Atommasse
Die Atommasse ist die Masse eines einzelnen Atoms, frühere Bezeichnung Atomgewicht.[1] Sie kann wie jede Masse in der SI-Einheit Kilogramm (mit dem Einheitenzeichen kg) angegeben werden. In der Regel wird die Atommasse aber als Vielfaches der atomaren Masseneinheit (mit dem Einheitenzeichen u, früher auch amu) ausgedrückt:
Grundlagen
Die atomare Masseneinheit ist definiert als ein Zwölftel der Masse eines Atoms des Kohlenstoff-Isotops 12C. Sie ist damit ca. 8 ‰ kleiner als die Masse eines Wasserstoffatoms 1H. Durch die so gewählte Bezugsmasse liegen die Zahlenwerte für alle bekannten Nuklide nahe bei einer ganzen Zahl.
Der durch Messung bestimmte Wert beträgt 1 u = 1.66053906660e-27 kg mit einer Messunsicherheit von 50 auf den beiden niederwertigsten Dezimalstellen.[2] In der Biochemie, in den USA auch in der organischen Chemie wird die Atommasse auch in der Einheit Dalton angegeben (Einheitenzeichen Da), dabei gilt exakt .
In der Chemie wird auf Empfehlung der IUPAC[3] in Übereinstimmung mit der ISO[1] der Zahlenwert für sich allein als relative Atommasse mit der Einheit Eins bezeichnet und als eine eigene Größe der Dimension Zahl aufgefasst. Im Unterschied zu dieser relativen Atommasse wird die in einer der Einheiten kg, g oder u angegebene Masse als absolute Atommasse bezeichnet.
Die relativen Atommassen der Nuklide sind annähernd so groß wie die stets ganzzahligen Massenzahlen. Die Abweichungen werden durch die unterschiedlichen Massen von Proton und Neutron und den Massendefekt erklärt. Bei Mischelementen wird als die relative Atommasse das gewichtete arithmetische Mittel der Atommassen der Isotope angegeben – mit den natürlichen Häufigkeiten der Isotope als Gewichtsfaktoren.[4] In diesen Fällen geht die Nähe zur Ganzzahligkeit verloren.
Hinweis: Die Atommassen und die Häufigkeiten sind in der Liste der Isotope und dort über den Index durch Anklicken des jeweiligen Elementes zu finden.
Beispiel: Kupfer hat zwei stabile Isotope
- 63Cu hat die Atommasse 62,93 und eine Häufigkeit von 69,15 %
- 65Cu hat die Atommasse 64,93 und eine Häufigkeit von 30,85 %
- Das ergibt den Tabellenwert der Atommasse 63,55 aus 62,93·0,6915 + 64,93·0,3085.
Aus den Atommassen, den daraus berechenbaren Molekülmassen und anhand der daraus abgeleiteten molaren Massen lassen sich die Massenverhältnisse der an einer chemischen Reaktion beteiligten Stoffe gemäß der zugehörigen Reaktionsgleichung berechnen.
Beispiel: Reaktionsgleichung
- Wird näherungsweise mit und gerechnet, so bedeutet das in Blick auf den Massenumsatz
- 1·28 g N2 reagiert mit 3·2 g H2 zu 2·17 g NH3.
Historisches
Die erste Tabelle mit relativen Atommassen wurde 1805 von John Dalton veröffentlicht. Er erhielt sie anhand der Massenverhältnisse bei chemischen Reaktionen, wobei er das leichteste Atom, das Wasserstoffatom, als „Masseneinheit“ wählte (siehe Atomare Masseneinheit) – dies jedoch in Unkenntnis der Eigenschaft des Wasserstoffes als zweiatomiges Molekül.
Weitere relative Atom- und Molekülmassen wurden für gasförmige Elemente und Verbindungen auf der Grundlage des Avogadroschen Gesetzes berechnet, das heißt durch Abwiegen und Vergleichen bekannter Gasvolumina, später auch mit Hilfe der Faradayschen Gesetze. Avogadro bezeichnete die kleinsten denkbaren Teile noch als Moleküle. Berzelius führte dann den Begriff Atom für den kleinsten denkbaren Teil eines Stoffes ein. Willkürlich setzte er das Atomgewicht von Sauerstoff gleich 100. Spätere Forscher wählten den leichtesten Stoff, Wasserstoff, als Standard, setzten jedoch das Wasserstoffmolekül gleich 1. Für Kohlenstoff erhielten sie dann das „Äquivalentgewicht“ 6, für Sauerstoff 8.
Eigentlicher Wegbereiter für korrekte Atomgewichte von Elementen war Jean Baptiste Dumas. Er bestimmte für 30 Elemente sehr exakt die Atomgewichte und fand, dass 22 Elemente Atomgewichte hatten, die Vielfache des Atomgewichts von Wasserstoff sind.
Erst Stanislao Cannizzaro führte im Jahr 1858 die heutige Unterscheidung zwischen Atom und Molekül ein. Er nahm an, dass ein Molekül Wasserstoff aus zwei Atomen Wasserstoff bestehe. Für das einzelne Wasserstoffatom setzte er willkürlich das Atomgewicht 1 fest, ein Wasserstoffmolekül hat folglich eine Molekülmasse von 2. 1865 wurde Sauerstoff, dessen Atome im Mittel annähernd die 16-fache Masse des Wasserstoffatoms haben, von Jean Servais Stas als Bezugselement vorgeschlagen und ihm die Masse 16,00 zugeteilt.
1929 entdeckten W. F. Giauque und H. L. Johnston, dass Sauerstoff drei Isotope besitzt. Das bewog die IUPAP, eine Massenskala einzuführen, die auf m(16O) basiert, während die IUPAC fortfuhr, die Ar(O) = 16, also Sauerstoff in seiner natürlichen Isotopenzusammensetzung, zu verwenden.
1957 schlugen A. O. Nier und A. Ölander unabhängig voneinander vor, dass Ar(12C) und mA(12C) = 12 u die alten atomaren Masseneinheiten ersetzen sollten. Darauf einigten sich IUPAP und IUPAC dann in den Jahren 1959–1961.[5] Bis zu dieser Zeit hatten folglich die Physiker und die Chemiker zwei leicht unterschiedliche Massenskalen. Im Jahr 1960 publizierten F. Everling, L. A. König, Josef Mattauch und Aaldert Wapstra Massen von Nukliden.[6]
Mit dem Fortschritt der Messtechnik konnte die Avogadro-Konstante immer präziser bestimmt werden, so dass für die Definition des Mols als Einheit der Stoffmenge schließlich der „Umweg“ über eine Masse nicht mehr erforderlich war. Die 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht beschloss mit Wirkung zum 20. Mai 2019 die heute gültige Definition.[7] Die Teilchenzahl in einem Mol ist nun exakt festgelegt, dafür ist die Masse von 1 mol 12C jetzt eine messtechnisch bestimmbare Größe. Der nunmehr exakte Wert von NA wurde so gewählt, dass möglichst genau alle Atommassen mit ihren bisher über 12C bestimmten Werten übereinstimmen.
Die folgende Tabelle zeigt einige durchschnittliche relative Atommassen je nach den vier verschiedenen Bezugsmassen. Diese sind alle durch die Neudefinition entfallen.
Element bezogen auf natH = 1 natO = 16 16O = 16 12C = 12 natH 1,000 1,008 1,008 1,008 natCl 35,175 35,457 35,464 35,453 natO 15,872 16,000 16,004 15,999 natN 13,896 14,008 14,011 14,007 natC 11,916 12,011 12,015 12,011
Messung, Datensammlungen
Genaue Atommassen werden heute mit Massenspektrometern bestimmt. Dabei ergeben sich die Atommassen der einzelnen Isotope sehr präzise. Zur Bestimmung der Atommassen der Elemente in ihrer natürlichen Isotopenzusammensetzung muss dann noch das Isotopenverhältnis ermittelt werden. Für Zwecke der Chemie wird diese durchschnittliche Atommasse des natürlichen Isotopengemisches in der Erdkruste angegeben; in Spezialfällen muss die Herkunft des Isotopengemisches beachtet werden.
Eine von Aaldert Wapstra begründete internationale Expertengruppe sammelt seit etwa 1955 aus Originalpublikationen Messergebnisse der Atommassen aller bekannten Nuklide und bildet daraus eingeschätzte (d. h. evaluierte, fachmännisch bewertete) gewichtete Mittelwerte. Die Ergebnisse wurden bis zum Jahr 2003 in der Fachzeitschrift Nuclear Physics A veröffentlicht.[8] Die Geschichte der Messung der Massen der Nuklide und ihrer Einschätzungen hat Wapstras Mitautor Georges Audi im Jahr 2006 zusammengefasst.[9] Seine Arbeit enthält auch viele Literaturverweise zu dieser Geschichte. Den jeweils neuesten Stand der eingeschätzten Atommassen veröffentlicht die Gruppe etwa alle zehn Jahre, zuletzt (Stand 2016) im Jahr 2012 unter dem Namen Ame2012 (Atomic mass evaluation) in der Fachzeitschrift Chinese Physics. Die Datenliste dieser Auswertung ist von einigen Servern kostenlos abrufbar.[10]
Für Atommassen im chemischen Sinn kann eine Microsoft Excel-97-2003-Arbeitsmappe der IUPAC mit dem Titel Table of Standard Atomic Weights 2013 aus dem Netz abgerufen werden.[11] Für das Mischelement Eisen z. B. findet man dort als aktuell besten Wert der durchschnittlichen Masse eines neutralen Atoms (die Ziffer in Klammern gibt die Unsicherheit der letzten Stelle an).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b ISO 80000–9:2019, deutsche Fassung DIN EN ISO 80000–9:2019: Größen und Einheiten – Teil 9: Physikalische Chemie und Molekularphysik. Eintrag 9.3
- ↑ CODATA Recommended Values: atomic mass constant. Abgerufen 13. Mai 2022
- ↑ J. R. de Laeter et al.: Atomic weights of the elements: Review 2000 (IUPAC technical report). In: Pure and applied chemistry. Band 75, Nr. 6, 2003, S. 683–800 (online [PDF; abgerufen am 27. März 2018]). S. 687 f: „Als Tomas Batuecas, Präsident des Atomic Weight Committee, die Autoritäten im IUPAC Bureau 1963 überredete, den Begriff in atomic mass (Atommasse) zu ändern, revoltierten traditionelle Chemiker, atomic weight (Atomgewicht) wurde beibehalten und Edward Wichers, der früher Kommissionspräsident war, wurde stillschweigend wieder zum Vorsitzenden der Atomic Weight Commission gemacht.“
- ↑ Paul Scheipers (Hrsg.), Volkher Biese, Uwe Bleyer, Manfred Bosse: Chemie: Grundlagen, Anwendungen und Versuche aus der Technik. 6. Auflage, Vieweg, 2002, S. 95.
- ↑ G. Audi, The History of Nuclidic Masses and of their Evaluation, Int.J.Mass Spectr.Ion Process. Band 251, 2006, S. 85–94, arxiv
- ↑ F. Everling, L. A. König, J. M. E. Mattauch, A. H. Wapstra: Relative nuclidic masses. In: Nucl. Phys. A. Band 18, 1960, S. 529–569.
- ↑ Resolution 1 of the 26th CGPM (2018) Bureau International des Poids et Mesures (Hrsg.), abgerufen 7. Mai 2022
- ↑ G. Audi, A. Wapstra: The 1993 atomic mass evaluation: (I) Atomic mass table. Nuclear Physics A, Band 565 (1993) S. 1–65, doi:10.1016/0375-9474(93)90024-R
- ↑
- ↑ G. Audi, M. Wang, A. H. Wapstra, F. G. Kondev, M. MacCormick, X. Xu, and B. Pfeiffer: The Ame2012 atomic mass evaluation. Chinese Physics C Band 36 (2012), S. 1287–1602, Atomic Mass Adjustment 2012.
- ↑ IUPAC, Standard Atomic Weights Revised 2013.