Radialsystem (Kulturzentrum)

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Datei:Berlin RadialsystemV 02.jpg
Radialsystem, Ansicht von der Spree

Das Radialsystem (ursprünglich Radialsystem V) ist ein Kultur- und Veranstaltungszentrum in der Holzmarktstraße des Berliner Ortsteils Friedrichshain nahe dem Ostbahnhof und der Spree. Es besteht aus der denkmalgeschützten Maschinenhalle des ehemaligen Abwasserpumpwerks V sowie einem 2006 hinzugefügten neuen Gebäudeteil, der den Altbau einfasst und überbrückt. Das Abwasserpumpwerk war bis 1999 in Betrieb. Heute werden in den Räumlichkeiten sowohl künstlerische Programme produziert und aufgeführt als auch Veranstaltungen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien durchgeführt.

Geschichte

Ostseite
Fuß des Kamins

Das Abwasserpumpwerk V in der Holzmarktstraße entstand zwischen 1879 und 1880 nach der Fertigstellung der Kanalisation des Stralauer Viertels und wurde nach Plänen des Architekten Richard Tettenborn errichtet.[1] 1869 erhielt James Hobrecht, Hauptverfasser des 1862 in Kraft getretenen Bebauungsplans der Umgebungen Berlins den Auftrag, für Berlin ein Abwasserentsorgungssystem zu konzipieren. Der Baurat und Ingenieur teilte die Stadt in zwölf Areale – zwölf Radialsysteme – ein, von denen aus die Abwässer auf die Berliner Rieselfelder geleitet wurden. Das Pumpwerk des Radialsystems III am Halleschen Ufer beherbergte später ein Lapidarium. Das Abwasserpumpwerk V wurde 1905 umgebaut und erweitert und entsorgte ab 1906 die Abwässer des dicht bebauten Stadtgebietes zwischen Spree, Alexanderplatz, Schönhauser Allee, Ringbahn, Thaerstraße und Warschauer Straße mit rund 400.000 Einwohnern. Die Abwässer wurden über das Radialsystem auf das Rieselfeld nach Falkenberg nördlich der Stadt gepumpt. Bei einer Überbelastung konnten sie über Notauslässe in die Spree geleitet werden. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Drittel der Anlage zerstört. Die verbliebene Maschinenhalle wurde mit elektrischen Pumpen ausgestattet und noch bis 1999 genutzt.[1]

Veranstaltungssaal

Im Jahr 2004 legte der Architekt Gerhard Spangenberg einen Entwurf für die Sanierung des denkmalgeschützten Bauwerks vor und gewann die Radialsystem V GmbH als Betreiber für das Projekt.[1] Die Schauseiten des Gebäudes sollten sichtbar bleiben. Zur Gewinnung zusätzlichen Raums war die Abrissseite neu zu gestalten. Über dem ehemaligen Kesselhaus entstand ein neues zweigeschossiges Gebäudeelement auf einem eigenen Tragwerk, vom Altbau durch ein Luftgeschoss getrennt. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Seite erhielt einen dreigeschossigen Vorbau. Das ehemalige Beamtenwohnhaus neben dem Radialsystem V wurde zu einem Gästehaus umgebaut.

Die Radialsystem V GmbH wurde 2005 von dem Kulturunternehmer Jochen Sandig und dem Musikmanager Folkert Uhde in Berlin gegründet und ist Mieter und Betreiber des Hauses.[2] Das Haus verfügt über verschiedene Räume und Flächen auf insgesamt sechs Etagen, die für Konferenzen, Gala-Veranstaltungen, Empfänge, Partys und Fernsehproduktionen genutzt werden.

Die Compagnie Sasha Waltz & Guests, die Akademie für Alte Musik Berlin, das Vocalconsort Berlin und das Solistenensemble Kaleidoskop sind als Hausensembles durch Proben- und Produktionsprozesse sowie Veranstaltungen eng mit der Entwicklung des Hauses verbunden. Mit der Sopranistin Annette Dasch produziert das Radialsystem V regelmäßig das Fernsehformat Annettes DaschSalon, das in 3sat und in ZDFkultur (ehemals: ZDFtheaterkanal) ausgestrahlt wird. Zudem sind regelmäßig Künstler, Ensembles und Institutionen aus verschiedenen Bereichen im Radialsystem zu Gast oder in eigene Formate eingebunden. Die nationale und internationale Vernetzung des Hauses zeigt sich auch an der Einbindung in verschiedene renommierte Festivals. 2007 wurde dort das Jazzalbum Live in Berlin – Black Saint Quartet von David Murray mitgeschnitten.

Die Radial Stiftung wurde 2006 als Stiftung bürgerlichen Rechts gegründet und unterstützt modellhafte genreübergreifende künstlerische Produktionen aus und zwischen den Kunstgattungen Tanz, Musik und bildender Kunst.[3]

Im Jahr 2018 entfiel der Namenszusatz „V“.

Filmische Rezeption

Für die Architekturausstellung Kultur:Stadt, die von März bis Juni 2013 in der Berliner Akademie der Künste und von Juli bis Oktober 2013 im Kunsthaus Graz stattfand, drehte der Filmemacher Ingo J. Biermann einen halbdokumentarischen Experimentalfilm über das Radialsystem.[4] Der Film kombiniert Szenen eines kleinen Mädchens, das mehrere von Gerhard Spangenbergs Architekturplänen des Gebäudes ausmalt, mit abstrakten Fotografien der Künstlerin Fiene Scharp, die die alten und die neuen Teile des Radialsystems zueinander in Beziehung setzen und sie zunehmend in anarchischer Weise ad absurdum führen.

Gemäß den Aussagen des Regisseurs habe „der Anspruch, Grenzen zu ignorieren, zu überschreiten, neu zu definieren“, den er im Radialsystem sehe, zur ungewöhnlichen Form seines Films geführt. Dieser könne „nur ein radikaler und Grenzen ignorierender sein“, wenn er dem Geist und Anspruch des Hauses gerecht werden wolle.[5]

Weblinks

Commons: Radialsystem V (Berlin) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Eintrag in der Berliner Denkmalliste
  2. Radialsystem V GmbH (Memento vom 5. Januar 2011 im Internet Archive) Homepage des Radialsystems
  3. Radialstiftung (Memento vom 16. März 2012 im Internet Archive) Homepage des Radialsystems
  4. Webseite und Blog zum Ausstellungsprojekt Kultur:Stadt.
  5. Kultur:Stadt, Wilfried Wang (Hrsg.) für die Akademie der Künste, Lars Müller Publishers 2013, ISBN 978-3-88331-197-5, S. 163.

Koordinaten: 52° 30′ 37″ N, 13° 25′ 46″ O