Paul Goodman

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Paul Goodman (* 9. September 1911 in New York; † 2. August 1972 in North Stratford, New Hampshire) war ein US-amerikanischer Autor, Dramatiker, Dichter, Literaturkritiker und Psychotherapeut. Bekanntheit erlangte er als Sozialkritiker und Mitbegründer der Gestalttherapie.

Leben und Werdegang

Paul Goodman wurde geboren als viertes Kind jüdischer Eltern. Der Vater verließ die Familie vor seiner Geburt, so dass die Mutter als Handelsreisende arbeiten musste, um die Familie zu ernähren. Aus diesem Grund wurde Goodman als Kind großteils von seinen Tanten und seiner älteren Schwester betreut.[1] Er besuchte die Hebräische Schule und schloss 1927 die High School als Jahrgangsbester ab.[2] Goodman begann dann am City College of New York ein Studium der Philosophie, welches er im Jahre 1931 abschloss.[1] Nach dem Studium schrieb er Gedichte, Theaterstücke und Kurzgeschichten. Nebenbei besuchte er Lehrveranstaltungen an der Columbia University.

Im Jahre 1936 begann Goodman ein Postgraduales Studium der Literatur und Philosophie an der University of Chicago. Er arbeitete während dieser Zeit als Forschungsassistent und Teilzeitlehrer. Im Jahre 1938 heiratete Goodman seine erste Frau Virginia. Aus der Ehe, die im Jahre 1943 beendet wurde, ging seine Tochter Susan (* 1939) hervor. Im Jahre 1940 verlor Goodman seine Anstellung bei der University of Chicago, weil er offen homosexuelle Affären mit Studenten hatte und er kehrte zurück nach New York. Es folgten erste Veröffentlichungen, wie seine Novelle The Grand Piano, welche später der erste Teil der Reihe The Empire City war.[1] In den Jahren 1943 und 1944 war Goodman Lehrer an einer fortschrittlichen Internatsschule, wo er wegen Homosexuellen Verhaltens entlassen wurde. Vom Militärdienst im Zweiten Weltkrieg wurde er zurückgestellt. In dieser Zeit schrieb Goodman Artikel für libertäre Zeitungen und Journale. 1945 veröffentlichte er The Facts of Live, ein Buch mit Kurzgeschichten. Im selben Jahr heiratete er seine zweite Frau Sally. Sein Sohn Matthew wurde 1946 geboren.[3]

Im Jahre 1946 veröffentlichte Goodman die Novelle The State of Nature, welche später der zweite Teil der Reihe The Empire City wurde. Im Jahr darauf veröffentlichte er Communitas, ein Buch über Stadtplanung, welches er zusammen mit seinem Bruder Percival Goodman geschrieben hatte. Außerdem veröffentlichte er in dem Jahr das Buch Kafkas Prayer. Die Jahre 1948 und 1949 verbrachte er schreibend in New York und veröffentlichte das Buch The Break-Up of Our Camp, in welchem er in Kurzgeschichten seine Erfahrungen in Sommercamps verarbeitete. Weitere Veröffentlichungen waren im Jahre 1950 die Novelle The Dead of Spring, später Teil Drei der Reihe The Empire City, und 1951 die Novelle Parents Day.

Nachdem Goodman bereits Mitte der 1940er Jahre Erfahrungen mit der Psychoanalyse gesammelt hatte, vertiefte er diese Anfang der 1950er Jahre. Im Jahre 1951 veröffentlichte er, zusammen mit Fritz Perls und Ralph F. Hefferline, das Buch Gestalt Therapy. Eine Anstellung am Black Mountain College wurde ihm gekündigt, wiederum wegen sexuellen Fehlverhaltens.[3] So kehrte er 1951 wieder zurück nach New York, um zu schreiben und sich seinen therapeutischen Studien zu widmen. Im Jahre 1954 schloss Goodman seine Dissertation an der University of Chicago ab, die unter dem Titel The Structure of Literature veröffentlicht wurde. In dieser Zeit veröffentlichte er auch weiterhin Artikel in verschiedenen Journalen. Die anarcho-pazifistische und postdramatische Theatergruppe The Living Theatre begann Theaterstücke von Goodman aufzuführen und eine umfassende Ausgabe seiner mehrteiligen Novelle The Empire City wurde 1959 veröffentlicht.[3]

Größere Bekanntheit erlangte Goodman mit seinem 1960 erschienenen sozialkritischen Buch Growing Up Absurd. Eine Phase relativen Wohlstands setzte ein und es eröffneten sich akademische Möglichkeiten, die zu Lehraufträgen an verschiedenen akademischen Institutionen führten. Unter anderem lehrte er am Sarah Lawrence College und veröffentlichte Our Visit to Niagara, eine Sammlung von Kurzgeschichten. Er kaufte sich eine Farm in North Stratford, New Hampshire, welche sein zweites Zuhause wurde.[3] In dieser Zeit veröffentlichte Goodman verschiedene sozial- und literaturkritische Schriften. Im Jahre 1962 stellte er The Community of Scholars fertig, eine Kritik der akademischen Lehre. Außerdem veröffentlichte er Sammelausgaben seiner Gedichte und Artikel. Im Jahre 1963 wurde Goodmans Tochter Daisy geboren und er wurde Fellow des Institute for Policy Studies. Im selben Jahr erschien die autobiographische Novelle Making Do, gefolgt von Compulsory Mis-education 1964 und People or Personnel 1965. Außerdem nahm Goodman an den Friedensprotesten der 1960er Jahre teil und wurde 1966 von Studenten an das San Francisco State College eingeladen, um dort zu lehren.[4]

Goodman hatte weitere Lehraufträge in London und an der University of Hawaiʻi at Mānoa. Er produzierte eine Reihe kritischer Sendungen in Kanada, veröffentlichte weitere Kurzgeschichten und den Gedichtband Hawkweed. Der Tod seines Sohnes Mathew, im Jahre 1967, stürzte Goodman in tiefe Depressionen. Anfang der 1970er Jahre schrieb Goodman New Reformation, Speaking and Language und Little Prayers & Finite Experience. Aufgrund einer Herzerkrankung verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und am 2. August 1972 verstarb er in New Hampshire. Das Werk Little Prayers und eine Sammlung seiner Gedichte wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht.[4]

Ansichten über Sexualität

Die Offenheit, mit der Goodman über sein bisexuelles Leben und seine Liebschaften schrieb und sprach (insbesondere in seinem Essay The Politics of Being Queer (1969)), erwies sich als einer der wichtigsten kulturellen Sprungbretter für die sich in den frühen 1970er Jahren entwickelnde schwule Befreiungsbewegung. Seine eigenen Ansichten liefen jedoch der modernen Konstruktion der Homosexualität zuwider. Er war der Meinung, dass beides krank sei: nicht mit einer Person des anderen Geschlechts sexuell zu verkehren und keine homosexuellen Freuden zu kennen.

Weiterhin war er der Ansicht, dass sexuelle Beziehungen zwischen Männern und Knaben natürlich und gesund seien und die Grundlage für eine langandauernde Freundschaft sein könne. Goodman bedauerte, dass die heutige (1971) Jugend nicht mehr die "großzügige Haltung" gegenüber den sexuellen Wünschen Älterer habe, die er als Jugendlicher hatte.[5] In Bezug auf seine eigenen sexuellen Beziehungen mit Knaben, die die Öffentlichkeit verdamme, stellte er fest, dass das eigentlich Obszöne sei, dass die Gesellschaft einen wie einen Kriminellen Scham fühlen lasse für etwas, was menschliche Wesen wirklich brauchten.

Die Probleme der modernen Erziehung diagnostizierend – die Lähmung der Energie der Schüler und die Abtötung ihrer Neugier und Kreativität – unterstrich er, dass eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung unvermeidlich auch sexuelle Aspekte habe und dass ein Eingestehen und geeignete Kanalisierung der daraus entstehenden Spannungen zu einem besseren Erziehungssystem führen würde. In einem Interview sagt er 1971 diesbezüglich: "Der Aspekt des Verliebtseins zwischen Schülern und Lehrern scheint mir ein wichtiger für die pädagogische Beziehung im allgemeinen zu sein."[5]

Pornography, Art, and Censorship (1961)

Mit seinem Essay Pornography, Art, and Censorship hat Goodman 1961 ein Plädoyer für einen zeitgemäßen, realitätsnahen, sachlichen und insgesamt liberalen Umgang mit Pornografie vorgelegt. Er charakterisiert die zeitgenössische amerikanische Gesellschaft darin als sexuell repressiv; sie biete einerseits allgegenwärtige sexuelle Stimulation, schränke andererseits aber die Triebabfuhr über Gebühr ein. Pornografie erscheint Goodman in diesem Zusammenhang dann nützlich und sogar therapeutisch, wenn sie für die Individuen die sexuelle Befriedigung erhöhe. Allerdings beklagt er die geringe Qualität von Pornografie, die seiner Auffassung nach der Grund dafür ist, dass viele Verbraucher, um ausreichende Befriedigung zu finden, einen Dauerkonsum praktizieren. Von der harmlosen Pornografie unterscheidet er dann eine schädliche Pornografie. Bei dieser unterscheidet er zwei Typen:[6]

  • a) Darstellungen von isolierter Lust, ohne einen Kontext von zwischenmenschlicher emotionaler Nähe, von Drama oder von Bedeutung;
  • b) Darstellungen von sadomasochistischer Sexualität.

Beides hält Goodman für Pathologien, wie nur eine sexualfeindliche Gesellschaft sie hervorbringen könne, die ihre Mitglieder mit Schuld- und Schamgefühlen knebelt.[6]

Zentraler Adressat seiner Kritik ist die amerikanische Justiz, die mit ihrer Rechtsprechung nach Goodmans Auffassung die mit Pornografie verbundenen Probleme nicht nur nicht löse, sondern im Gegenteil (indem sie das Pornografieproblem gleichzeitig klein- und großrede) aktiv zur Verschärfung des sexualfeindlichen gesellschaftlichen Klimas beitrage und die Pornografie in die illegalen Märkte treibe, wo sie der – überaus notwendigen – gesellschaftlichen Kontrolle praktisch vollständig entzogen sei.[6]

Lady Chatterley’s Lover, Buchdeckel der amerikanischen Ausgabe von 1959

Der konkrete Anlass, vor dessen Hintergrund Goodman seinen Essay geschrieben hatte, war ein 1959 in den USA erfolgtes Gerichtsurteil über D. H. Lawrences Roman Lady Chatterley’s Lover gewesen.[7] Obwohl es hier zu einer „liberalen“ Entscheidung gekommen war, in deren Folge das Buch für den amerikanischen Markt zugelassen werden konnte, bedauerte Goodman, dass der Richter, Frederick van Pelt Bryan, das Werk aus den falschen Gründen vor der Zensur bewahrt und damit die Chance vertan hatte, die Pornografie-Rechtsprechung auf die Höhe der Zeit zu bringen. Erwartet hätte Goodman von einem modernen Richter, dass dieser einfach die Unschädlichkeit eines pornografischen Werkes aufweist. Stattdessen hatte Richter Bryan – in Anlehnung an zwei frühere Gerichtsentscheidungen (United States v. One Book Called Ulysses, 1933; Roth v. United States, 1957) – argumentiert, dass der Roman ein ernsthaftes literarisches Werk sei und nicht primär darauf ziele, die Leser sexuell zu erregen, und darüber hinaus auch deshalb nicht obszön sei, weil das im Roman dargestellte sexuelle Thema die Leser in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gar nicht mehr aufrege. Goodman, der den Begriff des „Obszönen“ aus dem Diskurs um Werke wie Lady Chatterley insgesamt verbannen möchte, sieht hier eine tragische Ironie am Werk, denn Lawrence hatte Lady Chatterley 1928 nicht nur in – nach eigenem Bekunden – „phallischer Sprache“, sondern auch in der erklärten Absicht geschrieben, die Konventionen herauszufordern.[6][8]

Statt die Unschädlichkeit von Pornografie aufzuweisen, hatte Richter Bryan Lawrences Roman verteidigt, indem er dessen pornografischen Charakter abstritt. Wie Goodman in seinem Essay ausführt, war dies keine Willkür, sondern hatte strikt juristische Gründe gehabt. Bryans juristische Strategie hatte darin bestanden, die drohende Zensur durch Inanspruchnahme des 1. Verfassungszusatzes abzuwehren: Als Publikation des Autors Lawrence, der mit diesem Werk nicht etwa nicht Leser sexuell erregen, sondern Meinungen und Ideen mitteilen wolle, sei Lady Chatterley in den USA durch die Rede- und Pressefreiheit geschützt. Goodman wendet dagegen ein, dass die Kunst hier grob missverstanden werde. Die Urheber der Verfassung hätten beim 1. Zusatzartikel keineswegs Kunstwerke im Sinn gehabt. Kunst sei weitaus mehr als die Darlegung von Meinungen und Ideen: Sie spreche ihr Publikum stets auch emotional an und wolle es stets bewegen; die Toleranz für die Freiheit des Wortes werde durch solche Gefühlsappelle strukturell immer wieder herausfordert. Beim gesellschaftlichen Umgang mit Pornografie sieht Goodman schwerwiegende innere Widersprüche. So habe die etablierte Kulturkritik zwar kein Problem mit Pornografie, wenn diese in Werken enthalten ist, die – aus welchen Gründen auch immer – in den Kanon der Hochliteratur (Aristophanes, Boccaccio, Rabelais usw.) aufgenommen wurden, wehre Pornografisches aber an jedem anderen Ort ab. Ebenso widerspruchsbeladen und unverständlich erscheint es Goodman, dass die Kunst ihr Publikum wohl zu Tränen, Gelächter, Empörung, Mitleid, ja so gar zum Hass, nicht aber zu einer Erektion bewegen dürfe.[6]

Goodmans Essay wurde später unter anderem von Susan Sontag (Die pornographische Phantasie, 1967) rezipiert.

Schriften (Auswahl)

  • Aufwachsen im Widerspruch: Über die Entfremdung der Jugend in der verwalteten Welt. Verlag Darmstädter Blätter, Darmstadt 1971, ISBN 3-87139-011-9.
  • Das Verhängnis der Schule. Athenäum-Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1975, ISBN 3-8072-3019-X (englisch: Compulsory mis-education. Übersetzt von Stefan Blankertz).
  • Anarchistisches Manifest. Büchse der Pandora, Telgte-Westbevern 1977, ISBN 3-88178-007-6.
  • Taylor Stoehr (Hrsg.): Natur heilt – psychologische Essays. Edition Humanistische Psychologie, Köln 1989, ISBN 3-926176-17-2.
  • Stossgebete und anderes über mich. Edition Humanistische Psychologie, Köln 1992, ISBN 3-926176-37-7.
  • Communitas – Lebensformen und Lebensmöglichkeiten menschlicher Gemeinschaften. Edition Humanistische Psychologie, Köln 1994, ISBN 3-926176-59-8.

Literatur

  • Stefan Blankertz: Kritischer Pragmatismus: zur Soziologie Paul Goodmans. Büchse der Pandora, Wetzlar 1983, ISBN 3-88178-054-8.
  • Peter Parisi (Hrsg.): Artist of the actual. Essays on Paul Goodman. Scarecrow Press, Metuchen, N.J. u. a. 1986, ISBN 0-8108-1843-4.
  • Kingsley Widmer: Paul Goodman. Twayne Publishers, Boston 1980, ISBN 0-8057-7292-8 (englisch).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c Widmer: Paul Goodman. S. 13.
  2. Leonard Rogoff In: Shatzky / Taub: Contemporary Jewish-American Novelists. S. 128.
  3. a b c d Widmer: Paul Goodman. S. 14.
  4. a b Widmer: Paul Goodman. S. 15.
  5. a b Paul Goodman: Gedanken eines Steinzeitkonservativen. In: Gestalt-Kritik. 2-2003. (Interview von Robert W. Glasgow im Jahre 1971 mit Paul Goodman. Zuerst erschienen in der amerikanischen Zeitschrift Psychology Today, November 1971, Vol. 5, No. 6.) (online auf: gestalt.de) Stand 26. Mai 2010)
  6. a b c d e Paul Goodman: Pornography, Art, and Censorship. In: Commentary. März 1961 (Online).
  7. The Cambridge Edition of the Works of D. H. Lawrence. Lady Chatterley’s Lover and A Propos of “Lady Chatterley’s Lover”. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 0-521-00717-8, S. xxxviiif.; Lady Chatterley’s Lover. Penguin; Lady Chatterley Trial 50 Years On. In: The Telegraph, 16. Oktober 2010; Lady Chatterley's Lover obscenity trial ends. This Day in History; Deutscher Chatterley-Prozeß? In: Die Zeit, Nr. 7/1961; Der Prozess um Lady Chatterley. Nightlounge Liebe Lesen.
  8. The 'forceful essayist' side of D H Lawrence. Abgerufen am 27. Mai 2021.