Daimler-Reitwagen

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Daimlers Reitwagen, 1885er-Nachbau (Mercedes-Benz-Museum) mit direkter Lenkung und Zahnradantrieb (Sekundärübersetzung)

Der Daimler-Reitwagen war das weltweit erste mit Verbrennungsmotor und Benzin angetriebene Motorrad (Motorfahrzeug) und wurde 1885 von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach konstruiert.[1]

Entwicklung

Daimler hatte 1882 eine Versuchswerkstatt in Cannstatt gegründet. Gemeinsam mit seinem Angestellten Maybach entwickelte er dort einen kompakten, schnell laufenden Einzylinder-Viertaktmotor. Durch die Patente vom 16. Dezember 1883 (DRP 28022) und 22. Dezember 1883 (DRP 28243) wurde der gesteuerte Gasmotor mit Glührohrzündung geschützt.[2] Der als Standuhr bezeichnete Motor erreichte aus 462 cm³ Hubraum eine Leistung von 1 PS (735 W) bei 600 Umdrehungen pro Minute.[3] Eine überarbeitete Version der „Standuhr“ mit kleinerem Hubraum (264 cm³) wurde am 3. April 1885 patentiert (DRP 34926). Mit einem Gewicht von etwa 60 Kilogramm war der Motor vergleichsweise leicht und leistete etwa eine halbe Pferdestärke (368 W) bei 700 Umdrehungen pro Minute. Die geringen Maße und das geringe Gewicht, aber auch der Betrieb mit Benzin machten den verkleinerten Standuhr-Motor ideal für einen ortsungebundenen Einsatz.

Patentmodelle

1885er-Patentzeichnung, noch mit indirekter Lenkung und einer Riemenübersetzung

Daimlers und Maybachs nächster Schritt war der Einbau des Motors in ein Fahrzeug. Aus Kostengründen entschieden sie sich für ein hölzernes, mit Stützrädern versehenes Zweirad. Den Rahmen bauten sie aus Hickory-Holz, das mit Eisenplatten verstärkt wurde. Der Motor wurde vertikal zwischen die Holzstützen und Kreuzstreben eingebaut.[4] Über den an einer Scheibe lösbaren Antriebsriemen konnte die Kraft unterbrochen werden. Die 60 cm hohen Holzspeichenräder trugen 35 mm breite Eisenreifen wie es zu jener Zeit üblich war.[5] Der Auspuff befand sich unmittelbar unter dem wie ein Reitsattel geformten Ledersitz. Über Schnüre am Lenker konnte die auf das Hinterrad wirksame Klotzbremse betätigt werden.[4]

Am 29. August 1885 (DRP 36423) meldete Daimler dieses erste Fahrzeug mit Verbrennungsmotor zum Patent an. Daimler nannte dieses „Fahrzeug mit Gas- bzw. Petroleum-Kraftmaschine“,[6] der Name „Reitwagen“ ist später entstanden.[7] In der Patentschrift wurden die Ansprüche, nebst Zeichnungen, auf ein „Fahr- oder Schlittengestell“, also zwei verschiedene Fahrzeugtypen angemeldet. Der danach gebaute Daimler-Motorschlitten hatte statt des Vorderrads eine Kufe, die gefederten Auslegerräder wurden durch Gleitschienen ersetzt und das Hinterrad war mit Spikes versehen.[8] Im Winter 1885/86 wurden auf dem zugefrorenen Cannstatter See die ersten Fahrversuche unternommen; diese verliefen nicht befriedigend.[9]

Modell 1885

Datei:DBP 1983 1168 Jugend Reitwagen.jpg
Daimler-Reitwagen von 1885 (gut zu erkennen die technischen Veränderungen)

Maybach entwickelte das Patentmodell weiter;[10] insbesondere die indirekte Riemenlenkung wurde durch einen direkten Steuerkopf verbessert. Auch der Antrieb an der Hinterachse wurde geändert und war zweistufig. Die Kraft wurde von den Riemenscheiben über eine Welle mit Ritzel auf einen innenverzahnten Zahnradkranz am Hinterrad übertragen. Durch zwei unterschiedlich große Riemenscheiben konnte die Übersetzung (im Stand) variiert werden. Damit konnte entweder 6 oder 12 km/h gefahren werden. Die Steigfähigkeit betrug in der kleinen Übersetzung 9 Prozent.[11]

Nach den ersten Versuchsfahrten rund um Cannstatt, die Maybach durchführte,[7][12] machte am 10. November 1885 Paul Daimler[Anm. 1] die zwölf Kilometer weite Jungfernfahrt von der Werkstatt Daimlers in Cannstatt, Taubenheimstraße 13, nach Untertürkheim und zurück.[13][14][4][15][16][17]

Das Original wurde 1903 bei einem Feuer zerstört. Zehn Replikate, davon neun Ausstellungsstücke und ein Exemplar als fahrbereites Vorführmodell sind seitdem von Mercedes gebaut worden.[18] Im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart und im Deutschen Museum in München sind zwei Nachbauten zu besichtigen.

Technische Daten (Modell 1885)[11][19] Daimler-Reitwagen
Bohrung 58 mm
Hub 100 mm
Hubraum 264 cm³
Verdichtungsverhältnis 2,3: 1
Leistung 0,37 kW / 0,5 PS bei 700 min−1
Vmax 12 km/h
Leergewicht 90 kg
Radstand 1030 mm
Nachlauf 0 mm
Lenkkopfwinkel 90 Grad

Sonstiges

Ein seit 1986 erscheinendes österreichisches Motorradmagazin nennt sich in Anlehnung an Daimlers bahnbrechende Entwicklung Der Reitwagen.

Literatur

  • Volker Bruse: Deutsche Motorräder der Kaiserzeit 1885–1918. 1. Auflage. Johann Kleine Vennekate, Lemgo 2009, ISBN 978-3-935517-50-8.
  • Zwei Männer – Ein Stern. Gottlieb Daimler und Karl Benz in Bildern, Daten und Dokumenten. In: Hans Christoph Graf von Seherr-Thoss (Hrsg.): Klassiker der Technik. VDI Verlag, Düsseldorf 1984, ISBN 3-18-400645-X. (Quellendokumente zu Patenten Daimlers)

Weblinks

Commons: Daimler-Reitwagen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Manchmal wird statt Paul Daimler (* 13. September 1869) der jüngere Sohn Adolf Daimler (* 8. September 1871) als Fahrer genannt. Da Adolf zu dieser Zeit 14 Jahre alt war, gilt dies in der Literatur als eher unwahrscheinlich. Nach Angaben des Mercedes-Benz Museum (siehe auch media.daimler.com (Memento des Originals vom 24. April 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/media.daimler.com) ist es laut deren Chroniken Adolf und nicht Paul der zuerst auf dem Reitwagen fuhr.

Einzelnachweise

  1. Die Internationale Motorwagenausstellung zu Berlin 1899. In: Polytechnisches Journal. 314, 1899, S. 133–144.
  2. Seherr-Thoss, S. 19 ff.
  3. Volker Bruse, S. 75.
  4. a b c Cyril Posthumus, Dave Richmond: Motorräder gestern und heute. München 1978, ISBN 3-453-52080-7, S. 8 ff.
  5. mercedes-benz-classic.com Reitwagen-Fahrwerk (abgerufen am 26. September 2013)
  6. Seherr-Thoss, S. 75.
  7. a b Helmut Krackowizer: Meilensteine der Motorrad-Geschichte. 1. Auflage. Motorbuch Verlag, 1987, ISBN 3-613-01141-7, S. 10.
  8. Seherr-Thoss, S. 78.
  9. Volker Bruse, S. 79.
  10. Paul Simsa: Das Wunder auf zwei Rädern. In: Christian Bartsch (Hrsg.): Ein Jahrhundert Motorradtechnik. VDI Verlag, 1987, ISBN 3-18-400757-X, S. 11.
  11. a b Werner Oswald: Mercedes-Benz Personenwagen 1886-1945. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-613-02167-6, S. 80.
  12. Harry Niemann: Gottlieb Daimler: Fabriken, Banken und Motoren., 1. Auflage, Delius Klasing, 2000, ISBN 3-7688-1210-3, S. 113.
  13. L.J.K. Setright: The Guinness Book of Motorcycling. Facts and Feats. 1982, ISBN 0-85112-255-8, S. 18.
  14. Helmut Hütten: Der Viertaktmotor im Zweirad. In: Christian Bartsch (Hrsg.): Ein Jahrhundert Motorradtechnik. VDI Verlag, 1987, ISBN 3-18-400757-X, S. 50.
  15. Daimler-Motorrad 1885. In: MOTORRAD Revue. Ausgabe 1979, S. 62.
  16. Georg Etscheit: Der Tüftler im Glashaus. In: Die Zeit. 15/2004, 1. April 2004 (abgerufen am 14. Januar 2012)
  17. swp.de vom 10. November 2010@1@2Vorlage:Toter Link/www.swp.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Benzinmotor in Reitwagen eingebaut (abgerufen am 19. Januar 2012)
  18. Tom Grünweg: Daimler-Reitwagen von 1885. auf: Spiegel online. 20. August 2010 (abgerufen am 15. Januar 2012)
  19. Helmut Hütten: Der Viertaktmotor im Zweirad. In: Christian Bartsch (Hrsg.): Ein Jahrhundert Motorradtechnik. VDI Verlag, 1987, ISBN 3-18-400757-X, S. 98.