Russische Orthodoxe Kirche im Ausland
Die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland (ROKA, kurz: Russisch-Orthodoxe Auslandskirche) ist eine selbstverwaltete Kirche innerhalb des Patriarchats von Moskau. Ihr Sitz ist in New York. Sie hat Diözesen in Westeuropa, Ozeanien, Nord- und Südamerika. Die Kirche wurde von Exilanten nach der Oktoberrevolution gegründet und war von 1927 bis 2007 eine eigenständige Kirche, 2007 fand die Wiedervereinigung mit der Russisch-Orthodoxen Kirche statt.
Geschichte
Die Russisch-orthodoxe Kirche im Ausland ist nach der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg von russisch-orthodoxen Christen außerhalb der Sowjetunion gegründet worden. Sie entstand aus Gemeinden von Flüchtlingen, die Russland wegen der kommunistischen Christenverfolgung verlassen mussten.[1] Als in den 1920er Jahren der Kontakt zur Kirchenleitung in Russland selbst abbrach, forderte der damalige Patriarch Tichon in einem Dekret jene Teile der russischen Kirche, die wegen der politischen Situation ohne Verbindung zur kirchlichen Leitung standen, dazu auf, eine eigene oberste kirchliche Verwaltung einzurichten. Seit 1927 verwaltete sich die Russisch-Orthodoxe Auslandskirche selbst.[2]
Aufgabe und Wesen
Während der 70-jährigen Geschichte der Sowjetunion versuchte die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland, das religiöse Erbe der russischen Orthodoxie zu wahren. Auseinandersetzungen mit dem Moskauer Patriarchat betrafen vor allem politische Fragen, da das Moskauer Patriarchat nach Ansicht großer Teile der russischen Diaspora dem sowjetischen Regime zu nahe stand und teilweise vom KGB unterwandert war. Seinerseits betrachtete das Moskauer Patriarchat die russisch-orthodoxe Auslandskirche während ihrer Selbständigkeit als Kirche mit irregulärem Status, gleichzeitig jedoch als Teil der einen Russisch-Orthodoxen Kirche.
Die ROKA ist seit Jahren bemüht, den orthodoxen Glauben auch unter westlichen, nicht-orthodoxen Gläubigen zu verbreiten, wobei westlich-liturgische Formen weiterhin respektiert werden. So ist in den letzten Jahrzehnten eine Art „Orthodoxie mit westlichem Ritus“ entstanden, den einzelne Pfarreien und Klöster angenommen haben. Nachdem die Abtei St. Petroc in Cascades (Tasmanien), einem Vorort von Hobart, 2012 geschlossen wurde,[3] ist die Abtei Christ the Savior, die im Juni 2013 von Hamilton (Ontario), Kanada, nach Niagara Falls (New York) umzog,[4] das bedeutendste Kloster der ROKA mit westlichem Ritus.
Oberhaupt
Die „Oberste Kirchenverwaltung“ wurde vom „Metropoliten der russisch-orthodoxen Auslandskirche“ geleitet und hatte ihren Sitz zuerst in Konstantinopel, dann seit 1957 in New York. Von 2001 bis zu dessen Tod am 16. März 2008 wurde die ROKA von ihrem Ersthierarchen Laurus Schkurla geleitet.[5]
Ersthierarchen
- Antonius (Chrapowizki) (1922–1936)[6]
- Anastasius (Gribanowski) (1936–1964)
- Philaret (Wosnessenski) (1964–1985)
- Vitalis (Ustinow) (1986–2001)
- Laurus (Schkurla) (2001–2008)
- Hilarion (Kapral) (2008–2022)
Bischofskonzil
Beschlüsse von gesamtkirchlicher Bedeutung wurden durch das von allen Bischöfen gebildete Bischofskonzil gefällt.
Diözesen
Die Russisch-orthodoxe Auslandskirche umfasste etwa 450 Gemeinden und Eparchien in Nord- und Südamerika, Westeuropa, Großbritannien, Deutschland. Seit 1990 gibt es auch in Russland Gemeinden der Auslandskirche.
- Diözese von New York und Ostamerika
- Diözese von Sydney und Neuseeland
- Diözese von Chicago und Mittelamerika
- Diözese von San Francisco und Westamerika
- Diözese von London und Westeuropa
- Die Diözese von Berlin und Deutschland – so der offizielle deutsche Titel – ist die größte Diözese der ROKA und zugleich die älteste orthodoxe Diözese in Deutschland. Sie wird derzeit von Erzbischof Mark Arndt geleitet und umfasst auch Gemeinden in Großbritannien, Dänemark und Österreich.[7] Der Sitz dieser im 18. Jahrhundert gegründeten Diözese ist München.[8] Vikar der deutschen Diözese ist Bischof Agapit (Gorachek) von Stuttgart. Insgesamt gibt es in Deutschland über 70 aktive russisch-orthodoxe Gemeinden.[9]
- Diözese von Großbritannien und Irland
- Daneben gibt es einen eigenen Bischof für die zurückgekehrten Altgläubigen, da sie zu keiner der Diözesen gehören, sondern eine Art eigene Personaldiözese bilden. Bis 2010 war dies Bischof Daniel von Erie (USA).
Bildungseinrichtungen
- Kleriker werden im 1948 gegründeten Holy Trinity Seminar in Jordanville ausgebildet, das das einzige russisch-orthodoxe Priesterseminar außerhalb Russlands ist. In einem fünfjährigen Studiengang erwerben sie dort einen theologischen Abschluss. Seit 2001 ist dem Seminar auch die Holy Trinity School als eine Einrichtung für Fernstudien angegliedert.[10]
- Die Diözese von Detroit und Mittelamerika verfügt ferner über eine Pastoral School zur Ausbildung von vorwiegend Laienmitarbeitern. Diese Pastoral School bietet ein anerkanntes Fernstudium der orthodoxen Theologie mit dem Schwerpunkt der Pastoraltheologie und -arbeit an.[11]
- Kirchliche Schulen, teilweise mit Internat, bestehen in San Francisco, Nyack NY, Toronto, Sydney, Brüssel, Buenos Aires und Bethanien (Israel).
Klöster
Zur Russisch-orthodoxen Auslandskirche gehören weltweit einige Klöster.
USA und Kanada
- Holy Trinity Stavropighial Kloster in Jordanville
- Stavropighial Konvent der Entschlafung, „Novo Diveevo“, in Nanuet, New York
- Einsiedelei in Mahopac, New York
- Heilig-Kreuz-Skite in Wayne (West Virginia)
- Konvent St. Elisabeth in Mohawk, New York
- Kloster des Allbarmherzigsten Heilands in Vashon Island, WA
- Konvent der Geburt der Jungfrau Maria in Wayne, WV
- Maria-Schutz-Konvent in Bluffton, Kanada
Europa
- Lesna Konvent der Allheiligen Gottesmutter in Provemont, Frankreich
- Kloster des heiligen Edward des Märtyrers in England
- Verkündigungskonvent in London, England
Deutschland
- Kloster des Heiligen Hiob von Potschajew in München
- Kloster der Hl. Neumärtyrerin und Großfürstin Elisabeth in Buchendorf bei München, Gauting
- Benediktinerkloster Mariae Himmelfahrt in Eisbergen / Porta Westfalica, unter dem Omophorion von Metropolit Hilarion[12]
Jerusalem
- Ölbergskonvent in Jerusalem
- Gethsemane-Konvent, Kirche der Heiligen Maria Magdalena in Jerusalem
Australien
- Russisch-Orthodoxer Konvent Unserer Lieben Frau von Kasan, „Novoye Shamarino“ in Kentlyn
- Skite von der Verklärung des Erlösers in Bombala
- Kloster des Erzengels Michael in Marrickville, N.S.W.
- Schwestern der Darstellung des Herrn in Bungarby, N.S.W.
Anderswo
- Skite des heiligen Chariton in Wadi Fara
Abspaltungen
Von der Russischen Orthodoxen Kirche gab es mehrere Abspaltungen
- Russische Orthodoxe Kirche im Ausland unter Witali (Ustinow) (ROKA (W), Русская Православная Церковь Заграницей под омофором Метрополита Виталия (Устинова), РПЦЗ (В)), auch Russische Orthodoxe Kirche im Exil (Russian Orthodox Church in Exile), 2001 gegründet, mit Hauptsitz in Mansonville in Kanada, Gläubigen aber hauptsächlich in Russland, der Ukraine, Moldawien, gegründet von Witali Ustinow[13][14][15] Aus dieser gingen mehrere Abspaltungen hervor:
- Russische Orthodoxe Kirche im Ausland unter dem Metropoliten in Moldawien (ROKA (M)), offiziell Wahre Orthodoxe Kirche Moldawiens, seit 1997, in Moldawien, mit Gemeinden in Birmingham, Paris, Brüssel, erst 2007 offiziell registriert nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten
- Russische Orthodoxe Kirche im Ausland (Antonius) (ROKA (W-A), Русская православная церковь зарубежная (Антония), РПЦЗ (В-А)), offiziell Russische Orthodoxe Kirche (Российсская Православная Церковь), seit 2006, in Russland, Weißrussland, Ukraine und anderen Staaten, entstanden nach internen Streitigkeiten um Bischofsbesetzung
Außerdem entstand
- Russische Orthodoxe Kirche im Ausland unter Arthangelos (Paschkowski) (ROKA (A), Русская Православная Церковь Заграницей под омофором Агафангела (Пашковского), РПЦЗ (А)), 2007 gegründet von Gläubigen, die die Einigung der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland mit dem Patriarchat von Moskau ablehnten
Wiedervereinigung mit Moskauer Patriarchat
Seit dem politischen Umbruch Anfang der 1990er Jahre strebte die russisch-orthodoxe Auslandskirche die Wiederherstellung der vollen Kircheneinheit an und führte seit 2003 offizielle Gespräche mit der russisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Im Mai 2006 beschloss die Auslandskirche auf ihren IV. Bischofskonzil die Aufhebung der Kirchenspaltung und die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit. Hierbei spielte in der BRD aufgewachsene Erzbischof Mark eine wesentliche Rolle, weil aufseiten der Auslandskirche starke Ressentiments gegen das Moskauer Patriarchat wegen dessen Kollaboration mit dem Sowjetregime vorhanden waren.[16] Ein großes Problem war, dass viele Gläubige der Auslandskirche eine offizielle Verurteilung des sog. Sergianismus verlangten, also jener Loyalität des Moskauer Patriarchats dem Sowjetstaat gegenüber (benannt nach Metropolit Sergij Stragorodskij, 1867–1944).[17]
Die offizielle Wiedervereinigung erfolgte am 17. Mai 2007 in Moskau mit der Unterzeichnung eines „Aktes der kanonischen Gemeinschaft“ durch beide Kirchenoberhäupter.[18] Auf Seiten des Moskauer Patriarchats unterzeichnete Patriarch Alexius II. und für die ROKA unterschrieb Metropolit Lavr (Laurus). Hierdurch unterstellte sich die Russisch-Orthodoxe Auslandskirche der übergeordneten Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats als selbstverwaltete Kirche. Im Hinblick auf ihre administrativen Angelegenheiten bleibt die Auslandskirche dabei weitgehend selbständig.[19]
Zwei Tage vor dem Russischen Überfall auf die Ukraine 2022 erklärte die europäische ROKA, man könne der „extremen Einseitigkeit“ der westlichen Medien nicht zustimmen[20] und am Tag der Invasion schrieb Metropolit Hilarion, dass die Mitglieder auf übermäßiges Fernsehen, Zeitunglesen sowie Internet konsultieren verzichten sollten, um die Herzen vor den „von den Massenmedien entfachten Leidenschaften“ zu verschließen.[21]
Metropolit Mark, der dem verstorbenen Metropoliten Hilarion 2022 interimistisch nachfolgte, erklärte am 30. Mai 2022 allerdings, dass die ROKA den Krieg gegen die Ukraine für ein „Verbrechen“ halte. Die Behauptung der russischen Regierung, in der Ukraine regierten Nazis, sei „Unsinn“. Metropolit Mark verlangte den sofortigen Abzug der russischen Truppen. Wohl habe es auch seitens der ukrainischen Regierung Fehler gegeben, etwa das Verbot der russischen Sprache im Unterricht, doch könne man damit keinen Krieg rechtfertigen.[22]
Siehe auch
- Russische Orthodoxie im Ausland
- Sakralbau in Dresden im Streit der beiden Kirchen
- Russisch-Orthodoxe Kirche in Wien
- Russische Orthodoxe Auslandskirchen
Literatur
- Georg Seide: Die Russisch Orthodoxe Kirche im Ausland unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Diözese, 2001, Verlag Russisch-Orthodoxes Kloster, ISBN 978-3-935217-00-2
- Gernot Seide: Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland von der Gründung bis in die Gegenwart, 1983, Verlag O. Harrassowitz, ISBN 978-3-447-02352-8
Weblinks
Russische Orthodoxe Kirche im Ausland
- Offizielle Internetpräsenz
- Diözese von Berlin und Deutschland (Russische Orthodoxe Kirchenstiftung)
- Artikel bei Orthodoxwiki (englisch)
- Aufruf des Bischofssynods an die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland
- Meldung zur Vereinigung der ROKA mit dem Moskauer Patriarchat
- Was bedeutet für uns die kanonische Gemeinschaft?
- Die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland von Georg Seide
Einzelne Kirchen
Quellen
- ↑ Vgl. die Kurzdarstellung: Die Russisch-Orthodoxe Kirche (Memento vom 24. Februar 2009 im Internet Archive)
- ↑ Vgl. Georg Seide: Die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Diözese, S. 23 ff.
- ↑ Vgl. OrthodoxWiki: St. Petroc Monastery (Cascades, Tasmania) (Stand: 1. Mai 2015) sowie der Blog (Stand: 1. Mai 2015).
- ↑ Vgl. Christminster.org (Stand: 1. Mai 2015).
- ↑ Der Name Laurus wird vereinzelt auch als Lawr wiedergegeben, vgl. Лавр.
- ↑ Von ihm stammt eine stark antisemitische und anti-freimaurerische Schrift vom 28. August 1932, genannt Hirtenbrief des Konzils der rechtgläubigen Russischen Erzbischöfe im Ausland, Ortsangabe Sremskije Karlowzy, Jugoslawien, Deutsch zugänglich in Hans Krebs Hg.: Die Weltfront. Stimmen zur Judenfrage. Folge 1. Nibelungen, Berlin und Leipzig 1935, sowie online in einer Dokumentation des antisemitischen deutschen Gutachters Ulrich Fleischhauer im Berner Prozess um die Echtheit der Protokolle der Weisen von Zion, genannt „Sachverständigengutachten: Die echten Protokolle …“ S. 439–445. Antonius' Schrift wird hier als Beweis für die Echtheit der Fälschung herangezogen. Die kompletten Berner Prozessunterlagen im Bezugsartikel zu den „Protokollen“ als Weblink. Fleischhauer
- ↑ Ausführliche Informationen über die deutsche Diözese auf der Internetseite der ROKA. (Memento vom 20. April 2001 im Internet Archive)
- ↑ Vgl. Additional Information auf der Internetpräsenz der Russisch Orthodoxen Kirche im Ausland.
- ↑ Archivierte Kopie (Memento vom 6. März 2010 im Internet Archive)
- ↑ Vgl. http://www.synod.com/synod/engrocor/eneducation.html
- ↑ Vgl. http://www.orthodoxtheologicalschool.org/, Bericht über den ersten Abschlussjahrgang (Memento vom 24. September 2008 im Internet Archive)
- ↑ ROCOR Western Rite
- ↑ eigene Website (Memento vom 1. April 2008 im Internet Archive) (englisch, russisch)
- ↑ Russian Orthodox Church in Exile Orthodoxwiki (englisch)
- ↑ Vitaly (Ustinov) Orthodoxwiki (englisch)
- ↑ Vgl. KIRCHE/512: Russische Orthodoxie beendet Spaltung (Herder Korrespondenz)
- ↑ Vgl. den Beitrag Vereinigung mit Schönheitsfehlern von Gerd Stricker in der Herder-Korrespondenz Nr. 4/2007.
- ↑ Vgl. den genauen Wortlaut auf der Internetpräsenz der Maria-Obhut-Kirche in Düsseldorf
- ↑ Vgl. Radio Vatican: Russland: Wiedervereinigung unter Orthodoxen.
- ↑ Statement of the European Bishops of the Russian Church Abroad On the Situation in Eastern Ukraine, ROKA, 22. Februar 2022
- ↑ Archpastoral Epistle to the Clergy and Flock of the Eastern American and Australian-New Zealand Dioceses on Great Lent and on the Events on the Holy Ukrainian Land, synod.com, 24. Februar 2022
- ↑ Russisch-orthodoxe Auslandskirche: Ukraine-Krieg ist Verbrechen. Abgerufen am 31. Mai 2022.