were it not for the trial of those responsible for the Kfar Kassem massacre during the 1956 War of 50 Palestinian villagers returning from work, who knew nothing about a shoot to kill curfew. The Border Police killed scores of these innocent Palestinians. Defense lawyers in the case offered the Nirim incident as an example of previous IDF murders of civilians to show a pattern of such conduct. One of the lawyers brought the case files to the Tel Aviv University law school archives, where they were preserved until two Haaretz reporters reported this tragedy in 2003.“
  13. Online auf der Webseite von Tikum Olam - Breaking news on the Israeli national security state
  14. קצת הסטוריה (Ein bisschen Geschichte: Die Gründung von Nirim)
  15. Anat Barshkovsky: Kibbuz: No deal reached for using our land. In: Ynetnews, 11. September 2005. Abgerufen am 1. September 2010.