Peter Ullrich

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Peter Ullrich (* 23. August 1976 in Naumburg (Saale))[1] ist ein deutscher Soziologe und Kulturwissenschaftler.

Leben

Nach einem Studium der Kulturwissenschaften, Soziologie und Germanistik (Abschluss Magister Artium), Aufbaustudien in Philosophie, Logik- und Wissenschaftstheorie sowie einem Promotionsstudium zum Thema „Transnationalisierung und Regionalisierung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ in Leipzig wurde Peter Ullrich 2007 an der Freien Universität Berlin zum Dr. phil. promoviert (Thema: Der Nahostkonflikt und die Linke in Großbritannien und der BRD). Danach arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Universitätsklinikum der Universität Leipzig, wo er 2011 erneut promovierte (Dr. rer. med., Thema: Alte Psychoanalytiker/innen[2]) und als Postdoc-Researcher am Deutschen Jugendinstitut in Halle. Nach einer Zeit als Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung wechselte er an die Technische Universität Berlin. An dieser ist er Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft und Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung. Am Zentrum Technik und Gesellschaft leitete er bis Mai 2020 den Forschungsbereich „Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte“.[3] Er ist außerdem Teil des „Instituts für Protest- und Bewegungsforschung“.[4]

Ullrich forscht vor allem über Protest und soziale Bewegungen, Polizei und Überwachung (insbesondere Videoüberwachung) sowie Antisemitismus und Antisemitismusdiskurse, Antizionismus und Erinnerungspolitik. Im Sinne einer Public Sociology beteiligt sich Ullrich immer wieder an öffentlichen und politischen Diskussionen.

Öffentliches Wirken und wissenschaftliche Kontroversen

Antisemitismus und Antisemitismusdebatten

Im Streit um Antisemitismusvorwürfe gegen die Partei „Die Linke“ im Jahre 2011 nahm er die Partei gegen Vorwürfe in Schutz. Generell kritisiert aber auch er Teile der politischen Linken für ihren Antisemitismus, andere für ihren Philosemitismus und ihre Israelsolidarität sowie rassistische Tendenzen.[5]

Seine gemeinsam mit Michael Kohlstruck am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) verfasste Studie „Antisemitismus als Problem und Symbol“ über verschiedenartige und konkurrierende Deutungen von Antisemitismus führte im Jahr 2015 zu einer Kontroverse. Das Berliner American Jewish Committee sah in der Studie einen aus seiner Sicht unzutreffenden Vorwurf, nach dem „jüdische und zivilgesellschaftliche Organisationen antisemitische Vorfälle übertrieben und instrumentalisierten“.[6] Die beiden Autoren, der Projektleiter Werner Bergmann, und die Leiterin des ZfA, Stefanie Schüler-Springorum, wiesen dies als politisch motiviert zurück. Das AJC habe den Kern der Analyse verkannt. Die Studie beinhalte keine Vorwürfe, sondern sei eine wissenschaftliche Darstellung der verschiedenen Positionen der Debatte und ihrer jeweiligen Hintergründe, also eine soziologische „Beobachtung der Beobachter“.[7] Ullrich und Kohlstruck nahmen die Kontroverse wiederum zum Anlass für eine Analyse der „Muster der öffentlichen Kommunikation über Antisemitismus“ in der Zeitschrift conflict & communication online.[8]

Soziale Bewegungen und Polizei

Ullrich forscht über polizeilichen Umgang mit Protesten, insbesondere Videoüberwachung von Demonstrierenden und deren Gegenreaktionen.[9] Er ist Sprecher des Arbeitskreises „Soziale Bewegungen und Polizei“[10].

Im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg 2017 kritisierte Ullrich die Hamburger Polizei und die Haltung des Innensenators Andy Grote (SPD), der sagte, sich im Zweifel auch über politische Entscheidungen hinweg zu setzen. Er sah darin einen Freibrief für die Polizei Hamburg, denn Grote habe deutlich gemacht, die Behörde könne machen, was sie wolle. Laut Ullrich sei dieses Vorgehen bei sozialen Konflikten oft zu beobachten. „Die Polizei wird vorgeschoben - und aus dem eigentlichen Konflikt zwischen Protestierenden und Politik wird ein Konflikt zwischen Protestierenden und Polizei.“ Somit sei die Politik aus der Schusslinie. Durch solch massiven Polizeieinsätze wie in Hamburg käme es auch zu einer Polarisierung in der Gesellschaft insgesamt. „Ein Teil der Menschen kritisiere die Polizei massiv, während Personen aus dem konservativ-ordnungspolitischen Milieu eine noch härtere Gangart einforderten“, sagte er gegenüber der ARD. Dieses Dilemma versuche die Polizei Hamburg und die Hamburger Politik auf Kosten der Demonstranten aufzulösen – indem sie mit aller Härte durchgreife. „Abwägungen finden gar nicht mehr statt, da ist jedes Maß verlorengegangen.“ Ullrich bezeichnete dies als eine „höchst problematische Situation“. Die Polizei sei eigentlich durch Gesetz und Gerichtsurteile verpflichtet, sich „versammlungsfreundlich“ zu verhalten.[11]

Wie andere Protest- und Polizeiforscher[12] fordert auch Ullrich eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle.[13]

Schriften (Auswahl)

Monografien

  • Gegner der Globalisierung? Protest-Mobilisierung zum G8-Gipfel in Genua, Hochschulschriften Bd. 6, Leipzig/Schkeuditz: GNN, 2003.
  • Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt, Berlin: AphorismA, 2007
  • Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland, Berlin: Dietz, 2008.[14]
  • Königsweg der Befreiung oder Sackgasse der Geschichte? BDS | Boykott, Desinvestition und Sanktionen. Annäherungen an eine aktuelle Debatte. AphorismA Verlagsbuchhandlung, Berlin 2011, Reihe: Kleine Texte, Nr. 38 (zus. mit Kathrin Vogler und Martin Forberg).
  • Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Bonn: Dietz, 2012 (von Decker, Oliver; Kiess, Johannes; Brähler, Elmar, unter Mitarbeit von Benjamin Schilling und Peter Ullrich).[15]
  • Linke, Nahostkonflikt, Antisemitismus. Wegweiser durch eine Debatte. Eine kommentierte Bibliografie, Reihe „Analysen“, Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2012.[16]
  • Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs, Göttingen: Wallstein, 2013[17].
  • Antisemitismus als Problem und Symbol. Phänomene und Interventionen in Berlin, Berlin: Landeskommission Berlin gegen Gewalt, 2015 (zus. mit Michael Kohlstruck)[18].

Herausgeberschaften

  • Europa – Transnationale Normierung und nationales Beharren (hrsg. zus. mit Thomas Kachel), Berlin: Dietz, 2005.
  • Kritik mit Methode? Forschungsmethoden und Gesellschaftskritik (hrsg. zus. mit Freikamp, Ulrike; Leanza, Matthias; Mende, Janne; Müller, Stefan; Voß, Heinz-Jürgen), Berlin: Dietz 2008.
  • Kontrollverluste. Interventionen gegen Überwachung (hrsg. von Leipziger Kamera), Münster: Unrast Verlag, 2009
  • Prevent and Tame. Protest under (Self-)Control (hrsg. zus. mit Florian Heßdörfer und Andrea Pabst), Berlin: Dietz, 2010.
  • Conceptualising Culture in Social Movement Research (hrsg. zus. mit Britta Baumgarten und Priska Daphi), Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2014.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Alte Psychoanalytiker/-innen. Berufstätigkeit und Berufsausstieg von Therapeut/-innen im Alter. Quantitative und qualitative Zugänge. 2011, abgerufen am 27. September 2022.
  2. Ullrich, Peter 2011: Alte Psychoanalytiker/-innen. Berufsausstieg und Berufstätigkeit von Therapeut/-innen im Alter. Quantitative und qualitative Zugänge, Univ. Leipzig, Diss., https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-74797
  3. Archivierte Kopie (Memento vom 21. Februar 2014 im Internet Archive)
  4. http://protestinstitut.eu/team/
  5. Ullrich, Peter 2010: Der Nahostkonflikt – Spielfeld für einen neuen Antisemitismus von links? Ein internationaler Diskursvergleich. In: Hawel, Marcus; Blanke, Moritz (Hrsg.): Der Nahostkonflikt. Befindlichkeiten der deutschen Linken. Berlin: Dietz, S. 67–80; „Interview: Linker Antisemitismus?“, Telepolis, 11. Juni 2011, Ullrich, Peter 2012: Debatten der deutschen Linken um den Nahostkonflikt – diskursive Grauzonen und die Fallstricke der Solidarität, Ein Gespräch mit Peter Ullrich, geführt von Peter Nowak, Globkult Magazin, 31. Mai 2012, http://www.globkult.de/politik/deutschland/747-debatten-der-deutschen-linken-um-den-nahost-konflikt-diskursive-grauzonen-und-die-fallstricke-der-solidaritaet
  6. AJC weist Vorwürfe von Antisemitismusforschern zurück | American Jewish Committee Berlin Office. Abgerufen am 19. Oktober 2017.
  7. Michael Kohlstruck, Peter Ullrich, Werner Bergmann, Stefanie Schüler-Springorum: Stellungnahme zur Kritik des AJC an der Studie „Antisemitismus als Problem und Symbol. Phänomene und Interventionen in Berlin“. (PDF) 12. Februar 2015, abgerufen am 19. Oktober 2017.
  8. Ullrich, Peter, Kohlstruck, Michael: Muster der öffentlichen Kommunikation über Antisemitismus. Das Beispiel der Rezeption der Studie „Antisemitismus als Problem und Symbol“. Band 16, Nr. 1, 2017, doi:10.14279/depositonce-5896 (regener-online.de [PDF; abgerufen am 19. Oktober 2017]).
  9. Zentrum Technik und Gesellschaft: Videoüberwachung von Versammlungen und Demonstrationen. Praxis und Wissensformen von Polizei und Protestierenden (ViDemo). Abgerufen am 19. Oktober 2017.
  10. AK Soziale Bewegungen und Polizei – Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Abgerufen am 19. Oktober 2017.
  11. tagesschau.de: G20: „Die Polizei ist in einem Dilemma“. Abgerufen am 18. Juli 2017.
  12. #NoG20: Eskalation mit Ansage. Das ipb in den Medien – Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Abgerufen am 19. Oktober 2017.
  13. G20 – warum eskalierte der Gipfel? Interview mit ipb-Forscher Peter Ullrich – Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Abgerufen am 19. Oktober 2017.
  14. http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Publ-Texte/Texte_48.pdf
  15. Archivierte Kopie (Memento vom 6. Juni 2014 im Internet Archive)
  16. http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Analysen/Analyse_Linke-u-Nahostkonflikt.pdf
  17. Peter Ullrich: Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt: Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs. Wallstein, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8353-2467-1 (ssoar.info [abgerufen am 19. Oktober 2017]).
  18. Michael Kohlstruck, Peter Ullrich: Antisemitismus als Problem und Symbol: Phänomene und Interventionen in Berlin (= Berliner Forum Gewaltprävention. Nr. 52). 2. Auflage. Berlin 2015 (tu-berlin.de [PDF; abgerufen am 19. Oktober 2017]).