Piccor

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Piccor AG
Rechtsform Aktiengesellschaft, bis 2009 GmbH
Gründung 17. August 2005[1]
Auflösung 11. Januar 2019
Auflösungsgrund In Liquidation durch gerichtl. Anordnung[2]
Sitz Baar (Schweiz)
Leitung in Konkursverwaltung[3]
Branche Erstellung von Finanzmarktanalysen, Entwicklung von softwaregestützten Allokations- und Managementstrategien für Börsendaten

Die Piccor AG ist ein Finanzdienstleistungsunternehmen aus der Schweiz.[4] Sie ist Mitglied des „PICAM-Unternehmensverbundes“, zu dem auch die Picam GmbH und die Varian DC Service GmbH und weitere Finanzdienstleister gehören.[5] Die Defensive Capital GmbH war seit Ende März 2017 Haftungsdach für Finanzmarktvermittler von deren Produkten.

Geschichte

Die Schweizer Piccor AG bot Kapitalanlegern aus Deutschland eine Vermögensverwaltung mit scheinbar lukrativen Finanztermingeschäften an. Den potentiellen Anlegern wurden dabei über Finanzmakler unterschiedliche Modelle angeboten, die jeweils Renditen über dem Durchschnitt versprachen. Im März 2017 informierte das Unternehmen darüber, dass es seine „Dienstleistung für Privatkunden aufgrund externer Umstände eingestellt habe“. Es kündigte alle bestehenden Geschäftsbeziehungen auf. Zugleich bot der „Picam Unternehmensverbund“ nun für die bereits vorhandenen Kapitalanleger ein neues angeblich „bankenreguliertes Produkt“ an, auf welches die Einlagen überführt werden sollten.

  • Ein spekulatives Modell, das eine sehr hohe Rendite versprach, aber das Risiko eines möglichen Totalverlustes beinhaltete.
  • Ein „Secure-Modell“, bei dem nur ein Teil des Kapitals spekulativ angelegt, der Rest jedoch in sichere Anlagen investiert werden sollte.

Die Anbieter der Picam hatten damit geworben, dass „seit 1997 jährlich Bruttorenditen von mehr als neun Prozent erwirtschaftet worden seien“, und dies selbst in Zeiten der Finanzkrise.[6] Die Auszahlungen verzögerten sich bei beiden Modellen und als Partner kam die Varian-Gruppe hinzu, die bereits mit der Piccor AG zusammengearbeitet hatte.[7]

Die Geldbeträge wurden zunächst auf das Konto des Wirtschaftsprüfers und ehrenamtlichen Richters am Landgericht in Berlin, Manfred Eschenbach,[8] einbezahlt. Der Piccor AG kam dabei die Rolle der Kundenvertragsabwicklung zu. Die Varian AG in Liechtenstein sollte sich dann aktiv um den Handel von DAX-Futures kümmern. Eine Zulassung der Finanzprodukte durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gab es nicht.

Picam-Unternehmensverbund

Zum Unternehmensverbund Picam mit dem Pi-symbol.svg im Logo gehören unter anderem folgende Partner und mit diesen verbundene Dienstleister.[9] Die offizielle Webseite www.picam.de ist leer.[10]

  • Picam GmbH, Pascal Savelsbergh, Berlin[11]
  • Procaveo-INVEST GmbH, Berlin, als Vermittler für die Piccor AG
  • Piccor AG, Baar, in Liquidation, eingetragene Personen: BAUR HÜRLIMANN AG, Zürich[12][13]
  • Swiss Finance Group AG, Baar, Kanton Zug, Schweiz, Verwaltungsrat: Peter Züllig, Thomas Entzeroth.[14]
  • SwissPro GmbH (Pro Swiss Marketinggesellschaft mbH), Geschäftsführerin Gabriela Laub, Baar, Kanton Zug, Schweiz
  • PROPEC Gesellschaft für analytische Wirtschaftsberatung mbH, Geschäftsführer: Andreas Riedel, Berlin, Hamburg
  • Cura Helvetica – Das Stiftungskontor, Thomas Weilacher, Berlin
  • Varian AG, Vaduz, Gesellschaft seit April 2021 erloschen[15][16]
  • Varian DC Service GmbH, Martina Schiefner, Berlin
  • Varian Defensive Capital GmbH, als Haftungsdachpartner für den Vertrieb der Piccox Securitisation SA Anleihe in Luxemburg (ISIN: DE000A19CXZ0[17])
  • Piccox Securitisation SA, Verwaltungsrat Stephan Blohm, Luxemburg[6][18]
  • Moventum SCA, Luxemburg, Vermögensverwaltung und Vertrieb, Depotführung für die Piccox Securitisation Anleihe[7]
  • Treuhänder und Wirtschaftsprüfer Manfred Eschenbach, Berlin
  • PiKonstant: Investmentfonds "CROWD – pikonstant A" (ISIN: LU1300284111[19])
  • Finbox Consulting AG, Gesellschaft erloschen[20]
  • Salbapi SL, Son Severa, Mallorca, seit 2014[21]

Betrugsverdacht

Erste Bedenken gegen die Anlagepraxis und die Einhaltung der hohen Renditeversprechen gab es bereits Mitte des Jahres 2016. Im Januar 2017 kam der Verdacht auf, dass die Piccor AG und die Picam GmbH in grossem Stil einen Kapitalanlagebetrug nach dem Schneeballsystem betreiben. Insgesamt sollen bis zu 3000 Anleger rund 300 Millionen Euro investiert haben. Mitte Januar 2017 setzte die schweizerische Finanzaufsicht Finma die Piccor AG auf ihre Warnliste.[22] Dort werden Unternehmen gelistet, die keine Bewilligung durch die Behörde besitzen oder Nachforschungen bei der Finma eine „erhebliche Gefährdung von Anlegern durch Anbieter nahelegen“.

Die Staatsanwaltschaft in Berlin ermittelt inzwischen wegen des Verdachtes auf bandenmässigen Betrug. Bei Razzien aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Tiergarten wurden im Februar 2018 bei den sieben Verantwortlichen der Picam-Unternehmensgruppe in Berlin, Leipzig, München und in Baar (Schweiz) in den Wohn- und Geschäftsräumen zahlreiche Unterlagen, Computer und Handys sowie Vermögenswerte in Höhe von 80 Millionen Euro beschlagnahmt.[23]

Für betroffene Anleger wurde 2018 von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger eine „Interessengemeinschaft der Picam Anleger“ gegründet.[24] Ein Berliner Rechtsanwalt macht darauf aufmerksam, dass manche vorgeblichen „Schutzvereine“ oftmals von den früheren Vertriebsfirmen oder -personen gegründet werden, um eine Haftung dieser Vertriebler für ihre Falschberatung oder auch andere Zusammenhänge zu verschleiern und Aufklärung zu verhindern.[25]

Eine vom Amtsgericht Charlottenburg angesetzte Gläubigerversammlung Anfang Oktober 2018 ergab, dass unter dem Label Picam nur ein Minimalbetrag vorhanden ist, hier ist für Geschädigte nichts zu holen. Es wurde ein "Gläubiger-Ausschuss" nach Insolvenzrecht gegründet. Der beauftragte Insolvenzverwalter Sebastian Lagoda strebt an, sämtliche mit den verschiedenen Tarnfirmen des Betrugssystems befassten Insolvenz-Gerichte an den unterschiedlichen Orten in Deutschland, der Schweiz und in anderen Ländern über das System zu informieren, um eine möglichst umfassende Gesamt-Insolvenz des Schwindelkomplexes zu erreichen.[26]

Eine im Juli 2022 veröffentlichte Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin bestätigt die Anklageerhebung gegen drei mutmaßliche Haupttäter im Alter von 50, 56 und 62 Jahren, die genannten Tatvorwürfe sind „unter anderem (in wechselnden Konstellationen) Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges, der Untreue und der Fälschung beweiserheblicher Daten“.[27]

Anleger und Vermittler

Die Finanzprodukte der Picam/Piccor wurden durch rund 70 Finanzmakler überwiegend in Deutschland angeboten und vertrieben. Diese wurden von der Polizei als Zeugen verhört. Ihnen wird von Anwälten mangelnde Sorgfalt bei der notwendigen Prüfung der Kapitalanlagen unterstellt, jedoch nicht von den Behörden, da viele der Vermittler ebenfalls Geschädigte sind. Es könnten für die Anleger Schadensersatzansprüche gegen die Vermittler und Vertriebsdienstleister bestehen. Die Vermittler wurden durch Vorlage von angeblichen Originalauszügen des Handelskontos der Piccor AG bei Interactive Brokers, Zürich, durch angebliche Originalkundenkontoauszüge, durch Beschlüsse von Amtsgerichten, dass die Anlage in Piccor/Picam mündelsicher sei, und durch weitere Unterlagen gelockt.

Ausgeschüttete angebliche Gewinne könnten im Falle einer Insolvenz der beteiligten o. g. Unternehmen (dies betrifft nicht die Vermittler) als Scheingewinne von den Anlegern zurückgefordert werden, sollte sich das Geschäftsmodell als unseriöses Schneeballsystem herausstellen.[28]

Im Mai 2019 erging ein erstes Urteil in 1. Instanz gegen einen Vermittler der Picam-Papiere. Der Vermittler aus Issum, der an Dutzende Anleger vermittelt hatte, wurde vom Landgericht Kleve zu Schadensersatz an eine betrogene Anlegerin verurteilt, da die ihr vor der Investition überreichten Unterlagen mangelhaft gewesen sind. Als einem angeblichen Fachmann hätte ihm das auffallen müssen, urteilte das Gericht. Unter anderem kamen in der Werbung Grafiken mit Erfolgsmeldungen vor, die sich auf Jahre bezogen, als die Picam noch gar nicht existierte.[29]

Literatur

  • Lars-Marten Nagel: Hochrisikoanlage. 20 Prozent Rendite? So seriös ist Picam. In: Die Welt Online. 7. Juli 2016 (welt.de [abgerufen am 13. Februar 2018]).
  • Thomas Bremer: Piccor AG Skandal. In: Samstags Zeitung. 10. Februar 2018 (samstags-zeitung.de).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Piccor AG. Handelsregisteramt des Kantons Zug, abgerufen am 13. Februar 2018.
  2. SHAB, KABZG 11. 01. 2019.
  3. 26. März 2021: Öffentlicher Schuldenruf gemäss Art. 232 SchKG und erstes Gläubigerzirkular. Abgerufen am 21. September 2022.
  4. PICAM Unternehmensgruppe/ Piccor AG/ VARIAN AG/ BDO AG Liechtenstein. Verbraucherschutzforum.berlin, 11. Januar 2018, abgerufen am 13. Februar 2017.
  5. Thomas Entzeroth zum PICAM Unternehmensverbund. In: Verbraucherschutzforum.berlin. 2018, abgerufen am 13. Februar 2018.
  6. a b Picam-Anleger in Sorge. Das große Verwirrspiel. In: Handelsblatt. 17. Januar 2018 (handelsblatt.com – Zugriff kostenpflichtig).
  7. a b Picam GmbH: Piccor AG-Ersatzprodukt schon wieder Varian. gomopa.net, 22. Dezember 2017, abgerufen am 13. Februar 2018.
  8. Piccor AG-Skandal und der Wirtschaftsprüfer Manfred Eschenbach. In: Verbraucherschutzforum.berlin. 6. Februar 2018, abgerufen am 13. Februar 2018.
  9. PICAM ++ die unglaubliche Geschichte der PICCOR VARIAN LIT Ltd. resch-rechtsanwaelte.de, 26. Januar 2018, abgerufen am 14. Februar 2018.
  10. PICAM – Willkommen. picam.de, abgerufen am 13. Februar 2018.
  11. Artikel über Pascal Savelsbergh: Völlig falsche Zusammenhänge. In: Finanz Nachrichten und Wirtschaft Nachrichten. wirtschaft.pr-gateway.de, abgerufen am 14. Februar 2018.
  12. Piccor AG in Liquidation. In: Zentraler Firmenindex. Abgerufen am 20. September 2022.
  13. PICCOR AG - Anleger werden zur Rückzahlung von Scheingewinnen aufgefordert. Abgerufen am 20. September 2022.
  14. Swiss Finance Group AG. Handelsregisteramt des Kantons Zug, 19. Dezember 2017, abgerufen am 13. Februar 2018.
    Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA hat mit superprovisorischer Verfügung vom 19. Oktober 2018, die Rechtsanwältin Tatjana von Kameke, in Kanzlei Reber Rechtsanwälte KlG, Utoquai 43, Postfach, 8008 Zürich als Untersuchungsbeauftragte eingesetzt. Sie wird ermächtigt, anstelle der Organe für die Gesellschaft allein zu handeln. Sie vertritt die Gesellschaft mit ihren Zeichnungsberechtigten. Den bisherigen Organen wird untersagt, ohne Zustimmung der Untersuchungsbeauftragten weitere Rechtshandlungen vorzunehmen. – Handelsregister Kanton Zug, im November 2018 – FINMA
    Damit ist Entzeroth entmachtet. Vgl. den Unterschied zu Piccor, bei der v. Kameke nur 1 Woche tätig war.
  15. VARIAN AG in Liquidation. In: Firmenindex des Handelsregisters Liechtenstein. Handelsregister des Fürstentums Liechtenstein, 6. April 2021, abgerufen am 21. September 2022.
  16. FMA - Bekanntmachung: Erlöschen einer Bewilligung. Abgerufen am 21. September 2022.
  17. Zertifikate. finanzen.net, abgerufen am 13. Februar 2018 (Emissionsvolumen: 300.000.000 Euro).
  18. Eine Website der Firma Piccox war im Oktober 2018 noch aktiv. Die Kursnotierungen endeten im Februar 2018 (piccox.com).
  19. Ende November 2018
  20. Finbox Consulting AG. Handelsregisteramt des Kantons Zug, abgerufen am 20. September 2022.
  21. infoempresa.com
  22. Piccor AG. Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma, 16. Januar 2017, abgerufen am 13. Februar 2018.
  23. Picam GmbH / PICCOR AG: Razzia wegen Bandenbetrugs-Vorwurfs mit Piccor und Piccox Zertifikaten. gomopa.net, 8. Februar 2018, abgerufen am 13. Februar 2018.
  24. Picam: SdK organisiert Interessengemeinschaft der „Picam“. In: sdk.org. Abgerufen am 13. Februar 2018.
  25. Hinter manchen Interessengemeinschaften stehen die PICAM Vertriebler und Anlageberater (PICAM PICCOR – Interessengemeinschaft schützt Vermittler. 10. Juli 2018).
  26. Pressemitteilung: PICAM Gläubigerversammlung am 02.10.2018. 7. Oktober 2018.
  27. Pressemitteilung: Kapitalanlagebetrug als Schneeballsystem mit Millionenschaden – Anklageerhebung. 8. Juli 2022, abgerufen am 20. September 2022.
  28. PICAM PICCOR ++ Der Kreis schließt sich ++ Insolvenz droht. In: resch-rechtsanwaelte.de. Abgerufen am 16. Februar 2018.
  29. Presseerklärung einer Kanzlei aus Düsseldorf