Sammlung Alex Poignard
Die Stiftung Bürgerliche Wohnkultur, Sammlung Alex Poignard ist eine Sammlung von Objekten der bürgerlichen Wohn- und Alltagskultur, die der belgische Süßwarenfabrikant und -händler Alex Poignard zusammengetragen hat. Zu ihrem Bestand gehören mehr als fünfzigtausend Gegenstände aus der Zeit zwischen 1830 und 1930 aus den Beneluxländern, England, Italien, Frankreich und dem deutschen Westen.[1]
Entstehungsgeschichte
Die Sammlung Alex Poignard
Alexandre Gaston Poignard wurde 1921 in Antwerpen geboren und wuchs als einziger überlebender Sohn eines wohlhabenden Pharma-Unternehmers und -händlers in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Bei regelmäßigen Ausflügen in die belgische Region Wallonie (wo die Eltern eine Ferienwohnung in dem kleinen Ort Sivry besaßen) erhielt der junge Alex Poignard erste Einblicke in eine bäuerlich-kleinbürgerliche Lebenswelt, die ihn nachhaltig beeindruckten. Dort kam er in Kontakt mit Gegenständen, die er aus dem heimisch-städtischen Alltag nicht kannte, wie beispielsweise die alten Steinpfeifen der ansässigen Bauern, ihre Spielkarten und Arbeitsgeräte sowie kleine Andenken und Ansichtskarten aus den besuchten Dörfern.[2] Im Alter von 14 Jahren fand er auf einem Speicher eine Madonnenfigur aus Porzellan, die als Grundstein seiner Sammlung betrachtet wird.[3]
Bereits als junger Mann hatte er neben großer Sammelfreude die Idee, alltägliche Gegenstände des Bürgertums zu sammeln und für spätere Generationen zu bewahren.[4] Im Zuge dessen begann er mit dem Ausbau einer umfassenden Kollektion. Als Besitzer eines Süßwarenhandels gelang es ihm, seine geschäftlichen Reisen durch Belgien, Luxemburg, England, die Niederlande, Frankreich und Deutschland mit seiner Sammelleidenschaft zu verbinden, so dass er stets Ausschau nach geeigneten Gegenständen für seine Sammlung hielt. Zudem verfolgte er über sieben Jahrzehnte, als engagierter Sammler, aufmerksam aktuelle Auktionen und Angebote der regionalen und internationalen Antiquitätenhändler. Nach und nach bildete er seine Kennerschaft aus, eignete sich Fachliteratur an und wurde zum regelmäßigen Flohmarktbesucher, wodurch er phasenweise mehrere Objekte pro Woche erwarb. Sein Interesse galt dabei insbesondere den Produkten frühindustrieller Produktion und Manufaktur, die mit einer internationalen Wirtschaftsentwicklung einhergingen. Ihr Einfluss auf Freizeit, Erziehung, Hygiene, Luxus und Mode interessierte ihn, dies bezeichnete er später auch als Hauptmotivation für seine Sammlungstätigkeit. Seine besondere Vorliebe galt sogenannten Miniaturobjekten (originalgetreue Nachbildungen von Möbeln und Dekor im Kleinformat), die einen Schwerpunkt seiner Sammlung darstellen.
2017 verstarb Alex Poignard in Oud-Turnhout im Alter von 96 Jahren und hinterließ eine mehr als fünfzigtausend Artefakte umfassende Sammlung, die gleich mehrere komplette Interieure von Bürgerhäusern enthielt und in ihrer Gesamtheit einen wertvollen Beitrag zur Kulturgeschichte darstellt.
Die Stiftung Bürgerliche Wohnkultur – Sammlung Alex Poignard
Bei einer ersten Ausstellung mit dem Titel Lichtspiele in Malberg[5] lernte er Richard Hüttel kennen, ein Mitglied des Fördervereins Schloss Malberg e. V., wodurch er schließlich auch Ulrich Löber, den früheren Direktor des Landesmuseums und Beauftragten des Landes Rheinland-Pfalz für Museumsfragen, traf. Beide, Löber und Poignard, waren eifrige Sammler von Gegenständen aus Ebonit. Über Ulrich Löber entstand ein erster Kontakt zur Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Schnell reifte die Idee, eine eigene Stiftung zu errichten, die den Erhalt und die Pflege der Sammlung Alex Poignard zum Stiftungszweck hat. Während verschiedene belgische Institutionen die Übernahme der Sammlung aus strukturellen Gründen abgelehnt hatten, gelang es dem inzwischen über 80-jährigen Sammler, gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz eine Lösung für den Fortbestand seines Lebenswerkes zu finden.[6]
Im Jahr 2006 konnte Alex Poignard mithilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz die Stiftung Bürgerliche Wohnkultur, Sammlung Alex Poignard mit dem Zweck, die Erhaltung, Restaurierung und Pflege sowie die Präsentation, Erforschung und museale Behandlung, der nach dem Denkmalschutzgesetz des Landes Rheinland-Pfalz anerkannten Sammlung Alex Poignard, zu fördern, errichten. Die Stiftung Bürgerliche Wohnkultur ist eine nichtrechtsfähige Stiftung in der Verwaltung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und wird von derselben im Rechts- und Geschäftsverkehr vertreten. Dem Vorstand der Stiftung Bürgerliche Wohnkultur gehören nachfolgende Personen an: Andreas Schmauder, Vorsitzender (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesmuseum Koblenz), Freifrau Elke von Wüllenweber, Stellvertretende Vorsitzende (Deutsche Stiftung Denkmalschutz), Steffen Skudelny (Deutsche Stiftung Denkmalschutz), Thomas Metz (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz), Ludo van Herzeele (Turnhout) und Erich Engelke (Ortskurator Deutsche Stiftung Denkmalschutz). Dem Vorstand steht ein wissenschaftlicher Beirat beratend zur Seite. Die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesmuseum Koblenz, ist für die Erhaltung, Aufbewahrung, Inventarisierung, Pflege, Erforschung und museale Präsentation der Sammlung verantwortlich.[7]
Struktur und Inventar
Die Sammlung Alex Poignard beherbergt einzelne Teilsammlungen, die jeweils einem thematischen Schwerpunkt unterliegen. Die Grundstruktur kann damit als Sammlung von Sammlungen, die untereinander korrespondieren, beschrieben werden. Gemeinsam ermöglichen die verschiedenen Sammlungsbereiche einen repräsentativen Einblick in die bürgerliche Wohnkultur des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Das Gesamtinventar umfasst vor allem Objekte aus dem Bereich des häuslichen Alltags, welche die Lebensbereiche Wohnen, Essen, Hygiene, Glauben und Spielen thematisieren. Besonders hervorzuheben sind die unterschiedlichen vollständig erhaltenen Raumausstattungen.
Der folgende Auszug aus dem Schnellinventar von Alex Poignard aus dem Jahr 2006[8] gibt einen Einblick in den umfangreichen Bestand:
- Porzellan, Steingut, Glas, Kristall aus Westeuropa
- Devotionalien: mehr als 500 Madonnen, Kruzifixe, Heiligendarstellungen, kleine Hauskapellen, Graphiken
- Spielzeug: Puppen, Puppenhaus, Autos, Züge, Imageries: bedruckte Blätter mit Kinderszenen zum Ausschneiden und Sammeln
- Spielkarten und Zubehör (16. bis 20. Jh.)
- Knopfsammlung: mehrere Zehntausend, unterschiedlichen Materialien, auch Perlen, Schmuck (von der Römerzeit bis Sarah Bernard)
- Porzellanmenuekarten und -ständer (auch Figuren und Figurenpaare)
- Umfangreiche Sammlung zu Liebig Produkten: Kalender, die äußerst selten auf der Welt sind, ebenso Liebig-Sammelkarten, die man beim Kauf eines Liebig-Produktes bekam sowie weitere Produkte und auch Plakate.
- Umfangreiche Sammlung von Epinals: Vorläufer des Comics; Holzschnitte aus der franz. Stadt Epinal
- Sehr umfangreiche Porzellankarten: Porzellanpapier, bedruckt (1790–1850 aus Belgien und Frankreich)
- alte Küchengeräte, komplette Küche, Marmortisch (um 1880)
- Hygiene- und Toilettenartikel: verschiedene Badezimmer, Waschbecken, Seifen (original verpackt), Wasserheizungsinstallationen vor 1900
- Bakelit-Sammlung
- Ebonit-Sammlung
- Blechdosen-Sammlung (viele davon wurden vor 1900 produziert)
- Sammlung Rauchen und Tabak: ca. 600 Pfeifen, Tabakdosen, Aschenbecher, Anzünderfiguren
- Pariser Salonuhren: Porzellan (teilweise signiert von Jacob Petit)
- Sammlung zur Medizin: medizinische Geräte, Mikroskope (17. / 18. Jh.), kompletter Behandlungsraum einer Zahnarztpraxis (um 1880)
- Einrichtung einer Süßwarenfabrik
- Komplette Einrichtung einer alten Bierstube; Marmortische, Stühle, zahlreiche Gläser, Flaschen und Reklametafeln aus dem Brauereiwesen
- Käseglocken-Sammlung
- Sammlung Stempel und Siegel aus verschiedenen Materialien (Silber, Gold, Porzellan)
- Sammlung von Taschenuhrenträgern
- Sammlung Parfum-Flacons
- Jugendstil-Sammlung: Möbel, Schmuck, Glaspaste
- Historische Fotografien, Kameras und Stereoskope
- Historische Reisen: Souvenirs und Reiseführer
- Ostereier aus Porzellan, Kristall, Silber, Biscuit
- Abteilung zum Thema Beleuchtung (vom Öl zu Gas bis hin zur Elektrizität)
- Sammlung Likörflaschen (1810 bis 1900)
- Nähmaschinen, nur seltene Modelle, auch Miniaturmodelle für Kinder
- Sammlung Jugendstil Glas und Keramik, Dekoration
- Sammlung Weihwassergefäße (reich dekorierte Besonderheiten)
- Andenne-Skulpturen, viele Madonnen, Weihwassergefäße, Heilige, mythologische Figuren sowie Tiere
- Möbel: Empire, Jugendstil, Louis-Philipp, Charles X, auch einige flämische Möbel (17. Jh.)
- Keramikvasen von Bequet
- Glaskristall- und farbige Objekte von Val-St.-Lambert
Standort
Über sechs Jahrzehnte bewahrte Alex Poignard seine Sammlung in verschiedenen Privathäusern und Lagerhallen in Antwerpen auf, wo die Sammlungsobjekte zum Teil offen im eigenen Wohnraum aufgestellt und zu einem anderen Teil verpackt in Kartons gelagert waren. Regelmäßig nahm Poignard mit Leihgaben an Ausstellung in Belgien teil.
Mit Übernahme der Sammlung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz konnten die Objekte in ihrer Gesamtheit in einem Depot in Koblenz untergebracht werden. Seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung durch das Landesmuseum Koblenz (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz) ist bereits ein kleiner Teil der Sammlung in das museale Depot auf der Festung Ehrenbreitstein (Koblenz) umgezogen. Der komplette Umzug der Sammlung in das Museumsdepot ist vorgesehen.[9]
Ausstellungen
- Esskulturen: Eine forschende Ausstellung mit Objekten der Sammlung Poignard. Landesmuseum Koblenz, ab September 2020, BMBF-Verbundprojekt mit der Universität Bonn und der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz[10]
- Präsentation von Ostereiern der Sammlung Alex Poignard. Landesmuseum Koblenz, 2012
- Sammlung Alex Poignard: Einblicke in seine Wunderkammer. Landesmuseum Koblenz, 2011
- Lichtspiele. Schloss Malberg, 1998
Literatur
- Cordula Stadtfeld: Aufgetischt. Menuhalter aus der Sammlung Alex Poignard im Landesmuseum, in: Verbundprojekt Esskulturen. Objekte, Praktiken, Semantiken (Hg.): Tisch-Ordnungen. Hierarchisierung und Egalisierung, Bulletin Esskulturen, Mappe I, 1. Jahrgang 2019.
- Mira Van Leewen, : Die Barttasse. Vom Sammlungs- zum Ausstellungsobjekt, in: Verbundprojekt Esskulturen. Objekte, Praktiken, Semantiken (Hg.): Geschlechter-Diätetik. Gender und Speisekonventionen, Bulletin Esskulturen, Mappe II, 1. Jahrgang 2019.(Hinweis: Zum Ausstellungsprojekt Esskulturen werden bis Ende des Jahres 2020 sieben Ausgaben des Bulletins Esskulturen mit Objekten der Sammlung Poignard erscheinen.)
- Paul Verbraeken: Der Sammler Alex Poignard, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, 2007
Weblinks
Über die Stiftung Bürgerliche Wohnkultur - Sammlung Alex Poignard
Die forschende Ausstellung Esskulturen im Landesmuseum Koblenz
Über das BMBF-Verbundprojekt Esskulturen
Einzelnachweise
- ↑ Stiftung Bürgerliche Wohnkultur - Sammlung Alex Poignard. Deutsche Stiftung Denkmalschutz, 2006, abgerufen am 24. März 2020.
- ↑ Paul Verbraeken: Der Sammler Alex Poignard. Hrsg.: Deutsche Stiftung Denkmalschutz. 2007.
- ↑ Unveröffentlichtes Interview: Vorstandsmitglied der Stiftung Bürgerliche Wohnkultur/Landesmuseum Koblenz, September 2019, Koblenz
- ↑ Paul Verbraeken: Der Sammler Alex Poignard. Hrsg.: Deutsche Stiftung Denkmalschutz. 2007.
- ↑ Elke von Wüllenweber: Damit Vergangenheit Zukunft hat. In: Malberger Schloßbote, Förderverein Schloß Malberg, Heft 3, Februar 2007, S. 13/14
- ↑ Informationen der Stiftung Bürgerliche Wohnkultur auf Anfrage per Email, Januar 2020
- ↑ Informationen des Landesmuseums Koblenz, 2020
- ↑ Paul Verbraeken: Der Sammler Alex Poinard. Hrsg.: Deutsche Stiftung Denkmalschutz. 2007.
- ↑ Information des Landesmuseums Koblenz, 2020
- ↑ Startseite. Abgerufen am 10. April 2022 (deutsch).