Reemtsma Cigarettenfabriken
Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH
| |
---|---|
Rechtsform | Gesellschaft mit beschränkter Haftung |
Gründung | 1910 |
Sitz | Hamburg, Deutschland |
Leitung |
|
Mitarbeiterzahl | 1.585 (2019/20)[1] |
Umsatz | 4,98 Mrd. Euro (2019/20)[1] |
Branche | Tabakindustrie |
Website | www.reemtsma.com |
Die Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH ist ein deutsches Tabakunternehmen. Das 1910 gegründete Unternehmen ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des britischen Tabakkonzerns Imperial Brands.
Geschichte bis 1945
Im 19. Jahrhundert gründete Hermann Fürchtegott Zülch (1862–1907) in Osterholz-Scharmbeck eine Zigarrenfabrik. Seine Schwester Flora Fürchtegott Zülch heiratete den ostfriesischen Kaufmann Bernhard Reemtsma, der ebenfalls in das Tabakgeschäft einstieg. Dieser übernahm 1910 eine kleine Zigarettenfabrik in Erfurt.
Bernhard und Flora hatten drei Söhne: Hermann, Philipp und Alwin. 1918 entwickelte Hermann eine Maschine zur Zigarettenproduktion und löste damit die Handarbeit ab. Um 1920 übernahm der Tabakexperte und -unternehmer David Schnur gegen Gewinnbeteiligung den Tabakeinkauf und die Zusammenstellung der Tabakmischungen, 1921 beteiligte er sich am Unternehmen und erhielt einen Sitz im Aufsichtsrat. 1923 gelang es ihm, die gesamte Ernte des in Bulgarien angebauten Orienttabaks preisgünstig aufzukaufen. Der Tabak wurde 1924 Basis für die neue von Hans Domizlaff geschaffene Marke Ernte 23.[2] 1923 verlegte Philipp Reemtsma als neuer Firmenchef die Zigarettenproduktion ins damals noch preußische Altona-Bahrenfeld auf das Gelände der Fußartillerie-Kaserne. 1926 nahm die Firma die (hausintern entwickelte) erste Mischtrommel in Betrieb, eine karussellartige Maschine, die verschiedene Tabaksorten unter Luftstrom homogen mischte,[3] so dass anstatt der bis dahin tabakbedingt geschmacklich variierenden Orientzigarette, eine stets gleich schmeckende Tabakmischung erzielt wurde, die die Entwicklung zur Zigarette als Markenprodukt mit Kundenbindung förderte. Zwischen 1924 und 1927 fusionierte Schnurs Firma Karmitri mit Reemtsma. 1935 wurde Schnur von den Nationalsozialisten ausgebürgert, emigrierte nach Frankreich und 1939 in die USA.
Der rasante Aufstieg des Unternehmens in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit fußte auf modernen Produktions- und Marketingmethoden, vor allem aber auch auf aggressiver Expansionspolitik und engen Kontakten zu den Mächtigen in Politik und Wirtschaft. Innerhalb weniger Jahre erwarb Reemtsma die Zigarettenfabriken Manoli (Berlin), Büssum (Bussum/NL), Josetti (Berlin), Jasmatzi (Dresden), Batschari (Baden-Baden), Delta (Dresden), Garbáty (Berlin), Constantin (Hannover), Waldorf-Astoria (Stuttgart) und Yenidze (Dresden) und kooperierte außerdem ab 1929 mit dem größten Konkurrenten Haus Neuerburg, der schließlich 1935 ebenfalls vollständig übernommen wurde. 1930 löste die aggressive Verdrängungspolitik der für Reemtsma in Berlin selbständig agierenden Mitarbeiter den Reemtsma-Skandal aus, der ein gerichtliches Nachspiel hatte, allerdings ohne Folgen für Reemtsma. 1934 gelang es Reemtsma, die Cigarettenfabrik Dressler als Zigarettenlieferant der SA auszubooten.[4] Mitte der 1930er-Jahre wurden rund zwei Drittel der deutschen Zigarettenproduktion kontrolliert und der Einfluss des Unternehmens ging weit über die Tabakindustrie hinaus. Nach der deutschen Besetzung der Krim profitierte Reemtsma von Zwangsarbeit.[5]
Geschichte nach 1945
Nach der Kapitulation Deutschlands wurde die Verwaltung des Unternehmens in den britisch und amerikanisch besetzten Zonen Treuhändern übertragen und in der französischen Zone durch die Besatzungsbehörde ausgeübt. Die Betriebe in der sowjetischen Zone gingen durch Enteignung verloren. Nach Aufhebung der Treuhänderschaft 1948 nahmen die beiden Brüder Hermann Fürchtegott und Philipp Fürchtegott ihre Tätigkeit in der H. F. & Ph. F. Reemtsma GmbH wieder auf.
Die Verwaltung wurde 1952 nach Entwürfen von Godber Nissen auf dem Gelände der privaten Villa Reemtsma neu errichtet.
1957 erlangte Reemtsma die Mehrheit an der Badischen Tabakmanufaktur (Roth-Händle, Reval).
Seit 1957 existiert das H. F. & Ph. F. Reemtsma Begabtenförderungswerk zur finanziellen Unterstützung von begabten Schülern.
Mit der Einführung der Marke Peter Stuyvesant im Jahre 1959 wurde auch ein neues Werk in Berlin-Wilmersdorf eröffnet.
1963 erwarb die Reemtsma-Gruppe 75 Prozent an der Sektkellerei Carstens KG.[6]
1965 erwirtschaftete der Konzern rund 3,4 Milliarden DM und beschäftigte 7200 Mitarbeiter.
1971 wurden mit einem neuen Werk in Langenhagen bei Hannover die Produktionskapazitäten erneut erweitert.
Mit Malte Hesselmann, Neffe von Philipp Reemtsmas Witwe Gertrud, schied 1973 das letzte Mitglied der Familie Reemtsma aus dem Unternehmensvorstand aus.[7][8] Nachdem Feiko Reemtsma, der unterhalb der Vorstandsebene unter anderem für das Auslandsgeschäft und das Zigarrengeschäft zuständig war, das Unternehmen 1975 verließ, hatte kein Mitglied der Familie Reemtsma mehr eine Führungsposition im Unternehmen inne.[7][9][10]
Jan Philipp Reemtsma, der die Anteile seines 1959 verstorbenen Vaters an der GmbH geerbt hatte, verkaufte diese Anteile 1980 vollständig an die Tchibo Frisch-Röst-Kaffee AG in Hamburg, (ab 1988 Tchibo Holding AG und ab 5. Juli 2007 Maxingvest AG), die damit Mehrheitsgesellschafter wurde.
Vor der deutschen Wiedervereinigung 1990 übernahm Reemtsma eine Zigarettenfabrik in der DDR. Weitere Expansionen folgten zunächst nach Osteuropa (u. a. in Polen, in Ungarn, der Slowakei und Russland), später nach Asien bzw. in den Mittleren Osten (u. a. Kambodscha, Indonesien und Iran).
2002 erwarb die Imperial Tobacco (heute Imperial Brands) 90,01 Prozent der Unternehmensanteile von Reemtsma. Die Beteiligung ist inzwischen auf 100 Prozent ausgebaut.
2004 zog die Reemtsma-Hauptverwaltung von der Parkstraße im Villenviertel Hamburg-Othmarschen in das moderne Gewerbegebiet Hamburg-Bahrenfeld. Das Gelände der ehemaligen Hauptverwaltung gehört der Familie Herz (Tchibo) und wird seit 2008 zu Eigentumswohnungen mit einem Wellnessbereich umgebaut.
Von 2007 bis 2018 vergab Reemtsma an Journalisten den Liberty Award.
Im Zuge der Restrukturierungsmaßnahmen durch die Übernahme von Altadis ist das Werk Berlin 2012 geschlossen worden. Die Produktion des Berliner Werks wurde in das bestehende Werk in Tarnowo Podgórne verlagert. Bei der weltweiten Umstrukturierung des Konzerns wurden seinerzeit 6 der bisher 58 Werke geschlossen und ca. 2.500 von 40.000 Arbeitsplätzen abgebaut.[11]
Reemtsma betreibt heute noch das Werk in Langenhagen, das in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut wurde. Von dort wird für den deutschen Markt produziert, aber auch in mehr als 50 Länder der Welt exportiert.[12]
Fotoarchiv
Das Fotoarchiv mit ungefähr 70.000 Aufnahmen – von der Zigarettenfertigung, zur Geschichte der Firma und aus den Tabakländern – die einen Einblick in die Tradition des Tabakanbaus und die Verarbeitung zu einem industriell gefertigten Massenprodukt geben, wurde dem Museum der Arbeit übergeben. Das Archiv soll schrittweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.[13]
Produkte
- Zigaretten
- Traditionsmarken (Zigaretten)
- R6 (1921)
- Ernte 23 (erstmals produziert aus der Ernte von 1923 und herausgebracht 1924)
- Salem No. 6
- Virginia No. 6
- Dreh- und Stopftabake
- Route 66
- John Player Special (JPS)
- West
- Fairwind
- Drum (weltweit meistverkaufter Drehtabak)
- Van Nelle
- Gauloises
- Schwarze Hand
- Golden Virginia
- Buccaneer
- Cigarillos
- Fairwind
- Route 66
- John Player Special (JPS)
- Andere Tabakwaren und Zubehör
- skruf (Kautabak)
- Rizla (Zigarettenpapier)
- Cañuma (Zigarettenpapier)
- Muskote (Zigarettenpapier)
- Filter, Filterhülsen, Maker
- E-Zigarette
- myblu Device
- myblu Liquids
Nicht für den deutschen Markt hergestellte Produkte siehe Imperial Tobacco.
Brauerei-Beteiligungen
In den 1970er-Jahren hatte Reemtsma im Rahmen einer Diversifikationsstrategie in Richtung Genussmittel-Konzern Anteile an Brauereien erworben, die meisten jedoch bald wieder abgestoßen:
- Dortmunder Union-Brauerei[14]
- Tucher-Brauerei Nürnberg (1985 an Josef März verkauft)[15]
- Henninger Brauerei-Gruppe (1980), 1987 ebenfalls an März weiterverkauft[15]
- Hannen-Brauerei
- Bavaria-St. Pauli-Brauerei
Marktanteil
- National
- Reemtsma ist zweitgrößter Anbieter im deutschen Tabakmarkt (Gesamtmarktanteil 24,1 P)[16]
- International
- Die Imperial Brands PLC ist viertgrößter Anbieter im internationalen Tabakmarkt nach Philip Morris, British American Tobacco und Japan Tobacco (wobei chinesische Tabakproduzenten nicht in diese Ranglisten aufgenommen werden, da sie nicht für den Export produzieren. Asien steht aber für über 50 Prozent des verbrauchten Tabaks weltweit.)
Literatur
- Erik Lindner: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie. Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, ISBN 3-455-09563-1 (Besprechung von Alfred Reckendrees auf H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. April 2008).
- Stefan Rahner/Sandra Schürmann: Turban und Friedenspfeife. Werbefotografien in den Reemtsma-Archiven im Museum der Arbeit, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 4 (2007), S. 435–448.
- Tino Jacobs: Rauch und Macht. Das Unternehmen Reemtsma 1920 bis 1961. Wallstein, Göttingen 2008, hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, ISBN 978-3-8353-0313-3.
(Besprechung von Boris Gehlen auf H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. Mai 2009). - Stefan Rahner, Museum der Arbeit (Hg.): Werbewelten made in Hamburg. 100 Jahre Reemtsma. Junius, Hamburg 2010, ISBN 978-3-88506-469-5.
- Karl Heinz Roth, Jan-Peter Abraham: Reemtsma auf der Krim. Edition Nautilus, Hamburg 2011. ISBN 978-3-89401-745-3.
Weblinks
- Website der Reemtsma Cigarettenfabrik
- Rainer Oppermann, Trenthorst, 2018: Philipp Fürchtegott Reemtsma: Ein Leben zwischen erfolgreicher Arbeit als Unternehmer und politischen Verfehlungen in der NS-Zeit
- Cicero: Zwölf Millionen für Göring. Abgerufen am 6. April 2021.
- Reemtsma-Archiv, Stiftung Historische Museen Hamburg
- Das historische Fotoarchiv der Reemtsma Cigarettenfabriken im Museum der Arbeit, Hamburg, Expansion
- Das historische Fotoarchiv der Reemtsma Cigarettenfabriken im Museum der Arbeit, Hamburg
- Frühe Dokumente und Zeitungsartikel zur Reemtsma Cigarettenfabriken in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Einzelnachweise
- ↑ a b Jahresabschluss und Lagebericht zum 30. September 2020 der Reemtsma Cigarettenfabriken Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In: Bundesanzeiger, 7. September 2021, abgerufen im Unternehmensregister am 26. September 2021.
- ↑ Stefan Troebst: Von den „Preußen des Balkans“ zum „vergessenen Volk“: Das deutsche Bulgarien-Bild. In: Europa Regional. Band 11, Nr. 3, 2003, S. 120–125, hier S. 125 (wissensbank.com [PDF]).
- ↑ Ganzseitige Werbeanzeige in der Zeitschrift Die Woche, Heft 21 vom 20. Mai 1936, Seite 15.
- ↑ Erik Lindner: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie. Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, S. 131ff.
- ↑ Nils Klawitter: Reemtsmas Zwangsarbeiter: Tabakrausch im Osten, DER SPIEGEL vom 25. August 2011, abgerufen am 26. August 2011.
- ↑ Zurück zur Reblaus, Der Spiegel 10/1965.
- ↑ a b Der Kronprinz dankte ab, zeit.de, 22. Dezember 1972
- ↑ Ein Mann namens Emcke..., zeit.de, 21. September 1973
- ↑ Sieben Minuten Zeit, spiegel.de, 9. September 1973
- ↑ Feiko Reemtsma, abendblatt.de, 27. November 1999
- ↑ Berliner Morgenpost vom 20. Juni 2008, Seite 5.
- ↑ PDF-Datei (Memento des Originals vom 19. April 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. .
- ↑ Das historische Fotoarchiv der Reemtsma Cigarettenfabriken
- ↑ Vor Anker - DER SPIEGEL 36/1970
- ↑ a b Überaus hilfreich – DER SPIEGEL 41/1987.
- ↑ Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 1. Oktober 2016 bis zum 30. September 2017 und Lagebericht für das Geschäftsjahr 2016/2017
Koordinaten: 53° 34′ 30,7″ N, 9° 53′ 11,4″ O