Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf

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Das Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf war ein großes Stahl- und Walzwerk im brandenburgischen Hennigsdorf. Es wird seit 1992 als H.E.S. Hennigsdorfer Elektrostahlwerke GmbH vom Riva-Konzern weiter betrieben.

Geschichte

Teilschuldverschreibung über 5000 Mark der Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG vom August 1922

Im Jahr 1917 fasste der Aufsichtsrat der AEG den Beschluss zum Bau eines Elektrostahl- und Walzwerkes der AEG in Hennigsdorf. Am 18. April wurde mit dem Bau begonnen. In den folgenden Jahren wurde das Werk zum „Stahl- und Walzwerk“ entwickelt, das aus vier Betrieben bestand:

  1. Siemens-Martin-Werk,
  2. Stahlformgießerei,
  3. Walzwerk,
  4. Kraftwerk.

Am 20. Juli 1918 erfolgte der erste Stahlabstich. Am 1. Oktober 1921 wurde die Aktiengesellschaft „Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG“ gegründet. Am 1. Oktober ging die Fabrik in den Besitz der Mitteldeutschen Stahl AG über. Während des Zweiten Weltkrieges mussten hier Häftlinge des KZ Sachsenhausen Zwangsarbeit verrichten. Nach Kriegsende wurde das Stahl- und Walzwerk gemäß dem Potsdamer Abkommen bis zum 30. Juni 1946 zu großen Teilen demontiert.

Auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration vom Oktober 1947 wurde das entkernte Stahl- und Walzwerk als eines der ersten volkseigenen Betriebe der Landesregierung Brandenburg zum Wiederaufbau übergeben. Danach wurde das Stahl- und Walzwerk als VEB Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf und ab Mitte der 1950er Jahre als VEB Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf „Wilhelm Florin geführt. Am 12. März 1948 erfolgte der erste Stahlabstich nach Kriegsende. Im Jahre 1951 konnte das Stahlwerk den Vorkriegswert an produziertem Stahl wieder erreichen. Zu DDR-Zeiten wurde das Werk beständig erweitert. Ab 1970 wurde das Werk Stammbetrieb des VEB Qualitäts- und Edelstahl-Kombinat (QEK).

1948 wurde die Betriebssportgemeinschaft (BSG) Stahl Hennigsdorf gegründet, die Sportarten wie Fußball, Tischtennis, Boxen, Volleyball und Rugby anbot. Im Rugby wurde die BSG mit 27 Meistertiteln DDR-Rekordmeister.

Privatisierung durch die Treuhandanstalt

Schichtwechsel im VEB Stahl- und Walzwerk „Wilhelm Florin“ (1962)

Nach der Wende wurde das Werk durch die Treuhandanstalt in die Hennigsdorfer Stahl GmbH eingebracht und systematisch auf das Kerngeschäft zurückgeführt. Als 1991 die Treuhand das Werk zum Verkauf stellte und die Bewerber sich die lukrativen Teile herausschneiden, kommt es zum Konflikt. 200 Stahlwerker zogen zur Treuhand und besetzten 13 Tage lang das Werk. Schließlich kam es zum Kompromiss und zum Verkauf an einen italienischen Stahlkonzern.[1] So wurden unter anderem durch Verkauf, Bildung von Tochtergesellschaften oder Betriebseinheiten mit eigener Gewinn- und Verlustrechnung verselbständigt:

  • Ziehwerk Delitzsch,
  • Konsumgüterproduktion (Wohnwagen),
  • Kfz-Zubehör,
  • Graugießerei Velten,
  • die wichtigsten Abteilungen der Hauptenergetik,
  • einige Instandhaltungsgewerke (Ratiomittelbau),
  • Datenverarbeitung und
  • diverse Betriebseinheiten (Gärtnerei, Jugendclub, Ferienheime, Kinderferienlager, Bibliothek, Arbeiter- und Lehrlingswohnheime, …).

Das Sanierungskonzept der Treuhand sah weiterhin im Kernbetrieb die kurzfristige Stilllegung der veralteten Siemens-Martin-Öfen vor und eine Reduzierung der Belegschaft auf 3.800 im Jahr 1991.

Bereits 1977 hatte das „VEB Qualitäts- und Edelstahlkombinat Brandenburg“ durch Vermittlung des Anlagenbauers Danieli einen Know-how-Transfer des Riva-Konzerns erhalten. Als die Treuhandanstalt im März 1992 das Elektrostahlwerk und die Drahtstraße der „Brandenburger Elektrostahlwerke GmbH“ gemeinsam mit dem Elektrostahl- und dem Walzwerk der „Hennigsdorfer Stahl GmbH“ privatisierte, erhielt Riva den Zuschlag im offiziellen Bieterverfahren[2]. Die „H.E.S. Hennigsdorfer Elektrostahlwerke GmbH“ (HES) wurde gegründet und in diese die erworbenen Immobilien und Anlagen der „Hennigsdorfer Stahl GmbH“ überführt. Mit der Übernahme gingen auch die – über Sozialplan der HSG bestimmten Arbeitskräfte – in die HES über. Die verbleibenden Arbeitskräfte wurden in Auffanggesellschaften vermittelt.[3]

Riva modernisierte die Anlagen – teilweise mit Mitteln der Treuhand – durchgreifend und steigerte die Produktion innerhalb weniger Jahre erheblich, belieferte vor allem die Großbaustelle am Potsdamer Platz mit Baustahl.[4]

Am 22. Februar 2015 hat Manfred Stolpe rückblickend in einer öffentlichen Rede in Potsdam behauptet: „Um den Erhalt der Stahlindustrie mussten wir uns sehr bemühen. Hier half nur Emilio Riva aus Mailand, die Standorte Hennigsdorf, Brandenburg an der Havel und Eisenhüttenstadt zu erhalten. Als Ausländer wurde er zunächst von den Arbeitern heftig abgelehnt und später wie ein Heiliger verehrt.“[5]

Zahlen

Produktion:

  • 1929/1930 an flüssigem Stahl insgesamt 90.700 t
  • 1931/1932 an flüssigem Stahl insgesamt 45.013 t
  • 1934/1935 an flüssigem Stahl insgesamt 118.362 t
  • 1938/1939 an flüssigem Stahl insgesamt 180.561 t.

Im Feinblechwalzwerk wurden:

  • 1929/1930 49.152 t
  • 1934/1935 79.115 t
  • 1938/1939 125.182 t

erzeugt.

Das Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf beschäftigte bis 1989 über 8500 Arbeiter und Angestellte. Hinzu kamen etwa 700 Auszubildende.

2007 erzeugte das Unternehmen 937.112 t Elektrostahl, im Walzwerk 767.864 t und in der Weiterverarbeitung 66.835 t. Am 31. Dezember 2007 waren bei der H.E.S. GmbH 725 Mitarbeiter einschließlich 35 Auszubildender beschäftigt. Bei einem Umsatz von rund 142 Mio. EUR wurde ein Gewinn von rund 1,9 Mio. EUR an den Riva-Konzern abgeführt.[6]

Weblinks

Commons: VEB Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Hans Misselwitz: Die mutigen Stahlarbeiter von Hennigsdorf, Vorwärts 3/2019, S. 24
  2. irina grabowski: Treuhand besteht auf Riva. In: Die Tageszeitung: taz. 26. November 1991, ISSN 0931-9085, S. 4 (taz.de [abgerufen am 29. September 2017]).
  3. Massimo Bognanni, Sven Prange: Made in Germany: Große Momente der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Campus Verlag, 2016, ISBN 978-3-593-50590-9 (google.it [abgerufen am 29. September 2017]).
  4. Riva spendete 100000 Mark für den Dom. In: Berliner-Kurier.de. (berliner-kurier.de [abgerufen am 29. September 2017]).
  5. Joest Feenders: Stolpe, Manfred - Die Geschichte Berlins - Verein für die Geschichte Berlins e.V. - gegr. 1865. Abgerufen am 29. September 2017 (deutsch).
  6. Bilanz der H.E.S. für 2007 im elektronischen Bundesanzeiger, abgelesen am 09-03-28.

Koordinaten: 52° 39′ 1,2″ N, 13° 12′ 42,5″ O