Social Forecasting

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Social Forecasting ist ein Crowdsourcing-Ansatz, dessen Ziel es ist, das verteilte Wissen von Mitarbeitern und Experten zu aggregieren und in quantifizierbare Geschäftskennzahlen umzuwandeln, die dann der Unternehmensleitung bzw. dem Management zur Verfügung stehen. Es ist eine betriebswirtschaftliche Methode, um mithilfe des kollektiven Wissens einer Gruppe Aussagen über den Ausgang zukünftiger Ereignisse zu treffen. Social Forecasting ist eine Kombination aus Crowdsourcing, Gamification-Elementen sowie einer virtuellen Prognosebörse. Unternehmen nutzen Social Forecasting, um Prognosen, Analysen und andere Kennzahlen von ihren Mitarbeitern für zukunftsweisende Fragen zu erhalten.

Einführung

Social Forecasting nutzt das Prinzip der Schwarmintelligenz und nutzt das Crowdsourcing-Konzept für Vorhersagen. Eine Gruppe wird bezüglich des Eintretens künftiger Ereignisse oder zur Wirkung von Entscheidungen befragt. Historisch gesehen ist Social Forecasting die Weiterentwicklung von Prognosemärkten. Dieser Ansatz wurde in den 1980er Jahren in den USA[1] beim Iowa Election Markets (IEM) erstmals eingesetzt[2] – man konnte online mit einem symbolischen Einsatz von einigen Cents auf den Ausgang von Wahlergebnissen wetten. Die Ergebnisse der IEM fielen genauer aus als die Prognosen der Marktforscher.[3] Social Forecasting als Web-2.0-Tool ist ein durch den deutschen Unternehmer Aleksandar Ivanov geprägter Begriff. In Indien wird der Begriff als Terminus zur Prognose der gesellschaftlichen („social“) Entwicklung genutzt.[4]

Vorgehensweise

Social Forecasting ähnelt in seiner Bedeutung und seinem Ansatz einer online-basierten Crowdsourcing-Umfrage. Bei Social Forecasting werden jedoch gezielt Fragen zum Ausgang zukünftiger Ereignisse gestellt, z. B. dem Absatzpotential neuer Produkte oder den zukünftigen Marktanteilen auf einem bestehenden Markt. Die Abgrenzung zum klassischen Crowdsourcing liegt in der speziellen Auswahl der Teilnehmer: Social Forecasting benötigt keine repräsentativen Teilnehmer („representative crowd“) aus dem Netz, sondern „wissende Teilnehmer“ („wise crowd“).[3] Des Weiteren werden, ebenfalls im Gegensatz zu herkömmlichem Crowdsourcing, bei Social Forecasting primär Mitarbeiter zur Befragung herangezogen. Dadurch wird deren Konsumentensicht als auch deren unternehmensspezifisches Wissen als auch deren professionelle Markt- und Fachexpertise berücksichtigt und in einem Wissenspool integriert.[5] Durch diesen Einsatz wird auch berücksichtigt, dass kein betriebsrelevantes Wissen oder sensible Daten an die Öffentlichkeit gelangen.

Ein weiteres wichtiges Element von Social Forecasting ist das Setzen entsprechender Anreize sowie der Einsatz von Gamification-Elementen. Denn bei Umfragen wird allein die Teilnahme belohnt, bei Social Forecasting dagegen die Genauigkeit der Antwort. Die Teilnehmer sollen auf diese Weise dazu animiert werden, möglichst wahrheitsgetreue und genaue Prognosen abzugeben.[6][7] Dazu werden über einer virtuellen Prognosebörse gezielt Fragen zur Entwicklung zukünftiger Ereignisse gestellt.[8] Wenn der jeweilige Teilnehmer eine sehr gute Prognose abgibt, wird sein Gewinn dementsprechend höher ausfallen. Zusätzlich kann ein Ranking der besten Teilnehmer veröffentlicht werden, um auf diese Weise eine größere Motivation zu schaffen, gute Einschätzungen abzugeben.

Ein letzter wesentlicher Unterschied zu anderen Methoden liegt in der Aktualisierung der Ergebnisse. Häufig ändern sich Annahmen und Rahmenbedingungen derart oft, dass eine Umfrage wiederholt werden muss. Social Forecasting funktioniert anders, da das Anreizsystem dafür sorgt, dass bei Bekanntwerden neuer Informationen die Teilnehmer von selbst einen Anreiz haben, ihre Meinungen sofort zu aktualisieren, um ihre Gewinnchancen zu steigern.[9]

Nutzwert für Unternehmen

Social Forecasting wird von Unternehmen zur Unterstützung von Businessentscheidungen genutzt. Beim Social Forecasting wird das relevante Wissen nicht in Wikis und Blogs, sprich in Textform, sondern in Zahlen umgewandelt[10] und somit direkt greifbar. Das Management kann so durch den Crowdsourcing-Ansatz Prognosen, Analysen und anderen Angaben der Mitarbeiter verwerten.[11]

Einsatzgebiete

Social Forecasting kann in vielfältigen Bereichen eingesetzt werden:

  • Marktprognose, z. B. Prognose von Absatzzahlen, Marktanteilen, Wachstumsraten für beliebige Produkte
  • Competitive Intelligence, z. B. Risiko für Markteintritt neuer Wettbewerber in Segment X
  • Projektmanagement, z. B. wahrheitsgetreue Frühwarnindikatoren und präzise Schätzungen tatsächlicher Fertigstellungstermine, Milestones u. ä.
  • Produktinnovation, z. B. Life-Time-Umsatzpotenzial, tatsächliche Entwicklungskosten und -dauer bei neuen Produktideen; Potenzialabschätzung neuer Produktideen
  • F&E-Management, z. B. Technologietrends quantifizieren, Entwicklungsrisiken rechtzeitig abschätzen;
  • Risikomanagement, z. B. Schätzung von Kreditausfallrisiken; Prognose des mittleren Kreditrisikos und Kreditvolumens; effizientere Eigenkapitalplanung für Basel-II-Reserven
  • Wirtschaftsprognosen, z. B. Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum
  • Absatzplanung: Anzahl Neukunden; Anzahl verkaufter Produkte

Beispiele aus der Praxis

Marktprognose

Marktprognosen, zum Beispiel die Prognose von Absatzzahlen, Marktanteilen, Wachstumsraten für beliebige Produkte. Der Konsumgüterhersteller Henkel nutzt Social Decision Support und konnte damit seine Prognosegenauigkeit um 22 Prozent steigern.[12]

Competitive Intelligence

Competitive Intelligence, zum Beispiel Risiko für Markteintritt neuer Wettbewerber in Segment X abschätzen. Zeppelin Rental setzt Social Decision Support ein, um das Wissen von Mitarbeitern aus seinen über 100 Standorten für strategische Fragen zu bündeln.[13]

Produktinnovation

Produktinnovation, zum Beispiel zur Prognostizierung von Flopraten, tatsächlichen Entwicklungskosten und -dauer bei neuen Produktideen. Tchibo hat mit Social Decision Support das Wissen seiner Filialmitarbeiter für die Beurteilung neuer Produkte genutzt.[14]

F&E-Management

F&E-Management, zum Beispiel die Quantifizierung von Technologietrends, um Entwicklungsrisiken rechtzeitig abschätzen. Die Deutsche Telekom bündelt das Wissen von 240.000 Mitarbeitern, um die das Potenzial neuer Technologien besser abzuschätzen.[15][16]

Wirtschaftsprognosen

Wirtschaftsprognosen, zum Beispiel Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum. Der Saatguthersteller Syngenta nutzt Social Decision Support, um frühzeitig seine Produktion an die zu erwartende globale Nachfrage anzupassen.[17]

Ähnliche Konzepte

Vorläufer von Social Forecasting sind sog. Prognosemärkte. Dabei handelt es sich um einen virtuellen Marktplatz, auf dem in der Zukunft liegende Ereignisse mit unbekanntem Ausgang gehandelt werden, zum Beispiel die Frage nach dem Absatz von Produkt A in einem bestimmten Zeitraum. Teilnehmer geben auf dieser Handelsplattform ihre eigene individuelle Prognose ab, indem sie eine Anzahl von Punkten auf einen bestimmten Ausgang der Fragestellung wetten, ähnlich einer Wertpapierbörse.[18] Dabei sind diese Prognosen oftmals genauer als die Meinungen von Experten.

Literatur

  • Franziska Beckmann: Prognosebörsen als Instrument des Wissensmanagements in Unternehmen, 2010.
  • Bughin und Chui: The rise of the networked enterprise: Web 2.0 finds its payday; McKinsey Quarterly, Dezember, 2010
  • Chresbrough: Open Innovation: The New Imperative for Creating and Profiting from Technology. Harvard Business School Press, Boston, 2003.
  • Reneé Dye: The promise of prediction markets: A roundtable, in: The McKinsey Quartely, Issue 2, 2008.
  • Ericsson, A. K. und Jacqui, S.: Toward a General Theory of Expertise: Prospects and Limits; Cambridge University Press, Cambridge, 1991
  • Ericsson u.A.: The Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance, 2006.
  • Larissa Hammon: Crowdsourcing – Eine Analyse der Antriebskräfte innerhalb der Crowd, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2013.
  • Larissa Hammon, Hajo Hippner: Crowdsourcing. In: Wirtschaftsinformatik, 54. Jg. (2012), Nr. 3, S. 165–168.
  • Larissa Hammon, Stefan Hampel, Hajo Hippner: Crowdsourcing. In: WISU, Nr. 5, 2010, S. 698–704.
  • Holger Herkle: Wissen in Organisationen, Überlegungen zum Konzept des Systematischen Wissensmanagement, 2007.
  • Prabhakar Krishnamurthy: Social Forecasting – Relevance in strategic planning for corporate sector, in: Microeconomics: Intertemporal Choice and growth eJournal, Vol. 2 No. 86, 2010 http://www.academia.edu/251671/SOCIAL_FORECASTING_-_RELEVANCE_IN_STRATEGIC_PLANNING_FOR_CORPORATE_SECTOR.
  • Prabhakar Krishnamurthy: Methodological Premises of Social Forecasting in the Context of Business organizations, 2nd National Conference on Management Science and Practice Indian Institute of Technology, Madras, March 9–11, 2007 http://www.academia.edu/251667/Methodological_Premises_of_Social_Forecasting_in_the_Context_of_Business_organizations.
  • Prabhakar Krishnamurthy: Social Forecasting –Tool for Corporate Planning and Application to Information Technology Industry, in: econometrics: applied econometrics and modeling eJournal, Vol. 4 No. 99, 2011 http://www.academia.edu/468038/Social_Forecasting_-Tool_for_Corporate_Planning_and_Application_to_Information_Technology_Industry.
  • Franz Lehner: Wissensmanagement, Grundlagen, Methoden und technische Unterstützung, 2008.
  • Ralf Ike: Performance Management, Synergiepotenziale von Wissensmanagement und Business Intelligence im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes zur strategischen Unternehmenssteuerung, 2008.
  • Rietz u.A.: Accuracy and Forecast Standard Error of Prediction Markets, University of Iowa, Working Paper.
  • Brain Twiss: Social Forecasting for Company Planning, 1982.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Franziska Beckmann: Prognosebörsen als Instrument des Wissensmanagements in Unternehmen, 2010, S. 27
  2. Stanley W. Angrist, Iowa Market Takes Stock of Presidential Candidates (Reprinted with Permission of The Wall Street Journal), The University of Iowa, Henry B. Tippie College of Business, 2012
  3. a b Aleksandar Ivanov: Social Forecasting, in: Web2.0 und Social Media in der Unternehmenspraxis (Hrsg.: Andrea Back u.A.), 2012
  4. Social Forecasting – Relevance in strategic planning for corporate sector. Prabhakar Krishnamurthy. 3. März 2013. Abgerufen im 2010.
  5. Jörg Hackhausen: Prognosebörsen sagen die Zukunft voraus, Handelsblatt, 2006
  6. Wissenschaft zeigt: Die Weisheit der Vielen funktioniert. crowdworx.com. 4. August 2012. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  7. Wir müssen jetzt ganz neue methodische Wege gehen. iwkoeln.de. 03.03.2013, 13:29. Archiviert vom Original am 2. Februar 2014. Abgerufen am 11. März 2009.
  8. Ein Weg zum Management 2.0: Prognosebörsen in Unternehmen. itespresso.de. 4. August 2012. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  9. Marktplatz für gezielte Fragen. cfoworld.de. 4. August 2012. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  10. Wissen in Zahlen umwandeln: Social Forecasting in Unternehmen. Claudia Thurner-Scheuerer. 4. August 2012. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  11. Moderne Unternehmenssteuerung Social Decision Support – der Weg zum Management 2.0. perspektive-mittelstand.de. 4. August 2012. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  12. Absatzplanung im Einzelhandel: High-speed mit Low-cost. Aleksandar Ivanov. 4. August 2008. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  13. Employee engagement Re-invented:. Aleksandar Ivanov. 4. August 2008. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  14. Sales Planning in Retail: High speed at low cost. Aleksandar Ivanov. 4. August 2008. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  15. Strategy and Risk Management: Fast employee feedback for the CEO. Aleksandar Ivanov. 4. August 2008. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  16. Franziska Beckmann: Prognosebörsen als Instrument des Wissensmanagements in Unternehmen, 2010, S. 45ff.
  17. Market forecasts: Strategic insights – in real time!. Aleksandar Ivanov. 4. August 2008. Abgerufen am 13. Februar 2013.
  18. CrowdWorx: Plattform bündelt Mitarbeiter-Wissen. crowdworx.com. 03.03.2013, 13:29. Archiviert vom Original am 5. März 2013. Abgerufen am 6. März 2013.