Priskos

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Priskos von Panion (lateinisch Priscus Panites; * ca. 410/20; † um 474) war ein oströmischer Geschichtsschreiber des 5. Jahrhunderts.

Leben

Priskos diente dem oströmischen Kaiser und war umfassend philosophisch und rhetorisch gebildet. Wie jeder höhere Amtsträger beherrschte er nach Ausweis seines Werkes fließend Griechisch und Latein, was ihm bei seinen diplomatischen Missionen von Nutzen war. Nach dem mittelbyzantinischen Lexikon Suda stammte er aus Panion in Thrakien.[1] Er begleitete den römischen General Maximinus auf dessen Wunsch hin auf mehrere diplomatische Missionen (in welcher Funktion genau ist umstritten). Neben einer Reise an den Hunnenhof im Jahr 449 hielt sich Priskos 450 in Rom auf. 452/53 begleitete er Maximinus nach Ägypten. Nach dem Tod des Maximinus 453 hielt sich Priskos zunächst weiter in Ägypten auf und diente dann seit 456 dem magister officiorum Euphemius in beratender Funktion, wahrscheinlich als assessor (juristischer Berater). Mit einer solchen Stellung war gemeinhin die Erhebung in die mittleren Ränge des Senatorenstandes verbunden; daher ist zu vermuten, dass Priskos den Rang eines vir spectabilis bekleidete.

Werk

Priskos verfasste nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst in griechischer Sprache ein der Zeitgeschichte gewidmetes Werk in acht Büchern in der Tradition der antiken Geschichtsschreibung. Das Werk als Ganzes ist zwar verloren, doch sind wichtige Teile – etwa der berühmte, ausführliche Bericht über seine Teilnahme an einer Gesandtschaftsreise 449 zum Hunnenkönig Attila – als (teils recht umfangreiche) Fragmente erhalten geblieben. Neben Zitaten bei späteren Geschichtsschreibern (siehe unten) handelt es sich um Erwähnungen in der bereits erwähnten Suda sowie vor allem um Ausschnitte aus seinem Werk, die in den sogenannten Excerpta de Legationibus überliefert sind. Diese waren Teil eines umfangreichen enzyklopädischen Werks bestehend aus Exzerpten antiker griechischer Geschichtswerke, das in der Regierungszeit Kaiser Konstantins VII. angefertigt wurde und nur teilweise erhalten ist.[2]

Titel und Zeitraum der Darstellung sind nicht genau bekannt, doch schildert der früheste zeitgenössische Abschnitt die Machtübernahme durch Attila und Bleda (etwa 433/34) und kein bekanntes Fragment geht über das Jahr 471 hinaus. Vermutlich stellte der Beginn der Herrschaft Attilas auch den von Priskos gewählten Anfangspunkt dar; als wahrscheinlichstes Enddatum gilt in der Forschung das Jahr 474 (Tod Kaiser Leos I.).[3] In den Fragmenten des Priskos wird weder auf die Absetzung des Romulus Augustulus noch auf Odoaker eingegangen oder angespielt, weshalb vielfach angenommen wird, dass das Werk noch vor 476 beendet wurde; es sind aber auch spätere Daten möglich.

Die erhaltenen Fragmente erwecken den Eindruck, Priskos habe sich vornehmlich mit der römischen Außenpolitik befasst, doch kann diese Auswahl auch dem Interesse der späteren Kompilatoren geschuldet sein, denen wir die meisten ausführlichen Fragmenten verdanken. Offenbar stellte die Geschichte der Hunnen und ihrer Beziehungen zum Römischen Reich einen Schwerpunkt des Werkes dar; aber auch die römisch-persischen Kontakte wurden von Priskos behandelt. Sein Stil war – typisch für spätantike Geschichtsschreiber – klassizistisch; so bezeichnete er anachronistisch die Hunnen als Skythen und die persischen Sassaniden als Parther. Literarische Vorbilder waren offensichtlich Herodot und Thukydides, um deren Nachahmung (Mimesis) er sich in einer archaisierenden Kunstprosa bemühte;[4] die Belagerung von Naissus durch die Hunnen im Jahr 441 wird sogar in engster Anlehnung an die bei Thukydides geschilderte Belagerung von Plataiai erzählt. Durch diesen Ansatz, der dem Leser die klassische Bildung (paideia) des Autors demonstrieren soll, wird bisweilen der Blick auf das tatsächliche Geschehen versperrt. Priskos war dennoch ein scharfer Beobachter und bietet eine Fülle von wichtigen Informationen, die als überwiegend zuverlässig gelten. Ob er Christ oder Heide war, ist unbekannt; das Fehlen von christlichen Bezügen in den Fragmenten lässt sich grundsätzlich auch mit seinem klassizistischen Stil erklären.

Priskos kann trotz des weitgehenden Verlustes seines Werkes als einer der bedeutendsten Geschichtsschreiber zumindest der Spätantike gelten; die bei anderen Autoren überlieferten Passagen aus seinem Werk stellen sehr wichtige Quellen für die Geschichte des 5. Jahrhunderts dar. Das Werk wurde unter anderem von Euagrios Scholastikos und Jordanes (eventuell vermittelt über die verlorene Gotengeschichte des Cassiodor) benutzt, wohl auch von Prokopios von Caesarea. Der Historiker Malchos schloss möglicherweise direkt an das Werk des Priskos an.

Textausgaben

  • Roger C. Blockley (Hrsg./Übers.): The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman Empire. 2 Bde., Liverpool 1981/83 (die derzeitige Standardedition; griechischer Text mit englischer Übersetzung in Band 2, S. 222–377. Blockley verwendet eine andere Nummerierung der Fragmente als die der älteren Editionen von Carl Müller und Ludwig Dindorf)
  • Pia Carolla (Hrsg.): Priscus Panita. Excerpta et fragmenta. Berlin 2008. (alternative Edition zu der Blockleys, die die Fragmente teilweise anders anordnet und zählt als dieser sowie mögliche zusätzliche Fragmente berücksichtigt; ohne Übersetzung und mit lateinischer Einleitung und Kommentar; Rezension von Dariusz Brodka auf h-soz-kult)
  • Fragmenta historicorum Graecorum. Collegit, disposuit, notis et prolegomenis illustravit, indicibus instruxit Carolus Müllerus. (Scriptorum graecorum bibliotheca, Bände 34, 37, 40 und 59) (Digitalisat) (Neuauflagen 1875–1885, 1928–1938, Reprint Frankfurt am Main 1975).

Übersetzungen

  • Ernst Doblhofer: Byzantinische Diplomaten und östliche Barbaren. Aus den Excerpta de legationibus des Konstantinos Porphyrogennetos ausgewählte Abschnitte des Priskos und Menander Protektor (Byzantinische Geschichtsschreiber 4). Graz 1955 (deutsche Auswahlübersetzung der wichtigsten Fragmente).
  • John Given: The Fragmentary History of Priscus. Attila, the Huns and the Roman Empire, AD 430-476. Evolution Publishing, Merchantville (NJ) 2014 (aktuelle englische Übersetzung aller Fragmente auf Basis der Ausgabe von Pia Carolla).
  • Colin Gordon: The Age of Attila. Fifth-Century Byzantium and the Barbarians. University of Michigan Press, Ann Arbor 1960 (beinhaltet die meisten Fragmente in englischer Übersetzung; Onlineversion).

Literatur

  • Barry Baldwin: Priscus of Panium. In: Byzantion 50, 1980, S. 18–61.
  • Roger Blockley: The Development of Greek Historiography: Priscus, Malchus, Candidus. In: G. Marasco (Hrsg.): Greek and Roman Historiography in Late Antiquity. Fourth to Sixth Century A. D. Leiden/Boston 2003, S. 289–315.
  • Dariusz Brodka: Attila, Tyche und die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern. Eine Untersuchung zum Geschichtsdenken des Priskos von Panion. In: Hermes 136/2, 2008, S. 227ff.
  • Bruno W. Häuptli: Priskos von Panion. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 27, Bautz, Nordhausen 2007, ISBN 978-3-88309-393-2, Sp. 1082–1085.
  • Heinz-Günther Nesselrath: Priscus. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 23, 2003, S. 466–468.
  • David Rohrbacher: The Historians of Late Antiquity. London u. a. 2002, S. 82–92.
  • Warren Treadgold: The early Byzantine Historians. Basingstoke u. a. 2007, S. 96–102.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Suda, Stichwort Priskos (
    Πρίσκος
    ), Adler-Nummer: pi 2301, Suda-Online.
  2. Vgl. dazu András Németh: The Excerpta Constantiniana and the Byzantine Appropriation of the Past. Cambridge 2018.
  3. Zusammenfassend Rohrbacher, The Historians of Late Antiquity, S. 88.
  4. Klaus Meister: Thukydides als Vorbild der Historiker. Von der Antike bis zur Gegenwart. Paderborn 2013, S. 93f.