Red-Queen-Hypothese

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Als Red-Queen-Hypothese (auch Red-Queen-Dynamik oder Red-Queen-Modell) bezeichnet man eine wissenschaftliche Hypothese der Evolutionsbiologie, wonach biologische Arten aufgrund beständigen Konkurrenzdrucks ständig neue adaptive Anstrengungen und Weiterentwicklungen hervorbringen müssen, um nicht unterzugehen. Außerdem werden damit zwei basale Phänomene erklärt: der evolutionäre Vorteil der aus evolutionsbiologischer Sichtweise eigentlich wenig effektiven sexuellen Fortpflanzung und das ständige „Wettrüsten“ konkurrierender Organismen (Parasit-Wirt, Beute-Jäger).

Hypothese

Die Hypothese wurde 1973 von Leigh Van Valen vorgeschlagen, der sie Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln entlehnte.[1] Die darin auftretende Rote Königin erklärt der neugierigen Alice: „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“[2] Van Valen verglich in seiner Arbeit die Existenzdauer (zwischen erster und letzter Dokumentation im Fossilbeleg, angenähert zwischen Artbildung und Aussterben) von Mitgliedern aus ca. 50 großen, unterschiedlichen Organismengruppen. Er beobachtete, dass das Aussterberisiko der Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt unabhängig von der vorhergehenden Existenzdauer, also dem geologischen Alter der Gruppe, ist. Einige Fassungen der Evolutionstheorie würden eher vorhersagen, dass es viel unwahrscheinlicher ist, dass eine bereits lange bestehende Gruppe ausstirbt, da sie viel mehr Zeit hatte, sich perfekt an die Umwelt anzupassen. Van Valen bemerkte dazu, dass sich offensichtlich die tatsächlichen Umweltbedingungen für jede Gruppe mit annähernd konstanter Rate verändern (das heißt in der Regel: verschlechtern), so dass der Gruppe eine lange Historie erfolgreicher Adaptationen für die Zukunft nichts nützt. Sie müssen sich also ständig verändern, um ihre einmal errungene Position zu behaupten.

Der Zusammenhang wurde als Red Queen Effect oder Van Valen’s law häufig von der Betrachtung makroevolutionärer Zusammenhänge auf andere Bereiche übertragen, zum Beispiel auf koevolutionäres „Wettrüsten“, z. B. zwischen Räubern und Beute bzw. Wirt und Parasit. Auch zur Erklärung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern infolge der sexuellen Selektion wurde das Phänomen herangezogen.[3] Veränderungen in einem Geschlecht, die die Paarungswahrscheinlichkeit erhöhen, ziehen demnach Reaktionen des anderen Geschlechts nach sich, so dass sich die grundlegenden Verhältnisse bei ständigem Wandel der Einzelheiten kaum verändern.

Der Evolutionsbiologe Graham A. C. Bell übertrug das Bild der Red Queen 1980 auf den Nutzen der geschlechtlichen Fortpflanzung generell: Auf einer mikroevolutionären Ebene erlaube die sexuelle Fortpflanzung eine schnellere Anpassung, da sie alle Nachkommen einer Art zu experimentellen Mischungen aus den Genen der beiden Eltern mache, und so die Art besser befähige, eine eroberte ökologische Nische zu halten.[4]

Van Valens These ist in ihrem ursprünglichen Zusammenhang (der Existenzdauer von Gattungen oder Familien in geologischen Epochen) später von anderen Forschern kritisiert worden, die aus ihren Daten doch einen Zusammenhang zwischen Existenzdauer und Aussterbewahrscheinlichkeit zu beobachten meinen.[5]

Das von Van Valen geprägte Sprachbild ist aber fest in der Wissenschaftssprache etabliert. So wird bspw. für Freiwilligenarbeit in Öffentliche-Güter-Spielen ein Rote-Königin-Mechanismus beschrieben.[6]

Als entgegengesetzte wissenschaftliche Hypothese gilt die 1999 aufgestellte Hofnarren-Hypothese von Anthony Barnosky, wonach abiotische Umweltfaktoren statt evolutionsbiologischen Konkurrenzdrucks die treibende Kraft hinter der Artenentwicklung sind.[7]

Einzelnachweise

  1. L. van Valen: A new evolutionary law. In: Evolutionary Theory. Band 1, 1973, S. 1–30.
  2. Charles Dodgson, AKA Lewis Carroll: Alice im Spiegelland. Hrsg.: World Public Library Association. Sesam-Verlag, Wien / Leipzig / New York 1923, II. Kapitel: Der Garten der lebenden Blumen, S. 26 (englisch: Through the Looking-Glass, and What Alice Found There. London 1871. Übersetzt von Helen Scheu-Riesz).
  3. eine Übersicht: G. A. Parker: Sexual conflict over mating and fertilization: an overview. In: Philosophical Transactions of the Royal Society. Series B. Band 361, S. 235–259. doi:10.1098/rstb.2005.1785
  4. G. Bell: The Masterpiece Of Nature: The Evolution and Genetics of Sexuality. University of California Press, Berkeley 1982.
  5. eine Übersicht: Seth Finnegan, Jonathan L. Payne, Steve C. Wang: The Red Queen revisited: reevaluating the age selectivity of Phanerozoic marine genus extinctions. In: Paleobiology. Band 34, 3, 2008, S. 318–341.
  6. Christoph Hauert, Silvia De Monte, Josef Hofbauer, Karl Sigmund: Volunteering as Red Queen Mechanism for Cooperation in Public Goods Games. In: Science. Nr. 296, 10. März 2002, S. 1129–1132, doi:10.1126/science.1070582 (uvm.edu [PDF; 345 kB; abgerufen am 15. September 2015]).
  7. Anthony Barnosky, "Does evolution dance to the Red Queen or the Court Jester?", 3 Annual Meeting of the Society of Vertebrate Paleontology USA (1999), abgerufen 29. Mai 2021