Herculanensische Papyri

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Als Herculanensische Papyri (auch Herculaneum-Papyri oder Papyri von Herculaneum, italienisch Papiri Ercolanesi, lateinisch Papyri Herculanenses, abgekürzt PHerc.) sind Papyri aus der römischen Antike bekannt, die zwischen 1752 und 1754 bei Ausgrabungen in der Villa dei Papiri in Herculaneum entdeckt wurden. 1792 dieser Papyri befinden sich heute in der Nationalbibliothek von Neapel, sechs weitere werden im Institut de France in Paris verwahrt und einige weitere in der Bodleian Library in Oxford.

Die Papyri von Herculaneum sind die einzige aus der Antike erhaltene zusammenhängende Sammlung von literarischen und wissenschaftlichen Schriftrollen. Grund ihrer Konservierung ist die Verschüttung der Stadt durch Lava und Asche aufgrund eines Ausbruchs des Vulkans Vesuv im Jahr 79. Die Papyri beinhalten vor allem Schriften des Epikur und des Philodemos von Gadara. Zum Großteil sind sie bis heute nicht entziffert.

Entdeckung

Die Villa dei Papiri in Herculaneum

Gefunden wurden die Papyri bei Ausgrabungen zwischen dem 19. Oktober 1752 und dem 25. August 1754. Sie befanden sich in einem kleinen Raum in der später nach diesem Fund benannten Villa dei Papiri.

Zusammen mit den meisten übrigen Funden aus Herculaneum wurden die Rollen im Königspalast Portici aufbewahrt. König Ferdinand I. schenkte 1802 sechs Rollen dem französischen Ersten Konsul, General Napoleon Bonaparte, die sich bis heute in Paris befinden. 1815 soll er weitere 18 Rollen dem britischen Prinzregenten und späteren König George IV. geschenkt haben, von denen ein Teil heute von der Bodleian Library der University of Oxford aufbewahrt wird, einige jedoch als verschollen gelten.[1]

Bibliotheksraum

Auf den Raum, in dem man die Papyri fand, stießen die Ausgräber erstmals am 19. Oktober 1752. An den Wänden sollen verkohlte Regale gestanden haben und in der Mitte ein freistehender weiterer Regalschrank. In den Fächern der Regale fand man verkohlte zylinderförmige Gegenstände, die man barg und erst später als Schriftrollen identifizieren konnte. Wegen austretender Grubengase mussten die Ausgrabungen der Villa bereits 1765 wieder zugeschüttet werden. Es existieren keine Bilder der Bibliothek, bis zur erneuten Ergrabung am Ende des 20. Jahrhunderts hatte sich von den Regalen nichts mehr erhalten. Lediglich Dübellöcher in den Wänden lassen noch auf das Vorhandensein von Holzmöbeln schließen. Nach den Plänen Carl Webers war der Raum 2,65 mal 3,20 Meter groß.[2] Laut einem im Jahr 1756 verfassten Augenzeugenbericht Johann Joachim Winckelmanns handelte es sich um ein schlichtes Zimmer mit mannshohen Schränken an den Wänden und in der Mitte, das für ihn wie ein antikes Archiv aussah.[3] In einem Brief vom 17. Dezember 1752 spricht der Konservator Camillo Paderni von einem Mosaikfußboden in dem Raum, die Schränke sollen aus verschiedenen Holzsorten bestanden und oben mit einem Gesims abgeschlossen haben.[4] Neben dem Bibliothekszimmer fand man einen weiteren kleinen Raum von 1,90 mal 2,65 Metern, der möglicherweise als Ruheraum gedient hatte, sowie größere Zimmer unbekannter Nutzung.[5]

Konservierung

Man nimmt an, dass die Papyri aufgrund von Hitzeeinwirkung erhalten und immer noch lesbar sind. Als Lava und Asche die Stadt verschütteten, waren sie einer hohen Temperatur von über 300 Grad Celsius ausgesetzt, wodurch die Zersetzung ihres organischen Materials verhindert wurde. Die Deformationen der Schriftrollen erklärt sich aus dem Druck der 25 bis 30 m hohen Lava- und Ascheschicht.

Entrollung und Entzifferung

Datei:Herculanean Rolls - Papyrus 157-152.JPG
Kopie eines identifizierbaren Textes des Papyrus 152–157

Der Maler und Kopist Camillo Paderni, der bei der Entdeckung anwesend war, berichtete im November 1752 in einem Brief an Richard Mead zuerst über den Fund. Im Februar 1753 verlas Mead den Brief vor der Royal Society; der Fund erregte in der Forscherwelt bald europaweit Aufsehen. Paderni schnitt einige Rollen längs auf, schälte das (tatsächlich besser lesbare) Innere aus den Hälften heraus, wobei es aber zerbröselte, und versuchte, die verkrusteten äußeren Schichten zu lösen, jedoch zerfielen sie zu Asche.

Pater Antonio Piaggio von der Vatikanischen Bibliothek konstruierte 1753 eine Maschine zur langsamen Aufwicklung der Rollen. Johann Joachim Winckelmann beschrieb sie in einem 1762 publizierten Brief. Auf diese Weise gelang Piaggio die Öffnung von über 50 Rollen, zumeist mit Werken von Philodemus, teilweise in mehreren Kopien, über Musik und diverse philosophische Themen. Dies stützt die Vermutung, dass es sich um Philodemus' eigene Bibliothek handelte, die in den Besitz des ihm nahestehenden Epikureers Lucius Calpurnius Piso gelangt sei, dem Schwiegervater Gaius Iulius Caesars, weshalb Piso als Hausherr der großen und reich mit Kunstwerken ausgestatteten Villa in Betracht gezogen wird.

Seit ihrer Entdeckung wurden verschiedene Verfahren entwickelt und angewandt, um die ohnehin schon beschädigten Papyrusrollen zu entrollen, darunter die Behandlung mit Rosenwasser, organischen Gasen, schwefelhaltigen Lösungen und Pflanzensaft des Echten Papyrus. Die meisten führten zur schweren Beschädigung oder Zerstörung der Proben. Auch die Behandlung mit einer Mischung aus Ethanol, Glycerin und warmem Wasser, zur Lösung der Schichten, ließ die betreffenden Rollen in Hunderte von Fragmenten zerfallen.[6]

1969 begründete Marcello Gigante auf Grundlage einer bereits bestehenden Officina das Centro Internazionale per lo Studio dei Papiri Ercolanesi, um die Arbeit zu internationalisieren. Die Friends of Herculaneum Society vereinen weltweit professionelle Papyrologen sowie Amateur-Enthusiasten, die sich der Entzifferung widmen. Leichter als die in capsae gehüllten lateinischen Schriftrollen sind die offen verwahrten griechischen zu entziffern.[7]

Heute werden, vor allem durch Brent Seales von der University of Kentucky, auch Versuche unternommen, die französischen und englischen Rollen mittels Durchleuchtung und digitaler Bildgebung lesbar zu machen, während für die neapolitanischen das Ausprobieren dieser Verfahren bislang nicht gestattet wurde. Durch die Wellung der Papyri sind die gerollten Oberflächen dreidimensional, was die Entwicklung von digitalen Leseprogrammen erschwert. Das Computertomographie-Verfahren scheiterte an dem nur geringen Bleigehalt der Tinte sowie dem Kohlegehalt, der in Tinte wie Papyri vorhanden ist und daher kein unterscheidbares Schriftbild ergibt. Die von Uwe Bergmann von der Stanford University vorgeschlagenen Synchrotron-Verfahren mit Röntgenfluoreszenzanalyse und XPCT (phase-contrast tomography) nutzen hingegen den Eisengehalt der Tinte. Das Ausprobieren immer neuer Verfahren, etwa im Speicherring der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble, wird von den aufbewahrenden Bibliotheken allerdings nur mit großer Zurückhaltung gestattet und ist auch enorm aufwändig, weshalb zuletzt keine Fortschritte gemacht werden konnten.[8] Da erst ein Viertel der Villa ausgegraben wurde, besteht sogar die Hoffnung auf Entdeckung weiterer Papyri[9], allerdings werden die Grabungen derzeit aus Finanzierungsgründen nicht fortgeführt; vorhandene Mittel werden auf die Konservierung und Restaurierung der bereits ergrabenen Stätten in Pompeji konzentriert, die sich teilweise bereits im Verfall befinden.

Weitere Abbildungen

Literatur

  • Tiziano Dorandi: Herculanensische Papyri. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 5, Metzler, Stuttgart 1998, ISBN 3-476-01475-4, Sp. 398–400.
  • Tiziano Dorandi: La Villa dei Papiri a Ercolano e la sua bibliotheca. In: Classical Philology, Band 90, Heft 2, 1995, S. 168–182
  • Marcello Gigante: Philodemus in Italy. The books from Herculaneum. Univ. of Michigan Press, Ann Arbor 2002, ISBN 0-472-10569-8
  • David Sider: The library of the Villa dei Papiri at Herculaneum. J. Paul Getty Museum, Los Angeles 2005, ISBN 978-0-89236-799-3
  • Agnese Travaglione: Verkohlte Papyrus-Rollen. Die antike Bibliothek der Villa dei Papiri und ihre Entzifferung. In: Josef Mühlenbrock, Dieter Richter (Hrsg.): Verschüttet vom Vesuv. Die letzten Stunden von Herculaneum (Ausstellungskatalog). Zabern, Mainz 2006, ISBN 3-8053-3445-1
  • Kenneth Lapatin (Hrsg.): Buried by Vesuvius. The Villa dei Papiri at Herculaneum, 2019. ISBN 1-60606-592-0
  • Francesca Longo Auricchio, Giovanni Indelli, Giuliana Leone, Gianluca Del Mastro: La Villa dei Papiri. Una residenza antica e la sua biblioteca, 2020. ISBN 88-430-9894-2
  • Kilian Fleischer: Die Papyri Herkulaneums im Digitalen Zeitalter – Neue Texte durch neue Techniken. Eine Kurzeinführung. De Gruyter, Berlin 2022 (OpenAccess über doi:10.1515/9783110767711).
  • Johann Grolle: Platon aus der Asche. In: DER SPIEGEL Nr. 30 (23.7.2022), S. 93–95

Weblinks

Einzelnachweise

  1. John Seabrook: The invisible library, in The New Yorker, 8. Nov. 2015
  2. Christopher Charles Parslow: Rediscovering antiquity. Karl Weber and the excavation of Herculaneum, Pompeii and Stabiae, Cambridge University Press 1995, ISBN 0-521-47150-8, S. 100.
  3. Johann Joachim Winckelmann: Johann Winckelmanns Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen. An den Hochgebohrnen Herrn, Herrn Heinrich Reichsgrafen von Bruehl, Walther, Dresden 1762 (Digitalisat), S. 63.
  4. Abgedruckt in: Christopher Charles Parslow: Rediscovering antiquity. Karl Weber and the excavation of Herculaneum, Pompeii and Stabiae, Cambridge University Press 1995, ISBN 0-521-47150-8, S. 103.
  5. Wolfram Hoepfner: Private Bibliotheken in Pompeji und Herculaneum. In: Wolfram Hoepfner (Hrsg.): Antike Bibliotheken. Zabern, Mainz 2002, ISBN 3-8053-2846-X, S. 81–85, hier: S. 81–83.
  6. John Seabrook: The invisible library, in The New Yorker, 8. Nov. 2015
  7. John Seabrook: The invisible library
  8. John Seabrook: The invisible library
  9. Revealing letters in rolled Herculaneum papyri by X-ray phase-contrast imaging, auf: nature.com