EBU-Empfehlung R 128
Die Empfehlung R 128 der EBU ist ein technisches Regelwerk, welches die Tonaussteuerung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen neu definiert.[1] Von den öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern in Deutschland wird sie seit dem 31. August 2012 teilweise angewendet, in anderen Ländern wurde sie schon vorher eingeführt.
Vorgeschichte
Bisher galt im deutschen Rundfunk eine Aussteuerungsgrenze, die sich ausschließlich am Spitzenpegel orientierte. So durfte ein Maximalpegel von +6 dBu, gemessen mit einem Quasi-Spitzenpegelmessgerät, nicht überschritten werden. Da für das menschliche Ohr ein gleicher Pegel nicht ein gleiches Lautheitsempfinden bedeutet, hat in den vergangenen Jahrzehnten sowohl die Musik- als auch die Werbeindustrie durch den massiven Einsatz von Kompressoren dafür gesorgt, dass Musikstücke und Werbespots immer lauter wurden, ohne dabei den Spitzenpegel zu überschreiten. In der Fachwelt wird dieses Phänomen „Loudness War“ („Lautheits-Krieg“) genannt. Die dadurch bedingten Unterschiede in der empfundenen Lautheit sind eine häufige Ursache für Beschwerden von Zuschauern und -hörern an die technisch Verantwortlichen bei den Rundfunksendern. Daher wurde eine Lösung angestrebt, die eine Angleichung der Lautheit unterschiedlicher Programme und Programminhalte ermöglicht.
EBU-Arbeitsgruppe „P/LOUD“
Im Rahmen einer internationalen Arbeitsgruppe haben Ingenieure und Tonmeister verschiedener Rundfunksender und rundfunktechnischer Institute zunächst Bewertungs- und Messmethoden entwickelt, um es der Industrie zu ermöglichen, ihrerseits entsprechende Messinstrumente zu konstruieren und am Markt anzubieten.[2] Gleichzeitig wurde ein Hinweisdokument erarbeitet, um es den Rundfunksendern und externen Programmproduzenten zu ermöglichen, ihre Tonbearbeitung auf die neue Empfehlung umzustellen.[3] Ein weiteres Hinweisdokument beschäftigt sich mit den Verfahrensweisen im Bereich der eigentlichen Ausstrahlung des fertigen Programmes, also der Signalverteilung.[4]
Die Empfehlung „R 128“
Mit der EBU-Empfehlung „R 128“ werden neue Maßeinheiten eingeführt, um ein Audiosignal zu charakterisieren:
- LUFS, „Loudness Units relative to Full Scale“, also „Lautheits-Einheiten relativ zu digitalem Vollpegel (0 dBFS)“.
- LU, „Loudness Units“, der relative Wert von LUFS. 1 LU entspricht 1 dB.
- LRA „Loudness Range“[5], ein statistisch ermittelter Wert, der die Dynamik eines Programmabschnitts beschreibt.
- dBTP, „dB relative to True Peak“, ein Wert für die korrekt gemessene digitale Aussteuerung, die Spitzen zwischen Abtastwerten berücksichtigt. Hierdurch können Werte oberhalb 0 dBFS ermittelt werden.
Festgelegt wird, dass ein Zielwert (Target Level) von −23 LUFS ± 1 LU gemessen über die Gesamtheit des angelieferten Spots, Beitrags oder der Sendung einzuhalten ist. Außerdem darf ein digitaler Spitzenpegel von −1 dBTP nicht überschritten werden.
Durch die Umsetzung dieser Empfehlung, die zu einer „Lautheitsnormalisierung“ führt, soll der vom Zuhörer empfundene Lautheitseindruck über den gesamten Programmablauf nahezu gleich bleiben und ein ständiges Nachregeln der Lautstärke am Empfangsgerät beim Umschalten zwischen verschiedenen Sendern soll entfallen. Der Pegel darf dennoch stärker schwanken, die Dynamik des Programms kann also erhöht und interessanter gestaltet werden.
Die durchschnittliche Lautheit richtet sich in der Praxis nach gesprochener, vordergründiger Sprache, denn die meisten Zuhörer stellen erfahrungsgemäß ihre Hörlautstärke danach ein.
Technische Umsetzung
Die Messung der Lautheit erfolgt mit den definierten EBU-Mode-Messalgorithmen (digitale Plug-ins oder physische Outboard-Geräte). Für die Messung 'momentaner' Lautheitswerte („M“ für „Momentary“, gemittelt über die letzten 400 Millisekunden), sowie kurzzeitig gemittelter Werte („S“ für „Short Term“ gemittelt über die letzten 3 Sekunden) können Echtzeit-Messungsalgorithmen verwendet werden.
Hingegen wird die integrierte Durchschnittslautheit des gesamten zu normalisierenden Audio-Abschnitts (Werbe-Spot, Feature, Spielfilm …) entweder durch einen Echtzeit-Scan mittels eines Start-Stop-Buttons beim Abhören mit einer anschließend ermittelten Werte-Ausgabe durchgeführt (zeitraubend bei großen zu messenden Zeiträumen), oder die integrierte Gesamtlautheit wird kurzerhand durch eine 'Offline'-Messung (schneller als Echtzeit, ohne Abhören) durchgeführt (praktikabel, je größer der zu messende Zeitraum).
Für die Ermittlung des Gesamt-Lautheitswerts wird eine relative Noise-Gate-Funktion verwendet, die dazu dient, Stille und 'Hintergrund-Geräusche' (unterhalb eines vorgeschriebenen Schwellenwerts) aus der Messung auszuschließen, da diese den Messwert sonst unnötig tief sinken lassen würden. Es fließen also nur 'hauptsächliche' Lautheiten (oberhalb dieser Schwelle) in die Messung ein.
Am Markt sind Messinstrumente zum Aufstellen erhältlich sowie Software, welche sowohl die Messung als auch die Normalisierung von ganzen Audiodateien ermöglicht.
Vorhandene Produktionen müssen auf −23 LUFS normalisiert werden, was im Regelfall bedeutet, dass der Gesamtpegel reduziert werden muss, da frühere Produktionen deutlich höher als −23 LUFS ausgesteuert wurden.
Varianten der Empfehlung
Da die Umsetzung der EBU-Empfehlung „R 128“ nicht bindend ist, haben einzelne Fernsehsender bereits begonnen, eigene zusätzliche Bedingungen an die Produktion des Programms zu stellen. So gibt es beim ORF ein Limit von −3 dbTP bei datenreduzierten Formaten, arte gibt Richtwerte für die LRA heraus und verschiedene Sender fordern bei kurzen Beiträgen wie Werbespots maximale M- und S-Lautheitswerte zusätzlich zur durchschnittlichen Lautheit von −23 LUFS.
Spotify normalisiert Audio auf −14 LUFS.[6]
Netflix gibt diverse Empfehlungen für die Abgabe von Filmton, unter anderem maximal −2,3 dBTP.[7]
Ausblick
Die Empfehlung ist grundsätzlich auch auf Hörfunkprogramme anwendbar. Es zeichnet sich dort bisher kein verbindlicher Einführungstermin ab. Inzwischen wird auch im Radio schrittweise die Lautheitsbezogene Aussteuerung eingeführt. Beispielsweise der BR stellte seine Hörfunkprogramme zum Jahresende 2015 um.[8] Schwierig ist die Einführung im Internet: Während sich die Fernsehsender auf allen Verbreitungswegen auf die neue Empfehlung geeinigt haben, wird es auch künftig im Internet eine Vielzahl unterschiedlicher Anbieter von Video- und Audiomaterial geben, die ihren Tonpegel auf 0 dBFS normalisieren, so dass es im Internet auch weiterhin erhebliche Lautheitssprünge geben wird. Eine Veränderung wird es hier voraussichtlich erst geben, wenn sich die Umsetzung der R 128 im Fernsehen bewährt hat und akzeptiert wird.
Siehe auch
- Replay Gain, eine ältere, ähnliche Konvention
- Lautstärkemesser
Weblinks
- Laut, lauter, schwerhörig. Im Gespräch mit dem Tonmeister und Lautheitsexperten Askan Siegfried vom Norddeutschen Rundfunk. Deutsches Medizinradio, Dezember 2012 (MP3, 23:42 min., 21,8 MB) (Memento vom 18. Oktober 2013 im Internet Archive)
- Florian Scholz: R128 — the revolution. In: SAE Magazine. 01/12, 2012, S. 104–107
Einzelnachweise
- ↑ Die EBU-Empfehlung „R 128“ auf Deutsch (PDF; 401 kB)
- ↑ Dokument der EBU zur Lautheitsmessung (PDF; 495 kB)
- ↑ Dokument der EBU zur praktischen Anwendung der Empfehlung (PDF; 4,9 MB)
- ↑ Dokument der EBU zur digitalen Verteilung von lautheitsnormalisierten Programmen (PDF; 833 kB)
- ↑ Dokument der EBU zur Loudness Range (PDF; 505 kB)
- ↑ Loudness normalization. In: Spotify for Artists. Abgerufen am 25. März 2021 (englisch).
- ↑ Netflix Sound Mix Specifications & Best Practices
- ↑ BR optimiert Klang durch Aussteuerung nach Lautheit (Pressemitteilung v. 10. Juli 2015)