Phraseologismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Unter einem Phraseologismus, einer (idiomatischen) Redewendung oder einem Idiom versteht man in der Sprachwissenschaft eine zu einer festen Form verwachsene Folge von Lexemen (Komponenten, Konstituenten), also eine bestimmte Art eines Syntagmas (das ist eine grammatische Fügung [Wortverbindung] aus in der Regel mehreren Wörtern). Die Bedeutung eines solchen sprachlichen Fertigbausteins geht meist über die rein wörtliche Bedeutung seiner einzelnen Bestandteile hinaus.

Der Ausdruck

φρασεολογισμός

ist ein Neologismus aus altgriechisch φράσις phrásis „(das) Sprechen, Ausdruck(sweise)“ (Gen.

φράσεως

; siehe auch Phrase als Fachbegriff der Linguistik) und

λογισμός

„(das) Rechnen, Berechnung“, gemeinsam „auf die Vernunft gegründeter Schluss[1].

Synonyme

In der Regel synonym zu „Phraseologismus“ werden die Termini Phrasem, Phraseolexem, phraseologische Wortverbindung, Wortgruppenlexem und (idiomatische) Redewendung sowie teilweise auch Idiom – hier: im Sinne einer „eigentümlichen Wortprägung, Wortverbindung oder syntaktischen Fügung, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen der Wörter ableiten lässt“[2] – und Idiomatisierung verwendet (die beiden Letzteren nur zum Teil bzw. selten(er), da es sich hierbei um uneindeutige bzw. mehrdeutige Begrifflichkeiten handelt; vgl. Artikel).

Der Gegenbegriff zu „Phraseologismus“ und Synonymen lautet „freie Wortverbindung“. Die Unterdisziplin der Sprachwissenschaft, die sich mit diesen festen Wortverbindungen beschäftigt, ist die Phraseologie.

Phraseologismen sind und waren immer geschichtlicher Entwicklung unterworfen. Gegenwartssprachliche Phraseologismen sind leichter verständlich, wohingegen historische schwieriger zu erschließen sind. Die Teildisziplin der Phraseologie, die sich mit solchen historischen Phraseologismen befasst, nennt sich entsprechend historische Phraseologie.

Merkmale

Die drei Hauptkriterien, die zur Beschreibung von Phraseologismen verwendet werden, sind

Weitere nennenswerte Eigenschaften eines Phraseologismus sind

  • Bildlichkeit,
  • Bildhaftigkeit,
  • Lexikalität,
  • Unschärfe und
  • Expressivität (also etwa Ausdrucksstärke, Aussagekraft).

Polylexikalität

Ein Phraseologismus muss aus mindestens zwei lexikalischen Einheiten bestehen. Eine Maximalgröße existiert nicht (gehen sie in ihrer Struktur allerdings über Satzlänge hinaus, gehören sie nicht mehr zum phraseologischen Bestand). In der Forschung ist man sich uneinig darüber, ob Phraseologismen Autosemantika (bedeutungstragende Wörter) beinhalten müssen, oder ob eine minimale feste Wortverbindung auch aus zwei Synsemantika (bedeutungslose oder -schwache Wörter) bestehen kann. Dieses Postulat, dass ein Phraseologismus aus mindestens zwei Komponenten bestehen muss, kann jedoch durch das Vorhandensein von sogenannten Einwortphraseologismen scheinbar in Frage gestellt sein: Ein „Haarspalter“ ist deshalb phraseologisch, da er „Haare spaltet“ und ohne diesen Phraseologismus nicht denkbar ist.

Festigkeit

Die Festigkeit (oder Stabilität) kommt als formale, lexikalische und semantische Festigkeit vor.

  • Unter formaler Festigkeit versteht man die Eigenschaft eines Phraseologismus, syntaktisch nicht umstellbar zu sein (z. B. „Hab und Gut“ versus „Gut und Hab“).
  • Durch die lexikalische Festigkeit werden die einzelnen Komponenten als nicht austauschbar markiert (z. B. „wie Katz und Maus“ versus „wie Katz und Ratte“).
  • Die semantische Festigkeit besagt, dass der phraseologische Ausdruck als ganzer die Bedeutung trägt, im Gegensatz zur freien Bedeutung, wo die einzelnen Komponenten Bedeutungsträger sind.

Zusätzlich lassen sich weitere Arten der Festigkeit ausmachen, welche die genannten erweitern:

  • Die psycholinguistische Festigkeit, welche besagt, dass Phraseologismen wie andere Lexeme im mentalen Lexikon fest verfügbar sind und reproduziert werden können.
  • Unter pragmatischer Festigkeit versteht man die Eigenschaft von Phraseologismen, an bestimmte Situationen (Routinen) gebunden zu sein.

Die Festigkeit ist ein relatives Kriterium, das heißt, dass Phraseologismen in unterschiedlichem Maß modifiziert werden können. Dies geschieht vor allem in der mündlichen Alltagssprache, in Medientexten (z. B. in der Werbesprache) und in literarischen Texten (einschließlich Liedtexten).

Idiomatizität

Unter der Idiomatizität versteht man die semantische Umdeutung einzelner Komponenten oder des ganzen Phraseologismus. Die einzelnen Komponenten geben ihre freie Bedeutung zugunsten einer neuen Bedeutung auf. Die Idiomatizität ist ebenfalls ein relatives Merkmal, denn sie ist einerseits abhängig von Kontext und Vorwissen (vor allem wenn unikale Komponenten auftreten, also Wörter, die in der heutigen Sprache keine freie Bedeutung mehr haben, z. B. „Maulaffen feilhalten“, „jemanden ins Bockshorn jagen“), andererseits ist sie graduell stufbar. So existieren

  • Voll-Idiome (Ausdruck als ganzer ist umgedeutet, z. B. „jemandem reinen Wein einschenken“)
  • Teil-Idiome (nur einzelne Komponenten sind umgedeutet, andere bleiben in ihrer wörtlichen Bedeutung, z. B. „blinder Passagier“)
  • Nicht-Idiome oder Kollokationen (die Komponenten werden nicht umgedeutet, z. B. „Zähne putzen“)

Basisklassifikationen von Phraseologismen

Phraseologismen kann man nach Burger in Basisklassifikationen einteilen, und zwar anhand ihrer Zeichenfunktion, die sie in der Kommunikation haben.[3]

Referentielle Phraseologismen

Referentielle Phraseologismen beziehen sich auf Objekte, Vorgänge und Sachverhalte der Wirklichkeit. Wenn sie diese Objekte, Vorgänge oder Sachverhalte bezeichnen (semantisches Kriterium) und satzgliedwertig (syntaktisches Kriterium) sind, lassen sich solche Phraseologismen als „nominative Phraseologismen“ subklassifizieren.

Beispiele hierfür wären Schwarzes Gold (bezeichnet das Objekt Kohle), jemanden übers Ohr hauen (bezeichnet den Vorgang des Betrugs).

Nach dem graduell abgestuften Merkmal der Idiomatizität (Erklärbarkeit der Bedeutung ohne historisches Wissen) lassen sich wiederum drei Untergruppen der nominativen Phraseologismen einteilen, nämlich

  • die nicht idiomatischen Kollokationen (Redewendungen, die ohne historisches Wissen erklärbar sind),
  • die Teilidiome und
  • die (vollidiomatischen) Idiome, also Redewendungen, die ohne historisches Wissen nicht mehr erklärbar sind (z. B. jemandem einen Bärendienst erweisen).

Wenn referentielle Phraseologismen Aussagen über Objekte, Vorgänge und Sachverhalte machen (semantisches Kriterium) und satzwertig (syntaktisches Kriterium) sind, können sie als „propositionale Phraseologismen“ subklassifiziert werden. Sind diese in einen Kontext eingebettet und nur durch diesen verständlich, bezeichnet man sie als „feste Phrasen“ (z. B. die Redensart Alles für die Katz!). Gibt es keinen Anschluss an einen Kontext, so bezeichnet man sie als topische Formeln. Dies sind beispielsweise Sprichwörter oder Gemeinplätze.

Die bessere Unterscheidung von Redensart und Redewendung soll die folgende Tabelle ermöglichen:

Redensart Redewendung
Definition geläufige, feststehende sprachliche Wendung
bildhafter Ausdruck, der in einen Satz eingebettet werden muss
abwandelbare, nicht feststehende sprachliche Wendung
bildhafter Ausdruck, bei dem Wörter eine feste Verbindung eingegangen sind
Besonderheit unveränderlich
keine Sätze, sondern prädikative Wortgruppen
in Sammlungen stets in Infinitivform
kann nicht alleine stehen
in der Regel nicht mehr als zwei bis drei Satzglieder
variabel
phraseologische Einheit
feste Reihenfolge
sowohl ursprüngliche als auch übertragene Bedeutung: „den Kopf schütteln“ = verneinen + sich wundern
Beispiele Schwein haben
„etwas ausgefressen haben“
„Mach dir nichts draus!“
„Mir fehlen die Worte.“

Strukturelle Phraseologismen

Strukturelle Phraseologismen sind Funktionswörter, die innerhalb einer Sprache grammatische Relationen herstellen. Beispiele sind entweder … oder, in Bezug auf oder nicht nur … sondern auch.

Kommunikative Phraseologismen

Kommunikative Phraseologismen sind feste Fügungen, die in sich wiederholenden Handlungen (Routinen) meist unbewusst verwendet werden.

Beispiele für situationsgebundene Routineformeln:

Beispiele für nicht situationsgebundene Routineformeln:

Spezielle Klassen

Funktion

Phraseologische Ausdrücke in Texten haben vor allem stilistische Funktionen. So haben sie generelle „‚höhere Expressivität‘ gegenüber nicht-phraseologischen Verbindungen, was stilistisch geeignet ist für das Hervorheben.“[4] Phraseologische Ausdrücke wirken deshalb viel stärker auf den Leser und intensivieren daher die Aussage des Autors.

Peter Kühn charakterisiert Phraseme als

„kompakte Zeichen, mit denen ein Sprecher/Schreiber referieren, prädizieren und/oder illokutive Handlungen durchführen oder modifizieren kann und gleichzeitig gegenüber den nicht-phraseologischen Entsprechungen ein Bündel weiterer evaluativer Handlungen, Einstellungen, Imagebezeugungen usw. ausdrücken kann. Phraseologismen sind als gewissermaßen pragmatisch besonders ‚geladen‘.“

Kühn, 1994, S. 420.

Demnach verbergen sich also hinter Phraseologismen neben üblichen pragmatischen Funktionen noch weitere. Diese werden nach Sandig unter anderem in folgende eingeteilt:[5]

  1. Art der Selbstdarstellung
  2. Adressatenberücksichtigung
  3. Beziehungsgestaltung

Phraseme wurden in Deutschland in der Vergangenheit zum Beispiel als Zeichen für die Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum benutzt.[6] Eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe kann also spezielle Phraseologie benutzen, um deutlich zu machen, wo in der Gesellschaft sie steht oder selbst glaubt zu stehen. Die Phraseologismen dienen dann als Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen.

Unter Adressatenberücksichtigung wird verstanden, sowohl den Leser des Textes zu unterhalten, als auch den Text für den Leser zu strukturieren. Phraseologismen können zu beidem beitragen. „Unterhaltsamkeit wird gefördert durch die Verwendung idiomatischer Phraseme und deren spielerische Modifizierungen in unterschiedlichen Kontexten und Intensitäten.“[7] Gerade die idiomatischen Phraseologismen tragen also dazu bei, den Text für den Leser interessanter zu machen. Strukturierende Funktion haben Phraseme, wenn sie an eine mit dem Hörer geteilte Wissensbasis anknüpfen. Die oftmals verschleiernde Wirkung bestimmter idiomatischer Phraseme wirkt zum Beispiel in dieser Art und Weise.[8]

Verwandte Themen

  • Sprichwort: Je größer die Liebe, umso weniger die Sprache.
  • Zitate: Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen. (Goethe)
  • Sentenzen: Die Axt im Haus erspart den Zimmermann. (Schiller)

Literatur

  • Hans-Ulrich Dietz: Rhetorik in der Phraseologie. Zur Bedeutung rhetorischer Stilelemente im idiomatischen Wortschatz des Deutschen. Niemeyer, Tübingen 1999, ISBN 978-3-484-31205-0.
  • Elke Donalies: Basiswissen Deutsche Phraseologie. Francke, Tübingen / Basel 2009 (= UTB 3193), ISBN 3-8252-3193-3.
  • Csaba Földes (Hrsg.): Phraseologie disziplinär und interdisziplinär. Gunter Narr, Tübingen 2009, ISBN 978-3-8233-6534-1.
  • Csaba Földes, Jan Wirrer (Hrsg.): Phraseologismen als Gegenstand sprach- und kulturwissenschaftlicher Forschung. Schneider-Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2004, ISBN 3-89676-880-8.
  • Peter Kühn: Pragmatische Phraseologie: Konsequenzen für die Phraseologie und Phraseodidaktik. In: Barbara Sandig (Hrsg.): Tendenzen der Phraseologieforschung. Norbert Brockmeyer, Bochum 1994, ISBN 3-8196-0280-1.
  • Marios Chrissou: Phraseologismen in Deutsch als Fremdsprache. Linguistische Grundlagen und didaktische Umsetzung eines korpusbasierten Ansatzes. Kovac, Hamburg 2012, ISBN 978-3-8300-6614-9.

Weblinks

Wiktionary: Phraseologismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Logismus, Duden online
  2. Idiom, das. Duden online; Bedeutungen: 2.
  3. Basisklassifikation von Phraseologismen nach Burger (mit Beispielen aus Spielfilm und Filmplakaten) (PDF; 1,4 MB)
  4. Barbara Sandig: Stilistische Funktionen von Phrasemen. In: Harald Burger (Hrsg.): Phraseologie – Ein internationales Handbuch. Band 1. Berlin 2007, S. 161.
  5. Barbara Sandig: Stilistische Funktionen von Phrasemen. In: Harald Burger (Hrsg.): Phraseologie – Ein internationales Handbuch. Band 1. Berlin 2007, S. 162–164.
  6. Barbara Sandig: Stilistische Funktionen von Phrasemen. In: Harald Burger (Hrsg.): Phraseologie – Ein internationales Handbuch. Band 1. Berlin 2007, S. 162.
  7. Barbara Sandig: Stilistische Funktionen von Phrasemen. In: Harald Burger (Hrsg.): Phraseologie – Ein internationales Handbuch. Band 1. Berlin 2007, S. 164.
  8. Annette Sabban: Okkasionelle Variationen sprachlicher Schematismen – Eine Analyse französischer und deutscher Presse- und Werbetexte. Tübingen 1998, S. 164.