Tegernseer Gebräuche
Die Tegernseer Gebräuche mit der offiziellen Bezeichnung Gebräuche im inländischen Handel mit Rundholz, Schnittholz, Holzwerkstoffen und anderen Holzhalbwaren sind die einzigen kodifizierten, also schriftlich niedergelegten Handelsusancen. Sie wurden erstmals von den Verbänden der Holzbearbeitung, des Holzhandels und der Holzverarbeitung im Jahr 1950 zusammengestellt. Ihren Namen haben sie vom Tagungsort am Tegernsee, an dem die Gebräuche-Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hatte und die schriftliche Fassung von den Repräsentanten der beteiligten Wirtschaftsverbände unterzeichnet wurde.
Die aktuelle Fassung der Tegernseer Gebräuche stammt aus dem Jahr 1985, eine Neufassung ist für 2020 oder 2021 vorgesehen. Die Geschäftsführung der Großen Gebräuche-Kommission hatte der Bundesverband Deutscher Holzhandel e.V., Wiesbaden, mittlerweile Gesamtverband Deutscher Holzhandel e.V. (GD Holz), Berlin, inne. Der GD Holz verfügt über ein umfangreiches Archiv über die Protokolle der Großen Gebräuche Kommission und über die laufende Rechtsprechung (Urteile) zu den Tegernseer Gebräuchen.
Die Holzwirtschaft ist in Deutschland die einzige Branche, die über ein kodifiziertes, also niedergeschriebenes Brauchtum verfügt. Der Grund für die Vielzahl von Usancen liegt hauptsächlich in den spezifischen Eigenheiten des natürlich gewachsenen Bau-, Roh- und Werkstoffes Holz begründet. Ein vergleichbares und ebenfalls kodifiziertes Brauchtum gibt es in Österreich mit den Österreichischen Holzhandelsusancen 2006.
Die Tegernseer Gebräuche gelten – so die Präambel – allerdings nicht zwischen der Forstwirtschaft – also dem Waldbesitz – und ihren Abnehmern.
Geschichte
Vorläufer der Tegernseer Gebräuche waren regionale und sortimentsspezifische Handelsbräuche wie zum Beispiel die Gebräuche südwestdeutschen Holzhandelsverkehr (1922), Lieferbedingungen und Gebräuche bayerischen Holzhandelsverkehr (1926), Lieferbedingungen und Gebräuche im südwestdeutschen und rheinisch-westfälischen Holzhandelsverkehr (1935) oder Gebräuche im rheinisch-westfälischen Grubenholz-Handelsverkehr (1930), mitteldeutsche Gebräuche für den Verkehr mit Holz (1924) und ostdeutsche Handelsgebräuche für Laubhölzer (1936). Die Holzmarktordnung im Zeitraum 1933 bis 1952 hatte einen freien Warenverkehr mit Holz staatlich regulierten Preisen und Bezugsscheinen teilweise außer Kraft gesetzt. Nach 1945 nutzte die Holzwirtschaft die Chancen des Neuanfangs, die verschiedenen Usancen zu harmonisieren.
Inhalt der Tegernseer Gebräuche
Die Tegernseer Gebräuche enthalten im 1. Teil – Allgemeines – allgemeine Regeln zum Geschäftsverkehr wie zum Beispiel Angebot, Rechnungserteilung und Zahlungsweise, Erfüllungsort/Gerichtsstand, Regelungen zur Mängelrüge etc.
Der allgemeine Teil gilt auch für ausländische Holzprodukte, die im Inland gehandelt und weiterverkauft werden.
Im 2. Teil – Besonderes – werden Regeln zu Nadelschnittholz inländischer Erzeugung und zu Laubschnittholz, Holzwerkstoffen und Furnieren getroffen, so zum Beispiel Maßhaltigkeit, Holzlieferfeuchte, Vermessung etc.
In der Anlage zu den vorgenannten Teilen werden handelsübliche Güteklassen für Nadelschnittholz definiert. Bestandteil der Tegernseer Gebräuche sind weiterhin die "Gebräuche für die Vermittlung von Holzgeschäften", die sog. Maklergebräuche. Bei der letzten Überarbeitung der Tegernseer Gebräuche im Jahre 1985 wurde die Anlage mit den handelsüblichen Güteklassen für Nadelschnittholz nicht mehr überarbeitet. Der Grund hierfür war, dass Güteklassen und die Holzsortierung bereits damals einem schnellen Wandel unterworfen war und teilweise durch DIN-Normen und ab den 90er Jahren, dann auch durch EN-Normen überholt wurde. Diesem Wandel wurde bereits damals in der Präambel zu dieser Anlage mit dem Hinweis Rechnung getragen, "Bei speziellen Anforderungen ist das DIN-Normenwerk zu beachten und bei Bestellungen zu vereinbaren. Als spezielle Anforderungen gelten zum Beispiel Festigkeit und Feuchte bei Bauschnittholz."
Rechtliche Bedeutung
Rechtliche Wirkung entfalten die Tegernseer Gebräuche über das Handelsgesetzbuch nach § 346 HGB (Handelsbräuche): "Unter Kaufleuten ist in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehre geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen." Die Gültigkeit der Tegernseer Gebräuche als Handelsbrauch unter Kaufleuten ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt (BGH, Urteil vom 23. April 1986 - Az. IVa ZR 209/84 -, Betriebs-Berater 1986, 1395).[1] Die Tegernseer Gebräuche gelten also nicht nur im Holzhandel oder zwischen Sägeindustrie und Handel, sondern sie gelten unter Kaufleuten, d. h. all denen, die gewerbsmäßig Holz kaufen und verkaufen. Als Handelsbrauch müssen sie nicht eigens vereinbart werden. Vielmehr muss im Einzelfall eigens vereinbart werden, dass sie nicht gelten sollen. Handelsbräuche gelten normativ, ein Kaufmann kann sich also nicht darauf berufen, sie nicht gekannt zu haben.[2] Der Geltungsbereich der Tegernseer Gebräuche kann auch umschrieben werden mit den Verbänden und Spitzenorganisationen der Branchen, die an der letzten Feststellung mitbeteiligt waren und im Anhang der Tegernseer Gebräuche genannt sind – so die Sägeindustrie, Furnierwerke, die Holzwerkstoffindustrie, die Möbelindustrie, der Holzhandel, das Holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk, das Zimmererhandwerk und das Glashandwerk. Auch in den neuen Bundesländern haben die Tegernseer Gebräuche sehr schnell (wieder) Geltung erlangt. Dies bestätigen Urteile des Landgerichts Leipzig (Az. 05 HKO 3294/96 und 01 HKO 8424/97) und der Oberlandesgerichte Thüringen (Az. 1 U 541/02) und Dresden (Az. 2 U 1863/95).
Bedeutung in der Praxis (Beispiele)
Das Handelsgesetzbuch (HGB) verlangt eine Eingangsuntersuchung und eine unverzügliche Mängelrüge der erhaltenen Ware. Die Tegernseer Gebräuche (TG) konkretisieren die allgemeinen Regeln des Handelsgesetzbuches in § 12 der TG dahingehend, dass die erhaltene Ware unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 14 Kalendertagen, gerügt werden muss. Eine in Werkstoff Holz begründete weitere Regelung ist, dass Verfärbungen bei frischer Ware spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen gerügt werden müssen. Ferner legen die Tegernseer Gebräuche formelle Anforderungen an die Mängelrüge fest: Es muss schriftlich gerügt werden, die Mängel müssen genau angegeben und es muss der Lagerort genannt werden. Ferner gilt ein so genanntes Verfügungsverbot über die reklamierte Ware: über die Ware darf nicht verfügt werden, d. h., sie darf nicht vom Lagerort entfernt, weiterverkauft oder weiterverarbeitet werden, bis eine Einigung erzielt ist.
Holzsortimente und Klassifizierung
Die von den Tegernseer Gebräuchen erfassten Holzsortimente erstrecken sich – was die allgemeinen Geschäftsusancen (§ 1–13) betrifft – auf Rundholz, d. h. Stammholz, Schnittholz (Rauware), d. h. Nadel- und Laubschnittholz, Holzwerkstoffe, d. h. Plattenwerkstoffe, wie Span-, Faser-, Sperrholzplatten etc. und andere Holzhalbwaren.
Unter anderen Holzhalbwaren werden die übrigen klassischen Produktgruppen wie Hobelware, Furniere, und im Sinne des Brauchtums jüngere Produktgruppen wie Ausbauprodukte darunter Paneele, Parkett- und Laminatfußböden, Bauelemente und Holz-im-Garten-Produkte subsumiert.
Im besonderen Teil werden als speziellere Sortimente bzw. Merkmale erwähnt:
- Stammware, Mittelware und Zopfware
- astreinen Seiten
- Modellware und Rohhobler
- Blockware
- Dimensions- und Listenware
- (besäumte) Tischlerqualität (aus ausgesuchten Blöcken)
- unbesäumtes Schnittholz
Vermessung und Maßvorgaben
Nadelholz
Unbesäumtes Schnittholz (mit Baumkante) wird in der Mitte des Brettes je auf der schmaleren und breiteren Seite gemessen und ausgemittelt oder blockliegend vermessen. Bestimmte Bretter mit einer Dicke von bis zu 33 mm werden ausschließlich an der schmalen Seite gemessen.
Die Maße werden auf volle Zentimeter nach unten gerundet, außer bei Dimensions- und Listenware. Bei gehobelter Ware wird das Endmaß in der Breite in Millimetern erfasst. Bei Ware mit Wechselfalz wird über den Falz gemessen. Bei gehobelter und gespundeter oder nur gespundeter Ware wird das Profilmaß ebenfalls in Millimeter berechnet.
Die Länge wird in ganzen, halben und viertel Metern erfasst; Stamm- und Blockware auch in Dezimetern; Dimensionsware, Listenware und Fixlängen nach vollen Zentimetern.
Für unbesäumte Bretter und Bohlen werden folgende Mindestdeckbreiten vorgesehen: 8 cm bei Dicke bis 19 mm; 10 cm bei 20 bis 30 mm Dicke; 12 cm bei 31 bis 40 mm Dicke und 14 cm bei einer Dicke von mehr als 41 mm. Für Kiefern- und Lärchenholz werden zusätzlich Durchschnittsbreiten (DB) von 20, 23, 25 und 27 cm vorgesehen, die um nicht mehr als 4 cm unterschritten werden dürfen.
Literatur
- Autorenkollektiv: Tegernseer Gebräuche. Gebräuche im inländischen Handel mit Rundholz, Schnittholz, Holzwerkstoffen und anderen Holzhalbwaren. Fassung 1985. DRW-Verlag, Stuttgart 1985, 36 S., ISBN 3-87181-120-3.
Weblinks
- Tegernseer Gebräuche - Gebräuche im inländischen Handel mit Rundholz, Schnittholz, Holzwerkstoffen und anderen Holzhalbwaren (PDF; 3,6 MB), Fassung 1985