Taumel-Lolch

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Taumel-Lolch

Taumel-Lolch (Lolium temulentum), Illustration

Systematik
Commeliniden
Ordnung: Süßgrasartige (Poales)
Familie: Süßgräser (Poaceae)
Unterfamilie: Pooideae
Gattung: Lolch (Lolium)
Art: Taumel-Lolch
Wissenschaftlicher Name
Lolium temulentum
L.

Der Taumel-Lolch[1] (Lolium temulentum), auch Rauschgras oder Schwindelweizen, Tollgerste, Tollkorn[2][3] genannt, ist eine Pflanzenart innerhalb der Familie der Süßgräser (Poaceae). Sein Name beruht auf den Vergiftungserscheinungen, die in der Vergangenheit nach dem Verzehr von mit Taumel-Lolch verunreinigtem Getreide auftraten.

Beschreibung

Habitus
Blütenstand

Vegetative Merkmale

Taumel-Lolch ist eine grüne bis bläulich-grüne, einjährige krautige Pflanze und erreicht Wuchshöhen von 20 bis 90, selten bis 120 Zentimetern. Dieses Gras wächst büschelig oder mit einzelnen Halmen. Die aufrechten oder gekniet-aufsteigenden Halme sind kahl, glatt und nur unterhalb der Ähre rau. Sie sind unverzweigt oder an der Basis verzweigt, die untersten Knoten können bewurzelt sein.

Die Blattscheiden sind glatt bis leicht rau und kahl. Das Blatthäutchen ist ein 1 bis 2 mm langer Saum. Die Blattspreiten sind 6 bis 30 cm lang und 2 bis 8 (selten 12) mm breit. In der Knospenlage sind sie zusammengerollt, später flach ausgebreitet. Die Spreiten sind kahl, die Oberseite und die Ränder sind rau. Die Unterseite ist glänzend. An der Basis sitzen zwei sichelförmige, halmumgreifende Öhrchen, die allerdings auch fehlen können.

Generative Merkmale

Die Blütezeit liegt im Juni und Juli. Die aufrechte Ähre ist 5 bis 25 cm lang und weist eine geschlängelte Spindel auf. Die Ährchen sind wechselständig, bestehen aus 4 bis 10 (selten bis 15) Blütchen und sind ohne Granne 15 bis 20 mm lang. Die Ährchenachse ist zwischen den Blütchen auffällig lang. Die obere Hüllspelze ist nur beim obersten Ährchen vorhanden. Die untere ist fünf- bis neunnervig, 7 bis 30 mm lang, von lanzettlicher, schmal abgerundeter Gestalt, derbhäutig, steif und mit zarthäutigen Rändern. Die Deckspelzen sind innerhalb eines Ährchens sehr verschieden lang. Die unterste ist fünf- bis neunnervig, 5 bis 8,5 mm lang, von eiförmiger bis breit-elliptischer Gestalt, zu Beginn derbhäutig und zäh, später hart bis knorpelig werdend. Das obere Ende ist häutig, glatt und kahl. 0,5 bis 2 mm vom oberen Rand entfernt sitzt eine bis 20 mm lange Granne, die aber auch fehlen kann. Die Vorspelzen sind zweinervig, gleich lang wie die Deckspelzen und rund 2,5 mm breit. Die Staubbeutel sind 2 bis 3,5 mm lang.

Die Karyopse ist 4 bis 7 mm lang, glatt und kahl.

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 14.

Ökologie und Toxikologie

Beim Taumel-Lolch handelt es sich um einen Therophyten.

Der Taumel-Lolch ist oft vom endoparasitischen Pilz Neotyphodium coenophialum[4] (ein Verwandter des Mutterkornpilzes) befallen, der u. a. neurotoxische Indolalkaloide bildet, wodurch die gesamte Pflanze giftig wird. Da der Taumel-Lolch früher häufig in Getreideäckern wuchs, gelangten oft Samen in das Mahlgut und in das Mehl. Durch den Genuss des so verunreinigten Mehles kam es zu Vergiftungserscheinungen wie Schwindel (Taumeln) und Sehstörungen, in seltenen Fällen sogar zum Tod. Heute kommt dies aufgrund der Anwendung von Herbiziden im integrierten Anbau und der Getreidereinigung nicht mehr vor.[5]

In einer Symbiose mit dem Taumellolch ist Neotyphodium coenophialum fähig, Lolinalkaloide zu produzieren. Diese, zu den Pyrrolizidinalkaloiden gezählten, Verbindungen wirken insektizid und können die Pflanze vor Fraß schützen.[6]

Verbreitung und Standorte

Der Taumel-Lolch ist ursprünglich im Mittelmeer-Gebiet beheimatet.[7] Sein Verbreitungsgebiet umfasst die gemäßigten Zonen Eurasiens, Nordafrika und Makaronesien. In zahlreichen anderen Ländern ist er ein Neophyt.[8]

Im Tanach erscheint der Taumel-Lolch als bo’šāh (

בָאְשָׁה

„Unkraut“ Hi 31,40 EU) und im Matthäusevangelium im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen mit der griechischen Bezeichnung zizánion (

ζιζάνιον

Mt 13,24–30 EU; 13,36–43 EU). Bei den Griechen wurde er auch aîra (

αἶρα

) genannt. Man hat vermutet, dass die Pflanze als Beimischung ein psychoaktiver Bestandteil des im Rahmen der Mysterien von Eleusis getrunkenen Kykeon war.[9][10]

Mit dem Ackerbau breitete der Taumel-Lolch sich in den gemäßigten Zonen aus. In Deutschland wird er als Archäophyt eingestuft, gilt inzwischen aber als ausgestorben bzw. verschollen.[1]

Der Taumel-Lolch war in der Vergangenheit vor allem in regenreichen Jahren ein ertragsschädigendes Unkraut, besonders in Hafer- und Sommergerste-Feldern, wurde aber in der Volksheilkunde auch als Arzneistoff bei Hauterkrankungen und Geschwüren[11] verwendet. Heute ist er in vielen Gebieten ausgestorben oder verschollen. Die Art wächst noch auf Schuttplätzen, an Güterplätzen und in Hafenanlagen, auf Ödland und an Wegrändern. Sie kommt auf frischen, nährstoff- und basenreichen, eher kalkhaltigen Lehm- und Lössböden vor, ist ein Nährstoffzeiger und eine Lichtpflanze.

Trivialnamen

Weitere volkstümliche Bezeichnungen der Pflanze sind etwa Schwindelkorn, Tobkraut, Rauschgras, Giftstroh, Haferschwindel, Droonkart, Taubkraut, Tollgerste, Schlafweizen, Kribbelraotch, Teufelskraut und Hennentöter.[12][13]

Pflanzensoziologisch ist Taumel-Lolch eine Klassenkennart der Getreideunkraut-Gesellschaften (Secalietea cerealis).

Literatur

  • Hans Joachim Conert: Pareys Gräserbuch. Die Gräser Deutschlands erkennen und bestimmen. Parey, Berlin 2000, ISBN 3-8263-3327-6.

Einzelnachweise

  1. a b Lolium temulentum L., Taumel-Lolch. FloraWeb.de, zuletzt abgerufen am 27. September 2015.
  2. Franz von Paula Schrank: Baiersche Flora. Band 1, Strobl, München 1789, S. 382.
  3. P. Esser: Die Giftpflanzen Deutschlands. Springer, 1910, ISBN 978-3-663-19900-7, S. 22.
  4. Index Fungorum, abgerufen am 27. März 2019.
  5. Dietrich Frohne, Uwe Jensen: Systematik des Pflanzenreichs. Unter besonderer Berücksichtigung chemischer Merkmale und pflanzlicher Drogen. 4., neubearbeitete Auflage. G. Fischer, Stuttgart u. a. 1992, ISBN 3-437-20486-6.
  6. Christopher L. Schardl, Robert B. Grossman, Padmaja Nagabhyru, Jerome R. Faulkner, Uma P. Mallik: Loline alkaloids: Currencies of mutualism. In: Phytochemistry. Band 68, Nr. 7, April 2007, ISSN 0031-9422, S. 980–996, doi:10.1016/j.phytochem.2007.01.010, PMID 17346759.
  7. Charles E. Hubbard: Grasses. A Guide to their Structure, Identification, Uses and Distribution in the British Isles. 3rd edition. Penguin, London 1992, ISBN 0-14-013227-9, S. 153.
  8. Rafaël Govaerts (Hrsg.): Lolium temulentum. In: World Checklist of Selected Plant Families (WCSP) – The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew, abgerufen am 11. November 2016.
  9. R. Gordon Wasson, Albert Hofmann, Carl A. P. Ruck: Der Weg nach Eleusis. Das Geheimnis der Mysterien. Insel, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-458-14138-3, S. 64 f.
  10. Vgl. auch: Hans H[ugo] Lauer: Taumellolch (šailam) in einem arabischen Zauberrezept. In: Sudhoffs Archiv. Band 49, Nr. 1, 1965, S. 37–49, JSTOR 20775153.
  11. Karl Hiller, Matthias F. Melzig: Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen in zwei Bänden. Heidelberg/Berlin (1999) 2003, Band 2, S. 30.
  12. Fritz-Martin Engel: Flora magica. Geheimnis und Wesen der Pflanze. Löwit, Wiesbaden 1972, S. 23 f.
  13. Petra Christ: Hexensalbe – Eine Droge des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit? Überlieferung und Kritik. Volkskundliche Magisterarbeit. Würzburg 1995, S. 140 f.

Weblinks

Commons: Taumel-Lolch (Lolium temulentum) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien