Piora-Schwankung

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Die beiden auch als Piora-Oszillation bezeichneten Piora-Schwankungen I und II bezeichnen zwei kurz aufeinander folgende holozäne Temperaturabsenkungen in Mitteleuropa, die mit −2 bis 2,5 °C angenommen werden. Die Zeitangaben bewegen sich je nach Quelle zwischen 4200 und 3100 v. Chr.

Definition

Die beiden Piora-Schwankungen wurden durch pollenanalytische Untersuchungen an den Seen und Mooren des Lago di Cadagno im Pioratal, Kanton Tessin für das Gebiet der Westalpen nachgewiesen. Im Gebiet des Tiroler Ötztals der Ostalpen entsprechen ihnen annähernd die beiden Rotmoos-Schwankungen.

Zeitliche Einordnung

Nach dem Ende der Würm-Eiszeit begann vor etwa 11.700 Jahren eine Warmzeit, das Holozän. Durch das wärmer werdende Klima wich in Mitteleuropa und in Nordamerika die Tundrenvegetation der Eiszeit zunehmend einer Bewaldung, zunächst durch Birken und Kiefern, deren Pollen in den Sedimenten von Seen und Mooren konserviert wurden und durch Pollenanalysen nachgewiesen werden können. Im Atlantikum, dem Klimaoptimum des Holozäns, lag die Baumgrenze in den Alpen um 200 bis 300 m höher als heute. Der boreale Nadelwaldgürtel lag in Sibirien und Nordamerika bis zu 300 km weiter nördlich.

Den Piora-Schwankungen entsprechen eine Reihe von weltweit nachgewiesenen Klimaereignissen gegen Ende des Atlantikums und zu Beginn des Subboreals, so dass von einer globalen Abkühlung gesprochen werden kann. Aus den Untersuchungen des GRIP-Eisbohrkerns geht ebenfalls eine Abkühlung um etwa 3.350 cal BC (Magny u. Haas 2004) hervor.[1]

Piora-Schwankung I

Die Piora-Schwankung I ist mit der Rotmoos-Schwankung I identisch.[2] Sie situiert sich zeitlich am Ende des Atlantikums im Zeitraum 4100 bis 3700 v. Chr.[3] und enger gefasst gemäß Holzhauser (2009) zwischen 3900 und 3780 v. Chr.[4] Sie beendete das neolithische Subpluvial und brachte die bis heute andauernde Austrocknung der Sahara in Gang. Mit ihr setzten die Wanderbewegungen zu den großen Flusstälern (Nil usw.) hin ein, deren Folge die Entstehung erster komplexer, hochorganisierter Staaten im 4. Jahrtausend v. Chr. war.[5]

Wie auch schon bei der vorausgegangenen Misox-Schwankung zeigte die Südhalbkugel während der Piora-Schwankung I negative Temperaturanomalien. Die Verhältnisse auf der Nordhalbkugel waren weniger eindeutig – das Innere Nordamerikas war auf Grund des verbliebenen Laurentidischen Eisschildes kalt, wohingegen in Skandinavien positive Anomalien vorherrschten.[6] In Europa sollen laut Alverson (2003) sogar gemäßigte bis milde Temperaturen geherrscht haben.[7] In China kann die Piora-Schwankung I in den Seesedimenten des Erhai-Sees als Kälteereignis nachgewiesen werden.[8]

Piora-Schwankung II

Die Piora-Schwankung II ist mit der Rotmoos-Schwankung II identisch. Sie erfolgte zu Beginn des Subboreals im Zeitraum 3500 bis 3000 v. Chr. (bis 3110 v. Chr. nach Holzhauser). In den Schweizer Alpen ist sie als Gletscherhochstand ausgebildet, der das Niveau von 1850 einnahm.[9] In diesen Abschnitt fällt zufällig der mit 3258 ±89 v. Chr. radiokohlenstoff-datierte Tod der Gletschermumie Ötzi.

Ursachen

Die genauen Ursachen für die Piora Schwankungen werden immer noch diskutiert. Es wird eine Kombination verschiedener Faktoren vermutet: Veränderungen der Sonneneinstrahlung aufgrund einer anderen Erdbahn (orbital forcing), veränderte Meeresströmungen oder eine veränderte Sonnenaktivität[1]. Die verminderte Sonneneinstrahlung hatte möglicherweise mit Hilfe der ENSO-Zirkulation im Nordatlantikraum Bond-Ereignisse induziert.[10]

Folgen

Globale Auswirkungen der Klimaschwankungen waren Trockenheit in vielen Regionen der Erde, die das Anwachsen der Steppenareale und der Wüsten zur Folge hatten. Auch die Tundren weiteten sich infolge der Vergrößerung des Areals des Permafrostbodens wieder gegen Süden hin aus. Im Hochgebirge kam es zu erhöhten Niederschlägen und einem Vordringen der Gletscher.[11]

Als Folge der Piora-Schwankungen traten bei den neolithischen Kulturen Mitteleuropas zahlreiche Veränderungen auf. Der Fund des Mannes vom Tisenjoch (gegen Ende der Piora-Schwankung II) regte zahlreiche Studien zur Klima- und Besiedlungsgeschichte der Alpen an. Ein Wechsel in der Artenzusammensetzung der Pflanzen geht mit einem Wechsel in den Brandrodungs- und Besiedlungshorizonten dieser Zeit einher. Um 5320 BP begann der Pegel des Bodensees rapide zu steigen, das ergab die Datierung mittels Dendrochronologie und Radiokohlenstoffmethode. Frühe Siedlungen des Menschen am Seeufer mussten aufgegeben werden.[12] Die Gebiete für die Transhumanz und Almwirtschaft wurden stark eingeschränkt. Die zunehmende Aridisierung der Sahara führte möglicherweise dazu, dass sich im Niltal Bewässerungskulturen ausbildeten, die schließlich zum Alten Ägypten überleiteten.[13]

Umstritten ist nach wie vor, inwieweit der asiatische Monsun zur damaligen Zeit abgeschwächt war.[14][15]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b M. Magny, J. N. Haas: A major widespread climatic change around 5300 cal. yr BP at the time of the Alpine Iceman. In: Journal of Quaternary Science. Band 19(5), 2004, S. 423–430.
  2. G. Patzelt: Der zeitliche Ablauf und das Ausmaß postglazialer Klimaschwankungen in den Alpen. In: B. Frenzel (Hrsg.): Dendrochronologie und postglaziale Klimaschwankungen in Europa (= Erdwissenschaftliche Forschung. Band 13). Wiesbaden: Steiner 1977, S. 248–259.
  3. H. Zoller: Alter und Ausmaß postglazialer Klimaschwankungen in den Schweizer Alpen. In: B. Frenzel (Hrsg.): Dendrochronologie und postglaziale Klimaschwankungen in Europa (= Erdwissenschaftliche Forschung. Band 13). Wiesbaden 1977, S. 271–281.
  4. H. Holzhauser: Auf dem Holzweg zur Gletschergeschichte. In: Hallers Landschaften und Gletscher. Beiträge zu den Veranstaltungen der Akademien Schweiz 2008 zum Jubiläumsjahr „Haller 300“ (Hrsg.): Sonderdruck aus den Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern. Neue Folge. Band 66, 2009, S. 173–208.
  5. Nick Brooks: Cultural responses to aridity in the Middle Holocene and increased social complexity. In: Quaternary International. Band 151, Nr. 1, 2006, S. 29–49.
  6. Heinz Wanner, u. a.: Structure and origin of Holocene cold events. In: Quaternary Science Reviews. Band 30, 2011, S. 3109–3123.
  7. K. D. Alverson: Paleoclimate, Global Change and the Future. Springer, New York 2003.
  8. Zhou Jing, Wang Sumin, Yang Guishan, Xiao Haifeng: Younger Dryas Event and Cold Events in Early-Mid Holocene: Record from the sediment of Erhai Lake. In: Advances in Climate Change Research. 3 (Suppl.), 2007, S. 1673–1719.
  9. A. Wipf: Gletschergeschichtliche Untersuchungen im spät- und postglazialen Bereich des Hinteren Lauterbrunnentals (Berner Oberland, Schweiz). In: Geographica Helvetica. 56, H. 2, 2001, S. 133–144 (Digitalisat [PDF]).
  10. J. Emile-Geay, u. a.: El Niño as a mediator of the solar influence on climate. In: Paleoceanography. Band 22, 2007.
  11. Lamb, S. 140 f., 146, 158 f.
  12. Schlichtherle, unveröff., 2012.
  13. Schwarzbach, S. 222–226, 241–255.
  14. J. Xiao, u. a.: Holocene weak monsoon intervals indicated by low lake levels at Hulun Lake in the monsoonal margin region of northeastern Inner Mongolia, China. In: Holocene. Band 19, 2009, S. 899–908.
  15. J. Zhang, u. a.: Holocene monsoon climate documented by ocygen and carbon isotopes from lake sediments and peat bogs in China: a review and synthesis. In: Quaternary Sci. Rev. Band 30, 2011, S. 1973–1987.