Schachtverbruch
Als Schachtverbruch bezeichnet man ein meist plötzliches Abgehen der Schachtverfüllung bei abgeworfenen Tagesschächten.[1] Nach einem Schachtverbruch zeichnet sich an der Tagesoberfläche sehr oft die Kontur des ehemaligen Schachtes ab oder es bildet sich eine trichterförmige Bruchform.[2] Damit es bei heutigen abgeworfenen Schächten nicht zu Schachtverbrüchen kommen kann, werden diese nach den anerkannten Regeln der Technik mit speziellen Baustoffen verfüllt.[1]
Grundlagen
Abgeworfene Schächte wurden früher nach Einstellen des Bergbaus nur unzureichend verfüllt.[3] So wurden oftmals ungeeignete Versatz- oder Verbruchmassen verwendet, die dann auf Bühnen geschüttet wurden, die im Schacht an den Schachtausbauten befestigt wurden.[4] Teilweise wurden die Schachtöffnungen nur unzureichend mit Abdeckplatten gesichert, die auf nicht ausreichend dimensionierten Fundamenten lagen.[5] Durch Versagen des Ausbaus verrutschte die Versatzsäule oder die Abdeckplatte brach ein.[6] Anders als beim Tagesbruch bildet sich beim Schachtverbruch ein vorgezeichneter Bruchschlot[ANM 1] aus.[7] Grund hierfür sind die verschiedenen geomechanischen Bruchvorgänge bei den beiden Ereignissen.[5] Alleine in Deutschland gibt es mehrere hundert ungesicherte Schächte, deren Füllstand sowie genaue Lage meistens unbekannt sind.[4]
Bruchvorgänge
Die Bildung von Schachtverbrüchen kann je nach verwendetem Schachtabschluss verschiedene Ursachen haben.[5] Bei der früher angewendeten Teilverfüllung des Schachtes durch Lockermassen kann es im Laufe der Jahre dazu kommen, dass sich die Lockermassen-Füllsäule setzt und das Erdreich in den dadurch entstandenen Hohlraum rutscht.[8] Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Plattform, auf der die Füllsäule aufliegt, nach einiger Zeit morsch wird und zerbricht.[9] Aufgrund der Reibungskräfte im karbonischen Festgestein wird die Füllsäule bei ausreichender Länge zunächst noch im Schacht festgehalten. Findet nun eine Erosion der Füllsäule statt, kommt es zu einer seitlichen Aufweitung des Hohlraumes. Dadurch stürzt die komplette Füllsäule in die Tiefe und es bildet sich unmittelbar der Schachtverbruch. In beiden Fällen sind die Abmessungen des Loches nicht wesentlich größer als der Schachtdurchmesser.[8]
Bei unverfüllten Schächten mit Schachtplatte kommt es nach gewisser Zeit dazu, dass der Schachtausbau zerstört wird.[5] Die Schachtwandung verliert dadurch im Bereich des feuchten Lockergesteins ihre tragende Wirkung. Anschließend bricht das Lockergestein heraus und fällt in den Schacht. Dadurch werden die tragenden Ränder der Schachtabdeckung nach und nach unterhöhlt. Die Größe des Ausbruchs ist von der Größe der Schachtabdeckung abhängig. Aufgrund der auftretenden Kräfte kann es nun dazu kommen, dass die Platte entweder zerbricht oder, je nach Größe, in den Schacht fällt.[9]
Einwirkungsbereich
Rund um einen Schacht, bei dem die Lockermassenfüllsäule abgerutscht ist, gibt es einen bestimmten Einwirkungsbereich.[7] Basierend auf einer in den 1970er Jahren vorgenommenen Auswertung aller bekannten Schadensereignisse wurde ein Berechnungsverfahren zur Bewertung des Einwirkungsbereichs von Schachtverbrüchen erstellt. Der Einwirkungsbereich setzt sich bei seigeren Schächten zusammen aus einem einsturzgefährdeten, einem setzungsgefährdeten und einem senkungsgefährdeten Bereich. Für die Berechnung des Einwirkungsbereiches an der Tagesoberfläche (EB) müssen die Stärke des Schachtausbaus (A), die Teufe der Felslinie (), auch einwirkungsrelevante Teufe genannt, und der Schachtdurchmesser () bekannt sein. Für die Berechnung des Einwirkungsbereichs bei seigeren Schächten wird die lichte Weite des Schachtes verwendet und ein Sicherheitsabstand (S) von 1,5 Metern berücksichtigt. Unter der Voraussetzung, dass sowohl für die Auffüllsäule als auch für das Deckgebirge ein Einwirkungswinkel von 50 Gon berücksichtigt wird, gilt für die Berechnung des Einwirkungsbereichs bei seigeren Schächten die Formel:
Bei tonnlägigen Schächten hat der Einwirkungsbereich unterschiedliche Abmessungen für die Einfalls- und Streichrichtung. Bedingt durch die räumliche Lage des Schachtes bekommt der Einwirkungsbereich bei tonnlägigen Schächten die Form eines Trapezes, bei dem die Grundseite senkrecht zur Einfallsrichtung stehen. Die Trapezachse liegt dabei in der Einfallsrichtung deckungsgleich über der Schachtachse. Zur Berechnung des Einwirkungsbereichs bei tonnlägigen Schächten müssen neben der Stärke des Schachtausbaus auch die einwirkungsrelevante Teufe und der Schachtdurchmesser in Einfalls- oder Streichrichtung bekannt sein. Die einwirkungsrelevante Teufe wird bei tonnlägigen Schächten anhand eines von Hollmann und Nürenberg erstellten Nomogramms ermittelt. Unter der Berücksichtigung der Breite der tagesbruchgefährdeten Zone im Niveau der Felslinie () berechnet man den Einwirkungsbereich gemäß der Formel:
Innerhalb des Einwirkungsbereiches eines tonnlägigen Schachtes ist die Tagesoberfläche in der Streich- und Einfallsrichtung des Schachtes senkungs-, einbruch- und sogar einsturzgefährdet.[10]
Sicherungsmaßnahmen
Bei einem Schachtverbruch gibt es zur Schadensbekämpfung drei Arten von Sicherungsmaßnahmen:
- Erstsicherung
- Dauerhafte Sicherung
- Verwahrung
Die Erstsicherung, auch vorläufige Sicherung, dient der unverzüglichen Absicherung des Schadensbereiches und somit zur Abwehr von Gefährdungen für Leib, Leben und Sachwerten. Hier werden Absperrungen, Warnbänder und Beschilderungen eingesetzt.[11]
Bei der dauerhaften Sicherung wird das Schadensereignis zwar nicht grundlegend verändert oder beseitigt, aber die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wird durch haltbarere Maßnahmen über einen begrenzten Zeitraum erheblich reduziert. Hierzu dienen massive Zäune, Formkörper, Erdwälle, Ummauerungen oder Abdeckungen aus Stahlbeton. Die Maßnahmen werden regelmäßig kontrolliert.[7]
Bei der Verwahrung werden wartungsfreie und wirkungsvolle Maßnahmen zur Beseitigung der Schäden getroffen. Hierzu zählen Betonplomben, Stahlbetonplatten oder erhärtender Versatz. Diese Maßnahmen werden so ausgelegt, dass sie mindestens über einen Zeitraum von 100 Jahren wirksam sind.[11][12]
Beispiele
Beispiele für bekannte Schachtverbrüche:
- Im Ruhrgebiet gab es mehrere Schachteinstürze: im Jahr 1987 in Essen-Freisenbruch (Schacht „Heinzmann“ der Zeche Eintracht Tiefbau), sowie im Dezember 2007 im Wittener Stadtteil Annen (Schacht „Meyer“ der Zeche Ringeltaube). In beiden Fällen brach die alte Schachtöffnung auf und musste aufwendig mit Beton verfüllt werden.
- Am 2. Januar 2000 öffnete sich in Bochum mitten in einem Wohngebiet das Höntroper Loch, dessen mögliche Ausbreitung eine ganze Wohnsiedlung und eine S-Bahn-Strecke bedrohte. Obwohl die Sicherungsmaßnahmen sofort begannen und hunderte Kubikmeter Beton in das Loch gepumpt wurden, mussten einige Häuser aufgegeben werden. Die Ursache für den Schachtverbruch war ein hundert Jahre zurückliegender Unfall bei den Verfüllarbeiten an einem ehemaligen Schacht der Kohlenzeche Maria-Anna. Ein Schachtgerüst war damals eingestürzt und hatte sich in etwa 40 m Tiefe verklemmt. Der Schacht konnte daraufhin nicht ordnungsgemäß zugeschüttet werden. Das Ereignis geriet in Vergessenheit und wurde beim Bau der Wohnsiedlung nicht berücksichtigt. Die nachträgliche Verfüllung kostete rd. 12 Mio. DM.[13]
- 2008 brach auf der Landesstraße 231 zwischen Wettelrode und Morungen die Straßendecke ein, verursacht durch einen Verbruch eines Schachtes.[14]
Einzelnachweise
- ↑ a b Gunter Gernot Gschwandtner: Gebirgsmechanische Untersuchungen von komplexen Grubengebäuden am Beispiel eines aufgelassenen Gipsbergbaus. Dissertationsschrift am Lehrstuhl für Subsurface Enginering der Montanuniversität Leoben, Leoben 2013, S. 137–141.
- ↑ Günter Meier: Modifikation von Tagesbruchprognosen. Online (PDF; 1,3 MB) (abgerufen am 26. Februar 2021).
- ↑ Sicherung bruchgefährdeter Straßenbereiche in Altbergbau- und Subrosionsgebieten. Online (Memento vom 11. Juni 2007 im Internet Archive) (PDF; 681 kB).
- ↑ a b Dieter D. Genske: Ingenieurgeologie Grundlagen und Anwendung. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-25756-1, S. 457.
- ↑ a b c d Axel Preusse, Jörg Krämer, Anton Sroka: Technische Abschätzung von Folgelasten des Steinkohlebergbaus. In: Ring Deutscher Bergingenieure e.V. (Hrsg.): Bergbau. Makossa Druck und Medien GmbH, Nr. 12, Gelsenkirchen 2007, S. 540–543.
- ↑ Helmut Prinz, Roland Strauß: Ingenieurgeologie. 5. bearbeitete und erweiterte Auflage, Spektrum akademischer Verlag, Heidelberg 2011, ISBN 978-3-8274-2472-3, S. 455, 456.
- ↑ a b c Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V. (Hrsg.): Empfehlungen für den Entwurf und die Berechnung von Erdkörpern mit Bewehrungen aus Geokunststoffen – EBGEO. 2. Auflage, Verlag Ernst & Sohn, Berlin 2010, ISBN 978-3-433-02950-3, S. 11-1–11-8.
- ↑ a b Steffen Päßler: Über die Wahrscheinlichkeit von Tagesbrüchen und die Risikobewertung am Beispiel von Rohrleitungen im Mitteldeutschen Braunkohlentiefbau. Angenommene Habilitationsschrift an der Fakultät für Geowissenschaften, Geotechnik und Bergbau der Technischen Universität Bergakademie Freiberg, Freiberg 2014, S. 8.
- ↑ a b Mark Mainz: Geotechnische Modellvorstellungen zur Abschätzung von Gefährdungsbereichen des Altbergbaus und Schachtschutzbereichen im Aachener Steinkohlenrevier. (Dissertation) Online (PDF; 4,0 MB).
- ↑ Michael Clostermann: Altbergbau und Bauleitplanung: Der Umgang mit den Hinterlassenschaften Früher – heute – morgen? Geokinematischer Tag Freiberg 2009.
- ↑ a b Günter Meier: Verwahrungsgrundsätze im Altbergbau. Online (PDF; 143 kB) (abgerufen per Archive org. am 26. Februar 2021).
- ↑ Michael Clostermann, Peter Hogrebe: Schacht Meyer – kleiner Tagesbruch mit großen Folgen.
- ↑ Melanie Niese: Der Umgang mit Bergschäden im südlichen Ruhrgebiet. Dissertation an der Ruhr-Universität, Bielefeld 2010.
- ↑ Tagesbruch auf der Landstraße L 231 zwischen Morungen und Wettelrode bei Sangerhausen (Memento vom 13. September 2012 im Webarchiv archive.today)
Anmerkungen
- ↑ Als Bruchschlot bezeichnet man einen schachtähnlichen Aufstiegskanal, der sich bedingt durch Verbruchsprozesse von unten nach oben hocharbeitet. (Quelle: Hans Murawski, Wilhelm Meyer: Geologisches Wörterbuch.) (Quelle: Barbara Juza: Erkundung und Stabilisierung tagesnaher Hohlräume im ehemaligen Gipsbergbau Hochleiten.)