Pfahlbau

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Rekonstruktion der Pfahlbauten im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen am Bodensee
Hotel in Pfahlbauweise auf den Philippinen

Pfahlbauten (auch Stelzenbauten oder Seeufersiedlung[1]englisch Stilt house genannt) sind Holzbauten auf Pfählen an Flüssen, an oder in Seen, in Sümpfen oder am Meer.

Pfahlbauten sind aus vorgeschichtlicher Zeit vom 5. bis zum 1. Jahrtausend v. Chr. in Europa dokumentiert, insbesondere im alpinen Raum.[2] Auch in Frankreich, Slowenien, Schottland, Litauen oder Lettland lassen sich inzwischen Pfahlbauten an den Rändern von Seen nachweisen. Historische Pfahlbauten in der Poebene in Italien heißen Terramaren. Heute sind Pfahlbauten an den Küsten in Südostasien verbreitet.

Prähistorische Pfahlbauten

Abgrenzung zu Feuchtbodensiedlungen

Ein Teil der prähistorischen Pfahlbauten stand lediglich auf feuchtem Grund am Ufer von Seen und wird daher heute Feuchtbodensiedlung genannt. Sie waren nur durch einen späteren Seespiegelanstieg unter die Wasserlinie geraten und zunächst irrtümlich für echte Pfahlbauten (im Wasser stehend) gehalten worden. Mit fortschreitender Ausgrabungstätigkeit an den zirkumalpinen Seen wurden aber immer mehr echte Pfahlbauten, die nur saisonal bei Niederwasserständen trocken fielen, gefunden. Pfahlbausiedlungen und Pfahlbauten sind nach den neuesten Untersuchungen[3] wieder als Begriffe akzeptiert. Damit ist der langandauernde „Pfahlbaustreit“ um die Lage dieser Siedlungen beendet.

Gründe für die Pfahlbauweise

Pfahlbauten dienten unter anderem der Absicherung gegen Hochwasser, Raubtiere und feindliche Stämme (Nachbarn).

Bauweise

An seichten Stellen rammte man Pfähle ein, die aus ganzen oder gespaltenen Stämmen bestanden und die typischerweise zwei zu zwei angeordnet waren. Die Pfähle waren meist nicht stärker als 15 Zentimeter, die Länge betrug je nach Höhe des Wasserstandes meist zwischen drei und fünf Meter. Oft wurden am Fuß der Pfähle schwere Steine versenkt, die für mehr Stabilität gegen Wellenschlag sorgen sollten. Die Häuser selbst waren ebenfalls aus Pfahlwerk geschaffen, von außen mit einer Lehmschicht verkleidet und mit Stroh, Rinden und Reisig bedeckt. Mit der Standortwahl am Seeufer haben sich die «Pfahlbauer» vor 6300 bis 2800 Jahren einen namhaften Platz in der Geschichte gesichert. Dank ausgezeichneten Erhaltungsbedingungen im feuchten Milieu der Moore und Seekreideschichten erlauben Dorfruinen und Siedlungsmaterial einzigartige Einblicke in den jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Alltag früher Bauern und Handwerker und geben ihnen internationale Bedeutung. Unter Luftabschluss haben sich in feuchten Sedimenten auch organische Materialien wie Nahrungsmittel und Speisereste gut erhalten, ebenso textile Werkstoffe und Bauteile vom Ständer über Flechtwerk bis zur Dachbedeckung. Dendrochronologische Analysen erlauben eine jahrgenaue Datierung der Bauhölzer und die Bau- und Erneuerungsphasen der Uferdörfer. Je länger je mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Bauweise immer mit, selten aber auf Pfählen beruhte und dass Pfahlbaudörfer von der romantischen Seeplattform zum ebenerdigen Uferdorf am Strand mutierten. Die neuere Forschung geht davon aus, dass derartige Bauten nicht nur im Uferbereich von Seen (also an offenen Gewässern) existierten, sondern auch in sumpfigem Gelände.[4]

Geschichte

Siedlungen in Pfahlbauweise lassen sich bis in das Neolithikum (Jungsteinzeit) zurückverfolgen. Meist fördern die Grabungsarbeiten zahlreiche Alltagsgegenstände der jeweiligen Kultur zutage. Pfahlbauten sind auch aus der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit bekannt, beispielsweise bei La Tène oder auf Gotland. Die Größe solcher Siedlungen variierte stark. Sie können bis 60.000 Quadratmeter bedecken.

Erste archäologische Funde

Die ersten derartigen Bauten entdeckte man im Winter 1853/54 am Zürichsee, der seinerzeit einen ungewöhnlich niedrigen Wasserstand hatte. Deshalb wollte man dem Gewässer eine größere Landfläche abgewinnen und zog Mauern und Dämme. Als die Arbeiter den Seegrund zum Füllen der neu gewonnenen Flächen abtrugen, stießen sie auf eine dunkle Schicht mit regelmäßigen Pfahlreihen und Überresten einer menschlichen Kultur. Der Schweizer Altertumsforscher Ferdinand Keller interpretierte sie als Reste von Siedlungen und prägte den Begriff Pfahlbauten. Diese Entdeckungen lösten europaweit ein großes Interesse an den Pfahlbauten sowie ihren Bewohnern aus, die in der Folge romantisch verklärt Eingang in die Kunst und Populärwissenschaft fand und heute als Pfahlbauromantik bezeichnet wird.[5]

Konservierung von Pfahlbaufunden

Taucharchäologe Joachim Köninger, der die Auskartierung der Pfahlfelder in Vorbereitung des Unesco-Antrags leitete, stellte im März 2009 in Uhldingen neue Ergebnisse der Unterwasserarchäologie im Bereich der Konservierung der Eichenpfähle vor. Der größte Feind der Pfähle ist die Erosion, zwischen 1989 und 2004 hat sie bis zu 35 Zentimeter betragen. Derzeit testet man dort, ob man diese durch Kiesauflagen aufhalten kann.[6] Wenn die starke Erosion nicht gestoppt wird, könnten nach Aussage von Schlichtherle in den nächsten zwei Jahrzehnten 80 der rund 100 Pfahlbausiedlungen am Bodensee verschwinden. Eine weitere Gefahr sind die Seeschwankungen. Die extreme Trockenperiode im Winter lege die Reste der Pfahlbauten in den Flachwasserzonen trocken. Solche außergewöhnlichen Wetterlagen und Klimasituationen wird es künftig öfter geben, sind sich Wissenschaftler einig.[7]

Pfahlbaumuseen

Deutschland

  • Das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen ist das älteste europäische Pfahlbaumuseum. Am und auf dem Wasser des Bodensees wurden Ufersiedlungen aus verschiedenen Epochen rekonstruiert. Die ersten beiden Häuser des Freilichtmuseums wurden 1922 erbaut. In der Zwischenzeit entstanden 21 weitere Rekonstruktionen. 2007 entstanden drei weitere Steinzeithäuser am Ufer, die originalgetreu für die Fernsehdokumentation Steinzeit – Das Experiment. Leben wie vor 5000 Jahren der ARD/SWR nachgebaut wurden. Dem Museum ist ein Museum mit Originalfunden und ein Forschungsinstitut angegliedert.
  • In Bad Buchau (Baden-Württemberg) gibt es das Federseemuseum und den ArchäoPark Federsee.

Österreich

  • am Attersee werden vom Verein Pfahlbau am Attersee jährlich mehr als 50 „Zeitreisen zu den Pfahlbauern“ angeboten.
  • In der 9 km vom Attersee entfernt gelegenen Stadt Vöcklabruck befindet sich im Heimathaus Vöcklabruck die größte Pfahlbausammlung Österreichs.
  • In Mondsee befindet sich das österreichische Pfahlbaumuseum.
  • In der Nähe des Ortsteils Kammer von Attersee, Oberösterreich, wurde 1910 ein Pfahlbaudorf errichtet. Es war eines der ersten Freilichtmuseen in Europa. 1922 wurde es für den Film „Sterbende Völker“ als Filmkulisse abgebrannt.

Schweiz

Italien

UNESCO-Weltkulturerbe

Am 27. Juni 2011 wurden 111 prähistorische Pfahlbausiedlungen in der Schweiz, in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Slowenien unter der Bezeichnung Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.[10] Die meisten der in das Weltkulturerbe aufgenommenen Fundplätze (56) liegen in der Schweiz.[11] Aus Baden-Württemberg wurden 15 Pfahlbausiedlungen eingetragen und aus Bayern erhielten drei Fundplätze den Welterbe-Status.

Pfahlbauten in heutiger Zeit

Datei:Na Luang village(5).jpg
Wohnhäuser im ländlichen Laos in Pfahlbauweise – der Bereich unter der Wohnfläche wird als trockene Lager- oder Stallfläche genutzt

Auch heute noch werden Pfahlbauten verwendet, insbesondere in Südostasien, auf den Nikobaren, in Westafrika, auf der chilenischen Insel Chiloé und in Neuguinea. In Südamerika werden im Wasser stehende Pfahlbauten allgemein als Palafitos bezeichnet.

Im Nordseebad Sankt Peter-Ording beherbergen im Gezeitenbereich erbaute Pfahlbauten Restaurants und andere Freizeiteinrichtungen; sie sind mit den andernorts (wie zum Beispiel an der Ostsee) zu findenden Seebrücken verwandt.

Die vorwiegend für einfache landwirtschaftliche Gebäude verwendete Holzmastenbauart verwendet ebenfalls eingespannte Pfosten als tragende und zugleich aussteifende Grundelemente.

„Moderne Pfahlbauten“

Die Sendegebäude der Fernsehsender KCRA, KXTV und KOVR im kalifornischen Walnut Groove sind wegen der Lage im Überschwemmungsgebiet moderne Pfahlbauten – aber nicht aus Holz.[12]

Datei:Stelzenhochhaus.JPG
Unterteil des Sindelfinger Stelzenhochhauses

Das Erscheinungsbild von offenen Pfahlbaukonstruktionen wird bei manchen modernen Gebäuden aus architektonischen Gründen zitiert, wie etwa beim Stelzenhochhaus in Sindelfingen.[13]

Sonstiges

Eine Theorie für den Namen Venezuela ist, dass als Amerigo Vespucci die Bucht von Maracaibo erforschte, ihn die im Wasser stehenden Pfahlbauten der Einheimischen an seine Heimatstadt Venedig erinnerten und die Region dann als „Klein-Venedig“ (Venezuela) bezeichnet wurde.

Der beschreibende Begriff „Pfahlbauten“ ist seit dem 4. Juni 2004 eine eingetragene Marke beim Deutschen Patent- und Markenamt. Inhaber der Wortmarke „Pfahlbauten“ mit der Registernummer 30355957 ist der Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde e. V.

Film

Literatur

  • Helmut Schlichtherle (Hrsg.): Pfahlbauten rund um die Alpen. Theiss, Stuttgart 1997, ISBN 3-8062-1146-9, (Archäologie in Deutschland Sonderheft 1997, ISSN 0176-8522).
  • Francesco Menotti (Hrsg.): Living on the Lake in prehistoric Europe. 150 years of lake-dwelling research. Routledge, London u. a. 2004, ISBN 0-415-31720-7.
  • Philippe Della Casa, Martin Trachsel (Hrsg.): WES ’04, Wetland Economies and Societies. Proceedings ot the international Conference, Zurich, 10 – 13 March 2004. Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0757-4, (Collectio archaeologica 3).
  • Gunter Schöbel: Pfahlbauquartett, 150 Jahre Pfahlbauforschung, ein Rückblick. In: Plattform 13/14, 2004/2005, ISSN 0942-685X, S. 4–29.
  • Cynthia Dunning und Albert Hafner: Das Projekt „Pfahlbauten des Alpenraumes als UNESCO Welterbe“. Informationen zur Nominierung auf die „liste indicative“ der schweizerischen Bundesregierung von Dezember 2004. In: Philippe Della Casa und Martin Trachsel (Hrsg.): Wetland Economies and Societies. Chronos: Zürich 2005. 297–298.
  • Susanne Rau u. a. (Hrsg.): 4.000 Jahre Pfahlbauten, Thorbecke, Ostfildern 2016, ISBN 978-3-7995-0676-2.
  • Eva-Maria Seng, Helmut Schlichtherle, Claus Wolf, C. Sebastian Sommer (Hrsg.): Prähistorische Pfahlbauten im Alpenraum. Erschließung und Vermittlung eines Welterbes (= Reflexe der immateriellen und materiellen Kultur. Bd. 3). De Gruyter, Berlin 2019, ISBN 978-3-11-041670-1.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Pfahlbauten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Naturhistorisches Museum Wien – Naturhistorisches Museum. Abgerufen am 22. Juni 2017.
  2. Denkmalpflege. UNESCO-Welterbe. Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen in Baden-Württemberg. Landesamt für Denkmalpflege, Stuttgart 2011, S. 5
  3. siehe: Dunning & Hafner, 2004 sowie Schöbel 2005
  4. Beat Eberschweiler: Eine Bestandsaufnahme der ZürcherPfahlbauten. In: Baudirektion des Kantons Zürich (Hrsg.): Berichte der Kantonsarchäologie Zürich. Nr. 14. Fotorotar AG, Zürich und Egg ZH 1998, ISBN 3-905647-88-5, S. 299–305.
  5. Helmut Schlichtherle: Pfahlbauromantik. In: Archäologie in Seen und Mooren. Theiss, Stuttgart 1986, ISBN 3-8062-0435-7, S. 12–17.
  6. Sylvia Floetemeyer: Pfahlbauten werden vielleicht Weltkulturerbe In: Südkurier vom 19. März 2009
  7. Adalbert Brütsch: Am See wird’s wärmer und extremer. In: Südkurier vom 15. Juli 2006
  8. Pfahlbausiedlung Wauwil, abgerufen am 24. Mai 2019.
  9. Das Pfahlbaumuseum von Fiavé. Provincia Autonoma di Trento – Soprintendenza per i beni culturali – Ufficio beni archeologici, abgerufen am 20. Mai 2022.
  10. UNESCO World Heritage Centre: Six new sites inscribed on UNESCO’s World Heritage List. Abgerufen am 22. Juni 2017 (englisch).
  11. Website mit Verzeichnis aller Pfahlbauten im UNESCO-Weltkulturerbe (Memento vom 2. September 2011 im Internet Archive), abgerufen am 28. Juni 2011
  12. Scott Fybush: The Tall Towers of Walnut Grove, California. Fybush.com, 11. November 2005, abgerufen am 24. Mai 2019.
  13. Das Stelzenhochhaus in Sindelfingen wird 50. Kreiszeitung Böblinger Bote.