Scopolamin

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Strukturformel
Strukturformel von L-Scopolamin
Allgemeines
Name Scopolamin
Andere Namen
  • L-(−)-Scopolamin
  • L-(−)-Hyoscin
  • L-6,7-Epoxytropyltropat
  • 3-Hydroxy-2-phenylpropionsäure-9-methyl-3-oxa-9-azatricyclo[3.3.1.02,4]non-7-ylester
  • (9-Methyl-3-oxa-9-azatricyclo[3.3.1.02,4]non-7-yl)-3-hydroxy-2-phenylpropanoat
Summenformel C17H21NO4
Kurzbeschreibung

farbloses, viskoses Öl bzw. farblose Kristalle (als Monohydrat)[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer 200-090-3
ECHA-InfoCard 100.000.083
PubChem 153311
DrugBank DB00747
Arzneistoffangaben
ATC-Code
Wirkstoffklasse
Eigenschaften
Molare Masse 303,36 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

59 °C (als Monohydrat)[2]

pKS-Wert

7,75[3]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[4] ggf. erweitert[2]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 330​‐​310​‐​300
P: 260​‐​264​‐​280​‐​284​‐​301+310​‐​302+350 [5]
Toxikologische Daten

1275 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[3]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Scopolamin, auch Hyoscin und älter Skopolamin, ist eine chemische Verbindung, die zu den Tropan-Alkaloiden zählt.

Vorkommen und Gewinnung

Gemeiner Stechapfel (Datura stramonium)

Scopolamin kommt in Nachtschattengewächsen wie Stechapfel, Bilsenkraut, Alraune und insbesondere in Engelstrompeten (Brugmansia) vor, kann aber auch künstlich hergestellt werden. Chemisch gesehen ist es ein Ester des Scopins und der Tropasäure und nahe verwandt mit Atropin.[6]

Wirkung

Scopolamin wirkt bei niedriger Dosierung leicht beruhigend und hemmend auf das Brechzentrum im Gehirn. Bei höherer Dosierung wirkt es dämpfend und sorgt für einen Zustand der Apathie. Da es in diesem Fall auch für einen Zustand der Willenlosigkeit sorgen kann, wurde es in den 1950er Jahren bis zum Aufkommen von Natrium-Pentothal als „Wahrheitsserum“ eingesetzt, was auf den texanischen Arzt Robert Ernest House (1924) zurückgeht, der auch die Verwendung in der Überprüfung von Verdächtigen propagierte.

Bis zur Einführung der Neuroleptika wurde Scopolamin gemeinsam mit morphinbasierten Präparaten erfolgreich zur Beruhigung von hocherregten geistig Kranken verwendet.[7] Bei Parabelflügen wird Scopolamin (früher zusammen mit dem rezeptpflichtigen Arzneistoff Dexamphetamin, heute mit Coffein) verabreicht, um den Verdauungstrakt zu beruhigen.

Die Wirkung von Scopolamin geht auf seine antagonistische Wirkung auf muscarinische Acetylcholinrezeptoren zurück. Genau wie Atropin wirkt es als kompetitiver Hemmstoff.

Eine intravenös zu verabreichende Kombination von Morphin und Scopolamin wurde 1916[8] von Elisabeth Bredenfeld in der Schweiz für die intravenöse Narkosetechnik eingeführt.[9] Carl Joseph Gauß begründete die Verwendung von Scopolamin in der Geburtshilfe zur Herbeiführung eines Dämmerschlafs unter der Geburt.[10]

Scopolamin weist, insbesondere als Anticholinergikum, folgende Nebenwirkungen (Dosis unter 5 Milligramm, nicht-subkutan) auf:

Therapeutische Anwendung

N-Alkylierung von Scopolamin führt zu quartären Derivaten (zum Beispiel N-Butylscopolamin, N-Methylscopolamin), die aufgrund ihrer stetigen positiven Ladung am quartären Stickstoff, unabhängig von ihrer Umgebung, so polar sind, dass sie die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können.[13] Butylscopolamin ist daher im Gegensatz zu Scopolamin nicht zentral wirksam. Es wird als Mittel gegen Krämpfe der glatten Muskulatur, sogenannter Koliken, eingesetzt.

Aufnahme und Verteilung im Körper

Die orale Bioverfügbarkeit beträgt etwa 30 %, im Gegensatz zu etwa 50 % bei Atropin. Die Halbwertszeit von Scopolamin ist zwar kürzer als die von Atropin, die Blut-Hirn-Schranke kann aber erheblich besser überwunden werden. Es werden nur etwa 6 % unverändert renal eliminiert.[14]

Verwendung und Missbrauch als Rauschdroge

Scopolamin ist auch eine gefährliche Rauschdroge. Der Gehalt in einzelnen Pflanzen, deren Wirkungen bereits seit Jahrhunderten[15] bekannt sind, kann stark variieren. Auf Grund der relativ geringen therapeutischen Breite können sich schwere Nebenwirkungen einstellen. Die Scopolaminvergiftung äußert sich als Parasympathikusblockade mit Pupillenerweiterung bzw. Akkommodationsstörungen und Trockenheit der Schleimhäute. Schließlich kommt es zu einer tiefen Bewusstlosigkeit und Tod durch Atemlähmung. Die Therapie gleicht der bei einer Atropinvergiftung: Nichtmedikamentöse Temperatursenkung, künstliche Beatmung bei drohender Atemlähmung und Gabe des Antidots Physostigminsalicylat.

Nach Berichten wurde in Ländern Lateinamerikas Scopolamin – dort auch „Burundanga“ genannt – von Kriminellen als K.-o.-Tropfen benutzt, um Opfer willenlos zu machen. Verabreicht wird das geruch- und geschmacklose Mittel in Speisen und Getränken oder es wird über präparierte Zigaretten inhaliert.[16]

Einzelnachweise

  1. a b c Eintrag zu Scopolamin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 21. Juni 2014.
  2. a b Eintrag zu Scopolamin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 21. Februar 2017. (JavaScript erforderlich)
  3. a b Eintrag zu Scopolamine in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM)
  4. Eintrag zu Hyoscine im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  5. Datenblatt (−)-Scopolamine hydrobromide trihydrate bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 28. Mai 2017 (PDF).
  6. Heinz Lüllmann, Klaus Mohr, Lutz Hein: Pharmakologie und Toxikologie. Arzneimittel verstehen – Medikamente gezielt einsetzen. Ein Lehrbuch für Studierende der Medizin, der Pharmazie und der Biowissenschaften, eine Informationsquelle für Ärzte, Apotheker und Gesundheitspolitiker. 16., vollständig überarbeitete Auflage. Thieme, Stuttgart u. a. 2006, ISBN 3-13-368516-3.
  7. Hans Bangen: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992, ISBN 3-927408-82-4, S. 13–21.
  8. E. Bredenfeld: Die intravenöse Narkose mit Arzneigemischen. In: Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie. Band 18, 1916, S. 80 ff.
  9. H. Orth, I. Kis: Schmerzbekämpfung und Narkose. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 1–32, hier: S. 16.
  10. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 60.
  11. Vgl. auch W. Tolksdorf, R. Meisel, P. Müller, H.-J. Bender: Transdermales Scopolamin (TTS-Scopolamin) zur Prophylaxe postoperativer Übelkeit und Erbrechen. In: Der Anaesthesist. Band 34, 1985, S. 656 ff.
  12. Eberhard Aulbert, Friedemann Nauck, Lukas Radbruch (Hrsg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Schattauer, Stuttgart u. a. 2007, ISBN 978-3-7945-2361-0.
  13. Claus-Jürgen Estler, Harald Schmidt (Hrsg.): Pharmakologie und Toxikologie. 6., vollst. überarb. und erw. Auflage. Schattauer, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-7945-2295-8, S. 109.
  14. Hans Marquardt, Siegfried Schäfer, Holger Barth (Hrsg.): Toxikologie. 3., vollst. überarb. und erw. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2013, ISBN 3-8047-2876-6, S. 1011.
  15. Jürgen Müller: Pharmaca diabolica und Pocula amatoria. Zur Kulturgeschichte der Solanaceen-Alkaloide Atropin und Skopolamin. In: Würzburger medizinhistorische Forschungen 17, 1998, S. 361–373.
  16. Steve Hide: Latin America: Victims of drugging and mugging. telegraph.co.uk, 5. Februar 2001.