PyCCS
PyCCS (englisch: pyrogenic carbon capture and storage, deutsch: pyrolytische bzw. pyrogene Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) ist eine Form der CO2-Abscheidung und -Speicherung durch Pyrolyse von Biomasse („Verkohlung“).
Diskussion der Theorie
Pyrolyse ist die thermische Behandlung von Biomasse bei 350 bis 900 °C in einer sauerstoffarmen Atmosphäre. Während dieses Prozesses entstehen drei kohlenstoffhaltige Erzeugnisse, sogenannte Biomassekarbonisate[3], die anschließend zur Erzeugung negativer Emissionen auf unterschiedliche Weise gespeichert werden können: Eine feste Biokohle (gelegentlich Pyrochar genannt, pyrogener Kohlenstoff), eine pyrolytische Flüssigkeit (Kreosot, welche allerdings auch krebserregende Substanzen enthalten kann) und ein Pyrolysegas (dominiert von den brennbaren Gasen CO, H2 und CH4), das nach der Verbrennung als CO2 in geologische Speicher verbracht werden könnte.[4]
Aktuelle Anlagen können bis zu 70 Prozent des in den Prozess eingebrachten Kohlenstoffs speichern (davon 20 bis 60 Prozent in Form von Biokohle).[5] Prozesstemperaturen über 500 °C resultieren dabei in der Pflanzenkohle mit dem längsten CO2-Bindungspotential.[6] In niedrigeren Temperaturbereichen können die Ausbeute und die Kohlenstoffeinlagerung der Pflanzenkohle durch Zugabe von Asche gesteigert werden.[7]
In Anbetracht der Knappheit der sinnvoll einzusetzenden Biomasse für die Verkohlung[8] besteht bei einer breiten Anwendung – und womöglichen Förderung – der Pyrolyse das Risiko, dass wertvolle Holzbestände oder gar kontaminierte verschwelbare Abfälle dabei eingesetzt werden. Der BUND empfahl daher verstärkte Qualitätssicherung und ein Verzicht auf allein zur CO2-Sequestrierung ausgewiesenen Biomasseanbaus zugunsten in lokaler Stoffströme eingebundenes PyCCS.[9]
Anwendbarkeit
Im Gegensatz zu anderen Verfahren der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) und der Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS) ist PyCCS auch in kleinem Maßstab und bereits kurzfristig anwendbar[4], sowie „integraler Bestandteil des Klimaschutzes“.[10] Die Ausgangstechnologie wird als „etabliert“ bewertet und bei ausreichenden Anreizen eine globale Verbreitung der Technologie innerhalb von zehn bis dreißig Jahren angenommen (Stand: 2018).[11][5] Die DENA attestiert PyCCS Potenzial und weiterhin hohen Forschungsbedarf.[12] Zur Abwägung der zahlreichen Standortfaktoren und Prozessparameter von PyCCS wird der Einsatz von Machine Learning diskutiert.[13]
Hersteller und Marktsituation
Weltweit existieren einige wenige Hersteller von PyCCS-Anlagen, die auf verschiedene Ausbeuteverhältnisse optimiert sind. Daneben existieren diverse Selbstbauexperimente, bspw. von Landwirten. Syncraft (Österreich) ist auf Pyrolysegas zur Wärmegewinnung,[14] Biomacon und Pyreg (beide Deutschland) auf Pflanzenkohle[15] spezialisiert. Die Carbonauten (Deutschland) gedenken PyCCS-Erzeugnisse als Bau- und Werkstoffe zu nutzen.[16] Die MIT-Ausgründung Takachar (Indien) und Pyrotech Energy (Australien) bieten mobile Systeme auf Anhängern an.[17][18] Einzelne erwägen die Zusammenführung mit dem Anbau von Nutzhanf.[19]
Die Kapazitäten bisheriger Pyrolyseanlagen und -Hersteller[20] sind trotz hoher Wachstumszahlen von 60 bis 90 Prozent pro Jahr[21] begrenzt, sodass Anreize zur Breitenwirksamkeit der Technologie empfohlen werden.[10] Daniel Kray (Hochschule Offenburg) empfiehlt zur Marktreifung eine verstärkte industrielle Kooperation und Schritte zur koordinierten Beobachtung der Technologie.[21] Eine einfache Anlage für den Betrieb mit Lignocellulose zur Herstellung von Pflanzenkohle ist rudimentär als Open-Source-Hardware dokumentiert.[22][23]
Wirtschaftlichkeit
Kostenschätzungen für eine idealtypische PyCCS-Anwendung gingen 2015/2016 von 150–165 US-$ (ca. 130–145 €) Kosten pro Tonne CO2 aus.[24] Neuere Studien weisen gar niedrigere Beträge aus.[25] Die Einführung einer CO2-Bepreisung, die diese Kosten übersteigt, könnte die PyCCS-Anwendung für Unternehmen wirtschaftlich attraktiv machen. Voraussetzung wäre somit die Internalisierung der externen Kosten des CO2-Ausstoßes, etwa durch eine CO2-Steuer. Das deutsche Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt für im Jahr 2016 emittierte Treibhausgase, die Klimakosten mit 180 Euro pro Tonne Kohlendioxidäquivalent anzusetzen.[26]
Die Technologie eignet sich besonders zur regionalen Wertschöpfung[27], der Kaskadennutzung von Biomasseprodukten[28] und Cradle-to-Cradle. Für positive Nebeneffekte (Co-Benefits) sollte idealerweise eine Nutzung aller Endprodukte (Pflanzenkohle, Pyrolyseöl/-gas, Abwärme) und kontinuierlicher Betrieb sichergestellt werden.[25][29]
Ökologisches Potential
Kohlenstoffbindung | Anteil an notwendigen Negativemissionen | Steigerung globaler Nährstoffproduktion | Renaturierungsfläche |
---|---|---|---|
0,44–2,62 Gt CO2/Jahr (bis 2100: 33–201 Gt CO2) | 6–35 % | 2–16 % | 1 Mio. km² (vgl. 6,9 % der weltweiten Ackerfläche) |
Mit einem umweltverträglichen Kohlstoffbindungspotential in Höhe von 1,8 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten jährlich wird der mögliche Beitrag von PyCCS zum Klimaschutz ohne Gefährdung lokaler Biodiversität als „substantiell“ eingeschätzt.[30] Der Hallenser Bodenbiogeochemiker Bruno Glaser schätzte 2019, dass durch mittels Pyrolyse gewonnene Terra preta (portug.: schwarze Erde) zehn Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Europa vermieden werden können.[31] Laut des Interessen- und Fachverbandes European Biochar Industry (EBI) könnte PyCCS alle der bis 2050 verbleibenden Treibhausgasemissionen kompensieren, sofern gegenwärtige Emissionsreduktionsziele eingehalten werden.[32]
Insbesondere in Regionen mit wenig fruchtbaren Böden kann PyCCS durch die mittelfristige Verbesserung der Bodenqualität einen deutlich größeren Beitrag zum Klimaschutzbeitrag leisten als klassische Biomasseheizkraftwerke, doch auch in fruchtbaren Regionen kann PyCCS Vorteile bieten.[30] Im Gegensatz zu anderen Negativemissionstechnologien mit Biomasse kann die lokale Wiedereinbringung der Pflanzenkohle in die Böden Folgeerträge von für Nahrungsmittel genutzte Flächen steigern. Damit ermöglicht PyCCS eine „flächenneutrale“ Kohlenstoffbindung ohne Einbußen zuungunsten der Ernährungssicherheit.[1]
Durch die großflächige und unüberlegte Anwendung von PyCCS können Belastungen von Wasserkreisläufen auftreten, die nur zum Teil durch Wassermanagement und Vorteile von PyCCS und Pflanzenkohle für die Bodenkultivierung ausgeglichen werden können. Im Bereich Forschende plädieren deshalb für eine beschleunigte Emissionsreduktion, um den ökologischen Druck so gering wie möglich zu halten.[33]
Qualitätssicherung
Um wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen als tatsächliche Kohlenstoffsenke zu bemessen, kann das Europäische Pflanzenkohle-Zertifikat (EBC) verwendet werden: Hierzu bedarf es der klimaneutralen Gewinnung der Biomasse und dem Abzug der bei der Pyrolyse, dem An- und Abtransport sowie der Weiterverarbeitung anfallenden Emissionen. Ebenso ist der (langfristige) Zerfall der Pflanzenkohle zu berücksichtigen.[5]
Siehe auch
Literatur
- Constanze Werner, Hans-Peter Schmidt, Dieter Gerten, Wolfgang Lucht, Claudia Kammann: Biogeochemical potential of biomass pyrolysis systems for limiting global warming to 1.5° C. 2018, Environmental Research Letters, 13(4), 044036. doi:10.1088/1748-9326/aabb0e
Referenzen
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