Ralf Weskamp

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Ralf Weskamp (* 4. Januar 1962 in Paderborn) ist ein deutscher Bildungsmanager, Schulleiter und Spracherwerbsforscher. Er wurde bekannt durch Publikationen und Vorträge zur englischen Fachdidaktik und zur Schulentwicklung.

Leben

Weskamp legte sein Abitur am Städtischen Gymnasium in Bad Driburg ab und studierte nach seinem Wehrdienst an der Universität Paderborn Anglistik und Chemie für das Lehramt an den Sekundarstufen I und II sowie ergänzend Philosophie und Erziehungswissenschaften. Seine Staatsarbeit schrieb er im Bereich der angewandten Chemie, in der er auch als studentischer Mitarbeiter und Ausbilder für chemisch-technische Assistenzkräfte tätig war.[1] Danach wechselte er in das Fach anglistische Literaturwissenschaft, in dem er zunächst als studentischer, dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter anderem bei der Erschließung der Fürstlichen Bibliothek in Corvey tätig war. Er erhielt ein Postgraduiertenstipendium des Landes Nordrhein-Westfalen und wurde 1990 mit einer Arbeit über die Darstellung von Naturwissenschaften und Naturwissenschaftler bei C. P. Snow promoviert.[2]

1992 legte Weskamp sein zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in Kassel ab. Seit 1993 ist er in verschiedenen Funktionen im Schuldienst tätig. Zunächst war er Lehrer an den Beruflichen Schulen Bad Wildungen, dann Oberstufenleiter am dortigen Gustav-Stresemann-Gymnasium. Er wurde Gesamtleiter der Ursulinenschule Fritzlar[3] und Schulleiter des Gymnasiums Bundespräsident-Theodor-Heuss-Schule in Homberg, das er bis heute leitet.[4]

Parallel zu seiner Tätigkeit in der Schulpraxis verfolgte er eine wissenschaftliche Laufbahn in der englischen Fachdidaktik. Von 1994 bis 2002 war er Mitarbeiter und Dozent, dann Leiter des Referats für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur am Hessischen Landesinstitut für Pädagogik, Reinhardswaldschule, in Fuldatal.[5] Von 2001 bis 2005 war er Mitglied der Forschungsgruppe zur Wissenschaftlichen Begleitung der Pilotphase „Fremdsprache in der Grundschule“ an der Universität Tübingen.[6] Von 2006 bis 2010 forschte er an der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg zur Mehrsprachigkeit.[7] 2001 wurde er Gründungsmitglied des wissenschaftlichen Beirates der English Academy des Bildungshauses in Braunschweig,[8] dem er bis 2015 angehörte.

Seit 2010 ist er Gutachter für die Zeitschrift The Modern Language Journal (Wiley-Blackwell), und von 2016 bis 2019 war er Wissenschaftlicher Berater für die Cornelsen Schulverlage.[9]

Nach einer Weiterbildung im Verwaltungsrecht an der Fernuniversität in Hagen und jahrelanger Prüfungstätigkeit im Schulrecht bei Staatsexamensprüfungen erhielt er 2021 einen Lehrauftrag für Schulrecht an der Universität Kassel.[10]

Weskamp ist seit 1993 verheiratet und hat zwei Kinder.

Wissenschaftliche Schwerpunkte

In der englischen Fachdidaktik verfasste er Bücher und Zeitschriftartikeln und trug so zur Entwicklung dieser akademischen Disziplin bei. Dabei konzentrierte er sich zunächst auf die schülerorientierte Methodik, insbesondere auf das autonome Fremdsprachenlernen, in dem Schüler sich eigene Ziele setzen und selbst Entscheidungen über Inhalte, Lernstrategien und Vorgehensweisen treffen. Prägend waren für ihn Begegnungen mit David Little (Trinity College Dublin), Lienhard Legenhausen (Universität Münster) und Leni Dam (Kopenhagen), die über autonomes Fremdsprachenlernen gearbeitet haben.[11]

Weskamps eigene Arbeiten griffen den damals prominenten Konstruktivismus als philosophische und lerntheoretische Grundlage auf. Nicht den Stoff, sondern das soziale Klassenzimmer verstand er als eigentliches Handlungsprodukt gemeinsamer Aktivitäten von Lehrkräften und Lernenden. Ähnlich dem kooperativen Bau eines Legohauses sieht Weskamp das Klassenzimmer als Ergebnis kommunikativer Aushandlung, in der der Spracherwerb auf natürliche Weise, praktisch „nebenbei“ erfolgt.[12]

Weskamp selbst erscheint es in seiner weiteren Forschung als ein Fehler, anstelle der Lernpsychologie (wie noch bei der audio-lingualen Methode) nun die Pädagogik und vor allem die Handlungsorientierung zur Grundlage des Fremdsprachenunterrichts zu machen. Sprache entsteht für ihn vor allem im Kopf.[13] Sie ist ein Produkt von Hören und Sprechen. Sein Interesse verlagerte sich daher in den 2000er Jahren in Richtung Neurolinguistik und der bewussten und unbewussten Vorgänge im Gehirn, die den Erwerb mehrerer Sprachen ermöglichen.[14]

Den Blick der kognitiven Sprachverarbeitung brachte er auch in das Forschungsteam der Universität Tübingen unter der Leitung von Erika Werlen (jetzt Lang) ein, dem es um den Fremdsprachenerwerb von Grundschulkindern ab Klasse 1 in Baden-Württemberg ging.[6] An der Universität Augsburg setzte er diese Forschung am Lehrstuhl von Konrad Schröder fort und entwickelte eine neurokognitive Theorie des Fremdsprachenerwerbs, aus der er praktische Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung ableitete. Auf diese Weise konnte er seine frühen Vorstellungen zum autonomen Fremdsprachenunterricht aktualisieren und durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften untermauern. Darüber hinaus beschäftigte sich Weskamp immer wieder mit Literaturdidaktik, insbesondere mit der Relevanz postmoderner Literaturtheorien für den Unterricht.[15]

Aus der Tätigkeit als Spracherwerbsforscher resultieren zahlreiche Vorträge und Workshops an Universitäten, auf Bildungsmessen, an Lehrerfortbildungsinstituten[16] und während der Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF)[17] und des Gesamtverbandes Moderne Fremdsprachen (GMF). Außerdem beriet er in der Curriculumentwicklung das baden-württembergische Ministerium für Kultus, Jugend und Sport[18] und das Hessische Kultusministerium.[19]

Als Leiter mehrerer Schulen galt sein Interesse früh Fragen des Schulmanagements, des Schulrechts und der Betriebswirtschaftslehre. Gemeinsam mit den Wissenschaftlern Rudolf Messner und François Beilecke entwickelte er eine neue Sicht auf die Wissenschaftspropädeutik. Hiernach ist es vor allem der praktische Vollzug von Wissenschaft, durch den Schüler lernen, wissenschaftlich zu denken und zu handeln. Das Schulentwicklungskonzept, das hieraus entstand, nannte er „Wissenschaft inszenieren“.[20]

Von 2007 bis 2021 war Weskamp stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands Hessen in der Bundesvereinigung der Oberstudiendirektoren an Gymnasien und beschäftigte sich mit Fragen des Bildungsmanagements und der Politikberatung.[21] In der Auseinandersetzung mit Fragen des Schulmanagements entwickelte er ein Rollenmodell der Schulleitung. Bezugspunkte bilden dabei Etienne Wenger-Trayners Konzept der Communities of Practice, die Rollensoziologie und die Schauspieltheorie. Hierdurch gelang es Weskamp, den vorherrschenden Begriff der „Authentizität“ im Führungsverhalten zu hinterfragen und durch das Spiel von verschiedenen Rollen zu ersetzen, in denen ein Schulleiter sichtbar wird.[22]

Veröffentlichungen (Auswahl)

Als Autor

  • Englische Fachdidaktik: Grundlagen & Konzepte. Cornelsen, Berlin 2001. ISBN 978-3464006351.
  • Fremdsprachenunterricht entwickeln: Grundschule – Sekundarstufe I – Gymnasiale Oberstufe. Schroedel-Diesterweg-Klinkhardt, Hannover 2003, ISBN 978-3507712027.
  • Postmodern Thinking and Foreign Language Teaching and Research. In: Klaus Stiersdorfer, Laurenz Volkmann (Hrsg.): Teaching Postmodernism – Postmodern Teaching. Stauffenburg, Tübingen 2004, ISBN 978-3860571064, S. 61–75.
  • Mehrsprachigkeit: Sprachevolution, kognitive Sprachverarbeitung und schulischer Fremdsprachenerwerb. Schroedel-Diesterweg-Klinkhardt, Braunschweig 2007, ISBN 978-3781515291.
  • Fremdsprachenlernen in der Grundschule: Das baden-württembergische Forschungsprojekt 'WiBe'. In: Gaby Engel, Bernd Groot-Wilken, Eike Thürmann (Hrsg.): Englisch in der Primarstufe. Chancen und Herausforderungen, Cornelsen, Berlin 2009, ISBN 978-3060321742, S. 47–66.
  • Bildungsstandards lernerorientiert umsetzen: Kompetenzen, Aufgabenstellungen und Leistungsbeurteilung. In: Gerhard Bach, Johannes-Peter Timm (Hrsg.): Englischunterricht. 4. Auflage. UTB-Narr, Tübingen 2009, ISBN 978-3772083402, S. 256–279.
  • Autonomes Fremdsprachenlernen im Klassenzimmer – revisited. In: Otfried Börner, Christa Lohmann (Hrsg.): Kommunikativer Fremdsprachenunterricht. Positionen – Postulate – Perspektiven. Symposion für Dr. Christoph Edelhoff. Diesterweg, Braunschweig 2011, ISBN 978-3425998527, S. 56–64.
  • Lloyd Jones’ Mister Pip: Die Erforschung postkolonialer Konflikte. In: Julia Hammer, Maria Eisenmann, Rüdiger Ahrens (Hrsg.): Anglophone Literaturdidaktik – Zukunftsperspektiven für den Englischunterricht. Winter, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-8253-6114-3, S. 271–288.
  • Geschichten und Literatur. Kommunikation, Wissens- und Spracherwerb im fremdsprachlichen Unterricht. In: Lutz Küster, Christiane Lütge, Katharina Wieland (Hrsg.): Literarisch-ästhetisches Lernen im Fremdsprachenunterricht. Theorie, Empirie, Unterrichtsperspektiven. Lang, Frankfurt a. M. 2015, ISBN 978-3631653937, S. 33–55.
  • Funktionen und Ziele des Literaturunterrichts. In: Christiane Lütge (Hrsg.): Grundthemen der Literaturwissenschaft. Literaturdidaktik. De Gruyter, Berlin 2019, ISBN 978-3110401202, S. 107–134.
  • Schulleitung – Von der Rollenfindung zum Führungserfolg. Beltz, Weinheim 2020, ISBN 978-3407632012.

Als Herausgeber

  • mit Christoph Edelhoff: Autonomes Fremdsprachenlernen. Hueber, Ismaning 1999. ISBN 978-3190066254.
  • Methoden und Konzepte des fremdsprachlichen Unterrichts. Schroedel, Hannover 2001. ISBN 978-3-507-99873-5.
  • mit Erika Werlen: Kommunikative Kompetenz und Mehrsprachigkeit. Diskussionsgrundlagen und unterrichtspraktische Aspekte. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2007, ISBN 978-3834002464.
  • mit François Beilecke, Rudolf Messner: Wissenschaft inszenieren: Perspektiven des wissenschaftlichen Lernens für die gymnasiale Oberstufe. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2014, ISBN 978-3781519633.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. M. Grote, R. Weskamp, U. Hüppe, A. Kettrup: Liquid-liquid extraction of noble metals by formazans: Analytical Applications of Silver Extraction by ortho-Substituted Formazans. In: Analytica Chimica Acta. Band 207, 1. Januar 1988, ISSN 0003-2670, S. 171–181, doi:10.1016/S0003-2670(00)80793-X (sciencedirect.com [abgerufen am 25. September 2021]).
  2. Ralf Weskamp: Naturwissenschaftler und Naturwissenschaften. Die Romane C. P. Snows. Lang, Frankfurt a. M. 1991, ISBN 978-3-631-43618-9.
  3. Geschichte der Ursulinenschule. Abgerufen am 27. Mai 2021.
  4. Schulleitung und Stufenkoordination. Abgerufen am 15. März 2021.
  5. Julia Hammer, Maria Eisenmann, Rüdiger Ahrens: Anglophone Literaturdidaktik : Zukunftsperspektiven für den Englischunterricht. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-8253-6114-3, S. 494.
  6. a b Klaus Teichmann, Erika Werlen: Schlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung WiBe der Pilotphase Fremdsprache in der Grundschule. Zielsprache Englisch und Zielsprache Französisch. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Stuttgart 2007.
  7. Ralf Weskamp: Mehrsprachigkeit Sprachrevolution, kognitive Sprachverarbeitung und schulischer Fremdsprachenunterricht. Schroedel-Diesterweg-Klinkhardt, Braunschweig 2007, ISBN 978-3-507-71209-6.
  8. The English Academy & At Work. Über uns. Abgerufen am 15. März 2021.
  9. Cornelsen English Network. Abgerufen am 25. September 2021 (Hinweis auf die CEN-Bundestagung 2017).
  10. Universität Kassel: Lehrbeauftragte: Dr. Ralf Weskamp, Oberstudiendirektor. Abgerufen am 24. Februar 2022.
  11. Otfried Börner, Christa Lohmann (Hrsg.): Kommunikativer Fremdsprachenunterricht. Positionen - Postulate - Perspektiven. Diesterweg, Braunschweig 2011.
  12. Ralf Weskamp: Das Klassenzimmer als Legohaus. Oder: Wie Schüler und Lehrer fremdsprachlichen Unterricht erhandeln. In: Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis. Band 52, Nr. 3, 1999, S. 156–163.
  13. Sabine Schauwienold-Rieger: Bildung im zusammenwachsenden Europa. Kompetenzorientierung und Innovation für europaorientiertes sowie Bilinguales Lehren und Lernen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung (am Beispiel der Studiengänge Europalehramt). Eberhard-Karls-Universität, Tübingen 2010, S. 40 (pedocs.de [PDF]).
  14. Ralf Weskamp: Neurolinguistik und Kommunikative Kompetenz. In: Erika Werlen / Ralf Weskamp (Hrsg.): Kommunikative Kompetenz und Mehrsprachigkeit: Diskussionsgrundlagen und unterrichtspraktische Aspekte. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2007, ISBN 978-3-8340-0246-4, S. 59–78.
  15. Ralf Weskamp: Postmoderne Literaturtheorien. Folgen und Möglichkeiten für den fremdsprachlichen Literaturunterricht auf der gymnasialen Oberstufe. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts. Band 44, Nr. 4, 1997, S. 345–353.
  16. Fachtagung "Englischlernen als Kontinuum". Abgerufen am 27. Mai 2021.
  17. Sprachen, Kulturen, Identitäten. Umbrüche durch Digitalisierung. 2019, abgerufen am 15. März 2021.
  18. Bildungsplan 2004 Grundschule. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg.
  19. Weilburger Erklärung. Mehrsprachigkeit und Europäische Dimension in Schule und Erwachsenenbildung. Empfehlungen für ein Gesamtkonzept erfolgreichen Sprachen-Lehrens und Lernens. Abgerufen am 25. September 2021 (Weskamp war Co-autor der Erklärung aus dem Jahre 2001.).
  20. Elke Kurth-Bucholz: Rezension von: Beilecke, François / Messner, Rudolf / Weskamp, Ralf (Hrsg.): Wissenschaft inszenieren, Perspektiven des wissenschaftlichen Lernens für die gymnasiale Oberstufe. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2014. In: EWR Band 14, Nr. 5, (Veröffentlicht am 23. September 2015)
  21. Bundesvereinigung der Oberstudiendirektoren. Landesverband Hessen. Abgerufen am 15. März 2021.
  22. Ralf Weskamp: Schulleitung. Von der Rollenfindung zum Führungserfolg. Beltz, Weinheim 2020, ISBN 978-3-407-63201-2.