Studentisches Brauchtum

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Studentische Deposition, 16. Jahrhundert
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Landshuter Burschengarderobe um 1806 (Zeichnung in einem studentischen Stammbuch)
„Trägt farbige Bänder ….“ Zwei studentische Kulturen um 1845

Zum studentischen Brauchtum gehören diverse, teilweise seit dem Mittelalter existierende Bräuche, Rituale, Verhaltensmuster, Sitten, Zeremonien und Feste, die das Studentenleben prägten und in unterschiedlicher Ausprägung an den meisten Universitäten auch heute noch existieren.

Im deutschsprachigen Raum löste sich das studentenspezifische Brauchtum im Zuge der 1968er-Studentenbewegung weitgehend auf und öffnete sich der allgemeinen Jugendkultur. Besonders gepflegt wird es heute noch in traditionellen Studentenverbindungen. Das historische Brauchtum der Studenten wird von Studentenhistorikern erforscht und in Studentenmuseen dokumentiert.

Studentisches Brauchtum im deutschsprachigen Raum

Ausprägung

Seit dem Mittelalter bis tief in die 1960er Jahre (abgesehen von der Zeit des Nationalsozialismus) war das Leben der Studenten stark von demjenigen anderer junger Menschen ihrer Altersgruppe abgesondert. Da die Universität so umfassende studentenspezifische soziale Rollenangebote machte, hat der Soziologe Klaus Allerbeck das damalige „Student Sein“ als „totale Rolle“ charakterisiert,[1] die sich erst in den 1970ern zu einer sozial differenzierten Rolle unter anderen entwickelte.

Entsprechend dieser totalen Rolle entwickelte sich ein entfaltetes spezifisch studentisches Brauchtum, das sich in zahlreichen besonderen Verhaltensweisen äußerte. Diese umfassten beispielsweise Zustimmungs- oder Ablehnungsformen wie Beifallklopfen, Scharren, Auszischen oder das Ausbringen von vivat bzw. pereat, Auszüge und Aufzüge, Komitat und Eingangsgeleit, Fackelzüge, Katzenmusik, Bierstaaten sowie die Pflege des gesellschaftlichen Lebens. Dazu gehören auch spezielle studentische Kartenspiele wie etwa Quodlibet. Auch eine Studentensprache mit eigenen Anreden (Herr Kommilitone) gehörte dazu. Ebenso waren Studentenlieder und das studentische Fechten lange Zeit wichtige Elemente des studentischen Brauchtums in Mitteleuropa.

Zum Studentenleben und seinen Bräuchen gehörten ebenso Studentengefängnisse (Karzer) wegen der eigenen Gerichtsbarkeit der Universitäten, Leichenbegängnisse für Professoren und Studenten, Studierendengemeinden, Studentensport, Studentenheime, studentische Mensen, Studentenzeitungen (Studentenkurier), Studententheater, -orchester (Collegium Musicum Instrumentale), -chöre (Collegicum Musicum Vocale) und -kabaretts.

Geschichte

Im frühen 15. Jahrhundert wurde der bereits in Paris und Bologna bekannte Brauch der Deposition auch in Deutschland eingeführt. Diese war ein traditionelles, eher halboffizielles Initiationsritual für Studenten, der sich bis ins 18. Jahrhundert hielt. Das Ritual ging der Immatrikulation an einer Universität voraus und beinhaltete das Ablegen der Hörner vor Eintritt ins Studium.

Im 16. und 17. Jahrhundert war das Leben der Studenten vom Brauch des Pennalismus geprägt, einem Dienstverhältnis zwischen jüngeren und älteren Studenten in den studentischen Landsmannschaften.

Mit der zunehmenden Ausprägung eines studentischen Standesbegriffs im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit, der seinen Ausdruck auch im Führen eines Degens fand, entwickelte sich ein studentisches Duellwesen, aus dem im 19. Jahrhundert schließlich die heutige Mensur hervorging.

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Hospitium in Jena, Stammbuchmalerei um 1750: Der Gastgeber (links im Hausmantel mit Hausschlüssel) lässt seine Gäste trinken, „biß ihr unter dem tisch liegt“.

Eine im 18. Jahrhundert an deutschen Universitäten üblicher studentischer Brauch war das Hospitium, bei dem ein Student als Gastgeber fungierte und seine Kommilitonen trinken lassen konnte.

Im 18. Jahrhundert entstand auch der Brauch des Landesvaterstechens, bei dem Studenten – ursprünglich zu Ehren ihres Landesfürsten – gemeinsam ihre Mützen mit der Klinge eines Degens (oder später eines Schlägers) durchbohren.

Insbesondere im 19. Jahrhundert prägten Studentenverbindungen mit den ihnen eigenen Insignien wie Wappen und Zirkeln, dem öffentlichen Auftreten in Mütze und Band und besonderen Feiern wie den Kneipen und Stiftungsfesten das studentische Leben. Noch aus vorindustrieller Zeit stammte die soziale Schichtung vom Fuchs als „Einsteiger“, Burschen als „voll aktives“ Mitglied und Altem Herrn als „Ehemaliger“, der auch die Burse (daher Börse) finanziell unterstützte.

Siehe auch

Literatur

  • Gaudeamus Igitur. Studentisches Leben einst und jetzt. Ausstellungskatalog, Schallaburg. Wien 1992, DNB 930452399.
  • Peter Krause: „O alte Burschenherrlichkeit.“ Die Studenten und ihr Brauchtum. Verlag Styria, Graz/ Wien/ Köln 1997, ISBN 3-222-12478-7.
  • Matthias Stickler: Universität als Lebensform? Überlegungen zur Selbststeuerung studentischer Sozialisation im langen 19. Jahrhundert. In: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.): Die Berliner Universität im Kontext der deutschen Universitätslandschaft (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien. Bd. 76) Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2010, ISBN 978-3-486-59710-3 (Digitalisat).
  • Oskar Dolch: Geschichte des Deutschen Studententums – von der Gründung der deutschen Universitäten bis zu den deutschen Freiheitskriegen. Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Brockhaus Leipzig, 1858 erschienen im Verlag für Sammler, Graz 1968.
  • Paulgerhard Gladen: Gaudeamus igitur – Die studentischen Verbindungen einst und jetzt. München, Callwey, 1988, ISBN 3-7667-0912-7.
  • Friedhelm Golücke et al. i. A. der Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte e.V.: Richard Fick (Hrsg.): Auf Deutschlands hohen Schulen. Fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1900, SH-Verlag, Köln, 1997, ISBN 3-89498-042-7.
  • Robert Paschke: Studentenhistorisches Lexikon. GDS-Archiv für Hochschulgeschichte und Studentengeschichte, Beiheft 9, Köln, 1999, ISBN 3-89498-072-9.
  • Gerhard Richwien: Student sein. Eine kleine Kulturgeschichte. Gemeinschaft für Deutsche Studentengeschichte (GDS), Kleine Schriften der GDS 15, SH-Verlag, Köln, 1998, ISBN 3-89498-049-4.
  • Friedrich Schulze/Paul Ssymank: Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. 4. Auflage 1932, Verlag für Hochschulkunde München.
  • Max Bauer: Sittengeschichte des deutschen Studententums. Dresden o. J. (ca. 1930).
  • Michael Klant: Universität in der Karikatur – Böse Bilder aus der kuriosen Geschichte der Hochschulen. Hannover 1984, ISBN 3-7716-1451-1.
  • Karl Konrad: Bilderkunde des deutschen Studentenwesens. 2. Auflage, Breslau 1931; Nachträge und Ergänzungen, Breslau 1935.
  • Helga-Maria Kühn: Studentisches Leben im Göttingen des 18. Jahrhunderts nach zeitgenössischen Berichten, Briefen, Reisebeschreibungen und Akten des Stadtarchivs. In: Göttingen im 18. Jahrhundert. Eine Stadt verändert ihr Gesicht. Texte und Materialien zur Ausstellung im Städtischen Museum und im Stadtarchiv Göttingen 26. April–30. August 1987. Göttingen 1987, S. 145–181.
  • Konrad Lengenfelder (Hrsg.): Dendrono-Puschners Natürliche Abschilderung des Academischen Lebens in schönen Figuren ans Licht gestellet. 2. Auflage Altdorf 1993 (1. Auflage Nürnberg 1962).
  • Paul Ssymank: Bruder Studio in Karikatur und Satire. Stuttgart 1929.
  • Wolfgang E.J. Weber: Geschichte der europäischen Universität. Kohlhammer, Stuttgart 2002, ISBN 3-17-016482-1.
  • Konrad H. Jarausch: Deutsche Studenten 1800–1970. Frankfurt a. M. 1984.
  • Hans Peter Hümmer: Der „Burschen-Comment“ des Martialis Schluck von Raufenfels. Die lateinische Fassung von 1780 und die erste deutsche Übersetzung von 1798. Einst und Jetzt, Bd. 52 (2007), S. 29.
  • Michaela Neubert, Matthias Stickler: Vielfalt und Wandel der studentischen Kleidung im Spiegel der Sammlungen des Instituts für Hochschulkunde an der Universität Würzburg. Einst und Jetzt, Bd. 65 (2020), S. 33–88.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Klaus Allerbeck: Soziologie radikaler Studentenbewegungen. Oldenbourg, 1973, ISBN 3-486-43971-5, S. 220ff.