Sui generis

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Sui generis (lat.: eigener Art) ist ein Fachausdruck mit der wörtlichen Bedeutung „eigener Gattung, eigenen Geschlechts“ oder „einzigartig in seinen Charakteristika“. Der Begriff wurde von der scholastischen Philosophie entwickelt, um eine Idee, eine Entität oder eine Wirklichkeit zu bezeichnen, die nicht unter ein höheres Konzept eingeordnet werden kann, sondern vielmehr nur durch sich selbst eine Klasse bildet.

Im Sinne von Gattung oder Art wird damit eine Art gemeint, die die eigene Gattung anführt, so zum Beispiel in der Kunst, Musik oder Literatur.

Recht

In den Rechtswissenschaften ist er ein Terminus technicus, der verwendet wird, um einen Gegenstand in juristischen Klassifikationen beschreiben zu können, obwohl er nicht in die übliche Formtypik passt, weil er einzigartig ist.

„Wo die vertrauten Begriffe versagen, hilft sich der Jurist mit der Qualifikation als Sache sui generis.“

Josef Isensee: Europäische Nation? Die Grenzen der politischen Einheitsbildung Europas, 2009[1]

Es ist allerdings zu beachten, dass die Einordnung eines Gegenstands oder Phänomens in die Kategorie sui generis nur das letzte Mittel sein darf, um diesen Gegenstand zu beschreiben. Vorher ist die Möglichkeit auszuschöpfen, den Gegenstand in vorhandene Kategorien, wenn auch durch deren Erweiterung, einzuordnen.

Im Hinblick auf die Institution der Europäischen Union sprechen Rechtswissenschaftler vom „Gebilde sui generis“.[2][3] Das Bundesverfassungsgericht untersuchte in seinem Maastricht-Urteil die EU und stufte sie wegen fehlender Staatlichkeit der Gemeinschaftsebene mit dem Charakter sui generis mit dem neu gebildeten Begriff Staatenverbund ein,[4] da sie weder Bundesstaat noch Staatenbund, sondern ein völkerrechtlich einzigartiges Gebilde darstelle. Der Begriff sui generis ist Ausdruck der Schwierigkeiten, die Europäische Union mit staats-, völkerrechtlichen oder politikwissenschaftlichen Kategorien zu erfassen.[5] In der Verfassungsgeschichte wird die sui-generis-Natur der Europäischen Union oftmals der des Heiligen Römischen Reichs gegenübergestellt, die der Rechtsphilosoph Samuel Pufendorf im 17. Jahrhundert als „irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper“ umschrieb.[6]

Staatsrechtler und Politikwissenschaftler diskutieren auch, ob das Regierungssystem der Schweiz, die gegenwärtig als einziger Staat der Welt eine Direktorialregierung hat, als Typus sui generis zu qualifizieren sei.[7][8][9]

Auch das deutsche Vertragsrecht kennt den Vertrag sui generis. Dies ist ein Vertrag, der zu keinem der gesetzlich bestimmten Vertragstypen gehört.

Heute wird der Ausdruck zunehmend auch von der Politikwissenschaft und von Politikern in Anspruch genommen.

Militär

In der militärpolitischen und militärsoziologischen Diskussion ist umstritten, ob der Soldaten­beruf ein Beruf sui generis ist; insbesondere infolge der sogenannten Schnez-Studie von 1970, die diesen Anspruch erhob.[10] Für diese These wird angeführt, dass besondere physische und psychische Anforderungen an einen Soldaten gestellt würden und dass militärische Strukturen nicht mit zivilen zu vergleichen seien (Befehl und Gehorsam auf der einen Seite, das arbeitsvertragliche Weisungsrecht auf der anderen). In neueren Diskussionen wird zudem die Tapferkeitspflicht und das Töten und Sterben von Soldaten wie im Afghanistaneinsatz der Bundeswehr als exzeptionelles Merkmal des Soldatenberufes herausgestellt.[11] Dagegen wird unter anderem der regelmäßig lebensgefährliche Einsatz von Feuerwehrleuten angeführt.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: sui generis – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Josef Isensee: Europäische Nation? Die Grenzen der politischen Einheitsbildung Europas. In: Die Verfassung Europas. Perspektiven des Integrationsprojekts. VS Verlag, Wiesbaden 2009, S. 255.
  2. Armin von Bogdandy, Die europäische Option, 1993, S. 120.
  3. Vgl. dazu Dennis-Jonathan Mann, Ein Gebilde sui generis? Die Debatte um das Wesen der Europäischen Union im Spiegel der „Nature of the Union“-Kontroverse in den USA, in: Frank Decker/Marcus Höreth (Hrsg.), Die Verfassung Europas. Perspektiven des Integrationsprojekts, Wiesbaden 2009, S. 319 ff.
  4. BVerfGE 89, 155, 213 (1994).
  5. Johannes Pollak/Peter Slominski, Das politische System der EU, 2006, S. 118.
  6. Dietmar Scholz: Abenteuer Europa. Geschichte und Identität Europas – Aufgaben und Probleme der Europäischen Union. Lit Verlag, Münster 1998, S. 123;
    Armin von Bogdandy: Europäische Prinzipienlehre. In: Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge. Springer, Berlin/Heidelberg 2003, S. 160;
    Christoph Schönberger: Wie kann man die Europäische Union juristisch denken? Überlegungen zu einer Bundeslehre. In: Helge Høibraaten/Jochen Hille (Hrsg.): Northern Europe and the Future of the EU/Nordeuropa und die Zukunft der EU. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2011 (= Nordeuropäische Studien; 23), S. 164.
  7. Karl Loewenstein: Verfassungslehre. 4. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2000, S. 120.
  8. Uwe Kranenpohl: Sui(sse) generis. Die Eidgenossenschaft – Referenzsystem für die institutionelle Fortentwicklung der Europäischen Union? In: Werner J. Patzelt, Martin Sebaldt, Uwe Kranenpohl: Res publica semper reformanda. Wissenschaft und politische Bildung im Dienste des Gemeinwohls. Festschrift für Heinrich Oberreuter. VS Verlag, Wiesbaden 2007, S. 597–611.
  9. Martin Sebaldt: Die Macht der Parlamente. Funktionen und Leistungsprofile nationaler Volksvertretungen in den alten Demokratien der Welt. VS Verlag, Wiesbaden 2009, S. 176.
  10. Vgl. Ingeborg Rubbert-Vogt, Wolfgang R. Vogt: Soldaten – auf der Suche nach Identität. Autonome Identitätsbildung von Berufssoldaten im Dilemma zwischen militärischer Restriktivität und gesellschaftlicher Entwicklung. In: Wolfgang R. Vogt: Militär als Lebenswelt. Streitkräfte im Wandel der Gesellschaft (II). Springer, Wiesbaden 1988, S. 13–55, hier S. 54, Fn 53; dagegen z. B. Gerd Scharnhorst: „Natürlich nicht sui generis“. In: Der Spiegel, Nr. 4/1970, S. 26.
  11. Vgl. Marcel Bohnert: Armee in zwei Welten, in: M. Böcker et al., Soldatentum. Auf der Suche nach Identität und Berufung in der Bundeswehr heute, Olzog Verlag, München, 2013, S. 84.