Parlamentspräsident
Der Parlamentspräsident, im internationalen Gebrauch Parlamentssprecher (historisch auch Landmarschall oder Landtagsmarschall) ist der Vorsitzende eines Parlamentes. Seine genaue Rolle hängt von der Ausgestaltung des Amtes im jeweiligen Land ab: Während er in manchen Ländern kaum mehr als ein Veranstaltungsleiter ist, der lediglich für die formale Korrektheit der Parlamentssitzungen zu sorgen hat, gilt in anderen Ländern dieses Amt als hohes Staatsamt, zu dem zum Teil auch entsprechende Insignien gehören. In der Regel steht dem Parlamentspräsidenten das Hausrecht über das Parlamentsgebäude zu, ihm untersteht meist auch die Verwaltung des Parlaments durch entsprechende Beamte. Seine Aufgaben werden, je nach Land, durch die Verfassung, durch Gesetze oder durch Verordnungen bzw. Geschäftsordnungen geregelt.
Deutschland
In Deutschland erfüllen der Bundestagspräsident und der Bundesratspräsident eine vergleichbare Aufgabe. In den Parlamenten der einzelnen Bundesländer gibt es außerdem die Landtagspräsidenten.
In deutschen Parlamenten (Bundestag, Landtage) stellt die stärkste Fraktion den Parlamentspräsidenten, die anderen Fraktionen die Vizepräsidenten. In der Praxis geschieht diese Verteilung jedoch nur, wenn die jeweils anderen Fraktionen sie zulassen. So wurden Kandidaten der AfD-Fraktion für das Amt eines Bundestagsvizepräsidenten seit 2017 bisher stets von der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags abgelehnt. Auch der PDS und den Grünen wurden in früheren Phasen dieser Parteien zunächst keine Vizepräsidenten gewährt.
Litauen
Litauen hat ein Eine-Kammer-Parlament (Seimas). Ein Seimas-Vorsitzender soll sein Amt neutral ausüben und hat keine Ämter oder Aufgaben in seiner eigenen Fraktion. Seit November 2020 ist Viktorija Čmilytė-Nielsen (* 1983) Vorsitzende des Seimas der Republik Litauen.
Niederlande
Die Niederlande haben mit den Generalstaaten ein Zwei-Kammer-Parlament. Beide Kammern haben einen eigenen Vorsitzenden. In seltenen Fällen kommen beide Kammern zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen: Dann ist der Vorsitzende der Ersten Kammer der Vorsitzende der gesamten Versammlung, obwohl politisch die Zweite Kammer die wichtigere ist.
Am Beginn einer Legislaturperiode fungiert der ehemalige Kammervorsitzende als Übergangsvorsitzender, bis ein neuer Vorsitzender gewählt worden ist. Ist der ehemalige Kammervorsitzende kein Kammermitglied mehr, dient sein Vorgänger oder ein ehemaliger Stellvertreter. Der neue Vorsitzende wird von den Kammermitgliedern mit Mehrheit gewählt. Gewählt ist derjenige Kandidat, der eine absolute Mehrheit auf sich vereinen kann. Eventuell sind mehrere Wahlgänge vonnöten. Häufig, aber nicht immer ist der Vorsitzende ein Mitglied der größten Kammerfunktion.
Ein Kammervorsitzender soll sein Amt neutral ausüben und hat in der Regel keine Ämter oder Aufgaben in seiner eigenen Fraktion. In den Debatten sprechen die Kammermitglieder oder auch Regierungsvertreter stets nur den Vorsitzenden an. Über andere Personen redet man nur in der dritten Person.
Österreich
Das österreichische Parlament besteht aus zwei gesetzgebenden Körperschaften: Dem Nationalrat als direkt gewählter Abgeordnetenkammer und dem Bundesrat als von den Bundesländern beschickter Länderkammer. Beide Gesetzgebungskörper haben jeweils einen eigenen Präsidenten, der in unterschiedlichen Bestellvorgängen aus der Reihe der Abgeordneten bzw. Mitglieder der jeweiligen Körperschaft bestimmt wird. Während der Präsident des Nationalrates in der Regel einmal pro Legislaturperiode von den Abgeordneten zum Nationalrat gewählt wird, wechselt das Amt des Präsidenten des Bundesrates jedes halbe Jahr zwischen den neun Bundesländern.
Wenn die beiden gesetzgebenden Körperschaften in einer gemeinsamen Sitzung zusammenkommen (etwa, um den Bundespräsidenten anzugeloben), so werden sie gemeinsam als Bundesversammlung bezeichnet. Deren Vorsitz führen abwechselnd jeweils der Präsident des Nationalrates und der Präsident des Bundesrates.
In den Ländern ist mit der Funktionsbezeichnung Parlamentspräsident jedenfalls der jeweilige Landtagspräsident gemeint.
Osttimor
Im Nationalparlament Osttimors wählen die Abgeordneten das Parlamentspräsidium (Mesa do Parlamento). Es besteht aus sechs Personen: dem Präsidenten, seinem ersten und zweiten Stellvertreter sowie dem Sekretär des Präsidiums und dessen ersten und zweiten Stellvertreter. Zur Wahl des Präsidenten werden als Vorschläge mindestens zehn und höchstens 20 Abgeordneten eingereicht. Die Wahl findet im Plenum statt und ist geheim. Der Kandidat, der die absolute Mehrheit der Stimmen der gewählten Abgeordneten erhält, wird gewählt.[1]
Der Präsident vertritt das nationale Parlament, leitet und koordiniert seine Arbeit und hat die Hoheit über das Personal des Parlaments und seine Sicherheit. Er führt den Vorsitz im Präsidium, in den Plenarsitzungen, legt die parlamentarische Tagesordnung fest, genehmigt oder lehnt Gesetzesentwürfe ab und übersendet sie an das Parlament. an die ständigen Fachausschüsse, um von der Öffentlichkeit eingereichte Petitionen entgegenzunehmen und an die ständigen Fachausschüsse weiterzuleiten. Außerdem nimmt er Petitionen an das Parlament entgegen und leitet sie an die Fachausschüsse weiter.[1]
Bei Tod, Rücktritt, dauernder Arbeitsunfähigkeit oder vorübergehender Behinderung des Staatspräsidenten vertritt der Parlamentspräsident das Staatsoberhaupt, bis zur Rückkehr des Staatspräsidenten ins Amt oder Neuwahl.[1] Als Staatspräsident José Ramos-Horta beim Attentat in Dili 2008 schwer verletzt wurde, übernahm zunächst der erste stellvertretende Parlamentspräsident Vicente da Silva Guterres die Funktionen, da der Parlamentspräsident Fernando de Araújo sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Dienstreise befand. Nach seiner Rückkehr wenige Tage später, wurde Araújo Staatsoberhaupt, bis Ramos-Horta die Amtsgeschäfte einige Monate später wieder übernehmen konnte.
Das Präsidium kann den Verlust des Mandats eines Abgeordneten erklären und ist für das Funktionieren der Unterstützungsdienste des Parlaments und der Ausschüsse verantwortlich. Der Sekretär prüft die Anwesenheit der Abgeordneten an Sitzungstagen, erteilt ihnen das Wort, prüfen die Ergebnisse von Abstimmungen und zeichnen diese auf.[1]
Russland
Die russische Staatsduma wird von einem Präsidenten (russ. Председатель Государственной Думы) geleitet, der über acht Stellvertreter verfügt. Das Amt wurde 1994 geschaffen. Die Wahl zum Parlamentspräsidenten erfolgt in einer Kampfabstimmung. Gegenwärtiger Inhaber des Amtes ist seit 2003 Boris Gryslow von der Partei Einiges Russland. Seine Vorgänger waren Iwan Rybkin (1994–1996, Agrarpartei) und Gennadi Selesnjow (1996–2003, KPRF 1996–2002, Unabhängig 2002–2003).
Schweden
An der Spitze des Schwedischen Reichstags steht der Reichstagspräsident (talman), der zusammen mit seinen drei Vertretern für die gesamte Legislaturperiode gewählt wird. Zu seinen Aufgaben zählt die Beauftragung eines Parteivorsitzenden mit der Regierungsbildung bei einem Regierungswechsel, die Entlassung von Regierungsmitgliedern nach einem Misstrauensvotum oder des Premierministers auf eigenen Wunsch, die Übernahme des Amtes des Reichsverwesers, wenn der König und sein Stellvertreter verhindert sind, und natürlich die Planung und Organisation der Arbeit des Reichstages.
Schweiz
In der Schweiz haben die beiden gleichberechtigten Parlamentskammern der Bundesversammlung, der National- und der Ständerat, je einen eigenen Präsidenten. Bei gemeinsamen Sitzungen der vereinigten Bundesversammlung führt jedoch der Nationalratspräsident den Vorsitz. Er gilt daher, trotz lediglich repräsentativer Aufgaben, im Volksmund als höchster Schweizer. Die Präsidenten werden jeweils für ein Jahr aus der Mitte des Rates gewählt. Turnusgemäss rücken die Vizepräsidenten im darauffolgenden Jahr ins Präsidentenamt nach. Es hat sich eingebürgert, dass die Präsidenten im Turnus von den vier größten Fraktionen gestellt werden. Die Präsidenten führen die Sitzungen und achten auf die Einhaltung der parlamentarischen Ordnung. Zusammen mit den Parlamentsdiensten und den Ratsbüros bereiten die Präsidenten zudem die Sitzungen vor. Ähnliche Verfahren kennen auch die Kantonsparlamente.
Vereinigtes Königreich
In Großbritannien trägt der Vorsitzende des Unterhauses (House of Commons) den Titel Speaker. Er sitzt traditionsgemäß auf einem Thron und verfügt mit dem mace, einem vergoldeten Zepter, über ein Instrument, das seine Autorität symbolisiert. Das Amt existiert in England mit seiner langen parlamentarischen Tradition seit 1258. Da der Speaker zu Neutralität verpflichtet ist, kann er als eine Art vermittelnde Instanz gesehen werden; sie trug zur Ausbildung einer parlamentarischen Diskussionskultur dadurch entscheidend bei, dass es Usus wurde, bei Debatten den politischen Gegner nicht persönlich zu attackieren, sondern dies indirekt in Form einer Rede geschah, die sich formell an den Speaker richtete. Die reale politische Macht des britischen Speakers ist allerdings vergleichsweise gering.
Vereinigte Staaten
In den USA trägt der Präsident des Repräsentantenhauses ebenfalls den Titel Speaker. Er hat das dritthöchste Amt im Staat nach Präsident und Vizepräsident inne und würde das Amt des Präsidenten für den Fall antreten, dass beide ausfallen.
In der anderen Kammer, dem Senat, liegt der Vorsitz in den Händen des Vizepräsidenten der USA, der normalerweise kein Stimmrecht in dieser Kammer hat, außer im Falle eines Gleichstandes; dann ist seine Stimme maßgebend. Da in der Vergangenheit Demokraten und Republikaner zum Teil tatsächlich gleich viel Senatoren stellten, kam dem Vizepräsidenten hier also die Rolle des Züngleins an der Waage zu. Da der Vizepräsident bei Weitem nicht jede Tagung leitet, steht ihm ein Präsident pro tempore (Senatspräsident auf Zeit) zur Seite.
In den Bundesstaaten mit Zweikammerparlamenten haben die jeweiligen Repräsentantenhäuser (oder Assembly genannt) ebenfalls einen Speaker, während der Vorsitz der Senate häufig durch den jeweils amtierenden Vizegouverneur ausgeübt wird. Auch ihm steht ein Präsident pro tempore zur Seite.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Parlament Osttimors: Órgãos e suas Funções, abgerufen am 2. Dezember 2019.