Olympia Fulvia Morata

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Olympia Fulvia Morata

Olympia Fulvia Morata (* 1526 in Ferrara; † 26. Oktober 1555 in Heidelberg) war eine italienische Dichterin und humanistische Gelehrte. Ihre „Leistungen führten die Tradition der italienischen Humanistinnen auf die andere Seite der Alpen, wo es bisher wenige solcher Frauen gab“.[1]

Biografie

Olympia Fulvia Morata ist das erste von vier Kindern des Pellegrino Moretto (Peregrinus Fulvius Moratus, 1483–1549) und der Lucrezia Gozi. Der gebildete und weltoffene Vater brachte ihr die alten Sprachen bei und unterrichtete auch die Söhne des Herzogs Alfonso I. d’Este am Hofe von Ferrara. Wegen seiner calvinistischen Neigungen entzweite Pellegrino sich mit Alfonso, weshalb die Familie von 1532 bis 1539 im Exil in Vicenza und Venedig leben musste. Nach der Rückkehr der Familie an den Hof der d'Este übertrug die Gattin des Herzogs Ercole II., Renata von Frankreich, die Ausbildung ihrer ältesten Tochter Anna dem Schweinfurter Humanisten Johannes Sinapius und wählte Olympia als Gesellschafterin. Aufgrund der kulturellen Freiheiten in der Hofhaltung Renatas hatte Olympia Zugang zu klassischen Werken in Latein und Griechisch, die sie wissbegierig studierte. Die in allen Freien Künsten bewanderte junge Frau interpretierte Homer und Cicero, hielt Vorlesungen und verfasste Gedichte.[2]

1548 verließ Olympia den Hof, um ihren erkrankten Vater zu pflegen, der im darauffolgenden Jahr verstarb. Die Verlusterfahrungen führten zu einer Hinwendung und Vertiefung des evangelischen Glaubens. Der evangelische Theologe Celio Secondo Curione, den sie 1539 in Venedig kennengelernt hatte, wurde nun ihr väterlicher Freund und Förderer. Anfang des Jahres 1550 heiratete sie den aus Schweinfurt stammenden Arzt Andreas Grundler, der zum Kreis der Humanisten am Hofe von Ferrara gehörte. Nur noch wenige Monate lebten sie in ihrer Geburtsstadt Ferrara, da die Repression durch den katholischen Herzog und die Inquisition auf die Evangelischen zugenommen hatte. So zogen sie 1550 über den Brennerpass, Kaufbeuren, Augsburg und Würzburg in die fränkische Kleinstadt Schweinfurt, wo Grundler den Posten eines Stadtarztes erhalten wird. Olympia unterrichtete währenddessen ihren mitgenommenen Bruder Emilio und Theodora Sinapius, die Tochter ihres ehemaligen Lehrers Johannes Sinapius, der auch in der Stadt wohnte.

Bei der Belagerung 1553 und der Eroberung Schweinfurts durch Albrecht Alcibiades im Zweiten Markgrafenkrieg im Juni 1554 konnten Olympia und ihr Mann nur ihr nacktes Leben retten, mit ihrem Hab und Gut verlor sie auch ihre persönlichen Schriften. „Als aber dieselbe Stadt außgebrannt/ und ihre Bücher unnd viel guter Schrifften/ so sie gemacht/ durchs Fewer unnd Blünderung umbkommen […][3] Sie flohen mit ihrer Familie zu den Grafen von Erbach im Odenwald. Dort erhielt Grundler einen Ruf auf einen medizinischen Lehrstuhl an der Universität Heidelberg, während Olympia wahrscheinlich privaten Latein- und Griechischunterricht erteilen konnte.[4]

Umstrittene Quelle für universitäre Tätigkeit Moratas in Ferrara und Heidelberg

Von „in neueren Forschungsarbeiten unerwähnten oder abgestrittenen Einzelheiten“ berichtet die Theologin Elisabeth Gössmann.[5] Dazu gehören die eigenständigen Informationen des Lexikons Die Lobwürdige Gesellschaft Der Gelehrten Weiber (1631) von Johann Frauenlob über Moratas gelehrte Tätigkeiten.

„[Morata] hat auch allbereit im 16. Jahr ihres Alters / zu Ferrara öffentlich die Paradoxa Ciceronis profitiert und gelesen / hernachmals Commentaria in Homerum […] doselbst [an der Heidelberger Universität] hat sie Philosophien in Griechischer und Lateinischer Sprach privatim mit großem Lob und Verwunderung gelesen.“

Johann Frauenlob: Die Lobwürdige Gesellschafft der Gelehrten Weiber[6]

Gössmann bringt auch eine Nachricht aus Christian Junckers Centuria Foeminarum (1692), in welcher von einem „öffentlichen Lehrstuhl“ in Heidelberg die Rede ist, an dem Morata „ihre Lectiones gelesen“ habe.[7] Der Heidelberger Gräzist Jacobus Micyllus lud Morata ein, selbst an der Universität zu lehren. Was Micyllus persönlich über sie wusste, vor allem, ob er Schriften von ihr kannte, und ob bei der Schweinfurter Plünderung/Brand 1554 welche überlebten, ist noch nicht erforscht. Die Einladung Micyllus’ an die Universität konnte sie wohl nicht mehr lange wahrnehmen, denn 1555, nur ein Jahr später, starb sie, ungefähr 29 Jahre alt, an Tuberkulose, die sie sich wahrscheinlich durch die Entbehrungen bei der Stadtbelagerung und auf der Flucht aus Schweinfurt zugezogen hatte.

Grab

Olympia Fulvia Morata wurde auf dem Friedhof der Heidelberger Peterskirche bestattet. Eine Ehrentafel in der südlichen Seitenkapelle der Kirche erinnert an sie. Nur wenige Wochen nach ihrem Tod starben auch ihr Mann Andreas Grundler und ihr Bruder Emilio Morata (1542–1555) an der Pest und wurden neben ihr beigesetzt.[4]

Nachleben

  • In vielen historischen Schriften des 16.–18. Jahrhunderts über weibliche Gelehrsamkeit ist Olympia Fulvia Morata mit einem Artikel vertreten.[8]
  • Posthum erschienen in Basel ab 1558 Moratas (erhaltene) Gedichte, Übersetzungen, mehr als 50 Briefe und Anderes, für deren Ausgabe der Humanist Celio Secondo Curione sorgte, ein Freund der Familie. Neuauflagen davon erschienen 1562, 1570 und 1582.
  • Olympia Fulvia Morata stand als eine von wenigen Frauen seit 1583 wegen ihrer Dialoge, Briefe und Gedichte („dialogi, epistolae, & carmina“) auf dem Index Librorum Prohibitorum.
  • Ein Lexikon von 1631 des Johann Frauenlob (Pseudonym) widmet ihr einen eigenständigen Artikel.[9]
  • Georg Christian Lehms widmet ihr einen längeren Artikel in: Teutschlands Galante Poetinnen (1715), im Anhang Ausländischer Dames, S. 172.
  • Die Stadt Schweinfurt benannte das Olympia-Morata-Gymnasium nach ihr.
  • Moratas Briefe werden 2002 von Stefan Osieja als Beispiel der „unzureichende Beweisführung“ für die Gnade Gottes bei ihrer gefahrvollen Flucht vor Verfolgung durch die Katholiken zitiert. (Ob Briefe als Literatur für so eine Untersuchung relevant sind, bleibt offen)[10]

In späteren Darstellungen wurde Olympia Fulvia Morata häufig auf die Aspekte ihres Lebens reduziert, die dem Idealbild der protestantischen Frau entsprechen, um sie als Leitbild dafür heranzuziehen. Unter anderem wurden ihre Tugendhaftigkeit und ihr standhafter Glaube betont. Ihre Lehrtätigkeit sowie ihr Engagement für die Reformation wurden dabei vernachlässigt oder komplett ausgelassen.[11]

Ausgaben ihrer (erhaltenen) Werke

  • Briefe. Aus dem Lateinischen, Italienischen und Griechischen übersetzt von Rainer Kößling und Gertrud Weiss-Stählin. Reclam, Leipzig 1991, ISBN 3-379-00529-0 (enthält neben den Briefen auch eine Auswahl aus anderen Texten Moratas sowie drei kurze zeitgenössische Mitteilungen über Morata)
  • The complete writings of an Italian heretic. Herausgegeben und übersetzt von Holt N. Parker. The University of Chicago Press, Chicago o. J. [ca. 2003], ISBN 0-226-53668-8.
  • Celio Secondo Curione: Olympiae Fulviae Moratae mulieris omnium eruditissimae Latina et Graeca, quae haberi potuerunt, monumenta, eaque plane divina, cum eruditorum de ipsa iudicijs et laudibus, Basel 1558.

Literatur

  • Jules Bonnet: Vie d'Olympia Morata. Épisode de la renaissance et de la réforme en Italie. 3. Auflage. Paris 1856 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D~GB%3DBjoBAAAAQAAJ~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D).
    • Deutsche Fassung: Olympia Morata. Ein christliches Lebensbild, bearbeitet von Ottilie Wildermuth, Stuttgart 1854.
  • Reinhard Düchting u. a. (Redaktion): Olympia Fulvia Morata. Stationen ihres Lebens: Ferrara – Schweinfurt – Heidelberg. Katalog zur Ausstellung im Universitätsmuseum Heidelberg 1998. Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 1998, ISBN 3-929366-86-X.
  • Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit, Gelehrt, mutig und glaubensfest, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010 und 2014, ISBN 978-3-525-55012-0, S. 115–132.
  • Anke Dörner: Vom Selbstbild zum Vorbild. Olympia Fulvia Morata und die Konstruktion eines protestantischen Frauenmodells im 16. Jahrhundert. In: Peter Burschel (Hrsg.): Vorbild – Inbild – Abbild. Religiöse Lebensmodelle in geschlechtergeschichtlicher Perspektive, Freiburg 2003, S. 53–82. ISBN 3-7930-9301-8.
  • Johann. Frauenlob: Die Lobwürdige Gesellschafft der Gelehrten Weiber/ das ist: Kurtze/ Historische Beschreibung/ der fürnembsten gelehrten/ verständigen und Kunsterfahrnen Weibspersonen/ die in der Welt biß auff diese Zeit gelebet haben. Auß unterschiedlichen glaubwürdigen Historicis, sowohl auch eigenen Erfahrung/ zusammen getragen […]. o. O. 1631, S. 26 (Digitalisat in: austrian literature online – alo).
    • Elisabeth Gössmann (Hrsg.): Eva Gottes Meisterwerk (= Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung. Bd. 2). 2. erweiterte Auflage. Judicium, München 2000, ISBN 3-89129-002-0 (mit ausführlichem, kommentierendem Textteil. Enthält Johann Frauenlobs Die Lobwürdige Gesellschafft der Gelehrten Weiber, S. 114–159).
  • Ludwig Geiger: Morata, Olympia Fulvia. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 22, Duncker & Humblot, Leipzig 1885, S. 211–213.
  • Ulrike Halbe-Bauer: Olympia Morata. Das Mädchen aus Ferrara. Brunnen, Gießen und Basel 2004, ISBN 3-7655-1862-X (belletristische Darstellung).
  • Niklas Holzberg: Olympia Morata. In: Fränkische Lebensbilder 10, Neustadt/Aisch 1982, S. 141–156.
  • Niklas Holzberg: Olympia Morata und die Anfänge des Griechischen an der Universität Heidelberg. In: Heidelberger Jahrbücher 31, 1987, S. 77–93.
  • Margaret L. King: Frauen in der Renaissance. C.H. Beck, München 1993, ISBN 3-406-37335-6.
  • Ernst Münch: Olympia Fulvia Morata. Beitrag zur Gelehrten-Geschichte Badens. Wagner, Freiburg im Breisgau 1827.
  • Lisa Saracco: Morato (Morata), Olimpia Fulvia. In: Raffaele Romanelli (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 76: Montauti–Morlaiter. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 2012, S. 540–542.
  • Ilona Scheidle: Eine zweite Sappho in Heidelberg. Die Gelehrte Olympia Fulvia Morata (1526–1555). In: dies.: Heidelbergerinnen, die Geschichte schrieben. Diederichs, Kreuzlingen/München 2006, ISBN 3-7205-2850-2, S. 11–21.
  • Amelia Gillespie Smyth: Olympia Morata, her times, life and writings. 2. Auflage, London 1834 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D~GB%3DDkBcbROMrm0C~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D).
  • Robert Turnbull: Olympia Morata. Her Life and Times. Boston 1846 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D~GB%3DFm3fCF_FmF0C~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D).
  • Dorothea Vorländer: Morata, Olympia Fulvia. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 85 f. (Digitalisat).
  • Dorothea Vorländer, Olympia Fulvia Morata – eine evangelische Humanistin in Schweinfurt. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte. 39, 1970, S. 95–113.
  • Erich WennekerMORATA, Olympia Fulvia. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 6, Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-044-1, Sp. 106–108.

Weblinks

Nachweise

  1. Margaret L. King
  2. Grazia Franceschini: La corte di Renata di Francia (1528-1560). In: Storia di Ferrara. Band VI, 2000, S. 198–201 (italienisch).
  3. Siehe Johannes Frauenlob: Die Lobwürdige Gesellschaft der Gelehrten Weiber. 1631, S. 26 (Digitalisat in: austrian literature online – alo) und Vorwort zur digitalen Ausgabe ihrer (erhaltenen) Werke.
  4. a b Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit, Gelehrt, mutig und glaubensfest, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010 und 2014, ISBN 978-3-525-55012-0, S. 115–132.
  5. Elisabeth Gössmann (Hrsg.): Eva Gottes Meisterwerk. S. 117.
  6. Johann Frauenlob: Die Lobwürdige Gesellschafft der Gelehrten Weiber. S. 26 (Digitalisat in: austrian literature online – alo), Artikel Olympia Fulvia Morata.
  7. Gössmann S. 267.
  8. Elisabeth Gössmann (Hrsg.): Eva Gottes Meisterwerk. 2. Auflage 2000 (Schriften von 14 AuthorInnen, mit Einleitung und Kommentar versehen).
  9. Johann. Frauenlob: Die Lobwürdige Gesellschafft Der Gelehrten Weiber. 1631, S. 26 (Digitalisat in: austrian literature online – alo). In: E. Gössmann: Eva Gottes Meisterwerk, S. 114–159.
  10. Das literarische Bild des verfolgten Glaubensgenossen bei den protestantischen Schriftstellern der Romania zur Zeit der Reformation. Europäische Hochschulschriften. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a. M. usw. 2002, ISBN 3631-39499-3, S. 300.
  11. Claudia Ulbrich: Geschlechterrollen. In: Enzyklopädie der Neuzeit Online. 9. Oktober 2019 (brillonline.com [abgerufen am 28. April 2020]).