Selbstorganisation (Betriebswirtschaft)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Selbstorganisation in der Betriebswirtschaftslehre spezifiziert das allgemeine Phänomen der Selbstorganisation für die Anwendung in Unternehmen und Organisationen.

Ziele

Mit der Anwendung von Selbstorganisation als Paradigma für die Organisation eines Unternehmens werden häufig die folgenden Ziele verfolgt:

Voraussetzungen

Selbstorganisation ist eine geeignete Organisationsform im Unternehmen. Sie stellt jedoch zusätzliche Anforderungen an die Beteiligten und an die übergeordnete Hierarchie wie auch an die nebengeordneten Organisationseinheiten.

Selbstorganisation kann nur wirksam werden und erfolgreich sein, wenn bestimmte Regeln beachtet werden. So darf eine selbstorganisierte Kooperation keine Isolierung gegenüber anderen Teilen eines Unternehmens zulassen.

Voraussetzung für den Erfolg solcher Formen für die Zusammenarbeit ist die Berücksichtigung von Regeln, wie sie beispielsweise von Elinor Ostrom für eine Kooperation beschrieben wurden.

Ordnungsprinzipien

Die in selbstorganisierenden Systemen herrschende Ordnung kann nicht einfach als Resultat eines gestaltenden Teils verstanden werden. Sie entsteht vielmehr ganzheitlich, das heißt weder ausschließlich als Ergebnis individueller Eigenschaften, noch durch Tätigkeiten einzelner Personen, sondern durch die Interaktionen aller Systemteile. Ordnung bedeutet Gesetzmäßigkeit, die uns erlaubt, Fehlendes zu erkennen oder zu erahnen und zu ergänzen, Fehlerhaftes zu definieren usw. Ordnung erlaubt somit Menschen, Sinn zu finden, gewährleistet Sicherheit und erlaubt die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten einzuordnen. Selbstorganisation erzeugt eine gewachsene, keine geplante oder bewusst gestaltete Ordnung. Sie ergibt sich zwar infolge menschlichen Verhaltens, jedoch ohne besondere organisatorische Gestaltungsabsicht.

Spontane Ordnung

Friedrich A. von Hayek bezeichnet eine gewachsene Ordnung auch als spontane Ordnung. Spontane Ordnung wird als informales Phänomen angesehen und galt eher als Störquelle, da sie von der formalen Organisation, die von der Unternehmensführung vorgegeben wird, abweichen und eine Eigendynamik entwickeln kann. Einer Umorientierung zur Folge wird die „Grundvorstellung über Organisation“ nicht durch die vom Management geplanten Unternehmensstrukturen bestimmt, sondern von denjenigen Strukturen, welche sich in Abhängigkeit vom Verhalten vieler Mitarbeiter permanent bilden und verändern.

Prozessorientierung

Ein wichtiges Merkmal der Selbstorganisation ist ihr prozessualer Charakter. Im Vordergrund stehen Prozesse, nicht Strukturen. Ordnung befindet sich in permanenter Entwicklung, Strukturen sind dagegen nur Momentaufnahmen. Selbstorganisation bewirkt durch „interaktive Selbststrukturierung ausgelöste organisatorische langfristige Veränderung“. Selbstorganisatorische Systeme bilden ein „geschlossenes Ganzes“. Die Beteiligten lenken ihre Blicke grundsätzlich ins Innere des Systems. Selbstorganisation entspringt keinen individuellen oder sonstigen Zwängen, sondern stellt „generell eine Eigenschaft von Systemen“ dar.

Vorgehensmodelle

Es ist nicht sinnvoll und weitgehend ausgeschlossen, für die Prozesse in der Selbstorganisation ein detailliertes Regelkonzept oder ein geschlossenes Modell aufzustellen. Hingegen sind Vorgehensmodelle sinnvoll, welche die Bearbeitung von Aufgaben in Prozessen beschrieben und auf Regeln verweisen. Dabei sind die anfangs von Erwin Grochla entworfenen Vorgehensmodelle im Sinne eines agilen Systemansatzes weiterzuentwickeln.

Ausgestaltung

Nach E. Göbel[1] kann zwischen autonomer und autogener Selbstorganisation unterschieden werden.

  • Autonome Selbstorganisation liegt dann vor, wenn Ordnung im Unternehmen selbstbestimmt entsteht. Ordnung wird dabei als Ergebnis absichtlicher und geplanter Gestaltungshandlungen betrachtet. Voraussetzung ist, dass die Mitglieder oder Gruppen genügend Handlungsspielraum erhalten, um selbst an der sie betreffender Ordnung mitwirken zu können.
  • Autogene Selbstorganisation bedeutet, dass Ordnung aufgrund der Eigendynamik komplexer dynamischer Systeme von selbst entsteht. Der autogenen Selbstorganisation liegt demnach kein bewusster Gestaltungsakt zugrunde.

Vor- und Nachteile im Unternehmen

Positive Effekte in der Selbstorganisation

Motivation

Eine verstärkte Selbstorganisation wirkt sich positiv auf die Motivation aus, da dabei den eigenen Interessen mehr Bedeutung zukommt. Die Arbeit selbst wird bedeutungsvoller und sinnvoller erlebt, weil die Aufgaben ganzheitlicher und abwechselungsreicher sind und die Potentiale der Mitarbeiter besser entfaltet werden.

Flexibilität

Die Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Bedingungen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Eine Erweiterung des Selbstbestimmungspotentials kann die Erkenntnis von Anpassungsbedarf verbessern, da die Mitarbeiter mehr Übersicht haben und den Bezug zur Umwelt stärker aufrechterhalten.

Lenkbarkeit

Je komplexer ein Unternehmen ist, desto mehr wünscht sich der Manager, dass die Mitarbeiter, die kooperieren sollen, von ihren Fähigkeiten Gebrauch machen, und sich nach bestem Wissen und Gewissen selbst lenken und organisieren.

Ressourcenschonung

In Eigenverantwortung und Selbstorganisation genutzte Ressourcen werden schonender belastet, als wenn diese scheinbar unbeschränkt bereitgestellt werden.

Zeitaufwand und Kosten

Das Motto „Zeit ist Geld“ kommt der Selbstorganisation zugute, weil eine schnellere und reibungslosere und daher kostengünstigere Anpassung an veränderte Umstände möglich ist.

Sanktionen

Die Gruppe kann in Selbstorganisation für den Fall von Verstößen gegen Regeln eigene Sanktionen definieren und durchsetzen, ohne dass die Führung beteiligt wird. Dazu gehört beispielsweise der Ausschluss von der Option der eigenen Entscheidung. Sanktionen sind nach Elinor Ostrom Voraussetzung, um eine unerwünschte Vorteilsnahme wirksam zu quittieren.

Negative Effekte in der Selbstorganisation

Vorteilsnahme

Es ist durchaus vorstellbar, dass Mitarbeiter mit starker Freizeitorientierung lieber ein vorgeschriebenes Pensum erledigen, um sich so wenig wie möglich mit dem „notwendigen Übel“ Arbeit auseinandersetzen zu müssen. Sobald solche Einstellung gegen die Prinzipien der von Elinor Ostrom beschriebenen gleichberechtigten und gleichverteilten Zugriffe auf Ressourcen (Trittbrettfahrerproblem) verstößt, sinkt die Effizienz der Gruppe.

Überforderung

Die ungewohnte Freiheit löst bei ungeübten Teilnehmern zu Beginn Angst und Überforderungsgefühle aus. Sobald solche Ängste zu Blockaden führen, versagt die Selbstorganisation.

Konflikte

Das Konfliktpotential ist grundsätzlich höher, soweit Verteilungs- und Kompetenzregelungen fehlen. Solche Regeln müssen ebenfalls selbst ausgehandelt werden.

Eskalation

Wenn die Selbstorganisation versagt, muss eine Regel der Eskalation greifen, damit die Gruppe einen Ausweg mit Hilfe einer weiteren Instanz finden kann.

Hohe Anforderung an die Führung

Durch die Selbstorganisation kann es zu einer Abänderung der offiziellen Regeln und autogen entstehenden Regeln kommen, die die Unsicherheit über die tatsächliche geltende Ordnung erhöhen, dies führt zu einem Dilemma der Führungskräfte.

Zeitaufwand und Kosten

Strukturänderungen, welche auch noch konfliktgeladen sind, erfordern Zeit. Daher kann die Lösungs- und Entscheidungsfindung in selbstorganisierten Systemen länger dauern als bei klaren Vorgaben von oben, wenn sie eine Strukturänderung erfordern.

Siehe auch

Quellen

  1. E. Göbel: Theorie und Gestaltung der Selbstorganisation. Duncker & Humblot, Berlin, 1998.

Weblinks