Stiefel
Der Stiefel ist eine Schuhgrundform und stellt daher eine Art der Fußbekleidung dar. Gegenüber dem nur bis zur Fußbeuge reichenden Halbschuh ist ein Stiefel ein Schuh, dessen Schaft (fachsprachlich für das Oberteil des Schuhs, in Abgrenzung zum Schuhboden) bis mindestens über den Knöchel reicht. Der Stiefelschaft wird nochmals grob untergliedert in den Fußteil und das sich daran anschließende, nach oben reichende Rohr (allgemeinsprachlich „Schaft“ genannt).
Technische Definition und Abgrenzung
Im technischen Sinn werden Schuhe mit einer minimalen Schafthöhe (gemessen am hinteren Rand zwischen der Absatzoberkante und der Schaftabschlusskante) von 80 % der betreffenden Schuhlänge als Stiefel oder Boots bezeichnet.
Handelt es sich um einen knöchelhohen Stiefel (Schnürstiefel, Schlupfstiefel mit Elastikeinsatz oder mit einem Reißverschluss), so spricht man auch von einer Stiefelette. Die Machart (= herstellungsbedingte Konstruktionsweise der Verbindung von Schaft und Sohle), unterschiedliche Sohlen und Absatzhöhen sind dabei unerheblich. Im engeren Sinn bezeichnet man mit einer Stiefelette einen eleganten Stiefel, der durch einen Elastikeinsatz seitlich im Schaft den Einschlupf erleichtert und den Stiefel am Fuß festhält.
Von Stiefelsandalen spricht man, wenn die Riemen von Sandalen bis über den Knöchel hinaufreichen.
Kategorisierung
Stiefel können nach verschiedenen Kriterien unterschieden werden:
- Schaftlänge (Stiefel/Boots und Stiefeletten, Halbschaftstiefel, Langschaftstiefel, Überkniestiefel (Overknee))
- Verwendungszweck (zum Beispiel Motorradstiefel, Reitstiefel, Schlittschuhstiefel, Jagdstiefel, Skistiefel, Wanderstiefel, Westernstiefel, Kampfstiefel, Marschstiefel, Springerstiefel, Sicherheitsstiefel, Watstiefel)
- Schnittform des Schafts (zum Beispiel Kropfschnitt, Seitenteilschnitt, Faltenstiefel, Stulpenstiefel)
- Material (zum Beispiel Gummistiefel, Lederstiefel, Lackstiefel, Holzstiefel, Filzstiefel und Fellstiefel)
Modelle
Damen- und Herrenmodelle unterscheiden sich oft nur durch Leistenform und Absatzhöhe (auf Modenschauen sind zwar hin und wieder auch Herrenstiefel mit höheren Absätzen zu sehen. Im Handel und in der Alltagsmode haben sich solche Entwürfe aber bislang nicht durchgesetzt). Im 19. Jahrhundert gab es sehr viele Stiefelmodelle (Hessenstiefel, Wellingtonstiefel, Bottine, Jakobinerstiefel und so weiter), die sich aber größtenteils überlebt haben. Heute werden weniger, anhand des Schaftschnitts sich voneinander unterscheidende Modelle differenziert.
Im klassischen Herrenschuhbereich sind folgende überknöchelhohen Modelle seit Jahrzehnten unverändert anzutreffen:
- Mit einem meist vergleichsweise niedrigen Schaft: Der Chelsea-Boot (mit seitlichem elastischen Gummibandeinsatz), Jodhpur-Stiefel (mit einem um das Gelenk herumreichenden Riemen mit Dornschnalle), George-Boot und Chukka-Boot (beides Schnürschuhe; der George-Boot reicht deutlich höher), Ringsbesatzstiefel oder auch Balmoral genannt (mit sogenannter geschlossener Schnürung und auffälligem Schaftschnitt) und der Derby-Boot (sportlicher „Boot“ mit sogenannter offener Schnürung).
- Folgende Modelle haben meist einen höheren Schaft: Engineerboots (mit einer stark arrondierten Schuhspitze und einem Marschriemen (Fußschoner) über dem Rist, meist bis knapp über die Mitte der Wade reichend), der Westernstiefel (vorne spitz zulaufend, meist mit aufgenähten Verzierungen und einem Schaftrohr bis zur Mitte der Wade) und der Motorradstiefel oder Bikerboot (mit abriebfesten Sohlen, dem das Bein vor Motor-/Auspuffhitze und bei einem Sturz vor Abschürfungen schützenden Schaft und einer meist runden oder zumindest nicht engen Schuhspitze). Schließlich gibt es noch den Reitstiefel, dessen Charakteristika ein schlichter, schlanker, hoher Schaft und eine meist feine Sohle sind.
Historisches und die heutige Bedeutung/Verwendung
Die ältesten Zeugnisse von Stiefeln sind auf den Wandmalereien (15.000–13.000 v. Chr.) in der spanischen Altamira-Höhle zu sehen. Dort sind Jäger mit stiefelähnlicher Bekleidung abgebildet. Archäologische Funde leder Stiefel, beziehungsweise Lersen (mittelhochdeutsch auch hosen), überkniehohe Stiefel aus dünnem Leder, gibt es aus dem ehemaligen Bergwerk Niederpöbel aus dem späten 13. Jahrhundert.[1] Der Stiefel diente bereits damals gegenüber dem Halbschuh als zusätzlicher mechanischer und thermischer Beinschutz. Insofern finden sich Stiefel traditionell und zweckgebunden bei Soldaten (Knobelbecher und Kampfschuhe, Fallschirmspringerstiefel) und Wanderern, Bergsteigern, Jägern sowie als Fußbekleidung bestimmter Sportarten (Skistiefel, Boxerstiefel etc.), wie auch als Arbeitsschuhe und Sicherheitsstiefel im beruflichen Einsatz (Feuerwehrleute, Waldarbeiter). Neben den modebedingten Stiefeln finden sich Stiefel also auch als eine an bestimmte Aufgaben gebundene Fußbekleidung. So wird beispielsweise zum Reiten der Reitstiefel und zum Autowaschen oder dergleichen der Gummistiefel getragen.
Nachdem der Stiefel – und insbesondere die Modelle mit hohem Schaft – als alltägliche Fußbekleidung spätestens mit Ende des Ersten Weltkriegs zu einer zunehmend seltenen Erscheinung geworden waren (die Schutzfunktion des Stiefels wurde kaum noch benötigt, und Halbschuhe sind preiswerter und zumeist bequemer), ist er seit Mitte des 20. Jahrhunderts für beide Geschlechter stark modeabhängig. Für Frauen gibt es eine größere Vielfalt unterschiedlicher Stiefelmodelle und Schaftrohrhöhen.
Besonderheiten
Je nach Modell weisen Stiefel gegenüber Halbschuhen einige Besonderheiten auf. Ein Stiefel muss, um gut zu sitzen und so ein komfortables Gehen zu ermöglichen, dicht am Fußrist anliegen und folglich entsprechend eng an dieser Stelle sein. Stiefel ohne Schnür-, Reiß- oder Riemenverschluss (sogenannte Schlupfstiefel) und mit hohem Stiefelrohr lassen sich aber nur dann problemlos an- und ausziehen, wenn diese Stelle ausreichend weit ist, so dass der Fuß um die Biegung schlüpfen kann. Alternativ kann, wie bei Damenstiefeln häufig, der Schaft aus einem dünnen, dehnbaren Material bestehen.
Soll also ein bequemer Einschlupf gewährleistet sein, liegt der Schaft nicht mehr dicht an der Fußbeuge an, so dass der Fuß beim Gehen hochlupft. Um dies zu verhindern, wird der Fuß mit einem Marschriemen (ein mit einer Dornschließe in der Länge verstellbarer Riemen, der im Schuhboden befestigt ist und quer über den Rist verläuft) fest in den Fersenbereich des Stiefels gezogen.
Da Stiefel aus diesen Gründen auch schwierig anzuziehen sind, haben viele Modelle sogenannte „Zugschlaufen“ in den oberen inneren Schaftrand eingenäht. Mit den Fingern an diesen Gewebebandschlaufen gezogen, bei gleichzeitigem Druck des Fußes in den Stiefel, ist das Anziehen einfacher. Dies erleichtert ein sogenannter Stiefelanziehhaken: Ein Haken wird in die Zugschlaufe eingeführt, und die ganze Hand zieht an dem Holzgriff am anderen Ende.
Um das Ausziehen des Stiefels zu erleichtern, wird ein sogenannter Stiefelknecht verwendet. Der Name geht auf einen Bediensteten zurück, der dem Stiefelträger früher beim Ausziehen behilflich war. Heute handelt es sich um ein – schräg aufgestelltes und an einem Ende U-förmig ausgeschnittenes – Holzbrett. In den Ausschnitt wird die Stiefelferse eingeführt; unter Gegendruck mit dem anderen Fuß auf das Brett kann der Stiefel vom Fuß gestreift werden.
Überknöchelhohe Schnürstiefel, wie es sie als klassische Herrenschuhe gibt, zeigen im unteren Bereich der Schnürung Ösen und – für ein leichteres An- und Ausziehen – im oberen Bereich Haken (Agraffen); so auch der eingangs abgebildete Derbyboot.
Bedeutung in der Erotik
Stiefel können bei manchen Menschen erotische Assoziationen erzeugen. Das gilt für bestimmte, zumeist hochhackige Damenstiefelmodelle mehr als für andere Stiefel. So gelten beispielsweise bis über das Knie reichende Langschaftstiefel, auch Overknees oder Thigh-Highs genannt, zumeist mit Schäften aus Lackleder oder Latex, mit Plateausohle und/oder hohen Absätzen, insbesondere in der BDSM-Szene als Fetischobjekt.
Heraldik
In der Heraldik steht der Stiefel, ebenso wie der Schuh als Wappenfigur in der Reihe der gemeinen Figuren.
- Haupteintrag: Schuh und Stiefel
Einfluss auf die Sprache
Im deutschen Sprachraum gibt es einige Redewendungen, die sich auf das Schuhwerk Stiefel beziehen:
- „So (oder: umgekehrt) wird ein Stiefel daraus.“ (So/umgekehrt ist es richtig.)
- „Rede (oder: erzähle) nicht so einen Stiefel!“ (Rede nicht solchen Unsinn!)
In der englischen Sprache sind viele Wörter aus dem Alltag dem Wort für Stiefel entsprungen. In diese Kategorie fallen Ausdrücke wie Bootstrap-Loader, Bootleg und Bootcut, einige davon haben als Lehnwörter auch Eingang in die deutsche Umgangssprache gefunden (Bootleg, „den Rechner neu booten“ etc.)
Stiefel in der Literatur
In Volksmärchen und Erzählungen ist der Stiefel ein häufig anzutreffendes Motiv:
- Brüder Grimm: Die Stiefel von Büffelleder, Wikisource Wikisource
- Brüder Grimm: Der gestiefelte Kater, Wikisource Wikisource
- Johann Wilhelm Wolf: Die eisernen Stiefel (aus: Hausmärchen), zeno.org
- anonym: Die halbausgezogenen Stiefel des Grafen Walerant (aus Frankreich, deutsche Übersetzung: Alfred Semerau, 1907)
- Georg Queri: Die Schnurren des Rochus Mang – Die Stiefel des Meßner Hans im Projekt Gutenberg-DE
- anonym: Sagen aus der Hanse – Des Teufels Stiefel im Projekt Gutenberg-DE
- In mehreren Märchen und Erzählungen findet sich das Motiv der Siebenmeilenstiefel.
Film
Literatur
- Tyler Beard: Cowboy Boots, Gibbs Smith, 2004, ISBN 1-58685-522-0 (englischsprachig).
- Valerie Steele: Schuhe, duMont, Köln 1999 (Originaltitel: Shoes – A Lexicon of Style, Co. & Bear Productions (UK) Ltd., 1998, übersetzt von Wolfgang Himmelberg). ISBN 3-7701-8523-4.
- Helge Sternke: Alles über Herrenschuhe. Nicolai, Berlin 2006, ISBN 3-89479-252-3.
Siehe auch
Balmoral, Chelsea-Boot, George-Boot, Jodhpur-Stiefel, Springerstiefel, Stulpenstiefel, Kamerad Schnürschuh, Schuhe, Schuhfetischismus, Stiefelknecht, Schaltverstärkung, Der gestiefelte Kater
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Liane Albrecht, Rengert Elburg: Stiefel und Lersen als Bergmannsbekleidung aus dem späten 13. Jahrhundert. In: ArchaeoMontan. Beiheft 29. Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege, 2014, S. 229–237 (academia.edu [abgerufen am 5. Oktober 2020]).