Pinselfüßer

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Pinselfüßer

Der Kleine Pinselfüßer (Polyxenus lagurus)

Systematik
Überstamm: Häutungstiere (Ecdysozoa)
Stamm: Gliederfüßer (Arthropoda)
Unterstamm: Tausendfüßer (Myriapoda)
Klasse: Doppelfüßer (Diplopoda)
Unterklasse: Penicillata
Ordnung: Pinselfüßer
Wissenschaftlicher Name
Polyxenida
Verhoeff, 1934

Die Pinselfüßer (Polyxenida) sind eine Ordnung der zu den Tausendfüßern gehörenden Doppelfüßer. Sie sind beinahe weltweit verbreitet. Es handelt sich mit etwa 160 Arten um eine mittelgroße Ordnung der Doppelfüßer, innerhalb derer die Pinselfüßer die urtümlichste Ordnung darstellen und sich stark von allen anderen Ordnungen unterscheiden.

Merkmale und Lebensweise

Die Pinselfüßer unterscheiden sich in beinahe jeder Hinsicht von allen anderen Doppelfüßern. Dies begründet die abseitige Stellung der Ordnung in der Verwandtschaft der Diplopoda (s. Äußere Systematik). Ihre Vorfahren haben sich sehr früh, noch vor der Entwicklung der Verstärkung der Cuticula (Außenhaut) durch Kalk vom Hauptstamm der Doppelfüßer abgespalten. Die Pinselfüßer haben deshalb einen weichhäutigen Körper ohne Kalkeinlagerungen. Auch weisen sie keine Gonopoden oder Wehrdrüsen auf, weil beide Strukturen erst nach dem Abzweig ihrer Verwandtschaftslinie von den Chilognatha ausgebildet wurden. Unabhängig von diesen haben sie jedoch eine Reihe von eigenen Merkmalen entwickelt, deren auffälligstes ihre Haarbildungen sind. Die Haare der Pinselfüßer stehen wie bei einem Pinsel in Büscheln und sind mit Widerhaken sowie verzweigten und gelappten Strukturen versehen. Diese weisen zudem Sollbruchstellen auf. Somit sind die Pinselfüßer trotz des Fehlens einer harten Cuticula und Wehrsekreten gegen Angreifer geschützt, da die Haare abbrechen und sich mit ihren Widerhaken in den Mundwerkzeugen von beispielsweise Ameisen oder Spinnen verhaken können, was bis zum Tod führen kann. Dies kann sogar dazu führen, dass die Angreifer ihre Mundwerkzeuge nicht mehr benutzen können. Besonders wehrhaft sind dabei die Schwanzborsten. Markant ist zudem ihr Zwergwuchs (die größten Arten messen 7 mm) und die geringe Zahl von nur 11–13 Körperringen und meist 13, maximal 17 Beinpaaren. Sie besitzen aus Ocellen bestehende Augen, es gibt jedoch auch augenlose, blinde Arten. Aufgrund ihrer Kleinheit können die Tiere nicht graben und werden stattdessen oft unter Rinde gefunden, und zwar bis in eine Baumhöhe von 20 m. Ihr Zwergwuchs kann somit als ökologische Strategie verstanden werden, denn mit einer maximalen Länge von 3 mm findet z. B. Polyxenus lagurus so gut wie überall einen Schlupfwinkel, wo er z. B. vor ungünstiger Witterung geschützt ist. Ein derart winziger Körper kann sich zudem problemlos von Algen ernähren, die als Aufwuchs der Rinde auch in luftiger Höhe wachsen. Es werden aber auch Flechten, Hefen und abgestorbenes Laub gefressen. Auf diese Weise gelang es den Pinselfüßern, den Schutz des Waldbodens zu verlassen und die Baumwipfel zu erobern.[1] Da sie empfindlich gegenüber Austrocknung sind, sind die oft in Gruppen lebenden Pinselfüßer nachtaktiv.

Verbreitung

Die Pinselfüßer sind beinahe weltweit verbreitet. In Amerika sind sie von den milderen Gebieten Alaskas und Kanadas im Norden bis ins südlichere Chile und Argentinien im Süden verbreitet und auch in der Karibik zu finden. In Afrika leben sie südlich der Sahara und kommen auch auf Madagaskar und weiteren Inseln im Indischen Ozean vor. In Asien sind sie besonders aus Westasien, Süd- und Ostasien bekannt. Von hier reicht ihr Verbreitungsgebiet bis nach Neuguinea, Australien, Neuseeland und einige weitere Inseln im Pazifischen Ozean. In Europa fehlt die Ordnung in Teilen Südeuropas, ist ansonsten aber überall in Europa zu finden, nordwärts bis nach Schottland und die südlichen Teile Fennoskandinaviens. Auch auf den Azoren und Kanarischen Inseln gibt es Pinselfüßer.[2]

Die Familie Hypogexenidae kommt in Argentinien vor, die Familie Synxenidae in Afrika, die Familie Lophoproctidae überwiegend in der südlichen Hemisphäre mit wenigen Vertretern in Südeuropa, Osteuropa und der Karibik und die Familie Polyxenidae ist kosmopolitisch verbreitet.[3]

Durch die weiche Cuticula trocknen Pinselfüßer schneller aus als andere Doppelfüßer. Daher benötigen sie zumindest mikrohabituell eine hohe Luftfeuchtigkeit, vor allem bei höheren Temperaturen. Diese hohe Luftfeuchtigkeit kann auch in trockeneren Gebieten noch durch das Leben in den Baumkronen und geschützten Orten unter Rinde gewährleistet werden, dennoch fällt auf, dass Wüsten- und Halbwüstengebiete meistens Lücken in der Verbreitung darstellen, beispielsweise in Nordafrika, Südwest- bis Zentralasien oder Zentralaustralien.

Fortpflanzung

Im Gegensatz zu den anderen Doppelfüßern paaren sich Pinselfüßer nicht. Da sich in ihrer Stammesentwicklung niemals Laufbeine zu Kopulationsorganen umgewandelt haben, fehlt den Männchen ein Werkzeug zur unmittelbaren Übertragung der Samen in den Körper des Weibchens. Die Befruchtung erfolgt stattdessen über eine indirekte Spermatophoren-Übertragung, die teilweise sehr kompliziert ablaufen kann, wie das folgende Beispiel von Polyxenus lagurus darstellt: Das Männchen stellt mit Hilfe verschiedener Spinndrüsen ein diffizil aufgebautes Fadengespinst her. Zunächst legt es über einer Bodenvertiefung mit den Spinngriffeln am 2. Beinpaar durch Hin- und Herschwenken des Vorderkörpers ein Zickzack-Geflecht aus Doppelfäden an, auf das es zwei Spermatröpfchen absetzt. Dann dreht es sich um, entfernt sich im rechten Winkel vom Zickzack-Geflecht und legt dabei eine Fadenstraße, bestehend aus 4 Fäden, an. Dazu wird ein Sekret aus den Drüsentaschen des 8. und 9. Beinpaares verwendet. Die Straßen-Fäden können das Fünffache der Körperlänge des Männchens erreichen (1,5 cm). Sie sind dicker als die Zickzack-Fäden und durch zusätzliche, in regelmäßigen Abständen angelegte Verdickungen einer Perlenkette ähnlich. Diese Verdickungen werden als Duftstoffpakete interpretiert. Sobald ein Weibchen auf eine solche Fadenstraße trifft, beginnt es erregt mit den Fühlern zu trillern, erigiert seine Geschlechtsöffnungen (Vulven) und folgt der Straße. Gelangt es direkt zum Zickzack-Geflecht, nimmt es sofort mit den Vulven an der Basis des 2. Beinpaares die Spermatröpfchen auf. Läuft es jedoch in die falsche Richtung, dreht es am Ende der Fadenstraße um, läuft diese zurück und erreicht nun beim zweiten Anlauf das Zickzack-Geflecht mit dem Spermatropfen. Trifft das Weibchen unmittelbar auf das Zickzackmuster, ohne zuvor die Fadenstraße „erlebt“ zu haben, ignoriert es das Sperma. Diese Beobachtung zeigt, dass die Fadenstraße nicht nur den Weg weist, sondern auch das Aufnehmen des Spermas stimuliert.[1]

Die Weibchen legen ihre Eier im Kreis laufend als eine Perlschnur ab. Anschließend wird der Schwanzpinsel immer wieder gegen die Eier gepresst, so dass sich die stacheligen und mit Widerhaken versehenen Schwanzborsten an die Eier heften und so kleinere Fressfeinde, z. B. Raubmilben, wie Stacheldraht abwehren. Die haarige Schutzhülle hat außerdem eine Belüftungsfunktion und sorgt für möglichst gleichmäßige kleinklimatische Bedingungen. Der Schlupf der Jungtiere erfolgt durch das Aufplatzen der Eihülle infolge eines erhöhten Innendrucks. Daraus schlüpfen die kommaförmigen, an eine Insektenpuppe erinnernden Pupoide, aus denen nach Abstreifen einer dünnen Hautschicht die eigentlichen Jungtiere schlüpfen.[1]

Äußere Systematik

Datei:Lophoproctus coecus, Krasnodar Province, Russia.jpg
Lophoproctus coecus aus Russland ist ein Vertreter der Familie Lophoproctidae
Lophoturus boondallus aus Australien
Lophoturus molloyensis aus Australien
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Phryssonotus brevicapensis aus Südafrika ist ein Vertreter der Familie Synxenidae

Die Ordnung der Pinselfüßer gehört zur Unterklasse Penicillata innerhalb der Doppelfüßer. Es ist die einzige Ordnung innerhalb dieser Unterklasse. Das folgende Kladogramm gibt eine Übersicht über die äußere Systematik innerhalb der Doppelfüßer:[4]



 Penicillata 

Polyxenida (Pinselfüßer)


 Chilognatha 
 Helminthomorpha 

Siphoniulida


   
 Colobognatha 

Platydesmida


   

Polyzoniida (Saugfüßer oder Bohrfüßer)


   

Siphonocryptida


   

Siphonophorida


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 Eugnatha 
 Juliformia 

Julida (Schnurfüßer)


   

Juliformia incertae sedis


   

Spirobolida


   

Spirostreptida


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 Merocheta 

Polydesmida (Bandfüßer)


 Nematophora 

Callipodida


   

Chordeumatida (Samenfüßer)


   

Stemmiulida


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 Pentazonia 
 Limacomorpha 

Glomeridesmida (Urtausendfüßer)


 Oniscomorpha 

Glomerida (Saftkugler)


   

Sphaerotheriida (Riesenkugler)






Innere Systematik

Zur Ordnung Polydesmida gehören 2 Überfamilien mit 4 Familien, 34 Gattungen und etwa 160 Arten. Vermutlich existieren noch zahlreiche unbeschriebene Arten, so dass die Artenzahl weitaus höher liegt. In Mitteleuropa kommt davon nur eine Art vor, Polyxenus lagurus. Die folgende Übersicht zeigt die Systematik der Pinselfüßer:[4]

In Südeuropa kommen eine Reihe weiterer Arten vor, z. B. Lophoproctus coecus aus Italien (inklusive Ligurien und Sardinien) und von Mallorca, Lophoproctus jeanneli aus Südfrankreich, Korsika, Nordostspanien, Mallorca, Mittelitalien und Malta, Lophoproctus lucidus aus Italien (inklusive Norditalien bis zur Grenze des Tessin), Südfrankreich, Nordgriechenland und von der Krim, Polyxenus albus von Südfrankreich bis Griechenland und Polyxenus macedonicus von Südostfrankreich bis Nordmakedonien.[5]

Fossile Funde

Die frühesten Vertreter der Polyxenida wurden bisher im Libanon-Bernstein gefunden und stammen aus der frühen Kreidezeit.

Manche Autoren stellen die ausgestorbenen Ordnungen Arthropleurida und Eoarthropleurida (mit den einzigen bekannten Gattungen Arthropleura und Eoarthropleura) in die Unterklasse Penicillata, als Schwestergruppe der Polyxenida.

Literatur

  • Harald Hauser, Karin Voigtländer: Doppelfüßer (Diplopoda) Deutschlands. 1. Auflage. DJN – Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung, Göttingen 2019, ISBN 978-3-923376-26-X.

Weblinks

Commons: Pinselfüßer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Polyxenida. In: Lucid Key Server. Abgerufen am 5. September 2021.

Einzelnachweise

  1. a b c Harald Hauser, Karin Voigtländer: Doppelfüßer (Diplopoda) Deutschlands. 1. Auflage. DJN – Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung, Göttingen 2019, ISBN 978-3-923376-26-X.
  2. Polyxenida in GBIF Secretariat (2021). GBIF Backbone Taxonomy. Checklist dataset doi:10.15468/39omei abgerufen via GBIF.org am 4. September 2021.
  3. Geographic distribution of Millipede Families (PDF). Milli-PEET: Biogeography of Millipede Families, Identification Table 3. The Field Museum, Chicago. Abgerufen am 9. September 2021
  4. a b Polyxenida auf millibase.org – A global species catalog of the myriapod class Diplopoda, abgerufen am 4. September 2021.
  5. Richard Desmond Kime & Henrik Enghoff: Atlas of European millipedes (Class Diplopoda) Volume 1. 2011, Fauna Europaea Evertebrata No 3.