Seilbahnunfall

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Gedenkstätte an den Seilbahnunfall bei der Talstation des Kitzsteinhorns mit der stillgelegten Gletscherbahn 2 im Hintergrund

Ein Seilbahnunfall ist ein plötzliches, unfreiwilliges und von außen einwirkendes Ereignis im Zusammenhang mit einer Seilbahn, bei dem eine oder mehrere Personen oder Sachen zu Schaden kommen.[1]

Inwieweit Beinaheunfälle, gefährliche Vorkommnisse oder außergewöhnliche Ereignisse oder gefährliche Ereignisse als Seilbahnunfälle qualifiziert werden, richtet sich nach nationalen Vorschriften.

Sicherheit von Seilbahnen

Seilbahnen gelten aufgrund der hohen Anforderungen an Bau und Betrieb als sichere Beförderungsmittel für Personen und Sachen. Bei Seilbahnen liegt dennoch aufgrund der Bau- und Betriebsweise grundsätzlich ein Gefahrenpotential vor. Dieses wird zusätzlich durch subjektiv empfundene Ängste der Fahrgäste verstärkt, wie z. B.:

  • Angst vor einem Absturz bzw. Systemversagen,
  • Höhenangst,
  • Gefühl des Ausgeliefertseins.

Allerdings waren nicht alle Seilbahnunglücke auf spezifische Betriebsgefahren zurückzuführen, wie die Brandkatastrophe der Gletscherbahn Kaprun 2 zeigte, welche in ähnlicher Form auch in einem anderen Verkehrsmittel möglich gewesen wäre.

Systembedingte Erhöhung der Sicherheit

Gleichzeitig bestehen seilbahnspezifische Besonderheiten, die dafür sorgen, dass ein Gefährdungspotential durch Einwirkungen Dritter stark verringert wird, wie z. B.:

  • Seilbahnen haben eine eigene Fahrbahn,
  • es gibt grundsätzlich, bis auf Standseilbahnen im urbanen Bereich, keine niveaugleichen Kreuzungen,
  • die Beaufsichtigung bei einer Beförderung ist umfassend und durchgängig gewährleistet.

Systembedingte besondere Gefährdungspotentiale von bestimmten Seilbahnen

  • Bei Seilbahnen im Umlaufbetrieb und Schleppliften wird bei laufender Anlage aus- bzw. eingestiegen,
  • es ist eine aktive Mitwirkung des Fahrgastes bei der Beförderung erforderlich,
  • bei Schleppliften ist der Fahrgast selbst das „Fahrzeug“, wodurch eine noch intensivere aktive Mitwirkung erforderlich ist.

Personenschaden

Für einen körperlichen Personenschaden ist in der Regel zumindest eine Verletzung notwendig. Dabei wird regelmäßig nach der Schwere der Verletzung unterteilt:

  • Leichte Verletzung
  • Schwere Verletzung
  • Tod

Bei der Einteilung, wann eine leichte oder schwere Verletzung vorliegt und wann der Tod eines Menschen noch dem Unfallereignis zuzuordnen ist, gibt es nationale Unterschiede: So kann z. B. die leichte Verletzung als solche definiert werden, die einen körperlichen Schaden nach sich zieht, aber nicht als schwere Verletzung oder Tod bezeichnet werden kann. Die schwere Verletzung z. B. als eine solche definiert werden, bei der zumindest ein Knochenbruch oder dauerhafte Schädigung eines Körperteils oder Spitalaufenthalt von mehr als einer Woche vorliegt (Österreich) oder die Amputation eines Körpergliedes nach sich zieht (Frankreich).[2] Der einem Unfall zurechenbare Tod eines Menschen als ein solcher, bei dem das Ableben sofort oder z. B. innerhalb von zwei Wochen als Folge des Unfalls eintritt.

Der Verletzungsgrad bei Unfällen bei Seilbahnen ist von vielen Faktoren abhängig. Über viele Jahre betrachtet sind

  • 78,3 % sind dabei leichte Verletzungen,
  • 21,19 % schwere Verletzungen und
  • 0,51 % Todesfälle.[3]

Internationale Unfallstatistiken zu Seilbahnen

Internationale Unfallstatistiken zu Seilbahnen sind erst seit wenigen Jahren verfügbar. Inwieweit Meldungen an die zuständigen Behörden in den jeweiligen Ländern erfolgen und auch der Umfang der Meldung hat Auswirkungen auf internationale Unfallstatistiken zu Seilbahnen. Teilweise erfolgte auch bei der Internationalen Tagung der Technischen Aufsichtsbehörden (ITTAB) eine Umstellung der gemeinsam beschlossenen Vorgangsweise.[4] Erst seit wenigen Jahren sind die zur Verfügung stehenden Unfalldaten und Erhebungen so aufgeschlüsselt, dass sie auch annähernd vergleichbar sind.[5]

Bezüglich der Seilbahnunfälle wird in internationalen Statistiken grundsätzlich nach den drei Seilbahnen-Systemarten unterteilt, wobei jede Gliederungsebene weitere Untergliederungen beinhaltet, die national stark abweichen können.

Teilweise ist die Einteilung, ob ein Seilbahnunfall vorliegt oder nicht, sehr schwierig. Beispiel: Am 5. September 2005 kamen in Österreich neun Menschen zu Tode und wurden sechs schwer verletzt, als ein Betonkübel bei einem Hubschraubertransportflug auf das Förderseil einer Seilbahn abstürzte (siehe: Seilbahnunglück von Sölden). Es ist fraglich, ob es sich dabei um ein Seilbahnunglück oder aber um einen Flugunfall handelt. In der österreichischen Statistik wurde dieser Unfall als Seilbahnunglück berücksichtigt.

Bei den geschädigten Personen ist auch zu unterscheiden, ob in den nationalen Statistiken nur Unfälle von Fahrgästen einbezogen werden, oder auch solche von Seilbahnbediensteten (die teilweise als Arbeitsunfälle gelten und nicht darin aufgenommen werden).

Seilbahnen und Seilbahnunfälle umfassen auch grundsätzlich keine Förderbänder (auch: Laufband oder Teppichlift), Aufzüge oder Schrägaufzüge.

Die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Unfall mit schwerer Verletzung oder Todesfolge war weltweit anhand der ITTAB-Daten:

Unfälle 2002–2011 2008–2011
eine schwere Verletzung bei einer Beförderungsanzahl von 41 Millionen 1 Milliarde
ein Toter bei einer Beförderungsanzahl von 42 Millionen 1,7 Milliarden

Jahresangaben sind aufgrund einer Änderung des Erhebungsmodus der ITTAB im Zeitraum 2008 bis 2011 überschneidend.[6]

Unfallursachen

Aufgrund einer Statistik der Internationalen Tagung der Technischen Aufsichtsbehörden ergab sich für die Jahre 2008/2010/2011, dass 95,8 % der Seilbahnunfälle durch Eigenverschulden des Fahrgastes ausgelöst wurde, 2,7 % durch Fremdverschulden, äußere Einflüsse und nur 1,5 % durch technische Unzulänglichkeiten.[7]

Zur Vermeidung von Seilbahnunfällen können grundsätzlich:

  • technische,
  • organisatorische und
  • Schulungsmaßnahmen getroffen werden.

Technische Maßnahmen sind solche, bei denen Unfallursachen weitgehend durch Änderung technischer Vorgaben verhindert oder minimiert werden, z. B. durch Optimierung der Ausstiege, Ausstiegsüberwachung, Reduzierung der Stationsfahrgeschwindigkeit oder der Vergrößerung der Sesselreihenfolge bzw. -abstände etc.

Organisatorische Maßnahmen sind z. B. das Anbringen von Hinweisschildern bzw. deren Optimierung oder regelmäßige Personalschulungen sowie Unfallauswertungen und daraus resultierende Maßnahmen zur Unfallvorbeugung etc.

Schulungsmaßnahmen, wodurch der Fahrgast geschult und besser auf die Risiken und Gefahren der Beförderung hingewiesen werden, sind nur schwer umsetzbar.

Auswirkungen von Seilbahnunfällen

Änderung von Normen und Gesetzen

Regelmäßig führen Seilbahnunfälle dazu, dass Gesetze, Verordnungen oder Normen im Seilbahnwesen oder damit betroffenen Einrichtungen überprüft und bei Bedarf geändert werden und Betriebsanweisungen anzupassen sind. Dies wird von der Öffentlichkeit meist nicht direkt wahrgenommen.

Auf längere Sicht führen Seilbahnunfälle auch international dazu, dass unverbindliche Normen und Richtlinien ausgearbeitet werden, durch welche ein Mindeststandard erreicht werden soll.

Vermittlungskommission

Seilbahnunglücke können insbesondere bei besonders unverständlicher Vorgangsweise der Verursacher (z. B. Cavalese 1998) oder bei Großereignissen (z. B. Seilbahnunfall von Kaprun 2000) zu langjährigen Problemen zwischen den Betreibern, den Opfern und den Hinterbliebenen führen.

In Zusammenhang mit dem Seilbahnunglück in Kaprun wurde auf Anregung des österreichischen Justizministeriums eine sogenannte Vermittlungskommission gegründet, in welcher auch Hinterbliebenenvertreter mitarbeiteten. Es war dies auch in Österreich eine einmalige Einrichtung und es wurde im Rahmen dieser Kommission eine freiwillige Entschädigungszahlung an die Hinterbliebenen vereinbart (13,9 Mio. Euro wurden von den Gletscherbahnen Kaprun, der Versicherung Generali und der Republik Österreich zur Verfügung gestellt und an die Angehörigen ausbezahlt).

Mediale Aufarbeitung

Spektakuläre Seilbahnunfälle führen immer wieder zur medialen Aufarbeitung. So wurde z. B. in Bezug auf den Seilbahnunfall in Kaprun dieses in der achten Folge der ersten Staffel der englischsprachigen Dokumentationsserie von Sekunden vor dem Unglück behandelt,[8] und auch die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat dieses Unglück zum Anlass der Aufarbeitung genommen in dem Stück In den Alpen.[9]

Literatur

  • Patrik Bergamin, Haftung des Bergbahnunternehmens bei Sommersport-Unfällen im Einzugsgebiet der Bahn, Bamberg 2000, Dissertation Universität St. Gallen Nr. 2396.
  • Michaela Dietrich, Schadenersatzansprüche bei Seilbahnunfällen nach dem EKHG unter besonderer Berücksichtigung der Judikatur, Innsbruck 2006, Dissertation.
  • Artur Doppelmayr Denkanstöße zur Funktionserfüllung von Einseilumlaufbahnen:Projektierung, Konstruktion und Betrieb im Sicherheitsregelkreissystem, Dornbirn 1998, Verlag WIR Public Relations ISBN 978-3-9500815-0-3.
  • Doris Fröhlich, Die wichtigsten Ursachen für Skiunfälle Person, Graz 2010, Diplomarbeit online.
  • Christoph Haidlen, Das österreichische Seilbahnrecht – Handbuch für die Praxis, Wien 2010, Linde Verlag, 2. Auflage.
  • Andreas Köfler, Erstellen eines Handbuches für eine Krisensituation:Verhalten und Vorgehensweise bei Unfällen an Seilbahnen bei der Herstellerfirma, Graz 2002, Diplomarbeit an der Technischen Universität Graz.
  • Stefan Margreth, Lukas Stoffel, Mark Schaer, Berücksichtigung der Lawinen- und Schneedruckgefährdung bei Seilbahnen:ein Leitfaden für die Praxis, Davos 2015, WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung, WSL Berichte, Heft 28, online
  • Sabine Elisabeth Voith, Risikokultur und Krisensensibilität unter besonderer Berücksichtigung der Risikowahrnehmung von Seilbahnunternehmen, Graz 2010, Diplomarbeit online.

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Siehe hierzu z. B.: ÖNORM EN ISO 12100:2011, Sicherheit von Maschinen ― Allgemeine Gestaltungsleitsätze - Risikobeurteilung und Risikominderung; ÖNORM EN 12929-1:2015, Sicherheitsanforderungen an Seilbahnen für den Personenverkehr - Allgemeine Bestimmungen; ÖNORM EN ISO 12100:2011, Sicherheit von Maschinen - Allgemeine Gestaltungsleitsätze - Risikobeurteilung und Risikominderung oder ÖNORM EN 1090 sowie Hefte 25-1 und 25-2 der vom Studienausschuss Nr. 1 der OITAF herausgegebenen „Empfehlung für das Erstellen von Gefährdungsbildern und Erfassen von Gefährdungssituationen für die Sicherheitsanalyse von Seilbahnen“.
  2. Referat „Sicherheitsanforderungen bei Seilbahnen, Erkenntnisse aus Unfällen und Folgewirkungen“ von Peter Sedivy anlässlich des Betriebsleiter-Seminars am Zauchensee, 2016, S. 16.
  3. Referat „Sicherheitsanforderungen bei Seilbahnen, Erkenntnisse aus Unfällen und Folgewirkungen“ von Peter Sedivy anlässlich des Betriebsleiter-Seminars am Zauchensee, 2016, S. 21 f.
  4. Internationale Tagung der Technischen Aufsichtsbehörden (ITTAB) ist eine jährlich abgehaltene Tagung der technischen Behördenvertreter und Fachleute aus vielen Ländern der Welt. 2015 fand die 65. Tagung statt.
  5. Referat „Sicherheitsanforderungen bei Seilbahnen, Erkenntnisse aus Unfällen und Folgewirkungen“ von Peter Sedivy anlässlich des Betriebsleiter-Seminars am Zauchensee, 2016, S. 2.
  6. Angaben lt. Referat „Sicherheitsanforderungen bei Seilbahnen, Erkenntnisse aus Unfällen und Folgewirkungen“ von Peter Sedivy anlässlich des Betriebsleiter-Seminars am Zauchensee, 2016, S. 17.
  7. Referat „Sicherheitsanforderungen bei Seilbahnen, Erkenntnisse aus Unfällen und Folgewirkungen“ von Peter Sedivy anlässlich des Betriebsleiter-Seminars am Zauchensee, 2016, S. 28 ff.
  8. Dokumentation Seconds from desaster (über die Katastrophe auf Youtube, englisch).
  9. Stadttheater Ingolstadt | Programm | Stücke | Info. (Nicht mehr online verfügbar.) In: www.theater.ingolstadt.de. Archiviert vom Original am 5. März 2016; abgerufen am 11. November 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.theater.ingolstadt.de