Schwedische Architektur
Dieser Artikel beschreibt die historische Entwicklung der schwedischen Architektur.
Mittelalter
Das schwedische Mittelalter dauerte ungefähr 500 Jahre, von der Taufe Olof Skötkonungs um 1000 bis zu Gustav Wasas Machtergreifung in den 1520er Jahren. Anfangs waren beinahe alle Gebäude sowohl in der Stadt wie auf dem Lande aus Holz gebaut. Im 12. Jahrhundert wurde jedoch behauener Stein zum Baumaterial für vor allem Klöster und Kirchen im romanischen Stil. Lund, Sigtuna, Husaby und Alvastra geben Zeugnis von dieser Baukunst. Auf dem Land wurden die kleinen romanischen Kirchen oft als Wehrkirchen gebaut.
Mit der Gotik kam der Ziegel als neues Baumaterial nach Schweden. Die Dome in Västerås, Strängnäs sowie in Uppsala wurden aus Ziegel erbaut, während die Dome in Skara und Linköping aus Kalkstein errichtet wurden.
Während etwa 1500 der 4000 schwedischen Kirchen aus dem Mittelalter stammen, ist an profanen Gebäuden nur wenig aus dieser Zeit erhalten; einige Bürgerhäuser in Stockholm und Visby sowie Reste von Festungen und Burgen. Die Stadtmauer rund um Visby aus dem 13. Jahrhundert gehört zu den am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauern Europas. Auch das Straßennetz der Altstadt in Stockholm ist noch mittelalterlich.
Renaissance
Mit der Machtübernahme Gustav Wasas und der Reformation veränderten sich die Voraussetzungen radikal. Der Kirchenbau hörte beinahe vollständig auf. Auch der Adel baute kaum. Zu dieser Zeit entstanden die großartigen Wasaburgen, die an strategisch wichtigen Plätzen zur Beherrschung des Landes errichtet wurden, gleichzeitig aber auch den herumziehenden Hof beherbergen sollten. Schloss Gripsholm, Schloss Kalmar und Schloss Vadstena beeindrucken durch ihre massiven Mauern, aber auch durch die Verschmelzung mittelalterlicher Baukunst mit Elementen der Renaissance, die über Deutschland und Holland vermittelt wurde.
Barock
Mit dem Aufstieg Schwedens zur Großmacht im 17. Jahrhundert begann auch der Hochadel zu bauen. Gleichzeitig entstand der Beruf des Architekten, dessen Reputation sich mit den Baumeistern Simon de la Vallée und Nicodemus Tessin d. Ä. festigte. Es entstanden zahlreiche Stadtpaläste und Landschlösser nach westeuropäischen, vor allem französischen Vorbildern. Aber auch der Bau von Kirchen wurde wieder aufgenommen, und die Katarina Kirche in Stockholm wurde zum Vorbild für viele Kirchenbauten im Reich. Mit Nicodemus Tessin d. J. hält der Hochbarock seinen Einzug, wie z. B. in seinem Hauptwerk, dem Stockholmer Schloss oder im Kalmarer Dom.
Im 17. Jahrhundert wurde auch eine Reihe von Städten gegründet. Ihre Anlage folgte einem regelmäßigen, schachbrettartigen Grundriss mit einem zentralen Platz. Abweichungen gibt es nur im damals dänischen Schonen und in Göteborg, das 1619 nach holländischem Vorbild mit Kanälen angelegt wurde. Der Grundriss ist auch heute noch in diesen Städten erkennbar, wenn auch die meist aus Holz errichteten Bauten verschwunden sind.
Klassizismus und Empirestil
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem nach dem Staatsstreich Gustavs III. geschah eine Neuorientierung an antiken Vorbildern. 1773 wurde die Bauschule der Kunstakademie gegründet und etwas später wurde ein Amt zur Überwachung des Bauwesens eingerichtet. Beides hob die Qualität der Architektur, schwächte aber gleichzeitig die regionalen Bautraditionen. Zeugnisse der neuen klassizistischen Ideale in der Architektur sind etwa das Schlosstheater in Gripsholm, das Botanikum in Uppsala oder das Gymnasium in Härnosand.
Nach den Napoleonischen Kriegen und dem Verlust Finnlands konzentrierte sich die staatliche Bautätigkeit vor allem auf den militärischen Sektor. Die Festung Karlsborg und der Göta-Kanal, an dem in der 23-jährigen Bauzeit um die 60.000 Mann arbeiteten, waren die größten schwedischen Bauprojekte aller Zeiten. Der führende Architekt der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war auch ein Militär, Oberst Fredrik Blom, der neben einer Reihe von Kasernen auch die klassizistische Skeppsholmskirche in Stockholm und – als Hausarchitekt des Königs – das Empireschloss Rosendal baute.
Historismus
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die Industrialisierung Schwedens. Die Einwohnerzahl der Städte verdreifachte sich in einigen wenigen Jahrzehnten. Die rasche Urbanisierung führte zu einer hektischen Bautätigkeit: Mietskasernen, aber auch öffentliche Gebäude wie Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Hotels, Banken, Markthallen, Theater und Kirchen wurden gebaut. Ein historistischer Eklektizismus prägte viele der Gebäude. Der Deutsche August Stüler bekam den prestigereichen Auftrag, das Nationalmuseum zu bauen, für das er auf die Renaissance zurückgriff, Fredrik Wilhelm Scholanders Synagoge in Stockholm ist inspiriert von der assyrischen Baukunst, sein Schüler Helgo Zettervall tritt vor allem mit den umfassenden Renovierungen/Umbauten der Dome in Uppsala, Skara und Linköping hervor, die seine Interpretation der Gotik zum Ausdruck bringen. Johan Fredrik Åbom, der produktivste Architekt seiner Zeit, entwarf neben zahlreichen Kirchen eine Reihe von Bürgerhäusern im Geiste der Neurenaissance, die auch eines seiner Hauptwerke prägt: Berns Salonger mit Restaurant und Bühnen, Ausdruck für ein neues bürgerliches Lebensgefühl, verewigt in Strindbergs Roman Das rote Zimmer.
Nationalromantik und Jugendstil
Gegen Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts trat eine neue Generation von Architekten an die Öffentlichkeit, die sich gegen den Historismus und den Klassizismus wandte. Einerseits nahmen sie Einflüsse aus dem Ausland auf, wie z. B. den Jugendstil, der im Königlichen Dramatischen Theater (Dramaten) in Stockholm verwirklicht wurde, andererseits suchten sie Vorbilder in der schwedischen Kulturgeschichte und den schwedischen Bautraditionen. Aus dieser Suche nach einer nationalen Architektur entstand die schwedische Nationalromantik, die diese schwedischen Vorbilder mit Ideen aus der englischen Arts-and-Craft-Bewegung zu einer oft sehr persönlich geprägten Baukunst in Holz und Ziegel verband. Carl Westmans Haus der Ärztevereinigung in Stockholm ist eines der ersten Gebäude in diesem Stil. Röhsska museet in Göteborg und Stockholms rådhus sind zwei weitere Beispiele von Westman. Der herausragendeste Bau im nationalromantischen Stil ist aber Stockholms stadshus von Ragnar Östberg, das zwischen 1903 und 1923 entstand.
Einer Aufgabe ganz eigener Art widmete sich Gustaf Wickman, der innerhalb von 3 Jahrzehnten eine ganze Stadt in einer unbewohnten Wildnis baute: Kiruna. Nachdem man dort reiche Vorkommen an Eisenerz gefunden und eine Eisenbahnlinie gebaut hatte, wurde Wickman mit dem Aufbau der Stadt beauftragt. Innerhalb weniger Jahre entstanden die Villen des Direktors und der Ingenieure, Arbeiterwohnungen, Büros, Schulen, ein Krankenhaus, eine Feuerwehrstation, Post und Bank, Schwimmbad u. a. Sein Hauptwerk aber ist die Kirche in nationalromantischem Stil, die amerikanische Holzbauarchitektur mit Einflüssen von norwegischen Stabkirchen und samischen Hütten verbindet.
Moderne und Postmoderne
Die Moderne wurde von einer Gruppe von Architekten eingeleitet, die an die Strenge des Klassizismus anknüpften. Gunnar Asplund ist einer der bekanntesten Vertreter. Zu den Höhepunkten seiner Arbeit zählen Listers Bezirksgericht in Sölvesborg, die Stadtbibliothek Stockholm und der gemeinsam mit Sigurd Lewerentz angelegte Friedhof Skogskyrkogården, heute ein Weltkulturerbe.
Die Stockholmer Ausstellung für Industrie, Handwerk und Kunsthandwerk 1930 verhalf dem Funktionalismus in Schweden zum Durchbruch, der in den kommenden Jahren – vor allem im Wohnbau – zu einer beinahe offiziellen Ideologie wurde. Ein typisches Beispiel für die starke Verbindung von Funktionalismus mit den politischen Volksbewegungen ist das Viertel Kvarnholmen in Nacka, das vom Architektenbüro der Konsumgenossenschaft, 1924 als erstes kollektiv organisiertes Architektenbüro gegründet, in den 30er Jahren entworfen wurde.
Trotz dieser Einsätze war der Wohnstandard in Schweden äußert niedrig. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann man mit großen Bauprojekten zur Behebung der Wohnungsnot und zur Hebung des Wohnstandards, die in der Mitte der 60er Jahre in das von der Regierung ausgerufene Millionenprogramm mündeten, nämlich den Bau von 1 Million neuer Wohnungen innerhalb von 10 Jahren (bei einer Bevölkerung von 7,8 Millionen). Nicht nur wurden ganze Schlafstädte (bzw.~viertel in kleineren Städten) in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft, auch viele Stadtzentren wurden geschleift, um modernen, funktional geplanten Einkaufs- und Bürozentren Platz zu machen. Die riesigen Bauprojekte wurden von neu entstandenen großen Architektenbüros geplant und geleitet, wobei die Qualität oft der Massenproduktion weichen musste.
Mit der Ölkrise 1973 ging das Millionenprogramm zu Ende. Schon davor waren kritische Stimmen laut geworden gegen die schematische Massenarchitektur und die negativen sozialen Folgen, die diese Massenbauten mit sich führten.
Aus dieser Kritik entstand der Begriff Postmoderne, der eine Reihe unterschiedlicher Tendenzen zusammenfasst. In Schweden entwickelte sich ein Formenreichtum, wie es ihn seit der Nationalromantik nicht mehr gegeben hatte. Einer der wichtigsten Vertreter der Postmoderne in Schweden ist Ralph Erskine.