Paljanyzja

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Block von fünf Briefmarken, Укрпошта / Ukrposhta (2013, Paljanyzja oben mittig)
Paljanyzja, aus der Briefmarkenserie von Укрпошта / Ukrposhta (2013) mit fünf verschiedenen Brotsorten der Ukraine

Das ukrainische Wort Paljanyzja (Паляниця, wissenschaftl. Transliteration Paljanycja, Aussprache [pɐlʲɐˈnɪt͡sʲɐ]) bezeichnet zunächst ein traditionelles Lebensmittel. Das einfache, heute meist industriell hergestellte Weißbrot besteht aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz.[1] Sein typisches Aussehen verdankt sich einem geschwungenen Einschnitt im Teig, aus dem im gebackenen Zustand die markante, sichelförmige Kerbe in der Kruste resultiert. In der Ukraine wird das Gebäck als ein typisch „ukrainisches“ verstanden, als solches war es 2013 Teil einer Briefmarkenserie der Ukrposhta.

Im Zusammenhang mit dem Russischen Überfall auf die Ukraine 2022 wurde die Aussprache von Паляниця – in englischer Umschrift meistens palianytsia oder palyanytsia – zu einem Unterscheidungsmerkmal zwischen Muttersprachlern verschiedener Herkunft und infolgedessen zu einem Passwort.[2] Ukrajinska Prawda berichtete neben anderen ukrainischen und internationalen Medien über das Phänomen.[3] In der sechsten Kriegswoche hieß es in einem Artikel des New Statesman, dank der Schwierigkeiten von Nichtukrainern, den Namen dieses Gebäcks auszusprechen, sei selbiges zu “one of the icons of this war” geworden.[4]

Geschichte und Symbolik

Das Wort leitet sich ab von пали́ти (palyty), dem ukrainischen Ausdruck für „brennen“ oder „rauchen“.[5] Bis zum 19. Jahrhundert verwendete man im Russischen gemäß Киевская старина / Kyewskaja staryna (1899) ähnliche Begriffe.[6] Die Zubereitung von Paljanyzja wurde in verschiedenen Rezepten erläutert, die im Wesentlichen dieselbe Vorgangsweise beschreiben: Nach traditioneller Methode ist ein Hefeteig die Grundlage des Brotes. Dieser wurde nach den notwendigen Arbeitsschritten – der Schnitt diente schlussendlich dazu, dem Brot während des Backvorgangs weiteres Aufgehen zu ermöglichen[7] – mit einer Holzschaufel in den Ofen geschoben und mit Mehl bestreut oder auch mit einem gedünsteten Blatt eines Kohlkopfes belegt. Das fertige „Alltagsbrot“ sei „einige Wochen lang weich und duftig“ geblieben.[8] In der Ukrainischen SSR unterlag die standardisierte Produktion der Gossudarstwenny Standart (GOST).[9] Gemäß GOST 12793-77 stellten die sowjetischen Betriebe Ukrainische Paljanyzja in Backformen her.[10] Ein einzelner Laib hatte zwischen 750 bis 1000 g zu wiegen, für den Einschnitt war ein Dreiviertelkreis als Maß vorgegeben.

Manche Deutungen bringen Paljanyzja mit dem Christentum in Verbindung, dort symbolisiere es, wie Brot an sich, Gastfreundschaft, Sicherheit und Wohlbefinden. Zudem wurde Paljanyzja als Symbol für die Sonne interpretiert.[11] Verschiedene überlieferte Vorstellungen in Volks- oder Aberglauben handeln vom Verzehr der Paljanyzja, manche Verhaltensweisen sollen Unglück bringen. In der Gegenwart wurde der geschwungene Schnitt als Lächeln gedeutet.

Ab dem Frühjahr 2022 wurde Paljanyzja auch von ukrainischen Exilanten in Westeuropa und den USA gebacken, um sich solidarisch mit der Ukraine zu zeigen oder auch, um durch den Verkauf des Gebäcks Spenden zu sammeln. Bisweilen wurde die klassische Gestalt abgewandelt: So fanden sich manche Brotlaibe mit einer Sonnenblume, die als Nationalsymbol der Ukraine verstanden wurde[12], verziert.[13]

Zudem wurde der Begriff, in und außerhalb der Ukraine, in unterschiedlichen Schreibweisen als Name für Wohltätigkeits- und Hilfsorganisationen gewählt.[14]

In der kurzfristig umgewandelten Kollektion des ukrainischen Modedesigners Jean Gritsfeldt für die Berlin Fashion Week waren die Kleidungsstücke mit Schriftzeichen bedruckt, kyrillisch, teilweise mit englischer Übersetzung.[15] Ein weißer Rock war auf Kniehöhe vom roten Schriftzug Паляниця gesäumt. Übersetzung gab es einzig bei dieser Textilie keine.

im Rahmen der Biennale di Venezia präsentierte die Künstlerin Schanna Kadyrowa „steinerne Brotlaibe“.[16] „Sie spielte damit auf die ukrainische Bezeichnung dieses Lebensmittels an, dessen ukrainische Bezeichnung Paljanyzja von russischen Muttersprachlern in der Regel nicht korrekt ausgesprochen wird“, berichtete die Austria Presse Agentur, und weiter: „Der ukrainische Widerstand verwendete dieses Wort zuletzt, um lokale Truppen von russischen Invasoren zu unterscheiden.“[17]

Kennwort «Паляниця»

Das Wort Паляниця für Paljanyzja soll auch dazu dienen, Native Speaker der ukrainischen Sprache von anderen zu unterscheiden. Insbesondere von Russisch sprechenden Personen aus nichtukrainischen Regionen heißt es, sie neigten dazu, Паляниця “with the soft sound of i in place of и” auszusprechen oder я durch a zu ersetzen. Anstatt Паляниця erklinge dann ungewollt полуниця, das Wort für „Erdbeere“.[18]

Im Zuge des Russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 wurde das Wort als Schibboleth genutzt, es kam zu Versuchen, Sprecher aufgrund ihrer Aussprache dieses Wortes als Angehörige dieser oder jener Personengruppe zu identifizieren.[19] Eine der frühesten Veröffentlichungen dieser Praxis findet sich im News-Ticker des unabhängigen, ukrainisch- sowie englischsprachigen Medium Zaborona: Am 26. Februar, 11.30, wurde unter der Zwischenüberschrift Ministry of Internal Affairs von offiziellen Hinweisen auf betrügerische Anrufe und Möglichkeiten, sich abzusichern, berichtet. Es folgen drei Punkte redaktioneller Ergänzungen (Zaborona adds:), der dritte lautet: “and don’t forget about Ukrainian language and palianytsia”.[20] Ebenso vom 26. Februar 2022 datiert ein Artikel in Politico, der u. a. davon berichtet, dass Christo Grozev (Bellingcat) auf Social Media Videos “of Ukrainians using the word palyanitsa — meaning a kind of bread — as a way of telling friend from foe because Russians cannot pronounce it” gepostet habe.[21]

„Скажи паляниця“ („Skaschy paljanyzja“, dt.: „Sagen Sie Paljanyzja!“) lautete die Überschrift eines Beitrags auf dem von Eurotopics als „wirtschaftsliberal“ charakterisierten ukrainischen Nachrichtenportal Apostroph.[22] Charles Miranda, ein australischer Korrespondent in der Ukraine, berichtete, besagter „Trick“ sei bereits während des Zweiten Weltkriegs zur Anwendung gekommen und werde in der Ukraine 2022 wieder praktiziert. Am 28. Februar 2022 berichtete ein US-Reporter unter dem Titel Bewildered Russian soldiers, paranoid Ukrainians: On the ground in a war zone für eine Boulevardzeitung in New York, eine Frau habe ihn aufgefordert, das Wort “palyanitsa” zu sagen, ganze drei Mal. Weiter führte der Autor aus: “The word is composed of sounds that native Russian speakers cannot pronounce correctly.”[23] Am 8. März 2022 berichtete The Economist über das Phänomen.[24] Am 18. März 2022 überlieferte LB.ua – laut Eurotopics „eines der größeren Webportale der Ukraine“, politische Ausrichtung „liberal“ – eine Liste von Wörtern, die dazu dienen solle, “a non-native Ukrainian speaker” auf Aussprache basierend schnell zu identifizieren: In der Liste, welche vom NSDC (National Security and Defense Council) via Twitter bekanntgegeben worden sei, finden sich 14 Ausdrücke, angeführt ist die Auflistung von “palianytsia”.[25]

Am 5. März 2022 fand die Verwendung des Ausdrucks als Test in Die Tageszeitung Erwähnung: Im Zusammenhang mit einer Taschenkontrolle, bei der „eine alte sowjetische Militärdienstkarte“ gefunden worden sei, wurde der Kartenbesitzer verdächtigt, „ein russischer Spion“ zu sein. Die Nachbarin, die sich einschaltete, sei „gleich mit verdächtigt“ worden. „Die Sicherheitsleute forderten beide auf, das Wort palianytsia zu sagen, ein ukrainisches Wort, das Russen nicht richtig aussprechen können.“[26] Der Tagesspiegel publizierte am 5. April 2022 einen Text des ukrainischen Lyrikers Oles Barleeg. Am Ende des ersten Absatzes war die Rede vom Ertapptwerden, es folgte der Vergleich: „Wie dieser Russe, der irgendwo auf der Straße enttarnt wurde, weil er das Wort Paljanyzja nicht aussprechen konnte.“[27]

Im Internet und auf Social Media verbreiteten sich Bilder und Memes mit Situationen, in denen ein Sprecher „Паляниця“ sagt oder jemand aufgefordert wird, das Wort auszusprechen.[28]

Weblinks

Commons: Breads_of_Ukraine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vladimir Wengorz: Palyanitsa: a popular, classic bread. World-Grain.com, 28. Juni 2021, abgerufen am 18. April 2022 (englisch).
  2. Alexander J. Motyl: The Language of Russia’s War on Ukraine. Putin’s weaponization of the Russian language has solidified Ukrainian identity and statehood. In: Foreign Policy. 13. März 2022, abgerufen am 2. April 2022 (englisch).
  3. Валентина Романенко / Walentyna Romanenko: Не тільки "паляниця" не вимовляють, з "Гастамєлем" теж проблеми – СБУ про розмову окупантів. In: Українська правда / Ukrajinska Prawda. 27. März 2022, abgerufen am 2. April 2022 (ukrainisch).
  4. “Indeed, a round, soft wheat loaf known as palyanitsa has become one of the icons of this war, thanks to the difficulty non-Ukrainians have in pronouncing it. A widely circulated video shows a Ukrainian soldier explaining how to identify suspected Russian saboteurs by asking them to repeat the word.” (Felicity Cloake: Ukraine’s culinary riches offer hope, and ensure that the war is not forgotten. The chef Olia Hercules has shared advice for refugee hosts wanting to cook familiar foods for their Ukrainian guests, The New Statesman, 27. April 2022)
  5. Етимологічний словник української мови. Том 4: Н–П 2003.
  6. Киевская старина (1899) 1899.
  7. Ethnographic Review No 1-2 (Russian). Ethnographic Department of the Imperial Society of Naturalists, Anthropologists and Ethnographers, Moscow 1899.
  8. Ukraine. Kunstband. Ins Deutsche übersetzt von Wolodymyr Schwed. Baltija Druck, Kiew, 2005, ISBN 966-8137-21-3, S. 73.
  9. ХЛЕБ ИЗ ПШЕНИЧНОЙ МУКИ / Wheat bread Specifications. GOST, 1. Januar 1990, abgerufen am 1. April 2022 (russisch, englisch).
  10. ГОСТ 27842-88 Хлеб из пшеничной муки. Технические условия (с Изменениями N 1, 2) от 29 сентября 1988 - docs.cntd.ru. In: docs.cntd.ru . Abgerufen am 1. März 2022.
  11. Lemma Паляниця, in: В. П. Коцур, О. І. Потапенко und B. В. Куйбіда / W. P. Kozur, O. I. Potapenko und B. W. Kujbida: Словнику символів культури України / Slownyku symwoliw kultury Ukrajiny (Symbolwörterbuch der Ukrainischen Kultur), 2015, S. 595 (ukrainisch).
  12. Kampf der Symbole im Ukraine-Krieg. ORF, 9. März 2022, abgerufen am 1. April 2022.
  13. Siehe z. B. die Betreiberin der US-amerikanischen Brotmanufaktur Wild Yeast Kitchen über “Palyanitsa”: “This rustic round loaf from my native country, Ukraine, features a characteristic one-sided slash which resembles a smile. We chose to decorate it with the Ukrainian national flower – sunflower. All profits from this loaf will be donated to charities supporting victims of the war in Ukraine.”
  14. In der Ukraine z. B. die gemeinnützige Initiative Palianytsia, in Polen etwa Palyanitsya. We stand with Ukraine, in Schweden Palianytsia. Help for Ukrainians.
  15. Ebru Tasdemir: Mehr als Mode: Die Show des ukrainischen Designers Jean Gritsfeldt wird auf der Berlin Fashion Week zum Statement gegen den Krieg. Der Designer blieb in Kiew. In: Die Tageszeitung. 17. März 2022, abgerufen am 3. April 2022.
  16. Siehe auch Bildmaterial, z. B. unter Дмитрий Волчек: Каменная паляниця. Украина на Венецианской биеннале, 26. April 2022 (ukrainisch). Artnet meldete, dass ein solches Exponat am 8. Mai 2022 im Rahmen eines Online Benefit for Ukraine's People & Culture des Auktionators Simon de Pury um 5.000 EUR ersteigert worden sei.
  17. 59. Biennale wird vom Ukraine-Krieg überschattet, APA, 22. April 2022, hier zitiert nach Salzburger Nachrichten.
  18. Die Erdbeere (personifiziert, mit „genervtem“ Gesichtsausdruck und kyrillischem Text, übersetzt: „Ich bin nicht Paljanyzja“) findet sich mittlerweile auch auf Kleidungsstücken im Sortiment großer Versandhändler.
  19. Den Begriff Schibboleth verwendete in dem Zusammenhang etwa Ariane Nicolas: Le schibboleth “palyanitsya” ou la survie par le langage (Philosophie. Magazine, März 2022, Rubrik «Le mot du jour»).
  20. Evgenia Kostina: Ukraine will not surrender! Putin, are you ready for capitulation? 26 February, the third day of Russia-Ukraine war. In: Zaborona. 26. Februar 2022, abgerufen am 23. April 2022 (englisch).
  21. Lily Hyde: Saboteurs spark suspicion and solidarity in Kyiv: People in Ukraine’s capital are on high alert for Russian agents hiding among them. In: Politico. 26. Februar 2022, abgerufen am 27. April 2022 (englisch).
  22. Маргарита Лепс: Скажи паляниця: чому саме це слово вибрали для ідентифікації російських військових. In: Apostroph. 28. Februar 2022, abgerufen am 8. April 2022 (ukrainisch).
  23. Vladislav Davidzon: Bewildered Russian soldiers, paranoid Ukrainians: On the ground in a war zone. In: New York Post. 28. Februar 2022, abgerufen am 1. April 2022 (englisch).
  24. Francesca Ebel, Isobel Koshiw: To catch a saboteur: Ukraine on edge. In: The Economist. 8. März 2022, abgerufen am 18. April 2022 (englisch).
  25. The National Security and Defense Council advised using Ukrainian words that the Russian occupiers cannot pronounce correctly. "Shibolet" is a kind of language password that identifies that a person's language is not native to him." In: LB.ua. 18. März 2022, abgerufen am 8. April 2022 (englisch).
  26. Aufzeichnungen der geflüchteten ukrainischen Dozentin Olha M., Montag, 4.25 Uhr (Ende Februar/Angang März 2022), wiedergegeben in Eine Woche Krieg: Russland greift die Ukraine an. Mit Tod und Zerstörung. Menschen kämpfen, sterben, fliehen. Nichts ist, wie es war. Philosophen sind jetzt Soldaten, Jugendliche bauen Molotowcocktails. Drei Tagebücher, Die Tageszeitung, 5. März 2022.
  27. „Vom Krieg“: Über den Hass auf die Feinde und die Zeichen des Frühlings. Ein Text des ukrainischen Lyrikers Oles Barleeg. In: Der Tagesspiegel. 5. April 2022, abgerufen am 8. April 2022.
  28. Auch unter den Graffiti- und Street Art-Arbeiten des ukrainischen Kollektivs LBWS finden sich solche Motive mit Text Скажи паляниця, in englischen Bildunterschriften wiedergegeben als “Say Palyanitsya”.