Rezitation

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Der Rezitateabend, 1860

Die Rezitation (lateinisch recitatio ‚das Vorlesen‘) oder die Lesung bezeichnet die Interpretation von Werken der Lyrik und Prosa mit Hilfe von Sprache und Darstellung. Ziel ist es, literarische Werke hörbar zu machen; dies kann mittels eines Solisten oder einer Gruppe von Vortragenden geschehen. Dabei sind Interpretationstechniken wie Atemtechnik, Stimmtechnik sowie Sprechtechnik von Bedeutung.

Wirkung

Der Vortragende transportiert mit Hilfe der Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung die Emotionen und Gedanken des Textes zum Zuhörer.

Vorlesen fördert die Sprach- und Konzentrationsfähigkeit von Kindern.[1] 37 % der Kinder gaben in einer Studie an, niemals vorgelesen zu bekommen. Dieser Prozentsatz ist weitgehend unabhängig vom Einkommen, Bildungsstand und Migrationshintergrund der Eltern.[2]

Rezitatoren und Vorleser

Königin Olga von Württemberg mit einem Vorleser (um 1885)

In der hellenischen, später römischen Antike war der Rezitator (solo oder mit Musikanten) ein gern gesehenes bzw. gehörtes Extra des Festschmauses; bis in die Neuzeit erhielt sich die Tradition, in Klöstern zur Hauptmahlzeit einen zum Lektor bestimmten Mönch aus der Ordensregel oder zur Erbauung aus Heiligenviten bzw. Legenden rezitieren zu lassen.

Rezitatoren finden sich auch im Islam. Die Koranrezitation in der arabischen Originalsprache hat zu einer eigenen Wissenschaft geführt, dem Tadschwid. Mit zu den berühmtesten Rezitatoren zählen Mischari Raschid al-Afasi, Mahmoud Khalil Al-Hussary und Muhammad Siddique El Minshawi. Koranrezitationen werden seit dem letzten Jahrhundert vermehrt aufgenommen und sind daher heute auch in digitaler Form verbreitet.

Im 19. Jahrhundert hatte das Vorlesen seinen Stellenwert als Mittel der Arbeiterbildung in den Manufakturen. In Kuba erlangten darauf die Zigarren-Unternehmer am 14. Mai 1866[3] vom spanischen Gouverneur ein amtliches Verbot des Vorlesens in Betrieben. Nach dem Zehnjährigen Krieg aus Kuba geflohene Arbeiter brachten das Vorlesen in die USA. Eine Ausgabe des New Yorker Practical Magazine[3] von 1873 zeigt einen Vorleser mit Zigarrenrollern. In allen Erdteilen hatte das Vorlesen in den von Analphabetismus betroffenen Arbeiterschichten eine bewusstseinsbildende Funktion.

Konservierte Rezitation

Eine moderne Variante der mündlichen Vermittlung von Literatur sind Hörbücher, die von der einfachen Rezitation bis zum Hörspiel vielfältige Formen der Aufführung von Texten über Tonträger erlauben. Zu den bekanntesten deutschsprachigen Hörbuchsprechern gehören Gert Westphal, Rufus Beck (Harry Potter), Christian Brückner und Oliver Steller.

Rechtliches

Die Rezitation eines Werkes gegenüber einer Öffentlichkeit greift nach deutschem Recht in das Vortragsrecht des Urhebers ein (§§ 19, 15 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Urheberrechtsgesetz). Sie bedarf somit grundsätzlich der Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers (zum Beispiel: Autor, Verlag). Voraussetzung ist aber, dass eine Öffentlichkeit vorliegt, was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten und eine „ziemlich große Zahl“ von Personen voraussetzt.[4] Eine Verletzung fremden Urheberrechts löst regelmäßig Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche aus (§ 97 UrhG).

Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers (Regelschutzfrist, § 64 UrhG); danach ist eine Lesung urheberrechtlich unproblematisch.

Siehe auch

Literatur

  • Susanne Held: Vorlesen oder die Kunst, Bücher in Kinderherzen zu schmuggeln. Klett-Cotta, Stuttgart 2006, ISBN 3-608-94115-0.

Weblinks

Commons: Vorlesen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Rezitator – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Stiftung Lesen: Aussage des Generalbevollmächtigten Konzernmarketing und Kommunikation der Deutschen Bahn@1@2Vorlage:Toter Link/www.stiftunglesen.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  2. Bahn-Vorlesestudie 2008 (PDF) (Memento des Originals vom 12. Februar 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.stiftunglesen.de
  3. a b Alberto Manguel: Eine Geschichte des Lesens. 2. Auflage. Nr. 17515. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-596-17515-4, S. 163 f. (Originalausgabe: A History of reading, Alfred A. Knopf (publisher), Toronto 1996; übersetzt von Chris Hirte).
  4. Schulze in Dreier/Schulze: Urheberrechtsgesetz. 6. Auflage. 2018, § 15 Rn. 39.