Nitrile
Nitrile sind eine Gruppe chemischer Verbindungen mit der allgemeinen Formel R–C≡N. Die funktionelle Gruppe aus Kohlenstoff und dreifach gebundenem Stickstoff wird als Nitril- oder Cyanogruppe bezeichnet.[1] Die Nitrile leiten sich formal von der Blausäure (HCN) durch Austausch des Wasserstoffatoms gegen einen organischen Rest ab. Die Isomere mit der Formel R–N≡C nennt man Isonitrile.
Nitril-Polymere sind chemisch sehr beständig und haben gummiähnliche Eigenschaften, weshalb sie z. B. für Schutzhandschuhe verwendet werden.
Nomenklatur
Ist das Nitril die funktionelle Gruppe höchster Rangordnung, so wird die Endung „-nitril“ an den Namen der Ausgangsverbindung angehängt, die Benennung erfolgt als „Alkannitril“. Das dreifach gebundene Kohlenstoffatom wird, wie immer, für die Benennung des Grundgerüsts mitgezählt.[2] Alternativ kann (analog zu -carbonsäure), die Endung „-carbonitril“ verwendet werden, hier wird das Kohlenstoffatom nicht zum Grundgerüst gezählt.[3]
Ist die Nitrilfunktion nicht von höchster Rangordnung im Molekül, so wird die Vorsilbe „Cyan-“ mit entsprechender Positionsbezeichnung verwendet. Auch hier wird das dreifach gebundene Kohlenstoffatom nicht zum Grundgerüst gezählt.
Entsprechend ihrer Verwandtschaft mit den Carbonsäuren (der Nitrilkohlenstoff hat die gleiche Oxidationsstufe wie der Carboxylkohlenstoff) werden viele Nitrile trivial als „Carboxylonitrile“ bezeichnet, beispielsweise Acetonitril, Propionitril, Butyronitril oder Mandelonitril.
Herstellung
Industriell werden Nitrile durch Hydrocyanierung (Addition von HCN an Alkene) und durch katalytische Oxidation von Alkenen und Ammoniak mit Luft hergestellt.
Im Labormaßstab können Nitrile durch Umsetzung von Alkalicyaniden (Alkalimetall-Salze der Blausäure) mit Alkylhalogeniden hergestellt werden (Kolbe-Nitrilsynthese). Dabei entsteht das Alkannitril und ein Alkalihalogenid. Als Nebenprodukte treten Isonitrile auf. Die Umsetzung von Methyliodid mit Natriumcyanid zu Acetonitril und Natriumiodid sei als Beispiel für diese Reaktion gegeben:
Weitere Möglichkeiten sind die Dehydratisierung von Aldoximen mit z. B. Phosphorpentachlorid PCl5 analog einer Beckmann-Umlagerung, oder die Umsetzung von Metallthiocyanaten mit Carbonsäuren, bekannt als Letts-Nitrilsynthese.
Die Herstellung von Arylnitrilen gelingt durch die
- Sandmeyer-Reaktion (Diazotierung von Anilin-Derivaten und Reaktion mit Kupfer(I)-cyanid)
- Rosenmund-von Braun-Reaktion (direkte Umsetzung eines Arylbromids mit Kupfer(I)-cyanid)
- Reduktive Aromatisierung von silylierten Cyanohydrinen (Umsetzung von Chinonen mit Trimethylsilylcyanid und anschließende Aromatisierung mit PBr3)[4]
Enantioselektive Synthese chiraler Nitrile
Die enantioselektive Synthese von Nitrilen findet zunehmende Beachtung, weil sterisch einheitliche chirale Nitrile als Arzneistoffe (Vildagliptin, Saxagliptin) angewandt werden.[5]
Reaktionen
Durch Hydrolyse von Nitrilen kann man Carbonsäuren herstellen.
Des Weiteren kann man durch Reduktion (Hydrierung) eines Nitrils ein Amin herstellen.
Verwendung
Besonders Adiponitril und Acrylnitril sind als Zwischenprodukte der Kunststoffherstellung von praktischer Bedeutung.
Eine wichtige Bedeutung von Nitrilen liegt darin, dass man in einer chemischen Synthese diese Gruppe leicht einführen und dann in andere funktionelle Gruppen (Aminosäuren oder Amine) umwandeln kann. Das Verfahren zur Herstellung von α-Aminosäuren aus Aldehyden, bei der Nitrile als Zwischenprodukte auftreten, ist als Strecker-Synthese bekannt.
Acetonitril findet als Lösungsmittel Verwendung.
Bei medizinischen Untersuchungshandschuhen sind solche aus Nitrilkautschuk aufgrund der fehlenden Allergiegefahr denen aus Latex überlegen. Als Material für Schutzhandschuhe besticht besonders die gute chemische Beständigkeit.[6]
Nitrile finden Verwendung als Elektrolytzusatzmittel in Lithiumbatterien. So bewirkt beispielsweise der Zusatz von 1,3,6-Hexantricarbonitril eine signifikante Zunahme der Leistung gegenüber einer entsprechenden Batterie ohne Zusatz. Die Wirkweise der Nitrilzusätze ist noch nicht vollständig geklärt.[7][8]
Siehe auch
Isonitrile, R–N≡C, sind Isomere der Nitrile und finden als Edukte in Mehrkomponenten-Reaktionen (Passerini-Reaktion, Ugi-Reaktion) Anwendung.
Einzelnachweise
- ↑ Hans Beyer und Wolfgang Walter: Organische Chemie, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 22. Auflage, 1991, ISBN 3-7776-0485-2, S. 266–269.
- ↑ Eintrag zu nitriles. In: IUPAC (Hrsg.): Compendium of Chemical Terminology. The “Gold Book”. doi:10.1351/goldbook.N04151 – Version: 2.3.3.
- ↑ Eintrag zu carbonitriles. In: IUPAC (Hrsg.): Compendium of Chemical Terminology. The “Gold Book”. doi:10.1351/goldbook.C00838 – Version: 2.3.3.
- ↑ Florian Glöcklhofer, Markus Lunzer, Johannes Fröhlich: Facile Synthesis of Cyanoarenes from Quinones by Reductive Aromatization of Cyanohydrin Intermediates. In: Synlett. Band 26, Nr. 07, 1. April 2015, S. 950–952, doi:10.1055/s-0034-1380150.
- ↑ Harald Gröger, Yasuhisa Asano: Cyanide-Free Enantioselective Catalytic Strategies for the Synthesis of Chiral Nitriles. In: The Journal of Organic Chemistry. doi:10.1021/acs.joc.9b02773.
- ↑ Nitril: Vorteile und Nachteile docdorado. 31. Januar 2022. Abgerufen am 6. August 2022.
- ↑ Wie ein gewöhnlicher Zusatzstoff Lithium-Ionen-Batterien einen Schub verleiht. Chemie.de, 28. September 2022, abgerufen am 29. September 2022.
- ↑ Chao Tang, Yawei Chen, Zhengfeng Zhang, Wenqiang Li, Junhua Jian, Yulin Jie, Fanyang Huang, Yehu Han, Wanxia Li, Fuping Ai, Ruiguo Cao, Pengfei Yan, Yuhao Lu, Shuhong Jiao: Stable cycling of practical high-voltage LiCoO2 pouch cell via electrolyte modification. In: Nano Research. 2022, doi:10.1007/s12274-022-4955-5.