Oberstes Gericht (Israel)

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Das Oberste Gericht Israels (2006)

Das Oberste Gericht (hebräisch בֵּית הַמִּשְׁפָּט הָעֶלְיוֹן Bejt ha-Mischpaṭ ha-ʿEljōn, deutsch ‚Oberer Gerichtshof‘; arabisch المحكمة العليا, DMG

Al-Mahkamah al-ʿUlyā

) bildet in Israel die Spitze des Gerichtssystems. Es hat seinen Sitz in Jerusalem.

Gerichtsorganisation

Sitz des Gerichts ist Jerusalem. Seine Entscheidungen sind nach der Doktrin des stare decisis für alle Gerichte bindend. Das Oberste Gericht ist zum einen als Rechtsmittelinstanzgericht tätig und daneben in erster Instanz als Hoher Gerichtshof (hebräisch בֵּית הַמִּשְׁפָּט גָּבוֹהַּ לְצֶדֶק Bejt Mischpaṭ Gavōha lə-Zedeq, deutsch ‚Hoher Gerichtshof für Justiz‘; Kurzbezeichnung Bagatz בָּגָּ״ץ) insbesondere für die prinzipale Normenkontrolle von Gesetzen.

Die Mitglieder des Obersten Gerichts werden – wie alle Richter – vom Präsidenten des Staates Israel auf Vorschlag eines Richterwahlausschusses ernannt. Der Richterwahlausschuss besteht aus drei Mitgliedern des Obersten Gerichts (einschließlich seines Präsidenten), zwei Ministern (darunter dem Justizminister), zwei Abgeordneten der Knesset und zwei Vertretern der Anwaltskammer. Den Vorsitz führt der Justizminister. Die Zahl der Richter wird durch Gesetz bestimmt und beträgt zurzeit 15. Die Amtszeit endet mit Vollendung des 70. Lebensjahres.

Präsidentin des Gerichts ist seit dem 26. Oktober 2017 Esther Chajut.[1]

Stellung im Rechtswesen

Der Oberste Gerichtshof ist diejenige Instanz, die als oberste verbindlich über die Interpretation bestehender Gesetze zu befinden hat. Wenn bei der Verabschiedung eines Gesetzes formaljuristische Vorschriften nicht beachtet wurden, ist er berechtigt, die Ungültigkeit zu erklären.

Gesetze, die die Knesset verabschiedet hat, kann er nicht für „verfassungswidrig“ erklären, wenn sie mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen wurden. Grundgesetze, die die Verfassung Israels bilden, sind gesetzlich besonders abgesichert. Sie können nur mit einer Mehrheit von 70 der 120 Abgeordneten geändert werden. In Bezug auf diese Grundgesetze ist der Oberste Gerichtshof zugleich „Verfassungsgericht“.[2]

Von 1948 bis 1992 saß das Gericht im Ostflügel des Hospizes der Russischen Geistlichen Mission, 1860–1864 von Martin Eppinger, dort sitzt weiter das Gericht erster Instanz, 2013

Gebäude

Luftbild des schneebedeckten Neubaus, 1998

Die Architekten des 1986 bis 1992 errichteten Gebäudes sind Ada Karmi-Melamede und ihr Bruder Ram Karmi, ein Vertreter des Brutalismus. Das Gebäude des Obersten Gerichtshofes liegt zwischen der Knesset, mit der sie mit einem direkten Gang verbunden ist, und dem Wohnsitz des Premierministers. Es symbolisiert damit die Verbindung zwischen Legislative und Exekutive und ist stark von der Bibel und den Vorschriften des jüdischen Glaubens geprägt.

Das moderne Gebäude enthält auch byzantinische Stilelemente. Es öffnet sich zu einem mit Rundbögen ausgestatteten Innenhof mit einem Springbrunnen, ähnlich dem Rockefeller-Museum. Im Eingangsbereich führt eine enge Treppe nach oben. Eine Jerusalemer Steinwand auf einer Seite symbolisiert die irdischen Gesetze, eine nackte, flache Wand andererseits die himmlischen Gesetze. Diese Gegenüberstellung findet sich aber im ganzen Komplex wieder: alt – neu, Licht – Schatten, Geraden – Kurven, Kritik – Lob. Das ganze Gebäude wird durch viel Oberlicht erleuchtet, sodass bei Tageslicht auf künstliche Beleuchtung verzichtet werden kann. Die öffentlich zugängige kreisrunde Bibliothek öffnet sich zu einer lichtdurchfluteten Pyramide, deren kreisförmige Fenster den Raum erhellen. Die Pyramide wurde durch das Grab des Zacharias und das Grabmal des Absalom im Kidrontal in Jerusalem inspiriert.[3] Die fünf nüchtern gehaltenen Gerichtssäle liegen aneinandergereiht, der größte in der Mitte, die kleinen an den Flanken.

Das 1992 eröffnete Gerichtsgebäude ist eine Schenkung von Dorothy de Rothschild.[4] Außerhalb des Dienstzimmers des Präsidenten ist ein Brief von Frau Rothschild an Premierminister Schimon Peres ausgestellt, in dem sie ihre Absicht kundtut, ein neues Gebäude für das Oberste Gericht zu stiften.[5]

Museum

Dieses enthält zahlreiche Artefakte von der türkischen Regierungsperiode über die britische Mandatszeit bis zur heutigen Zeit.

Richter am Obersten Gericht

Präsidenten

Esther Chajut, die gegenwärtige Präsidentin des Obersten Gerichts Israels

Präsidenten des Obersten Gerichtshofes waren

Von Bis Name
1948 1954 Moses Smoira
1954 1965 Jitzchak Olshan
1965 1976 Schimon Agranat
1976 1980 Joel Zussman
1980 1982 Moshe Landau
1982 1983 Jitzchak Kahan
1983 1995 Meir Schamgar
1995 2006 Aharon Barak
2006 2012 Dorit Beinisch
2012 2015 Asher Grunis
2015 2017 Miriam Naor[6]
2017 bis heute Esther Chajut

Entscheidungen

Maßgebliche Entscheidungen des Obersten Gerichts sind:

  • 1979 urteilte das Gericht, dass keine israelischen Siedlungen auf Land gebaut werden dürfen, das sich in palästinensischem Privatbesitz befindet.[7]
  • Am 30. Juni 2004 hat Oberstes Gericht den Klagen einzelner Palästinenser stattgegeben und die Änderung einer Route von 30 km der Israelischen Sperranlagen zum Westjordanland nordwestlich von Jerusalem angeordnet, um die Beeinträchtigungen für die palästinensische Bevölkerung zu reduzieren.[8] Nach den Vorgaben des Gerichts darf der Zaun nicht politisch sein, er darf keine Staatsgrenze festlegen, außerdem darf er keine ungerechtfertigte Verletzung der Lebensqualität der palästinensischen Bevölkerung verursachen.
  • Am 31. August 2017 hat das Gericht die Klage auf Einführung der Ehe für alle abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass die Ehe für alle kein grundsätzliches Menschenrecht ist und nach bisherigem Recht die Religionsgemeinschaften über die Ehe entscheiden, über eine Änderung müsste das Parlament entscheiden.[9]
  • Am 9. Juni 2020 wurde ein Gesetz zur Enteignung von palästinensischen Landbesitzern des Westjordanlands vom Obersten Gericht für verfassungswidrig erklärt.[10] Mit dem 2017 von der Knesset verabschiedetem Gesetz hätte der Staat palästinensisches Privatland konfiszieren können, auf dem Siedler 4.000 Wohneinheiten errichtet haben. Die Enteigneten hätten eine Entschädigung von 125 Prozent erhalten.[10][11]
  • Am 1. März 2021 hat das Gericht entschieden, dass der Staat ab sofort auch reformierte und konservative Konversionen, die in Israel durchgeführt wurden, anerkennen und den Betreffenden die Staatsangehörigkeit verleihen muss. Ihre Entscheidung folgte nach zwei Petitionen aus den Jahren 2005 und 2006 von zwölf Menschen, die in Israel durch nichtorthodoxe Strömungen zum Judentum übergetreten waren. Deren Antrag auf Staatsbürgerschaft im Rahmen des Rückkehrergesetzes vom 5. Juli 1950 wurde vom Innenministerium abgelehnt.[12]

Weblinks

Commons: Israel supreme court – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. מידע אישי על השופטים - קורות חיים של אסתר חיות. In: elyon1.court.gov.il. Abgerufen am 23. Dezember 2017 (hebräisch).
  2. Michael Wolffsohn, Douglas Bokovoy: Israel: Grundwissen-Länderkunde. Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft (1882–1996). Opladen 1996, ISBN 3-8100-1310-2, S. 59ff.
  3. The Pyramid – The Library. Abgerufen am 24. März 2016 (englisch).
  4. Obituaries – Dorothy de Rothschild, 93, Supporter of Israel. In: The New York Times. 13. Dezember 1988, abgerufen am 24. März 2016 (englisch).
  5. The President’s Chamber. Abgerufen am 24. März 2016 (englisch).
  6. Newsletter der Botschaft des Staates Israel vom 19. Januar 2015
  7. Nadav Shragai: Blow to settlement movement. In: Haaretz. 21. November 2006, abgerufen am 9. Mai 2012 (englisch).
  8. Q&A: What is the West Bank barrier? BBC News, 15. September 2005
  9. Sebastian Maas, Marc Röhlig bento: Israel entscheidet gegen Ehe für alle. Bento - das junge Magazin vom Spiegel, 1. September 2017, abgerufen am 3. April 2020.
  10. a b DER SPIEGEL: Westjordanland: Oberstes Gericht blockiert nachträgliche Legalisierung israelischer Siedlungen - DER SPIEGEL - Politik. Abgerufen am 10. Juni 2020.
  11. Oberstes Gericht kippt Gesetz über Enteignung von Palästinensern. Israelnetz, 10. Juni 2020, abgerufen am 16. Juni 2020.
  12. Sabine Brandes: Urteil zu Konversionen. Jüdische Allgemeine, 4. März 2021, abgerufen am 4. März 2021.

Koordinaten: 31° 46′ 51,8″ N, 35° 12′ 14,6″ O