Pseudo-Leon Diogenes

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(Pseudo-)Leon Diogenes (altgriechisch Λέων Διογένης, russisch Леон Дивгеньевич Leon Diogenewitsch; † 15. August 1116) war ein byzantinischer Usurpator, der an der unteren Donau mit Unterstützung der Kiewer Rus als Thronprätendent gegen Kaiser Alexios I. auftrat.

Leben

Der zweitälteste Sohn des byzantinischen Kaisers Romanos IV., Leon Diogenes, war im März 1086 in einer Schlacht gegen die Petschenegen bei Silistra gefallen. Drei Jahrzehnte später tauchte bei den Kiewer Rus ein Mann auf, der von sich behauptete, ebendieser Leon Diogenes zu sein.[1] Großfürst Wladimir Monomach erkannte den imperialen Status des angeblichen byzantinischen Prinzen an und gab ihm seine Tochter Maria (oder Marina, † 1146) zur Frau.[2]

Im Jahr 1116 fielen die Russen unter dem Vorwand, dem vorgeblichen Leon Diogenes zum Thron verhelfen zu wollen, in das byzantinische Thema Paristrion ein. Der Prätendent verzeichnete zunächst einige Erfolge, da ihm mehrere Städte am südlichen Donauufer zufielen. Jedoch wurde er am 15. August in Silistra von zwei arabischen Boten, die Alexios I. als Attentäter angeworben hatte, in einen Hinterhalt gelockt und umgebracht. Sein Sohn Wassilko wurde 1136 ebenfalls ermordet.

Weil Anna Komnena und die übrigen byzantinischen Quellen für das fragliche Jahr keine Kriegshandlungen mit den Russen im Donauraum mitteilen, wird die Pseudo-Diogenes-Episode von 1116 teilweise als historiografisches „Duplikat“ der Ereignisse um den Pseudo-Diogenes von 1095 betrachtet.[3] Die Nestorchronik und weitere russische Quellen (u. a. die Hypatiuschronik) berichten sub anno 1116 jedoch recht ausführlich über diesen „Leon Diogenewitsch“ bzw. „Zarewitsch Gretscheski“.

Bereits 1107 hatte ein angeblicher Sohn Romanos’ IV. den Normannenfürsten Bohemund von Tarent bei dessen Angriff auf Dyrrhachion begleitet.[4] Die bisweilen spekulativ erwogene Identität dieses Pseudo-Diogenes mit der Figur von 1116 muss offenbleiben.[5]

Literatur

  • Jean-Claude Cheynet: Pouvoir et contestations à Byzance (963–1210) (= Publications de la Sorbonne. Série Byzantina Sorbonensia. Band 9). Reimpression. Publications de la Sorbonne Centre de Recherches d'Histoire et de Civilisation Byzantines, Paris 1996, ISBN 2-85944-168-5, S. 366.
  • Alexander Kazhdan: „Rus“-Byzantine Princely Marriages in the Eleventh and Twelfth Centuries. In: Harvard Ukrainian Studies. 12–13, 1988–1989, ISSN 0363-5570, S. 414–429 (PDF; 1,3 MB).
  • Marguerite Mathieu: Les faux Diogènes. In: Byzantion 22, 1952, ISSN 0378-2506, S. 134–148 (Digitalisat).
  • Victor Spinei: The Romanians and the Turkic Nomads North of the Danube Delta from the Tenth to the Mid-Thirteenth Century. (= East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450. Band 6). Brill, Leiden 2009, ISBN 978-90-04-17536-5, S. 124–125.
  • Mihail-Dimitri Sturdza: Dictionnaire Historique et Généalogique des Grandes Familles de Grèce, d’Albanie et de Constantinople. 2. Auflage. Selbstverlag, Paris 1999, ISBN 904747, S. 275.

Anmerkungen

  1. Der 1094–1095 als Gegenkaiser auf dem Balkan aufgetretene Kumanenführer Pseudo-Diogenes heißt bei Anna Komnena ebenfalls Leon. Aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch eindeutig, dass er die Identität dessen älteren Bruders Konstantin Diogenes beanspruchte. Unklar ist, ob diese Verwechslung auf Anna Komnena zurückgeht oder ob der Prätendent sich selbst (irrtümlich) Leon statt Konstantin nannte. Vgl. Kazhdan, Marriages. S. 420–422.
  2. Sturdza (Dictionnaire. S. 275) hält ihn für einen legitimen Sohn von Konstantin Diogenes und Theodora Komnena.
  3. Parallelen weist auch die Kalokyres-Episode aus dem 10. Jahrhundert auf.
  4. Ordericus Vitalis 11, 9: „filium Diogenis Augusti, aliosque de Graecis seu Thracibus illustres secum habebat“.
  5. Vgl. Mathieu, Faux Diogènes. S. 144 f.