Reisser Schraubentechnik

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Die Reisser-Schraubentechnik GmbH, Ingelfingen-Criesbach, wurde 1921 von den Gebrüdern Reisser in Künzelsau gegründet. Das Unternehmen produziert und vertreibt vor allem Edelstahlschrauben und gehört nach einem Konkursverfahren seit 1994 zur Würth-Gruppe.[1]

Geschichte

Gebrüder Reißer

Die Brüder Hermann, August, Gotthilf und Reisser gründeten 1921 die Firma Gebrüder Reißer in Künzelsau. Als Offene Handelsgesellschaft wurde das Unternehmen erst am 1. Mai 1925 im Handelsregister eingetragen. Als Geschäftszweck steht im Handelsregister "Kleineisenwaren, Haus- und Küchengeräte sowie Holzschrauben".[2] Die Brüder betrieben zunächst Eisen- und Haushaltswarengeschäfte in Künzelsau, Kupferzell, Schwäbisch Hall und Öhringen und einen Handel mit Schrauben und Metalldübeln, die sie selbst herstellten. Da sich der Verkauf von Schrauben und Dübeln gut entwickelte, trennten die Brüder die Verantwortung für die beiden Geschäftszweige.

Gotthilf Reisser leitete die Haushalsgeschäfte. Den Geschäftszweig Holzschrauben führten August und Hermann Reisser in Künzelsau erfolgreich weiter. 1951 trat Walfried Munz in das Unternehmen ein und verheiratete sich noch im selben Jahr mit Martha (* 9. März 1930), August Reissers Tochter. Walfried Munz konzentrierte sich auf den Aufbau eines Exportes. 1951 wurde auch in Künzelsau ein Gebäude und Galvanikanlage erbaut, sodass im folgenden Jahr die Produktion von Messingholzschrauben aufgenommen wurde. Es waren jetzt 115 Arbeitnehmer beschäftigt. In den nun folgenden Jahren wurde das Produktionsprogramm ständig erweitert. Hergestellt wurden nunmehr auch Holz- und Gewindeschrauben sowie Messingmuttern und Edelstahlschrauben.

Reißer-Schraubenfabrik

Am 15. Dezember 1970 verstarb der Mitbegründer Hermann Reisser. Ihm folgte sein Schwiegersohn Erich Ludwig als persönlich haftender Gesellschafter. Am 18. Dezember 1972 wurde dies zum Anlass genommen, die offene Handelsgesellschaft in die Gbr. Reißer Schraubenfabrik GmbH + Co. umzuwandeln. In diesem Jahr erfolgte auch der Umzug des Unternehmens in eine neue Fabrikanlage in das benachbarte Ingelfingen-Criesbach.[3][4]

Am 1. April 1975 verstarb Gotthilf Reisser. Ihm folgte seine Witwe Klara. Aber auch Erich Ludwig schied zu diesem Zeitpunkt aus der Gesellschaft aus. Seine Einlage übernahmen August Reisser und seine Frau Klara je zur Hälfte. Erich Ludwig erhielt eine Abfindung, die über Bankkredite finanziert wurde, die das Unternehmen in den weiteren Jahren belasteten. Am 14. März 1977 beteiligte sich auch Augusts Schwiegersohn Walfried Munz als Kommanditist mit einer Einlage von 0,6 Mio. DM an der Gesellschaft. Am 15. Dezember 1982 schied der Gründungsgesellschafter August Reisser altershalber aus. Seine Einlage übernahm seine Tochter Martha Munz.[4]

Reisser Schraubenwerk

Die Gesellschaft wurde im Oktober 1983 in Reisser-Schraubenwerk GmbH & Co. umbenannt und auch der veränderte Firmensitz mit Ingelfingen-Criesbach im Handelsregister eingetragen.[3]

Expansion

Ursprünglich vertrieb Reisser ihre Produkte über die Eisenwarenfachgeschäfte. Die Familie Reisser sah in diesem Vertriebsweg keine Zukunft und wollte ihn durch eigene Vertriebsgesellschaften ersetzen, nämlich jeweils getrennt für die Berufsgruppen Schreiner, Sanitärtechniker, Schlosser, Bootsbauer, Fensterbauer, Möbelbauer, Zimmerleute, Dachdecker, Spengler, Raumausstatter und Baugeschäfte.

Die Kommanditisten gründeten deshalb von 1982 bis 1988 in Deutschland und im Ausland kleine Vertriebsgesellschaften, so in Bad Tölz, Kressberg-Bergbronn, Viechtach, Bozen in Italien, Lachen in der Schweiz, Münchenstein in der Schweiz, Stockport in England, New York, Catabanja in Ungarn, Thunder Bay in Kanada und Oberalm in Österreich. Gesellschafter dieser Vertriebsgesellschaften war nicht Reisser-Schraubenwerk, sondern Mitglieder der Familien Reisser persönlich unter Beteiligung der jeweiligen Geschäftsführer. Finanziert wurden diese Gesellschaften jedoch über Reisser-Schraubenwerk.

Zur Bewältigung der Expansion wurde 1984 in Ingelfingen-Criesbach ein Hochregallager und 1985 ein neues Schraubenproduktionsgebäude errichtet sowie 1987 ein Verwaltungsgebäude für die Reisser Shop in Ingelfingen-Criesbach erstellt. 1990 wurde die Galvanik erweitert. Finanziert wurden die Expansion und Investitionen weitgehend über Bankkredite, die sich Ende des Jahres 1991 auf 35 Mio. DM beliefen und von einem Konsortium von acht Banken gewährt wurden. Die Banken sicherten sich mit allen Vermögensgegenständen, die rechtlich als Sicherheit übertragen werden können.[4]

Konkurs

Sanierungsbemühungen, die im Frühjahr 1992 von der Familie eingeleitet wurden, blieben erfolglos. Im September 1992 entstand eine Finanzierungslücke von 1,8 Mio. DM, die nicht mehr geschlossen werden konnte. Am deshalb beantragten die Geschäftsführer Walfried und Volker Munz am 28. September 1992 für die Reisser Schraubenwerk GmbH + Co. und am 1. Oktober 1992 für die Reisser Shop-Vertriebs GmbH beim Amtsgericht Schwäbisch Hall die Eröffnung eines gerichtlichen Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses. Das Gericht bestellte in beiden Verfahren den Stuttgarter Rechtsanwalt Volker Grub als vorläufigen Vergleichsverwalter. Walfried Munz hatte sich jedoch schon gesundheitshalber als Geschäftsführer aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen.[5][6]

Reisser Schraubenwerk beschäftigte zu diesem Zeitpunkt noch 216 Arbeitnehmer und Reisser Shop 29 Arbeitnehmer. Da für einen Vergleich keine freien Finanzmittel verfügbar waren, weil das wesentliche Vermögen auf den Bankenpool übertragen war, wurde am 2. November 1992 für beide Unternehmen das Anschlusskonkursverfahren eröffnet und Volker Grub auch als Konkursverwalter bestellt.[7]

Da es wegen der hohen Verluste und Verschuldung des Unternehmens und der diversen unübersichtlichen Gesellschaften zunächst keine ernsthaften Interessenten für eine Übernahme gab, setzte Grub auf eine eigenständige Sanierung des Unternehmens im Zuge des Konkursverfahrens. Mit den leitenden Mitarbeitern Norbert Wahl, Peter Plack und Erwin Bergmann sowie den Unternehmensberatern Budde & Berger, Beilstein, erarbeitete der Konkursverwalter ein Sanierungskonzept, das u. a. vorsah:

  • Reduktion der Produktion und des Vertriebs auf ertragsstarke Produkte und den europäischen Markt,  
  • Schließung der vielen Vertriebsgesellschaften, einschließlich der Reisser Shop-Vertriebs GmbH
  • Abbau der Belegschaft auf 134 Arbeitnehmer.

Der Bankenpool war mit dieser Planung einverstanden, die Betriebsfortführung sollte jedoch in einer vom Konkursverwalter zu gründeten Auffanggesellschaft erfolgen.[8]

Die Reisser Schraubentechnik GmbH

Der Insolvenzverwalter gründete am 5. November 1992 als Auffanggesellschaft mit einem Stammkapital von 1 Mio. DM die Firma Reisser Schraubentechnik GmbH. Als Geschäftsführer bestellte er die leitenden Mitarbeiter Erwin Bergmann, Peter Plack und Norbert Wahl. Sie nahmen ihre Tätigkeit am 1. Januar 1993 auf. Auf die Auffanggesellschaft wurden die Betriebseinrichtungen, die Vorräte, Kundenbeziehungen und Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern, die weiterbeschäftigt wurden, übertragen. Über das Betriebsanwesen in Ingelfingen-Criesbach wurde ein Pachtvertrag abgeschlossen. Von den Gruppengesellschaften übernahm die Auffanggesellschaft lediglich die ungarische Reisser Csavar KFT. Aus dieser Übernahme ergab sich eine Kaufpreisforderung von 11 Mio. DM des Konkursverwalters an die Auffanggesellschaft, die gestundet wurde. Von den Vertriebsgesellschaften übernahm der Geschäftsführer Volker Munz die BSW GmbH in Viechtach.

Die Auffanggesellschaft Reisser Schraubentechnik schloss das Jahr 1993 mit einem ausgeglichenen Ergebnis nach Zinszahlungen in Höhe von 1,2 Mio. DM an den Konkursverwalter für die gestundete Kaufpreisforderung. Mit diesem Ergebnis wurde das Unternehmen für Übernehmer wieder interessant.[8]

Übernahme durch Würth

Mit einem Kaufvertrag vom 23. Dezember 1993 übernahm die Adolf Würth GmbH & Co. KG die Reisser Schraubentechnik GmbH sowie den Grundbesitz in Ingelfingen-Criesbach mit Wirkung zum 1. Januar 1994.  Adolf Würth, der Vater von Reinhold Würth, hatte 1921 als Lehrling bei Reisser begonnen und war dort von 1941 bis 1947 als Prokurist bestellt.[9] Er machte sich mit einem eigenen Schraubenhandel selbständig und gründete die Adolf Würth GmbH & Co. KG.

Heute

Reisser Schraubentechnik ist heute ein führender Hersteller von Edelstahlschrauben in Europa. Reisser Schraubentechnik GmbH gehört auch heute zum Würth-Konzern, beschäftigt 342 Arbeitnehmer, erzielte im Jahre 2020 einen Umsatz von 72 Mio. Euro und beliefert weltweit 48 Länder. In der hauseigenen Galvanik werden Beschichtungslösungen für Komponenten der unterschiedlichsten Branchen angeboten.[10]

Einzelnachweise

  1. REISSER: Wer wir sind. Abgerufen am 4. März 2022.
  2. Handelsregister von Künzelsau, Staatsarchiv Ludwigsburg FL 300/25 II Bd. 3
  3. a b Handelsregister Amtsgericht Schwäbisch Hall HRA 202 K
  4. a b c Volker Grub: Konkursberichte in den Konkursverfahren Reisser-Schraubenwerk GmbH & Co. und Reisser-Shop-Vertriebs-GmbH vom 2. Dezember 1992, Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg Bestand Y517
  5. Reisser-Schraubenwerk meldet Vergleich an, Handelsblatt vom 8. Oktober 1992
  6. Reinhold Brütting: Reisser am Rande des Abgrunds, Hohenloher Zeitung vom 30. September 1992
  7. Schrauben Reisser wird fortgeführt, Stuttgarter Zeitung vom 3. November 1992
  8. a b Volker Grub: Schlussbericht in dem Konkursverfahren der Reisser-Schraubenwerk GmbH & Co. vom 15. April 1997, Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg Bestand Y517
  9. Handelsregister von Künzelsau zu Gebrüder Reisser, Künzelsau, Staatsarchiv Ludwigsburg, FL300/16 III
  10. REISSER-Schraubentechnik GmbH. Innovationsregion Hohenlohe, abgerufen am 4. März 2022.