Hermann Lotze

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Rudolf Hermann Lotze

Rudolf Hermann Lotze (* 21. Mai 1817 in Budissin; † 1. Juli 1881 in Berlin) war ein deutscher Mediziner und Philosoph. Er war im 19. Jahrhundert eine der zentralen Persönlichkeiten der akademischen Philosophie und gehörte bis in die 1920er Jahre zu den bekanntesten und meist diskutierten Philosophen Deutschlands. Im Vergleich zu den Protagonisten des Deutschen Idealismus oder den Philosophen des 19. Jahrhunderts, die außerhalb der akademischen Tradition wirkten, ist er heute weniger bekannt.

Leben

Lotze wurde als drittes Kind eines Militärarztes in Bautzen geboren. Er besuchte das Gymnasium zu Zittau. In Zittau war er später ein Jahr lang als praktischer Arzt tätig. Er studierte an der Universität Leipzig Philosophie und wurde dort zum Dr. phil. promoviert. Er habilitierte sich 1839 in Medizin und 1840 in Philosophie. 1843 wurde er zum a.o. Professor für Philosophie ernannt. 1844 wurde er als Nachfolger von Johann Friedrich Herbart auf den Göttinger Lehrstuhl berufen.[1] In diese Zeit fallen seine bedeutendsten Arbeiten. Teile seines Alterswerkes, vor allem sein System der Philosophie, verbinden sich mit Berlin, wohin er 1880 berufen wurde, wo er aber auch kurze Zeit später (1881) starb. Zu seinen Studenten gehören Josiah Royce und Hermann Langenbeck.

Ehrungen

1864 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Seit 1876 war er auswärtiges Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Werk, Kritik und Bedeutung

In seiner Zeit und bis vor dem Ersten Weltkrieg galt Lotze als wichtigster deutscher Metaphysiker nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel und bahnbrechender Naturforscher. Als Philosoph erfuhr Lotze von Johann Friedrich Herbart und Christian Hermann Weisse Anregungen, fühlte sich aber (wie er selbst sagte) am meisten von Leibniz angezogen. Als Physiologe verwarf er 1843 in seiner Abhandlung Leben und Lebenskraft den (unkritischen) Vitalismus.[2] Seinen wissenschaftlichen Standpunkt bezeichnete Lotze als teleologischen Idealismus, indem die Metaphysik ihren Anfang nicht in sich selbst, sondern vielmehr in der Ethik habe.

Lotze verkörperte in hohem Maße sowohl naturwissenschaftliche als auch philosophische Kompetenz. Er versuchte immer wieder sehr heterogene Interessen zu vereinbaren. In seiner Jugend verband er die Begeisterung für die Wissenschaft mit seiner Liebe zur Poesie; ein von ihm veröffentlichter Gedichtband wurde von Kritikern aber negativ beurteilt. Später setzte er sich mit dem Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Spekulation und auch zwischen Logik und Metaphysik auseinander. Des Weiteren versuchte er Mechanismus und Teleologie zu vermitteln. Sein Spätwerk ist gekennzeichnet durch einen Systemversuch, in dem es Lotze um die Einheit verschiedener philosophischer Disziplinen ging.

Heute ist Lotze zwar weniger bekannt. In jüngerer Zeit erfahren Teile seiner Arbeiten allerdings wieder eine etwas höhere Wertschätzung. Sein hoher Einfluss auf die wissenschaftliche und philosophische Diskussion seiner Zeit nicht nur in Deutschland ist unbestritten. Der englische Neuhegelianismus wurde von ihm ebenso beeinflusst wie Ritschl und die Ritschlianer oder der amerikanische Pragmatismus. In Deutschland beriefen sich auf ihn Vertreter des Neukantianismus, unter anderem beeinflusste er auch die Phänomenologie und die Dilthey-Schule. Er führte außerdem die Begriffe „Geltung“ und „Wert“ in die philosophische Diskussion ein. Er unterschied zwischen den drei Reichen der Wirklichkeit, der Wahrheit und der Werte.[2] Seine medizinischen Studien waren Pionierarbeiten auf dem Gebiet der wissenschaftliche Psychologie. Bedeutendes leistete er auch auf dem Gebiet der Ästhetik und deren Geschichte.

Seit Bruno Bauch wurde immer wieder auf den möglichen Zusammenhang zwischen Lotzes Logik und zentralen Stücken der Philosophie von Gottlob Frege aufmerksam gemacht. Als Gemeinsamkeiten werden der Antipsychologismus der Geltungstheorie und einzelne Äußerungen genannt, vor allem Lotzes Behauptung, die Mathematik lasse sich aus der Logik begründen.[3]

Schriften

Postum

Neuausgaben

  • Georg Misch (Hrsg.): Logik (System der Philosophie I.). Felix Meiner, Leipzig 1912 (mit Bild Lotzes); 2. Auflage 1928.
  • Der Instinkt. Eine psychologische Analyse. Felix Meiner, Leipzig 1919 (Nachdruck von Instinct in Rudolph Wagner (Hrsg.): Handwörterbuch der Physiologie. Zweiter Band, Vieweg, Braunschweig 1844, S. 191–209.)
  • Raymund Schmidt (Hrsg.): Mikrokosmos. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit. Drei Bände. Felix Meiner, Leipzig 1923.
  • Gottfried Gabriel (Hrsg.): Logik. Erstes Buch. Vom Denken. Felix Meiner, Hamburg 1989, ISBN 3-7873-0936-5.
  • Gottfried Gabriel (Hrsg.): Logik. Drittes Buch. Vom Erkennen. Felix Meiner, Hamburg 1989, ISBN 3-7873-0772-9.
  • Nikolay Milkov (Hrsg.): Mikrokosmos. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit. Drei Bände. Felix Meiner, Hamburg 2017, ISBN 978-3-7873-3180-2. (Nachdruck der Ausgabe von 1923)

Literatur

  • Carl von PrantlLotze: Rudolf Hermann. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 19, Duncker & Humblot, Leipzig 1884, S. 288–290..
  • Arthur Eastwood: Lotze’s antithesis between thought and things. In: Mind. 1, 1892, S. 305–324 und 470–488 (englisch).
  • Richard Falckenberg: Hermann Lotze. Erster Teil: Das Leben und die Entstehung der Schriften nach den Briefen. Stuttgart 1901.
  • Richard FalckenbergLotze: Rudolf Hermann. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 52, Duncker & Humblot, Leipzig 1906, S. 93–97..
  • Rudolf Eisler: Lotze, Rudolf Hermann. In: Philosophen-Lexikon. Erste Ausgabe. Berlin 1912, S. 425–432 (bei Zeno.org)
  • Hermann Bohner: Die Grundlage der Lotzeschen Religionsphilosophie. Robert Noske, Borna-Leipzig 1914. (Philos. Dissertation Erlangen).
  • Jürgen Klein: Der Strukturbegriff bei Rudolf Hermann Lotze (1817–1881). In: LUDUS LINGUARUM. Festschrift für Leonhard Alfes. Siegen 1980, S. 141–155.
  • Johann N. Häußler: Lotze, Hermann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 15, Duncker & Humblot, Berlin 1987, ISBN 3-428-00196-6, S. 255 f. (Digitalisat)..
  • Bernd Kettern: Lotze, Rudolf Hermann. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 5, Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-043-3, Sp. 270–277..
  • Reinhardt Pester: Hermann Lotze. Wege seines Denkens und Forschens. Ein Kapitel deutscher Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte im 19. Jahrhundert. (= Studien und Materialien zum Neukantianismus. Band 11). Königshausen & Neumann, Würzburg 1997, ISBN 3-8260-1361-1.
  • Matthias Neugebauer: Lotze und Ritschl. Reich-Gottes-Theologie zwischen nachidealistischer Philosophie und neuzeitlichem Positivismus. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2002, ISBN 3-631-39106-4 (Zugleich: Halle, Wittenberg, Universität, 2001, Dissertation).
  • Frederick C. Beiser: Late German Idealism. Trendelenburg and Lotze. Oxford University Press, Oxford 2013, ISBN 978-0-19-968295-9.
  • Tobias Peters: Ein vergessener Forschungsstand. Friedrich Adolf Trendelenburg, Hermann Rudolf Lotze, Carl Stumpf und Kurt Lewin. Eine Sichtweise auf die Diskussion zur exakten Wissenschaft und zum Marxismus, Neopositivismus, Neoliberalismus, BoD, Essen 2016, ISBN 978-3-7412-0975-8.
  • Florian Baab: Die kleine Welt. Hermann Lotzes Mikrokosmos: Die Anfänge der Philosophie des Geistes im Kontext des Materialismusstreits. (= Paradeigmata. Band 37). Felix Meiner, Hamburg 2018, ISBN 978-3-7873-3571-8 (Open Access).

Weblinks

Commons: Hermann Lotze – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Hermann Lotze – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Volker Zimmermann: Lotze, Rudolph Hermann, in: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. de Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 866 f.; hier: S. 866.
  2. a b Georgi Schischkoff (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 21. Auflage. Kröner, Stuttgart 1982, Stichwort: Lotze, Rudolf Hermann. S. 419.
  3. Gottfried Gabriel: Frege, Lotze, and the continental roots of early analytic philosophy. In: Erich H. Reck (Hrsg.): From Frege to Wittgenstein: perspectives on early analytic philosophy. Oxford University Press, New York 2002, ISBN 0-19-513326-9, S. 39–51. (englisch)