Sonatensatzform

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Sonatensatzform (auch: Sonatenhauptsatzform, Sonatenform) bezeichnet in der musikalischen Formenlehre ein Modell bzw. Gestaltungsprinzip, mit dem in der Regel die Form des ersten Satzes (= Kopfsatz oder „Hauptsatz“) einer Sonate bzw. Sinfonie (und weiterer kammermusikalischer Gattungen) beschrieben wird. Oft weist auch der letzte Satz die Sonatensatzform auf, während sie bei Mittelsätzen eher selten anzutreffen ist. Daneben kann sich die Bezeichnung „Sonatenform“ auch auf den Satzzyklus einer Sonate beziehen.

Aufbau eines Satzes nach der Sonatensatzform

Ein nach der Sonatensatzform gegliederter Satz besteht üblicherweise aus den folgenden drei Hauptteilen: Exposition, Durchführung und Reprise. Diese äußerliche Dreiheit sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die Sonatenhauptsatzform grundsätzlich dialektisch ist, dass sie also grundlegend auf der Idee einer Zweiheit, nämlich auf zwei Themenkomplexen beruht, die in einem allgemeinsten Sinne gegenteilig dialogisieren, bzw. kontrastieren (hierzu gehören Eigenschaften wie Staccato/Legato, Forte/Piano, Tonikal/Dominantisch, u. v. m.). Zu diesem Hauptkörper eines Sonatenkopfsatzes gesellen sich gattungsgeschichtlich zwei optionale Satzteile, die meist nicht eigentlich thematisch exponiertes Material enthalten, nämlich evtl. eine (langsame) Einleitung am Beginn und/oder ggf. eine Coda, die das Satzganze beschließt.

Bei Gliederung und Benennung der drei wesentlichen Formteile (Exposition, Durchführung, Reprise) handelt es sich um das Ergebnis jahrzehntelanger musikwissenschaftlicher Theoriebildung zu einer Gattung mit langer Entwicklungsgeschichte; die heute gebräuchlichen Begriffe wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts (u. a. von Hugo Leichtentritt[1] und Hugo Riemann) etabliert. Ein wesentlicher Teil der Werke, denen der Begriff der Sonatenhauptsatzform zugeschrieben wird, ist also lange Zeit früher entstanden. Da sich in der Praxis so zahlreiche Abweichungen vom Schema der Sonatenhauptsatzform finden (sowohl in Sonatensätzen des 19. als auch des 18. Jahrhunderts), dass die jüngere Musikwissenschaft die Tauglichkeit des Modells insgesamt in Frage stellt, können die folgenden Erläuterungen lediglich eine Orientierungshilfe ohne Anspruch auf historische Angemessenheit oder normative Geltung darstellen. Tatsächlich ist „die“ Sonatenhauptsatzform (wie sie durch die Theorie des anfänglichen 20. Jahrhunderts zementiert und auf den Ausschnitt der Wiener Klassik verengt wurde) nicht als etwas Voraussetzungsloses misszuverstehen. Vielmehr stellt dieser Sonatensatz-Typus bereits die Überformung von älteren und ursprünglich einfacheren Formschemata dar, die sich aus barocken Suitensatzformen entwickelten und bereits bei D. Scarlatti und C. P. E. Bach komplexere Formen annehmen. Erst die ästhetischen Funktionen jener urtümlichen Sonatenform lassen Schlüsse auf die weiteren ästhetischen Absichten der Wiener Klassischen Komponisten mit der abgewandelten Sonatensatzform zu.

Einleitung

Schon vor Beginn der Exposition kann eine kürzere oder längere Einleitung stehen. Meist erscheint sie bei ausgedehnteren Werken, d. h. eher in einer Sinfonie und seltener in einer Klaviersonate. Sie eröffnet den Satz in einem langsamen Tempo, bevor sich die Exposition mit einem schnelleren, kontrastierenden Tempo anschließt. Typisch für Sätze mit Einleitung sind also Tempoangaben wie Andante – Allegro ma non troppo.

Neben dem Spannungsaufbau hatte die Einleitung beim zeitgenössischen Publikum aufgrund ihres typischen Beginns mit forte auch eine Signalwirkung: Das Publikum sollte zur Ruhe kommen und wahrnehmen, dass nun ein Werk beginne, dem Aufmerksamkeit zu schenken sei. Daher kann auf eine derartige Einleitung der Beginn der Exposition oftmals ein mit piano gestaltetes Thema folgen, während Werke ohne Einleitung meist mit forte beginnen.

Langsame Einleitungen finden sich beispielsweise bei einigen Sinfonien von Joseph Haydn (z. B. Nr. 6, Nr. 53 und vielen der späteren Werke, vgl. die „Londoner Sinfonien“), sowie bei einigen Sinfonien (Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 7) und Sonaten (Nr. 8, Nr. 24, Nr. 26, Nr. 32) von Ludwig van Beethoven.

Exposition

Die Exposition (= „Ausstellung“) stellt das thematische Material des Satzes vor. Sie gliedert sich typischerweise in Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe bzw. Epilog.

Hauptsatz

Der Hauptsatz einer Exposition steht in der Grundtonart (Tonika-Tonart) des Satzes. Er taucht mindestens in der Exposition sowie – manchmal leicht verändert – in der Reprise auf. Dieser Satz enthält das erste Thema, dem die klassische Formenlehre typischerweise einen eher kraftvollen Charakter attestiert. Obwohl diese Charakterisierung sehr oft zutrifft, kann sie keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, da es durchaus auch Beispiele für weiche, lyrische Hauptthemen gibt. In selteneren Fällen kann der Hauptsatz auch noch weitere Themen bzw. themenähnliche Nebengedanken enthalten.

Überleitung

Dem Hauptsatz folgt eine meist modulierende Überleitung (auch „Zwischensatz“ genannt) als Verbindung zum Seitensatz. Sie besteht häufig aus einer motivischen Fortführung des ersten Themas oder, vor allem in den Werken der Früh- und Wiener Klassik, oft aus eher athematischen, motorisch-figurativen Floskeln.

Da der Begriff „erstes Thema“ auf ein vorhandenes „zweites Thema“ schließen lässt, und dies nicht in allen Fällen auftritt, bedient man sich lieber der allgemeineren Gegenüberstellung Hauptsatz – Seitensatz.

Seitensatz / Seitenthema

Der Seitensatz, der oft (wenn auch nicht immer) das zweite oder ein weiteres Seitenthema – manchmal sogar mehrere – enthält, steht in einer anderen Tonart als der Hauptsatz. In der Reprise erscheint das Seitenthema meist in derselben Tonart wie das Hauptthema.[1] Bei Hauptthemen in Dur steht der Seitensatz meist in der quinthöheren Dur-Tonart, mit dem Begriff der Funktionstheorie auch Dominant-Tonart genannt. Bei Hauptthemen in Moll hingegen steht das Seitenthema in der Regel in der parallelen Dur-Tonart (Tonikaparallel-Tonart). Das Seitenthema bildet oft einen Kontrast zum Hauptthema und hat typischerweise einen lyrischeren Charakter als dieses. Anknüpfend daran kann sich ein weiterer Teil, die so genannte „Fortführung“ oder „Fortspinnung“, befinden, die entweder an die Motivik des Seitenthemas anschließt oder aber durch eher unthematisches Figurenwerk gekennzeichnet ist, und in den sogenannten Kadenzteil mündet, der den Seitensatz beschließt.

Schlussgruppe

Den Abschluss der Exposition bildet meist eine Schlussgruppe (auch „Epilog“ genannt) in der gleichen Tonart wie der Seitensatz, die somit das Ziel der vorausgegangenen Modulation bekräftigt. Sie kann neues thematisches Material enthalten, motivisch an das erste Thema anknüpfen oder eine motivische Synthese aus erstem und zweitem Thema darstellen. Diese Schlussgruppe/Epilog entwickelt sich in Symphonien der späteren Romantik (siehe Bruckners Sinfonien) sogar teilweise zu einem eigenständigen, vollwertigen 3. Thema, das in der anschließenden Durchführung mitunter eine beherrschende Rolle spielt.

Traditionell wird die Exposition wiederholt, so dass man ihr Ende auch leicht an den Wiederholungszeichen erkennen kann. Während im 18. Jahrhundert die Wiederholung der Exposition nur gelegentlich weggelassen wird (z. B. in op. 3. Nr. 4 von Franz Ignaz Beck), verzichten Komponisten seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts immer häufiger auf eine Wiederholung der Exposition.

Das Spannungsverhältnis von Haupt- und Seitensatz ist ein wesentliches Merkmal der Sonatensatzform. Es drückt sich immer in der tonalen Spannung zwischen den verschiedenen Tonarten beider Teile aus. Oft besteht darüber hinaus zwischen erstem und zweitem Thema ein charakterlicher Kontrast. In solchen Fällen spricht man vom Themendualismus.

Durchführung

Auf die Exposition folgt die Durchführung, in der das in den verschiedenen Teilen der Exposition vorgestellte Material verarbeitet wird. Man spricht von motivisch-thematischer Arbeit.

Durchführungen können sehr unterschiedlich gestaltet sein. Als typisch gilt eine „Durchführungseinleitung“, die von der Tonart am Ende der Exposition wegmoduliert, sowie darauf folgend das Aufstellen eines „Modells“ (oder mehrerer), welches sequenziert oder anderweitig verarbeitet wird. Im Falle eines vorliegenden Themenkontrastes kann in späteren Werken (z. B. der Romantik) auch eine dialektische Auseinandersetzung zwischen den beiden Themen stattfinden, wobei es zum charakterlichen Rollentausch und zu konflikthaft dramatischen Steigerungen kommen kann. Es kann aber ebenso vorkommen, dass nur eines der beiden Themen in der Durchführung verwendet wird, oder dass die Durchführung ausschließlich mit den Motiven der Schlussgruppe oder gar mit dem aus Überleitung oder Fortspinnung stammenden Figurenwerk bestritten wird. Manchmal taucht in der Durchführung als Episode sogar ein völlig neuer musikalischer Gedanke auf, z. B. in Beethovens 3. Sinfonie „Eroica“ im 1. Satz.

Charakteristisch für nahezu alle Durchführungen ist eine verstärkte Modulationstätigkeit, die oft auch in harmonisch weit entfernte Bereiche vordringt. Üblicherweise führen Durchführungen letztlich zu einem „Verweilen auf der Dominante“ (manchmal auch einer „falschen“), wodurch die Reprise harmonisch vorbereitet wird.

Reprise

Mit der Wiederkehr des Hauptthemas in der Tonika-Tonart setzt die Reprise ein. Die Reprise ist eine leicht veränderte Wiederholung der Exposition. Die tonale Spannung zwischen Haupt- und Seitenthema wird aufgehoben, da jetzt (nach der sogenannten Einrichtung) auch das Seitenthema in der Grundtonart erscheint. Ein eventuell vorhandener Konflikt zwischen Haupt- und Seitensatz erscheint dadurch im Sinne einer Annäherung gemildert. Die häufigsten Änderungen finden im Zwischensatz statt, da er seine harmonische Überleitungsfunktion jetzt eingebüßt hat.[2]

Coda

Als Coda (ital. Endstück) wird der Schlussteil bezeichnet, in dem meist mit thematischem Material aus dem Hauptthema der Satz gesteigert und zu Ende gebracht wird. Am Ende der Reprise wird häufig noch eine Coda angehängt, die die Ausmaße von einem kurzen Anhängsel bis zu einer Erweiterung der Schlussgruppe in der Exposition hat. Die Coda wird vor allem bei Beethoven zu einem sehr wichtigen Abschnitt, der den Charakter einer zweiten Durchführung annehmen kann. Sie ist im Kopfsatz der 9. Sinfonie länger als die Reprise. Oft ist sie nicht nur im Charakter, sondern auch in der Thematik der Schlussgruppe sehr ähnlich. Ein Satz kann auch ohne eine Coda enden, wie z. B. in der "Sonata facile" (Sonate No. 16 in C-Dur) von Wolfgang Amadeus Mozart.

Entstehungsgeschichte der Sonatensatzform

Ursprünglich (seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts) bedeutete „Sonata“ im Gegensatz zur Vokalkomposition (canzona) instrumentales „Klangstück“. Der Begriff bezeichnete anfangs weder ein spezifisches Formmodell noch einen bestimmten Kompositionsstil. Die ersten Werke mit dem Titel „Sonata“ stammen von italienischen Komponisten, wie z. B. Giovanni Gabrieli (1597, 1615). Gabrielis Sonaten hatten Vorbildfunktion durch die formale Anlage und ihren improvisatorischen Stil. Das Formmodell bestand aus mehreren klar beschriebenen Abschnitten in kontrastierendem Tempo und mit kontrastierender Textur (siehe Sonate).

Entsprechend zur Ausbreitung der zyklischen Dreisätzigkeit in der Opernsinfonie auf die meisten anderen musikalischen Gattungen bildete sich in der Grundanlage des Sinfoniesatzes, vor allem des Kopfsatzes, eine Architektur aus, die modellhaft Geltung erlangte und auf sämtliche Gattungen der Musik übergriff, auch auf die des Konzertsatzes.[3] In der Zeit bis zum Ende des 18. / Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der sich aus den Tanzsätzen der Suite entwickelnde Grundriss eines Sinfoniesatzes als zweiteilig (jedoch teilweise mit untergeordneter Dreigliederung) und nicht als dreiteilig angesehen. An dieser zweiteiligen Auffassung der Grundanlage des Sinfonie-(Kopf-)Satzes wurde noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts festgehalten, wie sich z. B. in der Rezension von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann über Beethovens Sinfonie Nr. 5 aus dem Jahr 1810 zeigt. Erst mit dem heute üblichen Konzept der Sonatenform geriet die übergeordnete Zweiteiligkeit schrittweise in Vergessenheit.[3]

Einfluss auf die Strukturierung der späteren Sonatensatzform nahm auch die dreiteilige Da-Capo-Arie mit einem kontrastreichen Mittelteil und einem Repriseneinsatz in der Grundtonart. Für die Anlage der Sätze waren harmonische Verläufe wesentlicher als die thematisch-motivische Arbeit, die von der Sonatensatzform betont wird. So besteht die Anlage eines Sinfoniesatzes nach Heinrich Christoph Koch in „Versuch einer Anleitung zur Composition“ (drei Bände, erschienen 1782 bis 1793) aus folgenden Abschnitten:[3]

  • I. Teil (wiederholt oder unwiederholt):
    • Erster Hauptperiode,[4] ggf. mit Anhang: Abschnitt in der Grundtonart und Übergang in die Dominante bzw. in Moll-Sätzen in die Dur-Parallele; Abschnitt in der Dominante, oft mit einem „mehr singbaren, und gemeiniglich mit verminderter Stärke des Tons vorzutragenden Satz“ verbunden, und Kadenzschluss in der Dominante.
  • II. Teil (wiederholt oder unwiederholt):
    • Zweiter Hauptperiode: Beginn in der Oberquint-Tonart meist mit dem „Thema“ oder einem „anderen melodischen Haupttheile“; harmonische Abweichungen, Wiederholungen bzw. „Zergliederungen“ melodischer Wendungen. Abschluss in der Dominante oder Rückleitung zur Grundtonart (Tonika).
    • Dritter Hauptperiode: Beginn in der Grundtonart mit dem „Thema“ oder mit einem „andern melodischen Haupttheile“, Wiederaufnahme der „vorzüglichsten Sätze“ der ersten Hauptperiode in zusammengedrängter Form und in der Grundtonart verbleibend.

Die Interpretation dieser Grundanlage aus der Sicht der zunehmend bedeutender werdenden thematisch-motivischen Vorgänge führte schließlich in der Musiktheorie des 19. Jahrhunderts zum oben beschriebenen Schema der Sonatensatzform, welches teilweise auch rückwirkend (also ahistorisch) auf die vorher komponierte Musik der Wiener Klassik angewendet wurde. Der Begriff „Sonatenform“ als ideales, von Gattungskriterien (Sinfonie, Quartett etc.) abstrahiertes Modell erscheint in ausführlicher Beschreibung erstmals in der Kompositionslehre von Adolf Bernhard Marx (Die Lehre von der musikalischen Komposition, Leipzig 1837–1847). Heinrich Birnbach, von dem Marx die Definition des Sonatensatzes im Wesentlichen übernahm, hatte noch den Begriff „Hauptform eines größeren Tonstücks“ verwendet.[3][5] Marx’ Kompositionslehre etablierte die Begriffe „Exposition“, „Hauptsatz“, „Modulationsteil“, „Seitensatz“ und „Schlussgruppe“. Das wie oben beschriebene „vollständige“ Schema der Sonatensatzform mit den heute üblichen Begriffen taucht erstmals 1904 in Alfred Richters Lehre von der musikalischen Form auf und wurde schließlich 1911 in der Formenlehre Hugo Leichtentritts kodifiziert.

Das „Standardmodell“ der Sonatensatzform, wie es üblicherweise analytisch gebraucht wird, war von Marx als Beschreibungsform der Sinfonien Beethovens entworfen worden und ist deshalb kaum oder nur eingeschränkt für entsprechende Werke der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geeignet.[6] Eine starre Anwendung dieses Schemas als Maßstab auf viele Werke des 18., aber auch des 19. Jahrhunderts kann dann falsche Vorstellungen wecken, wenn Themen in ihrer Anzahl als zu viel, zu wenig oder an „unpassender“ Stelle erscheinen, wenn Durchführungs- und Reprisenabschnitte nicht konkret trennbar sind oder harmonische Verläufe auffällig anders als „vorgeschrieben“ erscheinen. Der normative Anspruch, den diese Formenlehre suggeriert, führt insbesondere bei Anwendung auf Werke der (Früh-)Klassik[7] dazu, dass die Stücke als „unfertige“ Vorläufer eines anzustrebenden Ideals abgewertet werden.

Die romantische Musik des 19. Jahrhunderts (z. B. Carl Maria von Weber, Franz Schubert, Felix Mendelssohn Bartholdy, Frédéric Chopin, Robert Schumann, Franz Liszt, Anton Bruckner, Johannes Brahms) entwickelte die Sonatensatzform weiter, wobei neben einer Erweiterung der Form im Sinne absoluter Musik auch eine Strömung aufkam, welche die Sonatenform nur noch als äußeren Rahmen für den Transport poetischer oder programmatischer Inhalte nutzte (Beispiele: Symphonie fantastique, Faustsinfonie).[8] Trotzdem forderte die Sonatensatzform im Spannungsfeld zwischen absoluter Musik und Tondichtung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Komponisten immer wieder heraus, sich mit ihr auseinanderzusetzen, wovon zahlreiche Beispiele bei Debussy, Ravel, Prokofjew, Hindemith, Britten u. v. a. Zeugnis ablegen.

Literatur

  • Markus Bandur: Sonatenform. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Sachteil, Band 8 (Querflöte – Suite). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1998, ISBN 3-7618-1109-8, Sp. 1607–1615 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
  • William E. Caplin: Classical Form. A Theory of Formal Functions for the Instrumental Music of Haydn, Mozart, and Beethoven. Oxford University Press, New York 1998, ISBN 0-19-510480-3.
  • Burkhardt Köhler: Zur Struktur der >Sonatenhauptsatzform in den Kopfsätzen einiger Klavierkonzerte Mozarts (unter besonderer Berücksichtigung von KV 450)< In: Miscellanorum De Musica Concentus , Karl Heller zum 65. Geburtstag, Rostock 2000, S. 179–207
  • James Hepokoski, Warren Darcy: Elements of Sonata Theory: Norms, Types and Deformations in the Late Eighteenth Century Sonata. Oxford University Press, Oxford/New York 2006, ISBN 0-19-977391-2.
  • Hans-Joachim Hinrichsen: Sonatenform, Sonatenhauptsatzform. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Steiner, Wiesbaden, ISBN 978-3-515-10167-7, 25. Auslieferung, Frühjahr 1997 (Online).
  • Ulrich Kaiser: Formfunktionen der Sonatenform. Ein Beitrag zur Sonatentheorie auf der Grundlage einer Kritik an William E. Caplins Verständnis von Formfunktionen. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie. 15/1 (2018), S. 29–79 (online).
  • Erwin Ratz: Einführung in die musikalische Formenlehre. Über Formprinzipien in den Inventionen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1951; 3. Auflage Universal Edition, Wien 1973, ISBN 3-7024-0015-X.
  • Charles Rosen: Sonata Forms. W.W. Norton, New York 1980, überarbeitete Auflage 1988, ISBN 0-393-30219-9.
  • Thomas Schmidt-Beste: Die Sonate. Geschichte – Formen – Ästhetik (= Bärenreiter Studienbücher Musik. 5). Bärenreiter, Kassel 2006, ISBN 3-7618-1155-1, S. 62–135.
  • James Webster: Sonata form. In: Grove Music Online (englisch; Abonnement erforderlich).

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. a b Hugo Leichtentritt: Musikalische Formenlehre. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1911.
  2. Ratz 1973, S. 36: „Da die modulatorische Funktion der Überleitung nunmehr wegfällt und nur die Verwandlung des Charakters durch die Überleitung zu erfüllen ist, finden wir an dieser Stelle häufig besondere Höhepunkte in der Darstellung des musikalischen Inhalts.“
  3. a b c d Stefan Kunze: Die Sinfonie im 18. Jahrhundert. In: Siegfried Mauser (Hrsg.): Handbuch der musikalischen Gattungen. Band 1, Laaber-Verlag, Laaber 1993, ISBN 3-89007-125-2.
  4. Unter einem „Periodem“ versteht Koch einen größeren, in sich zusammenhängenden Abschnitt oder Durchgang.
  5. Heinrich Birnbach: Über die verschiedene Form größerer Instrumentalstücke aller Art und deren Bearbeitung. In: Berlinische Allgemeine Musikalische Zeitung, 1827, S. 269 ff. Zitiert bei Kunze (1993)
  6. Michael Walter: Haydns Sinfonien. Ein musikalischer Werkführer. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-44813-3, S. 16.
  7. Beispielsweise die frühen Sinfonien von Joseph Haydn wie die Sinfonie Nr. 1, Sinfonie Nr. 6 oder von Wolfgang Amadeus Mozart die Sinfonie KV 19.
  8. Kunze (1993) schreibt dazu: Als „in der romantischen Musik andere Voraussetzungen des musikalischen Denkens sich ausbildeten, verkam die Grundanlage zum Schema („Sonatensatz“), das – vom „Inhalt“ abtrennbar – keine musikalische Wirklichkeit mehr repräsentierte.“