Ornette Coleman
Randolph Denard Ornette Coleman (* 9. März 1930 in Fort Worth, Texas; † 11. Juni 2015 in New York City[1]) war ein US-amerikanischer Jazz-Musiker (vor allem Alt-, gelegentlich auch Tenorsaxophon, Trompete und Geige) und Komponist. Ornette Coleman gilt als Pionier des Free Jazz und ist der Schöpfer der „Harmolodics“.
Leben und Wirken
Selbststudium
Coleman wuchs in ärmlichen Verhältnissen und nach dem Tod seines Vaters früh als Halbwaise auf. Sein erstes Saxophon bekam Coleman mit 14 Jahren, er brachte sich ab 1944 das Saxophonspiel und Notenlesen selbst bei. Mit 19 Jahren riss er von zu Hause aus, um Armut und Rassendiskriminierung im Süden der USA zu entfliehen. In Los Angeles schlug sich Ornette Coleman mit Hilfsjobs durch und eignete sich 1950 wiederum im Selbststudium Harmonielehre und Musiktheorie an. Hier entwickelte er auch eigene musikalische Konzepte und fand Unterstützer in Don Cherry (Trompete), Bobby Bradford (Trompete), Walter Norris (Klavier), Ed Blackwell (Schlagzeug), Billy Higgins (Schlagzeug) und Charlie Haden (Bass). Die beiden Letztgenannten lernte er 1958 in der Band von Paul Bley (Klavier) kennen, die um Coleman und Cherry erweitert wurde, bevor sie durch Bleys Ausstieg zum Ornette Coleman Quartet wurde.
Zusammen bespielte die Band kleine Clubs in Los Angeles. Ihren ersten Plattenvertrag erhielt sie nur durch Zufall, denn eine Plattenfirma kaufte eines von Colemans Arrangements, fand aber außer dessen Gruppe niemand, der dieses auch spielen konnte. Auf Vermittlung von John Lewis wechselte Coleman im Mai 1959 zu Atlantic Records. Nach einem darauffolgenden Engagement im Jazzclub „Five Spot“ in New York im Jahre 1959 war dem Ornette Coleman Quartet die Aufmerksamkeit der Jazz-Szene sicher.
Neben der Musik interessierte sich Coleman auch für wissenschaftliche Themen aus Physik, Mathematik und Chemie.
Free Jazz / Harmolodics
Zusammen mit Eric Dolphy (Bassklarinette), Don Cherry (Taschentrompete), Freddie Hubbard (Trompete), Scott LaFaro (Bass), Charlie Haden (Bass), Billy Higgins (Schlagzeug) und Ed Blackwell (Schlagzeug) – also mit einem Doppel-Quartett – nahm Coleman 1960 sein wohl bekanntestes Album Free Jazz: A Collective Improvisation auf. Dieses Album wirkte als Initialzündung des atonalen Avantgarde Jazz, wobei es in seiner Kollektivimprovisation ebenso auf die Ursprünge des Jazz in New Orleans verwies. 1961 löste Coleman sein Quartett auf und spielte in den nächsten Jahren im Trio mit David Izenzon (Bass) und Charles Moffett (Schlagzeug). Zudem lernte er Geige und Trompete, um sie für Klangfarbeneffekte einzusetzen. Seit den frühen 1960er Jahren komponierte er zudem Kammermusik und seit 1967 auch mehrfach sinfonische Stücke für größere Ensembles (Skies of America, 1972).
Ornette Coleman entwickelte vor allem seit den 1970ern aus dem Free Jazz sein System der „Harmolodics“ (etwa: Harmolodik).[2] Anders als im modalen Spiel wird dabei über lineare Intervallreihen improvisiert. Insbesondere gemeinsam mit seiner Band Prime Time wurde Coleman ab Mitte der 1970er Jahre mit Hilfe des harmolodischen Systems zu einem Pionier des Free Funk, denn er kombinierte die „Harmolodics“ mit aggressiven Rockrhythmen und sphärischen Klängen. Sein Album Dancing in Your Head, aufgenommen u. a. mit den Master Musicians of Jajouka, wurde in die Liste The Wire’s „100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)“ aufgenommen. In den 1980er Jahren brachte Coleman weitere Platten mit Prime Time und seinem klassischen Quartett heraus.
Colemans Aufnahmen der 1990er Jahre, auf denen er in einem klassischen Jazzquartett (mit Piano, Bass, Schlagzeug) bzw. im Saxophon-Piano-Duo (mit Joachim Kühn) spielte, fanden großen Anklang. Sein bisher letztes Album Sound Grammar, Livemitschnitt eines Festivalauftritts 2006 in Deutschland, entstand mit der ungewöhnlichen Besetzung von zwei Bassisten und einem Schlagzeuger; für dieses Album bekam er 2006 einen Grammy.
Familie
Aus Colemans geschiedener Ehe mit der Dichterin Jayne Cortez stammt sein Sohn Denardo Coleman, der ihn seit 1966 als Schlagzeuger begleitete.
Wirkung
Colemans Werk nahm seinen Ausgang von eher folkloristischen Auffassungen von Musik. Obwohl er durch seinen bewussten Verzicht auf Virtuosität stets ein Außenseiter blieb, war Colemans Einfluss auf Musiker wie Pat Metheny (mit dem er mehrfach zusammenarbeitete), John Zorn (Tribut-Album Spy vs. Spy 1989) oder Joachim Kühn nachhaltig. Coleman vertrat die Auffassung, dass kein Spieler die Führung innehat und Spielanweisung gibt, vielmehr beruhte sein Konzept auf ästhetischer Freiheit, bei der jeder jederzeit das Heft an sich reißen könne.[3] Der Musiktheoretiker Gunther Schuller interpretierte Colemans Spiel als auf tiefer innerer Logik beruhend, die Coleman es ermöglichte, die alten musikalischen Regeln nicht überspringen zu müssen, vielmehr existierten sie für ihn nicht.[4] Trotz eines völlig anderen Ansatzes respektierte auch John Coltrane den Kollegen als Pionier und nahm 1960 sogar ein Album (The Avant-Garde) mit Colemans Kompositionen und dessen Band auf, das jedoch erst 1966 veröffentlicht wurde. Kritische Äußerungen kamen hingegen gehäuft von Miles Davis. Sein Trompeten- und Geigenspiel bezeichnete er als „respektlos gegenüber allen anderen Musiker, die diese Instrumente beherrschen“ und ihn selbst bezeichnete er als „eifersüchtigen Vogel“, der es liebte „belehrend dazusitzen, ...[obwohl] er gar nicht weiß, was er da redet“.[5]
Nähe zur Rockmusik zeigte Ornette Coleman bereits Ende der 1980er-Jahre, als er im Anschluss an In All Languages (Label: Caravan of Dreams) im Jahr 1988 das Album Virgin Beauty (Columbia) produzierte, an dem auch Jerry García von Grateful Dead beteiligt war.[3] 2002 und 2003 unternahm Coleman weitere Abstecher in die Rockmusik und wirkte bei Lou Reeds Bearbeitung von Werken Edgar Allan Poes, The Raven, sowie bei Eddy Grants Hearts & Diamonds mit. Bereits in früheren Jahren war er an Produktionen von Yoko Ono, Claude Nougaro, Jamaaladeen Tacuma, Yochk’o Seffer und Joe Henry beteiligt gewesen.
Für seinen Vater klagte Denardo Coleman 2015 auf Unterlassung der Veröffentlichung von unautorisiertem Session-Material auf dem Album New Vocabulary.[6][7]
Auszeichnungen (Auszug)
- 1994 war er MacArthur Fellow.
- 1997 Wahl zum Mitglied der American Academy of Arts and Letters[8]
- 2001 Praemium Imperiale
- 2007: Als zweiter Jazzmusiker nach Wynton Marsalis (1997) erhielt Coleman den Pulitzer-Preis in der Kategorie Musik, der bisher nur an »klassische« Komponisten vergeben wurde.
- 2007: Vier Jazz Awards - Bester Musiker, bester Altsaxophonist, bestes Album, bestes Kleinensemble – verliehen von der JJA (Jazz Journalists’ Association)[9]
- 2010: Ehrendoktor der University of Michigan in Ann Arbor.[10]
- 2011: Ehrendoktor der Columbia University in New York.
Diskografie
Wichtige Platten
- Something Else!!!! (1958)
- The Shape of Jazz to Come (1959) mit seinem Klassiker „Lonely Woman“
- Free Jazz (1960)
- Dancing in Your Head (1973/1976)
- In All Languages (1987)
Alle Tonträger unter eigenem Namen
Nicht legitimierte Alben mit *
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Literatur
- Peter Niklas Wilson: Ornette Coleman. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten. Oreos, Waakirchen 1989, ISBN 3-923657-24-2.
- John Litweiler: Ornette Coleman: A Harmolodic Life. William Morrow and Company, New York 1992, ISBN 0-688-07212-7 (englisch).
- Steve Day: Ornette Coleman – Music Always. Soundworld, 2000, ISBN 1-902440-03-X (englisch).
- Christian Broecking: Ornette Coleman – Klang der Freiheit. Creative People Books / Broecking Verlag, 2010, ISBN 978-3-938763-13-1.[11]
- Martin Kunzler: Jazz-Lexikon. Directmedia, Berlin 2005, ISBN 3-89853-018-3.
- A. B. Spellman: Four Jazz Lives. University of Michigan Press (englisch, Neuauflage von „Four Lives in the Bebop Business“, Pantheon 1966).
- Maria Golia: The Territory and the Adventure (2020)
Weblinks
- Literatur von und über Ornette Coleman im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Ornette Coleman in der Internet Movie Database (englisch)
- Offizielle Website Ornette Colemans
- Umfassende Diskografie
Artikel
- „Seeking the Mystical Inside the Music“, New York Times, 22. September 2006
- „Ornette Coleman: The Samuel Beckett of Jazz“ von NPR, Coleman-Dossier mit Audio-Dateien
- Interview (PDF; 440 kB) durch Jacques Derrida (1997)
- Christian Broecking: „Ornette Coleman zum 80. Musik kennt keine Hautfarbe.“ Zeit Online, 9. März 2010; abgerufen am 8. Januar 2011
- Hans-Jürgen Linke: Nachruf. In: Frankfurter Rundschau
Einzelnachweise
- ↑ Ornette Coleman, Jazz Innovator, Dies at 85
- ↑ Pepsch Muska über Harmolodics (1995) (Memento vom 5. April 2003 im Internet Archive)
- ↑ a b Barry Graves, Siegfried Schmidt-Joos, Bernward Halbscheffel: Rock-Lexikon. Einmalige Sonderausgabe. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek 2003, ISBN 3-499-61588-6, Band 1, S. 205 f.
- ↑ Forms and Sounds Gunther talks to Ornette Coleman in 1960, along with my own speculation about Harmolodics (Memento vom 12. Dezember 2010 im Internet Archive)
- ↑ Miles Davis: Die Autobiographie. Wilhelm Heyne Verlag, 1990, ISBN 3-453-17177-2, S. 338.
- ↑ Ornette Coleman Lawsuit Against Antibalas’ Jordan McLean: Both Sides Weigh In in Billboard
- ↑ Coleman Vs. McLean in JazzThing
- ↑ Members: Ornette Coleman. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 22. Februar 2019.
- ↑ Ornette Coleman vierfach mit US-Jazzpreis ausgezeichnet. Der Tagesspiegel, 29. Juni 2007
- ↑ All about Jazz (Memento vom 5. Juni 2010 im Internet Archive)
- ↑ Anders als der Titel vermuten lässt, enthält dieses Buch keine Analyse, sondern Interviews – nicht nur mit Coleman, sondern zumeist mit einstigen Wegbegleitern von ihm.
Personendaten | |
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NAME | Coleman, Ornette |
ALTERNATIVNAMEN | Coleman, Randolph Denard Ornette (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | US-amerikanischer Jazz-Musiker und -Komponist |
GEBURTSDATUM | 9. März 1930 |
GEBURTSORT | Fort Worth |
STERBEDATUM | 11. Juni 2015 |
STERBEORT | New York City |