Sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel

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Sexualisierte Gewalt als Instrument zur Bekämpfung und Demütigung des Gegners ist eine Praxis und Strategie von gewaltsamen Konflikten weltweit. Ein besonders menschenverachtendes Merkmal ist die gezielte sexuelle Gewaltausübung gegen Zivilisten. In den meisten Fällen sind Frauen betroffen, jedoch werden auch Männer vergewaltigt. Die Praxis wird von allen internationalen Konventionen geächtet.

Am Ende des 20. und beginnenden 21. Jahrhundert wurde in den Kriegen in Nigeria, Kosovo, Bosnien, Kongo, Ruanda, Libyen und Bangladesch systematisch sexualisierte Gewalt gegen mehrheitlich Frauen als Strategie in militärischen Konflikten eingesetzt.

Aspekte

Strategie

Ein militärischer Befehl zur Ausübung sexueller Gewalt gegen den Gegner ist eher selten. Vielmehr wird es in vielen sexistisch geprägten Militäreinheiten als erwünschte Erscheinung des Kampfes angesehen.[1] Einen Beweis, dass Vergewaltigung auf Befehl passiert, ist in vielen Fällen schwer zu führen. Jedoch deutet der Fakt, dass in vielen Fällen keine individuellen Vergewaltigungen, sondern sehr oft Gruppenvergewaltigungen stattfinden, zumindest auf Absprachen hin.

Machtausübung

Die Ausübung von Macht und die Demütigung des Gegners ist ein zentrales Motiv bei sexualisierter Gewalt als Kriegsmittel. Meist schließt die Form an ein patriarchales Geschlechterbild an. Vergewaltigungen werden u. a. im Zuge von ethnischer Vertreibung genutzt. Die Männer des siegenden Lagers nutzen diese Form als Instrument, um eine Botschaft an die Männer des unterlegenen Lagers zu senden: „Ihr könnt eure Frauen nicht schützen“, als Botschaft der Demütigung.[2]

Vertreibung

Im Zuge von ethnischen oder anders kriegsbedingten Vertreibungen kommt es häufig zu Vergewaltigungen. Sie sind eine wichtige Ursache für Flucht von Menschen. Nach einer Studie des British Medical Journal hatten 50 bis 70 Prozent der weiblichen Asylsuchenden im Vereinigten Königreich eine Vergewaltigung miterlebt, wurden vergewaltigt oder sind aus Angst vor ihr geflohen.[3]

Gender

Vergewaltigung von Frauen

Zum weit überwiegenden Teil werden Frauen Opfer von sexueller Gewalt in Konflikten.

Die US-Historikerin Susan Brownmiller war die erste Wissenschaftlerin, die einen fundierten Überblick zu Theorie und Geschichte von Vergewaltigungen u. a. im Krieg erarbeitete und in der Pionierarbeit zum Thema Against Our Will: Men, Women, and Rape 1974 veröffentlichte. Brownmillers These ist, dass Krieg Männern „den perfekten psychologischen Hintergrund bietet, um ihrer Verachtung gegenüber Frauen freien Lauf zu lassen. Die Männlichkeit des Militärs – die rohe Macht der Waffen, die ausschließlich männlichen Händen vorbehalten sind, die spirituelle Bindung von Männern zu Waffen, die männliche Disziplin von Befehl und Gehorsam, die einfache Logik des hierarchischen Befehls – bestätigt für Männer, was sie ohnehin annehmen - Frauen haben eine periphere Stellung zu relevanten Welt.“ Vergewaltigung begleite den territorialen Gewinn der siegreichen Seite in Territorialkonflikten als eine der Kriegsbeuten. Männer, die vergewaltigen, so Brownmiller, seien gewöhnliche Typen, die durch die ungewöhnliche Situation zu einem „male-only club“ aufsteigen würden.[4]

Vergewaltigung von Männern

Die Vergewaltigung von Männern durch andere Männer ist ebenfalls gängige Praxis in Kriegen und Konflikten. Eine Studie von Lara Stemple aus dem Jahr 2009 ergab, dass Vergewaltigungen von Männern in Konflikten weltweit nachzuweisen sind. So gaben 76 % der männlichen politischen Gefangenen in El Salvador in den 1980er Jahren und 80 % der Insassen des Konzentrationslagers in Sarajevo an, vergewaltigt oder sexuell gefoltert worden zu sein. Stemple kommt zu dem Schluss, dass „die mangelnde Beachtung des sexuellen Missbrauchs von Männern während eines Konflikts angesichts der weit verbreiteten Reichweite des Problems besonders besorgniserregend ist“.[5] Mervyn Christian von der Johns Hopkins School of Nursing hat festgestellt, dass männliche Vergewaltigungen häufig nicht dokumentiert werden und öffentlich auftauchen (underreported).

Folgen

Wenn Menschen in hohen und brutalen Ausmaß vergewaltigt werden, wirkt sich das auf das soziale Gefüge ganzer Gesellschaften aus. Es bedeutet häufig die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts. Das führt dazu, dass vergewaltigte Frauen nicht allein mit dem Vergewaltigungstrauma belastet sind, sondern stigmatisiert werden und von ihrer eigenen Familie, ihrem eigenen Umfeld ausgegrenzt werden.[6]

Traumatisierung

Die Opfer sexueller Gewalt sind in den meisten Fällen schwer traumatisiert. Zu den sexuellen Übergriffen kommen die Traumata des Krieges hinzu.

Stigmatisierung und Demütigung

Je nach sozialem Kontext werden die Opfer stark stigmatisiert. Die Männer in der „Verlierergruppe“ sind häufig von der gleichen patriarchalen Denkweise, wie die Männer der Gewinnergruppe geprägt. In ihrer Vorstellung gilt, wenn der Körper einer Frau so verletzt wurde, dann ist die Ehre der Frau zerstört und damit die Ehre der ganzen Familie.

Sozialer Kontext

Die Tat der Vergewaltiger findet häufig seine Fortsetzung in der sozialen Isolation der Opfer.[2] Eine Fortführung von sexualisierter Gewalt im Krieg ist teilweise die sexuelle Ausbeutung der Opfer durch Mafiastrukturen, die Frauen in Zwangsbordelle zwingen. Solche Bordelle existierten beispielsweise nach den Jugoslawienkriegen auf dem Balkan.

Hilfe

Die Ärztin Monika Hauser weist darauf hin, dass, wenn das System der gesellschaftlichen Ächtung der Opfer durchbrochen wird und männliche genauso wie weibliche, nicht-vergewaltigte Angehörige des Opfers sich empathisch und solidarisch verhalten würden, könnten die Vergewaltigungsopfer besser weiterleben.[2]

Rechtliche Aspekte

Da sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel ein altes Phänomen ist, wurde sie auch früh durch Konventionen verboten. Sie verstößt gegen das Kriegsrecht und gegen die Menschenrechte.[7][8]

Literatur

  • Christina Lamb: Unsere Körper sind euer Schlachtfeld: Frauen, Krieg und Gewalt. Penguin, München 2020, ISBN 978-3-641-23540-6.
  • Sarah K. Danielsson (Hrsg.): War and Sexual Violence: New Perspectives in a New Era. Ferdinand Schöningh, Leiden 2019, ISBN 978-3-506-70266-1.
  • Fraciah Muringi Njoroge: Evolution of Rape As a War Crime and a Crime Against Humanity. 2016; doi:10.2139/ssrn.2813970.
  • Elizabeth D. Heineman (Hrsg.): Sexual Violence in Conflict Zones: From the Ancient World to the Era of Human Rights. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2013, ISBN 978-0-8122-2261-6.
  • Tuba Inal: Looting and Rape in Wartime: Law and Change in International Relations. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2013, ISBN 978-0-8122-4476-2.
  • R. Branche, F. Virgili: Rape in Wartime. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2012, ISBN 978-0-230-36399-1.
  • Nicola Henry: War and Rape: Law, Memory and Justice. Routledge, London 2010, ISBN 978-0-415-56473-1.

Vortrag

Einzelnachweise

  1. Heinrich-Böll-Stiftung: Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist Kriegstaktik. In: deutschlandfunkkultur.de. Abgerufen am 3. August 2020.
  2. a b c Interview: Sexualisierte Gewalt im Krieg. In: Tagesschau (ARD). Abgerufen am 3. August 2020.
  3. Rape in war 'a deliberate military strategy' argue researchers. Abgerufen am 3. August 2020 (englisch).
  4. latimes.com
  5. Lara Stemple: Male Rape and Human Rights. 2009, 60 Hastings L.J. 605.
  6. How did rape become a weapon of war? 8. Dezember 2004 (bbc.co.uk [abgerufen am 3. August 2020]).
  7. Rape as a War Crime. United Nations, abgerufen am 3. August 2020 (englisch).
  8. Customary IHL - Rule 93. Rape and Other forms of Sexual Violence. Abgerufen am 3. August 2020.