Parasoziale Interaktion

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Unter parasozialer Interaktion wird ein besonderes (abweichendes, ersatzweise geübtes) soziales Verhalten verstanden, gekennzeichnet dadurch, dass ein Akteur (eine physische Person) mit Individuen oder Gruppen interagiert, deren Hörbereitschaft, Antwortfähigkeit oder gar Existenz völlig dahinstehen, jedoch organisatorisch oder technisch fingiert werden können, oder die als Ansprechpartner einfach unterstellt werden.

Das Phänomen ist sehr alt. Agnostisch genommen fällt auch das Gebet darunter, beziehungsweise seit der Ur- und Frühgeschichte das innere Gespräch mit Verstorbenen. Wissenssoziologisch fällt es in den Bereich der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit.

Forschungsgegenstand

Wissenschaftlich wird der Begriff parasoziale Interaktion inzwischen hauptsächlich im Bereich der Medienpsychologie verwendet. Das Forschungsinteresse konzentriert sich dabei auf Rezipienten, die über Massenmedien zu angenommenen Partnern (z. B. Stars) oder in Wirklichkeit inexistenten, also virtuellen, Akteuren (z. B. Avataren, Tulpas) Beziehungen aufbauen und mit diesen kommunizieren, als wären sie wirklich.

Die US-Psychologen Horton und Wohl[1] übertrugen im Jahr 1956 das Konzept der sozialen Interaktion auf die Mediensituation, ausgehend von der Beobachtung, dass audiovisuelle Medien durch wirklichkeitsgetreue Abbildung von Medienakteuren dem Rezipienten die Illusion eines Face-to-Face-Kontaktes (einer sog. „orthosozialen“ Kommunikation) vermitteln. Grundannahme ist dabei, dass sich sowohl der Medienakteur als auch der Rezipient ähnlich wie in einer Face-to-Face-Situation verhalten: Die Medienperson bietet dem Rezipienten durch direkte Ansprache und ein auf ihn gerichtetes Verhalten die Illusion des persönlichen Kontaktes. Der Rezipient kann auf dieses Kommunikationsangebot eingehen, indem er sich von der rein beobachtenden Position löst und aktiv auf das Angebot der Medienperson reagiert. Da auch die Medienperson ihr Auftreten der (erwarteten) Reaktion des Zuschauers anpasst, wird der Rezipient umso aktiver am medialen Geschehen teilnehmen, je stärker er diese anpassende Veränderung des Verhaltens der Medienperson wahrnimmt.[2]

Diesen Austausch von gegenseitigen Erwartungen bezeichnen Horton und Wohl als parasoziale Interaktion bzw. parasoziale Beziehung, auf deren Grundlage sich längerfristige gefühlsmäßige Bindungen entwickeln können.[3] Da parasoziale „Beziehungspartner“ sehr verlässlich und konsistent agieren, birgt ihr Verhalten auch kaum unangenehme Überraschungen für den Rezipienten.

Die Bezeichnung wird auch mit dem massenmedialen Ausbau „virtueller“ Welten in Verbindung gebracht, in denen zumal sozial Vereinzelte zunehmend ihnen sonst fehlende soziale Interaktionen suchen. Manchmal zeigen sich bei jenen Medienrezipienten individuell pathologische Verhaltensformen, bei denen die Unterscheidung zwischen realer und virtueller Kommunikation nicht mehr wahrgenommen wird. In diesen Fällen ist der Rezipient also nicht mehr in der Lage, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden, weil er die virtuelle Welt bereits als reale akzeptiert hat.

Siehe auch

Literatur

  • Baeßler, Berit, Medienpersonen als parasoziale Beziehungspartner. Ein theoretischer und empirischer Beitrag zu personazentrierter Rezeption, Nomos, Baden-Baden 2009, ISBN 978-3-8329-4603-6
  • Schweizer, K./Klein, K.-M., Medien und Emotion; in: B. Batinic/ M. Appel (Hgg.), Medienpsychologie, Springer Vlg., Heidelberg 2008, S. 149–175
  • Vorderer, Peter (Hg.): Fernsehen als „Beziehungskiste“. Parasoziale Beziehungen und Interaktionen mit TV-Personen, 1996, ISBN 3-531-12896-5

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Horton, Donald/Wohl, R. Richard (1956): Mass Communication and Para-Social Interaction. Observations On Intimacy at a Distance. In: Psychiatry 19. S. 215–229.
  2. Thallmair, Alexandra/Rössler, Patrick: Parasoziale Interaktion bei der Rezeption von Daily Talkshows. Eine Befragung von älteren Talk-Zuschauern. In: Schneiderbauer, Christian (Hg.): Daily Talkshows unter der Lupe. Wissenschaftliche Beiträge aus Forschung und Praxis. Angewandte Medienforschung Bd. 20. München: Verlag Reinhard Fischer, 2001. S. 179–207.
  3. Bente, Gary/Fromm, Bettina: Affektfernsehen. Motive, Angebotsweisen und Wirkungen. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen. Bd. 24. Opladen: Leske und Budrich, 1997. S. 44.